Pfarrerlücke 2030

Keine Pfarrstellen für junge Theologen
in der Evangelischen Kirche im Rheinland?
Überlegungen gegen den PfarrerInnenmangel im Jahr 2030

(19.06.2006 mit Updates in den Folgejahren)

Der Sonderdienst in der Evangelischen Kirche im Rheinland wird abgeschafft, weil es für junge Theologen fast keine Pfarrstellen mehr gibt.“ So zitiert der EPDWochenspiegel den Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Nikolaus Schneider (epd Wochenspiegel Ausgabe West vom 15. Juni 2006 (Nr. 24), Seite 2).

An dieser Aussage sind zwei wichtige Details falsch.

  • Für junge Theologen gibt es sehr wohl Pfarrstellen – wenn die Rheinische Kirche nicht in einem absehbaren katastrophalen Mangel enden will.
  • Das Problem des Sonderdienstes sind nicht die jungen, sondern die inzwischen nach ihrem Sonderdienst ehemals jungen Theologen sowie der Wartestand.

Die Arbeitsgruppe II zur Prioritätendiskussion in der EKiR empfiehlt (EKiR: Prioritätendiskussion. Ergebnis der Arbeitsgruppe II (Dienst- und Arbeitsrecht) – (Materialheft) unter A III 3, Seite 18), die jetzt 1874 Pfarrstellen (Stand: 1.7.2005) auf 1000 Pfarrstellen im Jahre 2030 zu reduzieren. Bei einem linearen Abbau von Pfarrstellen müssten ab sofort jedes Jahr durchschnittlich 35 Stellen abgebaut werden. Dennoch sollten jedes Jahr fünf Neueinstellungen erfolgen (A.a.O., Seite 19).

Sollte dieser Vorschlag umgesetzt werden, kann im Jahre 2030 jede zweite der geplanten 1000 Pfarrstellen nicht besetzt werden.

 

Alterspyramide der Pfarrerinnen und Pfarrer

Diese Entwicklung ergibt sich aus der Altersstruktur der Pfarrerinnen und Pfarrer der EKiR und kann aus der vorstehenden Grafik (Quelle: http://www.ekir.de/ekir/6197_6843.asp – Die Zahlen der folgenden Überlegungen wurden mit recht großer Genauigkeit dieser Grafik entnommen, soweit nicht anders angegeben.) abgelesen werden. Der StatistischeDienst der EKiR nennt für den 1.10.2005 folgende Zahlen (Statistischer Dienst der EKiR, Zahlenspiegel Nr. 1/2006 – http://www.ekir.de/ekir/dokumente/zsp.pdf):
2342 Pfarrerinnen und Pfarrer insgesamt, davon
204 PfarrerInnen im Probedienst,
175 PastorInnen im Sonderdienst
5 GemeindemissionarInnen
Damit spiegelt die Fläche der Grafik insgesamt diese 2342 Theologinnen und
Theologen wider, denen die Zahl von 1961 Pfarrstellen (A.a.O.) gegenüber steht.

Zwei Phasen bis 2030

Aus dem Schaubild ergeben sich für die folgenden Jahre bis 2030 zwei Phasen
(Der Sonderdienst-Fonds neigt sich dem Ende zu; dauerhaft ist der Sonderdienst aus diesem Fonds nicht zu finanzieren, und es ist sicherlich sinnvoll, dort verbliebene Gelder zur Qualifizierung der Betroffenen zu verwenden.):
In den kommenden 15 Jahren (gerechnet ab 2005) werden durchschnittlich jeweils 36,5 Personen die Pensionsgrenze erreichen. Danach folgen weitere 10 Jahre, in denen durchschnittlich 119,5 Personen in den Ruhestand gehen.
2005:     
2167 Pfarrerinnen und Pfarrer (*)
 -550 Reduzierung durch Pensionierung
2020: 
1617 Pfarrerinnen und Pfarrer
-1195 Reduzierung durch Pensionierung 10 Jahre je 119 – 120 Personen
2030:
 422 Pfarrerinnen und Pfarrer
(* Im Ausgangspunkt werden alle 175 Pastorinnen und Pastoren im Sonderdienst herausgerechnet. Entsprechend weniger Personen werden in den jeweiligen Jahren durchschnittlich pensioniert. Die Grafik dürfte in dieser Altersphase vor allem PastorInnen in Sonderdienst darstellen.)
Damit könnte im Jahre 2030 beinahe jede zweite der geplanten 1000 Pfarrstellen nicht besetzt werden!
Selbst wenn linear jedes Jahr 5 Neueinstellungen erfolgen würden, könnten
im Jahr 2030 nur 547 Stellen besetzt werden (25 Jahre je 5 Personen = 125 Neueinstellungen. 422+125=547).

Wartestand

Der Wartestand kann an diesem Problem nur wenig ändern. Im Wartestand oder in Freistellung sind 374 Personen (Statistischer Dienst der EKiR, Zahlenspiegel Nr. 1/2006 – http://www.ekir.de/ekir/dokumente/zsp.pdf). Unterstellt man, dass dieser Kreis eine ähnliche Alterstruktur aufweist wie die übrigen Theologinnen und Theologen im Dienst (Dieser Personenkreis ist in der Grafik nicht aufgeführt, so dass diese Angaben nur grob geschätztwerden können.) und dass alle entsprechend zu Verfügung stehen (Auch in diesem Fall muss ich grob schätzen.), dann entlasten im Jahr 2030 nur etwa 60 Personen (15 Prozent) die zu erwartende Lücke:
Auch mithilfe des Wartestandes können im Jahr 2030
nur 607 der geplanten 1000 Stellen besetzt werden.

Die Lage ist noch schlimmer!

Diese Zahlen gehen davon aus, dass alle derzeitigen Pfarrerinnen und Pfarrer zur
Anstellung übernommen werden.
Vor allem aber wird unterstellt, dass alle Pfarrerinnen und Pfarrer im Jahre 2030 eine volle Stelle bekleiden – auch jene Pfarrerinnen und Pfarrer, die jetzt im geteilten Dienst beschäftigt oder auch weiterhin freigestellt sein werden sind. Das wird sicherlich nicht der Fall sein: Die Lage ist noch viel schlimmer.
Damit im Jahre 2030 wirklich 1000 Pfarrstellen besetzt werden können, müssen von nun an jedes Jahr mindestens 20 Personen in Vollzeit eingestellt werden – unter der Berücksichtung von Teilzeitstellen usw. eher mindestens 25 Personen.

Kein linearer Abbau von Pfarrstellen

Die Altersstatistik der Pfarrerinnen und Pfarrer in der EKiR macht unmittelbar
deutlich, dass in den nächsten 15 Jahren keinesfalls jährlich 35 Stellen eingespart werden können. Sonst müsste bei jeder Pensionierung automatisch die Stelle wegfallen. (Alternativ müsste bei einer Pensionierung eine andere Stelle wegfallen, deren InhaberIn die Stelle des Pensionärs übernehmen würde.)
In den darauf folgenden 10 Jahren werden weitaus mehr Menschen in den Ruhestand gehen, als überhaupt Pfarrstellen abgebaut werden können.

Richtige und falsche Signale an den theologischen Nachwuchs

Die Einstellung von 5 jungen TheologInnen im Jahr kommt einem
Einstellungsstopp gleich. Dies und die fatale Behauptung, es gäbe fast keine Pfarrstellen für junge Theologinnen in der EKiR, setzt bei jungen Menschen das Signal, es lohne sich nicht, Theologie zu studieren. In der Folge würde die Evangelische Kirche im Rheinland nicht einmal für die Hälfte der bis 2030 zu besetzenden Stellen geeignete KandidatInnen finden können.

(Man braucht nicht viel Phantasie, um die Abnahme der Zahl der Theologiestudierenden unter http://www.ekir.de/ekir/images/08stud-z.gif

fortzuschreiben, wenn tatsächlich eine Zeit lang nur noch 5 Menschen pro Jahr Zugang zum Pfarrberuf in der EKiR erhielten. – Was würde dies für die Existenz der theologischen Fakultäten und ihren Disput im wissenschaftlichen Fächerkanon bedeuten?!)
Der Bedarf an jungen TheologInnen ist zweifelsfrei gegeben; und das sollte auch in der Öffentlichkeit vermittelt werden. Darüber hinaus ist zu betonen, dass das Theologiestudium auch für Arbeitgeber außerhalb der Kirche wichtige Schlüsselqualifikationen vermittelt. Die Studierenden sollten von Anfang an so beraten werden, dass sie ihr Theologiestudium auch im Blick auf eine Beschäftigung außerhalb der Kirche anlegen, die modernen Sprachen pflegen, Auslandssemster einlegen, sich Grundkenntnisse in BWL aneignen, gezielt Praktika in für sie interessanten Bereich in der Wirtschaft ableisten.
(Hund/Lück, Berufsperspektiven für Theologinnen und Theologen, Spener Verlag 2000 (Hrsg: Ev. Kirche in Hessen und Nassau). Internet: http://www.muehltal-evangelisch.de/Berufsperspektiven.pdf. Vgl. im katholischen Raum: Becker/Pelzer (Hg.), Berufschancen für Theologiennen und Theologen, Herder 2006.)

Zukunftszugewandt entscheiden und handeln!

Es heißt, unter den gegebenen presbyterial-synodalen Verhältnissen gäbe es keine Möglichkeiten zur Personalplanung. Die Lebensdaten der Pfarrerinnen und Pfarrer, insbesondere ihr mutmaßlicher Eintritt ins Pensionsalter waren aber jederzeit abrufbar. Durch Altersteilzeitmodelle wurden Sonderdienstler Jahre lang vorzeitig in Pfarrstellen vermittelt. Damit war absehbar, wann und für wie viele Sonderdienstler es keine Stellen mehr geben wird. Sie sind im Dienst für die Kirche gealtert und finden nun weitaus schlechtere Chancen zur Umorientierung im Arbeitsmarkt. Sonderdienst und Wartestand verbreitern den „Bauch“ der starken Jahrgänge und tragen kaum zur Verringerung der Besetzungslücke 2030 bei.
Solche fatalen Fehler dürfen der Evangelischen Kirche im Rheinland auf keinen Fall noch einmal unterlaufen. Sonst müssen in Zukunft die Pfarrerinnen und Pfarrer nicht nur eine ständig wachsende Zahl von Gemeindegliedern betreuen, sondern darüber hinaus auch die Vertretungen für vakante Stellen mit ebenfalls gewachsenen Anforderungen leisten. Die EKiR stünde im Jahr 2030 vor einem personellen Fiasko.

Schlussfolgerungen

  1. In den folgenden 13 Jahren (Zur Synode 2007 sind seit dem Zahlenstand 2005 aus diesen Berechnungen 2 Jahre vergangen.) sollten alle frei werdenden Stellen wieder besetzt werden, vorzugsweise mit jungen Theologinnen und Theologen.
  2. In diesem Zeitraum muss die EKiRverbindliche Regeln für den Pfarrstellenabbau ab 2020 vereinbaren.
  3. Trotz des Pfarrstellenabbaus muss die EKiR auch ab 2020 jährlich mindestens 25 junge TheologInnen einstellen.
  4. Studierende müssen von Anfang an so begleitet und beraten werden, dass ihnen das Theologiestudium durch den weiten Ausbildungshorizont reelle Chancen in der freien Wirtschaft bietet. (Vgl. oben: Hund/Lück und Becker/Pelzer)
  5. Die Landeskirche muss gegenüber dem Sonderdienst Verantwortung übernehmen für die mangelnde Planung in der Vergangenheit.
  6. Vor konkreten Entscheidungen der Landessynode müssen jahrgangsweise exakte Zahlen (unter Berücksichtigung von Teilzeitstellen) zum Ausscheiden von Pfarrerinnen und Pfarrern in den Ruhestand vorgelegt und mit realistischem Stellenabbau in den beiden Phasen bis 2020 und bis 2030 sowie mit den erforderlichen Neueinstellungen in Beziehung gesetzt werden.
Bernd Kehren, Pastor im Sonderdienst für Altenheimseelsorge
19.06.2006

[Dieser Text bis hierher als PDF: PfarrerInnenmangel 2030]

Update (Ostern 2007):

Inzwischen wurde auf der Landessynode 2007 ein Maßnahmenpaket geschnürt, das langfristig auch helfen soll, dem drohenden PfarrerInnenmangel entgegenzutreten. (Insofern ist der Text oben veraltet.) Ob es gelingt? Endlich soll es eine mittelfristige Personalplanung geben. Je nach Finanzlage sollen auch (junge) Menschen eingestellt werden, die den Mangel ab etwa 2020 abfedern. Konkrete Zahlen gibt es noch nicht. Für die inzwischen im Sonderdienst gealterten Menschen sieht es immer noch schlecht aus. Die Synode hat freundlicherweise ein Zeitfenster bis 2008 eröffnet, in dem Bewerbungen auf Pfarrstellen noch möglich sind – auf die wenigen Pfarrstellen, die derzeit ausgeschrieben werden.

Danach wird es ein zentrales Bewerbungsverfahren geben – und daran wird die Mehrzahl scheitern. Vor allem jüngere Absolventen werden Stellen in der EKiR finden können, aber auch sie sehen die Chancen zur Zeit ausgesprochen pessimistisch.

Wird es der Kirchen gelingen, den erfolglosen Bewerberinnen und Bewerbern eine Perspektive in der Kirche zu ermöglichen? Partnerschaftlich? Wird es eine pastorale freiberufliche Mitarbeit, gebunden an die Ordinationsrechte, geben können? Und wird diese Mitarbeit angemessen bezahlt werden können?

Ein “Ehrenamt” wird freiwillig ausgeübt. Die drohende Arbeitslosigkeit wird dazu führen, dass die Betroffenen Alternativen suchen. Welche Möglichkeiten wird die EKiR finden, sie dennoch in einem angemessenen Rahmen an sich zu binden? Noch stehen viele Fragen im Raum, hoffentlich gibt es zur Synode 2008 bereits praktikable Antworten.

Besonders bitter: Viele Maßnahmen der letzten Jahre wurden als Reaktion darauf “verkauft”, dass es in der Pfarrerschaft Problemfälle gegeben habe, die letztlich nicht zum Pfarrdienst geeignet waren.

Statt diese Personen nun zu schulen und zuzurüsten, wurden dem Nachwuchs immer weitere Maßnahmen aufgedrückt (Fortbildungen in den ersten Amtsjahren und vieles mehr). Was hat es dem Nachwuchs genutzt? Jetzt steht die Mehrheit trotzdem ohne Stelle da.

Und wer fasst den Mut zum Bekenntnis: Ja, wir haben manche Pfarrerin und manchen Pfarrer im Amt, der Defizite aufweist, weil Defizite einerseits völlig normal sind, und weil wir andererseits das Pfarrerdienstrecht so gehandhabt haben, dass auch Problemfälle eine Chance bekommen?

Wer fasst den Mut zum Bekenntnis: Ja, wir haben zu oft einem Presbyterium nicht deutlich genug gesagt, dass eine bestimmte Wahl mit großer Wahrscheinlichkeit große Probleme nach sich ziehen wird? Wir hatten zwar “Erkenntnisse”, aber wir haben sie nicht weiter gegeben? Weil wir nicht unsozial sein wollten?

Wer fasst den Mut zum Bekenntnis: Ja, wir haben das kirchliche Beamtenrecht im Blick auf die Pfarrerinnen und Pfarrer völlig neutral durchgezogen und damit in Kauf genommen, dass wir nicht die für bestimmten Aufgaben Besten in den Dienst nehmen konnten, sondern nur solche, die im zur Verfügung stehenden Zeitfenster bestimmte formale Anforderungen erfüllten?

Im Ergebnis muss die Kirche jetzt “unsozial” sein – und sie wird viele gut ausgebildete und fähige Kräfte verlieren, die sie selber mit großen Einsatz ausgebildet hatte.

Bernd Kehren

Update 2010

Es sind weitere Jahre ins Land gezogen. Inzwischen wird die Pensionskasse eifrig gefüllt. Inzwischen gibt es Pfarrer mit besonderem Auftrag, einerseits aus den Reihen der Pfarrer im Wartestand, andererseits aus fähigen Nachwuchskräften. Nicht mehr zu jeder dritten, sondern zu jeder zweiten Besetzung einer Pfarrstelle schlägt die Kirchenleitung Kolleginnen und Kollegen aus dem Wartestand vor.

Gleichzeitig werden jedes Jahre eine ganze Reihe junger Theologen eingestellt, damit die Pfarrerschaft nicht ganz überaltert. Über 450 Nachwuchskräfte sind aus dem Dienst ausgeschieden und predigen weiterhin ehrenamtlich und nun auch über das neue Portal ekir.de/pastorale-dienste, über das diejenigen “gebucht” werden können, die mit ihren zusätzlichen pastoralen Diensten sich und ihre Familien zumindest teilweise ernähren wollen.

Es hat sich etwas getan. Fakt bleibt aber nach wie vor, dass in 10 Jahren die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand treten werden, und dass dann die Pfarrstellen gar nicht so schnell abgebaut werden können, wie ältere Kolleginnen pensioniert werden. Ich befürchte immer noch, dass von den seinerzeit 1800 Pfarrstellen im Jahr 2030 maximal 650 werden besetzt werden können. Die jungen KollegInnen, die jetzt erfolgreich eine Pfarrstelle bekommen, werden einen großen Teil ihrer Kraft auf die Zusammenlegung von Pfarrstellen und Gemeinden, auf Kooperationen mit anderen Gemeinden und die Verwaltung des Mangels legen müssen. Es wird schwer werden. Auch weil es immer weniger KüsterInnen, immer weniger KirchenmusikerInnen und immer weniger Mitarbeitende in der Jugendarbeit geben wird.

Es wird hart werden. Hoffentlich werden jetzt die richtigen Weichen gestellt.

Bernd Kehren

Update 2014

Die niedrigen Zahlen sind auf der Synode im Januar bestätigt worden. Aber immerhin haben wir eine Kirchenleitung, die die Probleme engagiert in Angriff nehmen will.

Zum ersten Mal wurde an verschiedenen Stellen von Kreissynoden, der Sondersynode in Hilden 2013 und auch jetzt wieder bekannt, dass die Synoden gegen den ausdrücklichen Widerstand des Finanzdezernenten eine massive Unterdeckung der Pensionskasse beschlossen hatten und das dadurch freie (aber nicht eingesparte) Geld lieber in Projekte steckte, die ihrerseits wieder die Pensionskasse belasten würden.

Mir würde es gut tun, wenn jetzt einer derer, die damals dafür gestimmt oder den Beschluss beklatsch hatten, aufstehen und sich entschuldigen würde.

Stattdessen treten nun (falsche?) Propheten auf, die den Ernst der Lage leugnen, die in den nötigen Abstimmungsprozessen auf Kirchenkreisebene einen Angriff auf das Presbyterial-synodale Prinzip sehen und darauf verweisen, dass die Kirchensteuern nominell doch immer gestiegen seien, obwohl die Gemeindegliederzahl beständig abgenommen hat. Dass es mit der Pensionskasse und der Beihilfe inzwischen sehr knapp werden wird, wird beharrlich ignoriert. Und zur Frage, wie der Prozesse einer fast Drittelung der Pfarrstellen bewältigt werden soll, dazu erfährt man von diesen Propheten auch nichts.

Im Nachhinein muss ich sagen: Die Kosten liefen aus dem Ruder, es führte kein Weg daran vorbei, die Zahlen der Warteständler zu reduzieren und Maßnahmen zu ergreifen, die zumindest den Jüngeren von ihnen den Weg in reguläre Pfarrstellen ermöglichte. Das bedeutete fast einen Einstellungsstopp für junge Theologen. Im Ergebnis wurden die eingestellt, die das Examen bestanden haben, jedes Jahr ungefähr 20 Personen.

Für die Zukunft kann man sagen: Der Pfarrberuf ist ein sehr schöner Beruf. Und wer jetzt mit dem Theologiestudium beginnt, wird viel Arbeit haben, wenn er oder sie mit dem Vikariat fertig ist. Offene Pfarrstellen wird es dann wohl genug geben. Sofern die Sparanstrengungen greifen und das Problem mit der Pensionskasse und der Beihilfekasse gelöst wird.

Update 2015

Präses Rekowski bittet im Namen der EKiR um Entschuldigung für die Folgen einer verfehlten Personalpolitik und die Art des Umgangs mit den Betroffenen. So offen hat das auch sein Vorgänger nicht getan. Die Folgen für viele der Betroffenen sind damit nicht aus der Welt. Aber man spürt ihm ab, wie genau er hingesehen und diese Folgen wahrgenommen hat. Vielleicht wird er ja Wege finden, zumindest die schlimmsten Folgen ein wenig abzufedern.

Die Arbeitsbelastung im Pfarramt wird in wenigen Jahren immens steigen. Hoffentlich verschweigt er das nicht, wenn er nun darum wirbt, wie dringend die EKiR nun wieder gut ausgebildete Theologen braucht. Es ist und bleibt dennoch ein schöner Beruf. Deswegen hängen so viele Pastorinnen und Pastoren an ihren Ordinationsrechten, auch wenn sie davon allein nicht leben können. Wenn das keine Einladung zum Theologiestudium ist, was dann?

Ursachen des Pfarrermangels

Ursachen des Pfarrermangels

Wenn ich mir die Diskussionen der letzten Jahre in der ev. Kirche im Rheinland anschaue, dann bleiben vier Faktoren unberücksichtigt: Zum einen die Bevölkerungsstatistik, zum anderen die Wohlstandsentwicklung, zum dritten die fehlende Personalplanung und zum vierten fehlendes wirtschaftliches Denken.

Die Wohlstandsentwicklung führte dazu, dass Kirche eine ganze Zeit lang in einem erheblichen Maße Personal einstellen konnte. Im Rheinland spricht man daher vom „dagobertinischen Zeitalter“.

Die Bevölkerungsstatistik macht in Nachhinein deutlich, warum in den geburtenstarken Jahrgängen so viele Theologiestudierende eingestellt werden konnten.

Mangelndes wirtschaftliches Denken führte dazu, dass zunächst einmal niemand genau nachrechnete, welche Kosten dieses Einstellungen irgendwann einmal im Blick auf Pensionen hervorrufen würden. Ob man mit der steigenden Lebenserwartung und den damit verbundenen steigenden Kosten für die Beihilfe rechnen konnte, möchte ich hier nicht behaupten.

Allerdings hatte sich eingebürgert, auf die bösen großen internationalen Firmen zu schimpfen, die aufgrund finanzieller Notlagen und wirtschaftlicher Entwicklungen Arbeitnehmer entlassen mussten. Diesen Vorwurf wollte man sich nicht machen lassen.
Man hätte sich ja auch an Josef in Ägypten orientieren können: Der legte in den guten Jahren zurück, um später nicht nur selber durch die schlechten Jahren kommen, sondern auch anderen Bedürftigen dabei helfen zu können.
Die Kirche machte es genau anders herum: Sie schimpfte auf eine Wirtschaft, die auf hemmungslose Expansion und wirtschaftliches Wachstum setzte, und traf gleichzeitig wirtschaftliche Entscheidungen, die genau dieses wirtschaftliche Wachstum zur Voraussetzung hatten.

Beispiel aus meinem Heimatstadt: Jahrelang wurden die Gelder für die Baurücklage für das „Haus der Kirche“ als zentralem Verwaltungsgebäude in der Innenstadt in den Gemeinden der drei Essener Kirchenkreise für die Jugendarbeit ausgegeben. Zweifellos ein guter Zweck. Als dann die Baurücklage für die Renovierung dieses Hauses gebraucht wurde, war sie nicht mehr im nötigen Umfang da. Das Haus musste verkauft werden. Seitdem wird das nötige Verwaltungsgebäude teuer gemietet.

Ebenso wurde mit der Pensionsrücklage verfahren. Man sah es als unsozial an, riesige Summen anzuhäufen, aus denen einmal die Pensionen bezahlt werden können, gab einen Teil dieses Geld für gute Zwecke in der ganzen Welt und der eigenen Kirche aus und vertraute darauf, dass die wirtschaftliche Entwicklung, der Heilige Geist oder sonst wer den Fehlbetrag (sofern man sich darüber überhaupt Rechenschaft ablegte) schon ausgleichen könnte. Dass die Kirche einmal zahlenmäßig abnehmen könnte, dass die Zinsentwicklung nicht immer steigen würde, dass man das zweckgebundene Geld einmal brauchen würde: Daran dachte man nicht.

Und weil es keine Personalplanung gab, fiel auch niemandem auf, wie viele junge Theologen die Presbyterien in einem überregional nicht koordinierten Wahlverfahren in Pfarrstellen wählten, und wie viele längst gewählte und auf Lebenszeit verbeamtete Pfarrerinnen und Pfarrer keine Pfarrstelle mehr abbekamen. Weil man sich nicht dem Vorwurf aussetzen wollte, den man der Wirtschaft in vergleichbaren Situationen machte, wurden diese Menschen auch nicht nach drei Jahren in den Ruhestand versetzt, sondern durch Beschäftigungsaufträge bis an die Pensionsgrenze gebracht. Damit trugen sie zu einem erheblichen Teil zur Entlastung der PfarrstelleninhaberInnen bei: Pro Kirchenkreis bis zu vier zusätzliche Theologinnen! Zwar gab es bei jedem dritten Stellenwechsel ein Stellenbesetzungsrecht der Landeskirche; dieses wurde aber entweder nicht wahrgenommen oder aber durch das wählende Presbyterium so lange unterlaufen, bis das Landeskirchenamt entnervt aufgab und der Wahl des Wunschkandidaten zustimmte.
Auf diese Weise wurden nicht nur wesentlich mehr Pfarrerinnen und Pfarrer auf Lebenszeit verbeamtet, als es das System Landeskirche langfristig verkraftete, es geschah auch noch in einem relativ kurzen Zeitraum. Das bedeutet: Alle diese PfarrstelleninhaberInnen würden auch innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums von wenigen Jahren mit ihrer Pensionierung wieder aus dem Dienst ausscheiden.

Mit anderen Worten: Die Kirche ging durch diese übermäßigen Verbeamtungen finanzielle Verpflichtungen ein ohne sich Rechenschaft darüber abzulegen, wann und wie sie diese finanziellen Verpflichtungen würde ausgleichen können.

Nach außen steigerte dies (neben der gesellschaftlichen Situation: Friedensbewegung, Kirchentage…) die Attraktivität des Pfarrberufes und trug zu zu einem Höchststand an Theologiestudierenden bei.

Die Lage spitzte sich unaufhaltsam zu, ohne dass man dies genügend deutlich merkte. Daher nahm die Personalabteilung der Landeskirche immer noch Interessierte auf die Liste der Theologiestudierenden auf, stellte immer noch fleißig Vikarinnen und Vikare ein, verbeamtete sie auf Probe und gab ihnen damit das Versprechen, sie auch einmal zunächst auf Widerruf und dann auf Lebenszeit zu verbeamten.

Diese Problematik ist schon explosiv genug. Wenn dann aber eine drastische Verlängerung der Lebenszeit hinzukommt, gleichzeitig die Zinsen für die (zu niedrigen) Rücklagen auf ein Niedrigniveau sinken, wird die Lage katastrophal.

Wie hat die Kirche im Rheinland reagiert?
Zunächst hat sie die Kosten für die Pfarrerinnen und Pfarrer für die Gemeinden transparent gemacht: Ein nennenswerter Anteil der Pfarrerkosten wurde nicht mehr durch eine anonyme allgemeine Pfarrbesoldungspauschale gedeckt, sondern den Gemeinden direkt in Rechnung gestellt. Die Gemeinden reagierten darauf mit einer Welle von Pfarrstellenstreichungen.

Das war ein Schock für die Vikarinnen und Vikare. Die Landeskirchen reagierten unterschiedlich. Die benachbarte westfälische Landeskirche machte einen drastischen Schnitt, der zum Teil zu erheblichen Härten führte. Immerhin ermöglichte das den immer noch relativ jungen Theologinnen und Theologen, beruflich umzusteuern. Damit sank bereits die Attraktivität des Theologiestudiums beträchtlich.

Die rheinische Kirche ging einen anderen Weg, richtete auf fünf Jahre befristete Sonderdienststellen ein, mit denen Pfarrstellen weitere entlastet und besondere Projekte angestoßen werden sollten. Das entschärfte die Situation eine Zeit lang, entlastete die Gemeinden und Kirchenkreise zwar nicht finanziell, aber doch in ihrer Arbeit, ließ aber die Betroffenen immer älter werden.
Nur zum Teil gelöst wurde das Problem des ungesteuerten Zugangs zum Pfarrberuf.
Ein Zeit lang ging das Konzept auf; für einige Jahre konnten bis zu 85 Prozent eines Jahrgangs in Pfarrstellen oder einen weiteren Sonderdienst vermittelt werden. Dann spitzte sich die Lage wieder zu. Mangels wirtschaftlichen Denkens wurde immer noch kein fester Schnitt gezogen. Aus den immer noch scheinbar unermesslichen (und doch jetzt schon zu geringen) Rücklagen wurde durch Vorruhestandsregelungen die Quote von 85 Prozent gehalten.

Die rheinische Kirche war immer noch nicht in der Lage, die nötige wirtschaftliche Entscheidung Entscheidung zu treffen, den Betroffenen die Wahrheit zu sagen und den nötigen Schnitt zu machen.

Jetzt kamen zwei verhängnisvolle Wirkungen zusammen: Durch die für die Gemeinden finanziell transparentere Pfarrstellenfinanzierung wurden Pfarrstellen abgebaut und durch die Vorruhestandsregelungen war der Pfarrstellenmarkt zusätzlich auf mehrere Jahre leer gefegt.

Wieder wurde das Theologiestudium unattraktiver.

Jetzt kam der dritte Schritt: Zum ersten Mal wurde ein versicherungsmathematisches Gutachten in Auftrag gegeben. Nun wurde deutlich, dass einerseits die Pensionskasse durch ein mehrere hundertmillionenschweres strukturelles Defizit belastet war und dass andererseits der PfarrerInnenmangel durch die inzwischen gealterten Sonderdienstlerinnen nicht aufgefangen werden kann: Sie würden bei Eintritt des Mangels selber das Ruhestandsalter erreichen.

In der Folge wurde beschlossen, das Sonderdienstprogramm sofort zu stoppen, ohne dass die Betreffenden eine reelle Chance auf eine Pfarrstelle bekommen sollten.

Die Not war für die Landeskirche so groß, dass sie einen jahrelangen Einstellungsstopp und einen linearen Abbau der Pfarrstellen erwog. Dann fiel den zuständigen Ausschüssen auf, dass in den nächsten Jahren weniger Menschen pensioniert würden als bei einem linearen Pfarrstellenabbau nötig wäre: dies würde nur zum Aufblähen des Wartestandes führen. Seitens des theologischen Nachwuchses wurde vorgerechnet, dass von den ca 1950 Gemeindepfarrstellen (Stand: ca 2004) bei einem entsprechenden Abbau im Jahre 2030 nur noch ca 500 besetzt wären.

Mit spitzem Griffel wurde berechnet, dass es möglich sein sollte, jedes Jahr 20 Personen ins Pfarramt zu lassen, zunächst durch überplanmäßige sogenannte mbA-Stellen („mit besonderem Auftrag“). Zugleich wurden harte Maßnahmen zur Verringerung der Personenzahl im Wartestand getroffen.

Die Attraktivität des Pfarrberufes und die Bereitschaft zum Theologiestudium dürfte damit ihren absoluten Tiefpunkt erreicht haben. Dazu beigetragen hat sicherlich auch die Verletzungsgeschichte der betroffenen Theologiestudierenden, die nicht mehr ins Vikariat kamen, ebenso wie die Verletzungsgeschichte der betroffenen VikarInnnen und SonderdienstlerInnen, die nach erfolgreichem Abschluss der theologischen Ausbildung und des Probediensts keine Pfarrstelle mehr bekommen konnten.

Was hätte die Kirche einem Unternehmen in der freien Wirtschaft angesichts der eklatanten wirtschaftlichen und personalplanerischen Maßnahmen nicht alles ins Stammbuch geschrieben! Was _hat_ sie nicht alles alles entsprechenden Firmen etwa in der Stahlkrise ins Stammbuch geschrieben. Hat sie es besser gemacht?

Aus der Not heraus hat die rheinische Kirche endlich nachgerechnet, um die nötigen wirtschaftlichen und personalplanerischen Entscheidungen treffen und sie umsetzen zu können.

Als ein davon selbst Betroffener ist es bitter zu erleben, wie diese Entscheidungen von einigen Veröffentlichungen im Pfarrerblatt und anderswo mit der alten sozialromantischen Leier  infrage gestellt werden. Stattdessen solle die Kirche ihr Handeln noch einmal _theologisch_ bedenken.
Der Rheinischen Kirche kann man sicherlich alles vorwerfen, nicht aber, dass sie zu wenig theologisch oder sozial gedacht habe. Das Problem ist viel mehr: Sie hat zu wenig gerechnet – sie hat nicht wirtschaftlich gedacht.
Sie hat das Gleichnis vom Kornbauern zum Vorbild genommen ohne daran zu denken, dass vielleicht auch Josef in Ägypten ein theologisch und sozial verantwortetes Vorbild sein könnte.
Die Kirche hat durch ihre unterfinanzierten Pensionszusagen in den guten Zeiten einen Kredit aufgenommen, den sie nun in wirtschaftlich schlechteren Zeiten nur mit äußerster Mühe und dem Abbau wichtiger und erfolgreicher Arbeitsbereiche zurück zahlen kann.

Inwieweit sich die Entwicklung dieser Fehlentscheidungen und der Versuche, sie zu korrigieren, auf andere Landeskirchen übertragen lässt, kann ich nicht beurteilen, dazu fehlt mir der Überblick. Sicherlich hat diese Entwicklung einer der großen Landeskirchen der EKD auch Folgen für die anderen Landeskirchen.

Ob die Prognosen für 2030 alle stimmen?
Wer will das sagen?
Fest steht aber jetzt schon, dass die Kinder, die bis jetzt nicht geboren wurden, im Jahre 2030 auch keine Kirchensteuer zahlen werden.
Fest steht schon jetzt, dass ein großer Teil jener der treuesten Kirchenmitglieder im Rentenalter bis 2030 verstorben sein und ein weiterer Teil das Rentenalter erreicht haben wird. Fest steht auch, dass die Bindungen an die Kirchen lockerer geworden sind und die Zahl der Kirchenaustritte eher steigen werden, erst recht, wenn Kirche ihre Angebote unter öffentlicher Anteilnahme zurückfahren muss.
Damit lassen sich reelle Szenarien für die Kirchenfinanzierung hochrechnen.
Und es gibt genügend biblische Gleichnisse und Geschichten, die zu sorgfältigem Rechnen und wirtschaftlich verantwortlichem Handeln auffordern. Wer von den lauten kirchlichen Sozialromantikern macht sich endlich einmal daran, _darüber_ theologisch reflektiert nachzudenken?

Fazit: Wirtschaftliche und personalwirtschaftliche Fehlentscheidungen und die Folgen der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland haben zumindest einige Landeskirchen in der EKD in eine tiefe Krise und das (Voll-) Theologiestudium auf einen Tiefpunkt geführt.
(Zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass auch andere Berufszweige wie Kirchenmusiker, Küster, Sozialarbeiter, Verwaltung ebenfalls bluten mussten.)

Die betreffenden Landeskirchen unternehmen größte Anstrengungen, diese Krisen halbwegs heil zu überstehen. Der Mangel an ausgebildetem theologischen Personal lässt sich inzwischen zahlenmäßig im Zeitablauf relativ genau bestimmen.
Damit lässt sich auch eine relativ sichere Aussage über den kommenden Bedarf in seinem Zeitablauf machen.

Das vor uns liegende Tal wird den Pfarrberuf sicher noch etwas anstrengender machen. Dennoch ist und bleibt er einer der schönsten und freiheitlichsten Berufe, die man sich denken kann. Warum sollte nicht das Wunder gelingen, mit einer transparenten Darstellung des Bedarfs einerseits und der schönen Seiten des Berufes andererseits dazu beitragen, dass junge Menschen wieder die Berufung hören?

Ein transparenter und ehrlicher Umgang mit den Ursachen ist die Voraussetzung dafür, dass mögliche Interessenten für den Pfarrberuf der Bedarfsrechnung für die nächsten Jahre Glauben schenken.

Nachtrag: Auch dieses Tal wird bald durchschritten sein. Hoffentlich denken die Verantwortungsträger daran, dass auch nach den dann kommenden guten Jahren auch wieder schlechte Jahre kommen können. Damit sich dieses selbst verschuldete Desaster nicht wiederholt.

Bernd Kehren
19.05.2014

Reaktion auf den Artikel im Deutschen Pfarrerblatt 2/2013:
Die Nachwuchsfrage im Pfarrberuf aus heutiger Sicht
“… und wir dachten, wir hätten ein Amt errungen …”
Von: Andreas Dreyer