Niemand kann seine Verantwortung an die Bibel abgeben!

Mein Kommentar zum Beitrag von Matthias Albrecht in www.evangelisch.de

„Dann müssten sie uns auch steinigen“

Lieber Matthias Albrecht,

mir scheint, dass das Problem an einer ganz anderen Stelle liegt: Schon seit frühester Zeit glauben Menschen, dass Gott nur perfekte und widerspruchsfreie Bücher inspirieren könne.

Kein menschlich erdachtes Buch kann perfekt sein. Wenn etwa die Bibel perfekt wäre, dann wäre das auch ein Beweis für die Existenz Gottes. So etwa lautet auch die Legende für die griechische Übersetzung des AT: 70 Gelehrte hätten unabhängig voneinander das AT übersetzt und seien dabei zu einem übereinstimmenden Ergebnis gekommen. Deshalb müsse auch dieser Übersetzung göttlich sein…

Lange Zeit hat man deswegen die Wirklichkeit, wie man sie aus der Bibel interpretierte, passend und aus der Erde etwa eine Scheibe gemacht.

Als sich das nicht mehr halten ließ, erklärte man die Bibel zum Menschenwort. Gott kann nach dieser Ideologie immer noch keine Fehler machen. Für die Fehler  und Widersprüche sind die Menschen zuständig. Und die Theologie wird zu einer Destille, bei der man das biblische Menschenwort reinkippt und das unfehlbare göttliche Menschenwort heraus bekommt. Manche nennen das auch die „Mitte der Schrift“.

Leider bekommt man dabei immer nur das heraus, was bei der entsprechenden Destillationstemperatur nun mal heraus kommt. Oder auch anders formuliert: Als Ergebnis kommt hinten das heraus, was man vorne als Voraussetzung definiert hat.

Darum möchte ich die Voraussetzung gründlich hinterfragen, dass Gott Bücher nur fehlerfrei inspirieren könne und wolle.

Ich möchte ganz bibeltreu die Bibel in ihrer theologischen textkritischen Rekonstruktion aber auch in ihren alten und neuen Übersetzungen als göttlich inspiriert auffassen. So, wie sie ist. Mit allen ihren Widersprüchen und Fehlern.

Was hat Gott sich dabei gedacht?

Vielleicht, dass wir es ernst nehmen können, dass er auch uns trotz unserer Widersprüche liebt?
Vielleicht, damit wir begreifen, dass es ohne Widersprüche gar nicht geht?

Wenn Gott eine widerspruchsfreie Bibel wollte: Warum hat er sie dann mit _vier_ und nicht nur mit _einem_ Evangelium ausgestattet? _Ein_ Zeuge würde seine Aussage vielleicht widerspruchsfrei hinbekommen. Aber vier? Wenn diese Aussage noch einen langen Zeitraum abdecken soll?

Warum gibt es in der Bibel sowohl eine radikal königskritische Linie und zugleich eine radikale Königsideologie?

Warum gilt Reichtum als Beweis für ein gottesfürchtiges Leben und warum wird dieser „Beweis“ etwa bei Hiob grundsätzlich infrage gestellt?

Und dann missverstehen immer noch viele die Bibel als ein Buch, mit dem man die Verantwortung für sein Handeln abgeben kann: Wenn man einen Bibelvers findet, mit dem man sein Handeln legitimieren kann, dann ist man seine Verantwortung los. Dann muss diese Handlung wohl richtig sein.

Nein! Die Bibel will uns diese Verantwortung nicht abnehmen! Darum ermahnt uns 1. Kor 13,13, dass es Wichtigeres als den Glauben gibt. Dass der perfekteste bibeltreue Glaube ohne Liebe so sinnlos ist wie eine Glocke mit einem Sprung. Dass Glaube, der Berge versetzt, tausende Opfer dort hinterlässt, wo man die Berge wieder absetzt.

Die Bibel ist nicht wahr dadurch, dass sie widerspruchsfrei ist. Sondern dadurch, dass sie Probleme von mehreren Seiten betrachtet und uns zu eigenen Entscheidungen heraus fordert. _Das_ ist die Aussage, dass Gott uns zu seinen Ebenbildern (gleichberechtigt männlich wie weiblich) geschaffen hat: Wir können unsere Verantwortung für unser Tun nicht an die Bibel abgeben.

Im Gleichnis vom großen Weltgericht sind viele verblüfft, die mit bestem Wissen und Gewissen entsprechend der Bibel gelebt haben. Und Jesus wirft ihnen vor: Ihr habt die Würde von Menschen trotz oder gerade wegen Eures Glaubens mit Füßen getreten. Ihr habt Menschen verachtet und im Stich gelassen, die arm, krank, straffällig geworden sind. Ihr verachtet Menschen, weil sie anders lieben als ihr und bildet Euch etwas darauf ein, dass ihr für Eure Verachtung sieben Bibelstellen zu Eurer Entlastung anführen könnt.

Ist Euch nicht klar, dass jeder Mensch – auch jeder schwule Mensch – ein Ebenbild Gottes ist, und dass ihr mich selbst verachtet, wenn ihr diese verachtet?

Diese sind Ebenbilder Gottes – und Ihr seid Ebenbilder Gottes, die Verantwortung dafür tragen, wie sie mit anderen Menschen umgehen, wie sie die Bibel lesen, und welche Schlüsse sie daraus ziehen.

Soweit meine Paraphrase zu Mt. 25.

Ulrich Bach hat sich immer dagegen verwahrt, die Bibel in einer „Arena-Theologie“ zu interpretieren: Danach würden die armen Kreaturen unten in der Arena um ihr Leben kämpfen und „wir“ sitzen gemütlich auf den Rängen und überlegen, was wohl gut und richtig ist.

Von Gott sprechen und die Bibel als Richtschnur unseres Lebens interpretieren können wir nicht von den Zuschauerrängen, sondern nur aus der Arena heraus: Als Betroffene, die dort ihre Verantwortung wahrnehmen und dabei auch scheitern können und dieses Scheitern selber ausbaden müssen –  im Vertrauen darauf, dass Gott uns im Scheitern und Gelingen liebt. So wie wir sind. Hetero die einen, schwul oder lesbisch oder sonst was die anderen. Aber alle von Gott geliebt. Weil er uns alle als seine Ebenbilder geschaffen hat.

Sagt mir die Bibel, so wie sie als Richtschnur für unser Leben inspiriert ist. Da bin ich ganz biblizistisch.

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