Wie kann ich mit meiner Trauer umgehen?

Wie kann ich mit meiner Trauer umgehen?

Eigentlich werde ich immer wieder ganz anders gefragt: „Wie kann ich von meiner Trauer los kommen?“

Trauer wird als schwer empfunden. Dann stört sie und man will sie los werden.

Aber geht das überhaupt?

An wie vielen Gräbern wird versprochen: „Wir werden dich niemals vergessen!“ Und das sagt man normalerweise auch nur bei Menschen, an die man sich gerne erinnert. Und wenn man sich an sie erinnert, dann spürt man den Verlust. Anfangs sehr heftig, später immer weniger heftig. Aber ganz vergessen wird man diesen Menschen sicher nie. Und man will es auch gar nicht.

Am schlimmsten sind dann die Tränen. Sie kommen so unvermittelt und man kann so wenig dagegen machen. Ein Kontrollverlust – und wer mag schon einen Kontrollverlust. So kann man es sehen.

Aber vielleicht kann es helfen, die Tränen auch aus einem ganz anderen Blickwinkel zu sehen.

Als mein Schwiegervater starb, hatte ich Angst, nicht weinen zu können. Als Pfarrer und eine Zeit lang als freier Grabredner habe ich gelernt, mit einer guten Atemtechnik die Trauer weitgehend im Griff zu haben. Ich bin dafür verantwortlich, dass Trauernde sicher durch die Trauerfeier geführt werden mit all den Gefühlen, die sie gerade haben. Wenn die Trauergemeinde auf der Beerdigung den Pfarrer trösten muss (bei allem Verständnis dafür, dass auch das einmal vorkommen kann), dann stimmt etwas nicht. Würde ich weinen können bei dieser Beerdigung eines lieben Menschen, an den ich auch nach Jahren noch gerne denke?

Es war eine wunderbare Beerdigung. Er hatte sich die Lieder noch selber heraus gesucht. Ich konnte Einzelheiten aus seinem Leben hören, die ich bis dahin noch gar nicht kannte. Und ich habe jede meiner Tränen genossen. Denn es waren Tränen für den besten Schwiegervater der Welt.

Der Tod konnte manches, und er konnte mir insbesondere diesen Schwiegervater nehmen. Aber er konnte mir nicht all die vielen Erinnerungen und die Zuneigung nehmen. Und genau das drücken doch meine Tränen aus: Erinnerung und Zuneigung.

Die Trauer hört erst dann auf, wenn auch die Erinnerung aufhört. Will ich das? Ganz sicher nicht!

 

Unser Gehirn ist ein ganz phantastisches Organ. Was man besonders gerne macht, wird durch besonders viele Nervenverbindungen (Synapsen) belohnt. An wen man besonders viele Erinnerungen hat und für den man viele Rituale und Gewohnheiten hat, für den gibt es – vereinfacht ausgedrückt – auch besonders viele Synapsen.

Und jetzt stirbt dieser Mensch, und all die vielen Synapsen laufen sozusagen erst einmal ins Leere. Man spürt die Lücke: Man ist traurig.

Mit jedem neuen Tag, mit allem, was wir nun tun, kommen neue Synapsen und neue Erinnerungen hinzu. Die alte Traurigkeit wird immer mehr relativiert. Neue Gewohnheiten und neue Rituale entstehen. Und das ist gut so.

Aber auf die Erinnerungen möchte ich nicht verzichten. Sie sind das, was bleibt. Und jede Träne ist für mich nicht mehr ein Kontrollverlust, sondern ein Zeichen dafür, dass mir der Tod die Erinnerung nicht nehmen kann.

Fritz Roth, der ehemalige Bestatter aus Bergisch-Gladbach, sagte immer: „Trauer ist Liebe!“ Der Tod konnte mir diesen Menschen nehmen, aber er kann mir die Liebe nicht nehmen. Das will ich nicht und das gönne ich ihm auch nicht.

Immer wieder mache ich im Gespräch die Erfahrung, dass schon allein dieser Perspektivwechsel bei der Trauer helfen kann. Man muss nicht mehr Angst vor der Trauer haben, sondern man kann anfangen, sie in gewisser Weise zu „genießen“. Denn jede einzelne Träne ist dann für einen Menschen, der einem viel bedeutet hat und noch immer viel bedeutet und an den man sich gerne erinnert.

Und genau das wünsche ich Dir:

Ein gutes Verhältnis zu Deiner Trauer und zu Deinen Tränen

Bernd Kehren

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