Geist und Bibel – Bibel fordert zum Widerspruch

Wie wörtlich muss man die Bibel nehmen? Darf man ihr auch einmal widersprechen? Die Bibel selbst fordert zum Widerspruch heraus.

Der Geist macht lebendig (2. Korinther 3,2-9)
20. Sonntag nach Trinitatis – Reihe 6

Predigt am 13. 10.2002 in der Versöhnungskirche, Essen
Pfarrer z.A. Bernd Kehren

Liebe Gemeinde,

der Predigttext heute ist spannend, ungemein spannend.
Er stellt uns eine Art Falle.
Man kann ihn lesen und hören und sagen: Ja ja, alles richtig, und man kann das Gefühl haben: Wenn ich dem Text und den Buchstaben darin überall zustimme, dann mache ich nichts verkehrt.
Und genau in diesem Moment schnappt die Falle zu und wir müssen uns fragen, ob wir denn wirklich verstanden haben, als wir eben sagten: Ja ja, alles richtig…

Vorgestern habe ich zwei Menschen besucht, die kurzen Kontakt mit unserer Gemeinde hatten, und deren Leben deswegen eine völlig neue Wendung genommen hat. Sie lebten an der Flora, man kannte sie, wenn man genauer hinsah, mit einer Bierdose in der Hand, sie waren – nein, sie sind – Alkoholiker. Wie es genau passierte, ich weiß es nicht. Vielleicht, weil ich einen von ihren Kollegen einmal zu beerdigen hatte. So kamen wir ins Gespräch, zumindest mit dem einen. Der andere sprach ein Gemeindeglied an, bat um Hilfe. Der erste Kontakt war hergestellt. Zwei ganz unterschiedliche Menschen zu unterschiedlichen Zeiten.

Beide kamen in Kontakt zur Blau-Kreuz-Gruppe, die jeden Mittwoch im Gemeindezentrum tagt. Und beide Male hieß es: Ihr müsst auf Entzug, sofort, und wir kennen ein gute Anlaufstelle für die Therapie hinterher. Erst haben sie sich gesträubt. “Herr Pfarrer, wenn ich gewusst hätte, wohin sie mich bringen, ich wäre nie gekommen.” Und ich sagte nur: ”Der Tag heute wird noch ihr ganzes Leben verändern…”

Der eine hat zwar seine Therapie nicht ganz durchgezogen, aber er ist immer noch trocken, der andere ist noch mitten in der Therapie. Und ich bin überglücklich, weil sie es bis dahin geschafft haben. Und nun kommt der Punkt, warum ich ihnen davon erzähle:

Ich frage den einen, wie ihm denn die Therapie gefällt. „Ganz gut“, sagt er, „aber nicht alles. Ich könnte Ihnen Dinge erzählen…“

Um die Einzelheiten geht es jetzt nicht. Denn wir merken schnell: In der Therapie kann es nicht darum gehen, dass die Therapeuten immer lieb und nett sind. In der Therapie kann es nicht darum gehen, dass die Alkoholiker in Watte gepackt werden. Die Therapie muss sperrig sein und kantig. Den die Welt ist nicht glatt, sie ist nicht immer lieb und nett. Wenn die Therapie nicht zum Widerspruch herausfordert, denn gehen die Alkoholiker unter, wenn sie wieder in die tägliche Welt kommen, wenn sie wieder mit ihren Problemen konfrontiert sind, wenn sie selber gefordert sind, einmal “Nein” zu sagen, und wenn sie nicht stattdessen wieder ihren Frust mit Alkohol ersäufen sollen. Darum muss die Therapie auch Fallen stellen, Kanten bilden, zum Widerspruch herausfordern.

Unser Predigttext ist solch eine Therapie. Nicht für Alkoholiker, sondern für Gemeindeglieder. Und darum muss er uns kantig entgegenkommen, und wir müssen an diesem Text selber lernen, Widerspruch zu üben. Wenn wir das nicht machen, haben wir ihn noch nicht verstanden. Ich werde später darauf zurückkommen. Mal schauen, ob Sie merken, wo denn die Falle steckt.

Worum geht es?
Paulus hat die Gemeinde in Korinth gegründet, er hat von Jesus erzählt, die Menschen dort sind Christen geworden und haben sich – heute würde ich formulieren – taufen und konfirmieren lassen. Paulus hatte ihnen viel von Gott und Jesus erzählt. Und nun kommen andere und sagen: Alles Quatsch. Schaut euch doch mal den Paulus an. Wie der schon aussieht. Und wie der spricht. Der bekommt doch keinen Satz richtig zu Ende. Der kann doch gar nichts. Und habt ihr mal überprüft, wo der herkommt? Der war doch Christenhasser. Vor dem hat man doch gewarnt. Und auf den hört ihr? Hier, wir haben ein Zeugnis. Wir sind geprüft, schaut mal unsere Empfehlungsschreiben. Und was hat Paulus?
Paulus hat von all diesen Vorwürfen gehört, und nun schreibt er einen Brief, den zweiten Brief an die Korinther. Der Predigttext steht in Kapitel drei, die Verse 2 bis 9.

2. Kor 3,2-9 (Nach Klaus Berger)
2 Mein Empfehlungsbrief seid einfach ihr selbst,
denn da ich euch liebe, seid ihr in mein Herz geschrieben,
und das ist ein Brief, den alle erkennen und lesen können.
3 Dieser Brief ist von Jesus Christus verfasst, und ich bin nur der Überbringer.
4 durch Jesus Christus vertraue ich auf Gott, dass all dies wahr und gut ist.
5. denn ich bin ja nicht kraft meiner eigenen Vollkommenheit zu meinem dienst geeignet, sondern dadurch, 6 dass Gott mir die Fähigkeit geschenkt hat, den neuen Bund zu den Menschen zu bringen. Dieser Bund ist nicht mit Buchstaben, sondern dem Heiligen Geist aufgezeichnet. Der Buchstabe tötet, aber der Heilige Geist macht lebendig.
7 Die Bundesordnung, die mit Buchstaben in Stein eingemeißelt war, hat Menschen zum Tode verurteilt. Zwar hat Gott diese Ordnung, als er sie stiftete, mit dem Lichtglanz seiner Herrlichkeit ausgezeichnet, so dass die Israeliten Mose nicht ins Angesicht blickten, weil es so hell leuchtete von Gottes Feuerglanz. Aber dieser Glanz war vergänglich und wurde mit der Zeit immer schwächer.
8 Die neue Bundesordnung, die durch den Geist vermittelt wird, dagegen ist viel, viel herrlicher.
9 Denn wenn schon die Ordnung, die zum Tode verurteilt, mit soviel Herrlichkeit vermittelt wird, um wie viel leuchtender muss da die Ordnung vermittelt werden, die gerecht spricht.

Also, worum geht es? Und wo steckt die Falle?

Der Buchstabe tötet, aber der Geist, der Heilige Geist macht lebendig.

Wozu braucht Paulus Zeugnisse und Empfehlungsschreiben? Die Gemeinde, die er selbst gegründet hat, die ist seine Empfehlung. Nicht weil er es war, der sie gegründet hat: das hat alles Jesus durch seinen Geist selber gemacht. Paulus war nur das Werkzeug. Wie Werkzeuge so sind. Benutzt, kantig, nicht unbedingt hübsch, aber man kann sie gebrauchen. Paulus hat sich von Gott gebrauchen lassen. Er hat gestottert, sein Konfiunterricht hätte besser sein können, besonders hübsch war er auch nicht, egal: die Botschaft, die er hatte, die brachte Menschen zum Leben zurück. Und das so überzeugend, dass Paulus nur noch sagen konnte: Was für ein Zeugnis soll ich euch denn vorlegen: Schaut euch doch nur selber an. Was glaubt ihr? Was hofft ihr? Hat sich für euch nicht alles geändert? Geht es euch jetzt nicht gut? Buchstaben, auch Zeugnisbuchstaben können so viel kaputt machen. Auch Gesetzestexte, Gemeindeordnungen, und und und…

Aber wenn Gottes Geist uns beflügelt, wenn wir darauf hören, wie Gott uns lebendig macht, wenn wir nicht einfach nur den Buchstaben trauen, dann geht es uns gut, dann sind wir selber das Zeugnis, dann brauchen wir die Buchstaben nicht mehr, dann kann man unserem Leben ansehen, wie gut es uns geht mit diesem Glauben: Leute, ist das nicht wunderbar? Ist das nicht herrlich? Ist das nicht ein wunderbarer Glaube, den Gott uns gibt?

Da geht es nicht um ein paar hundert Mark Geschenke nach der Konfirmationszeit, vielleicht bei dem einen oder anderen auch ein paar Tausend Mark, da geht es um viel mehr, da geht es um das Leben selbst.
Und ich frage mich: Spürt man uns Älteren das noch ab?Paulus sagt: Ihr selbst seid der Brief. Vielleicht auch mit Ecken und Kanten, ihr fordert auch zum Widerspruch heraus, aber Gottes Geist ist in euch, ihr seid solch ein Brief, macht ihn auf, und lasst die Menschen in euch lesen. Der Tod hat keine Macht mehr. Ihr habt das Ewige Leben. Ihr müsst auch vor Krankheit und Tod keine Angst mehr haben. Euer Ziel ist das Leben, und das merken auch die anderen Menschen… Wunderbar.

Am liebsten würde ich jetzt aufhören. Christsein ist wunderbar, es geht um das Leben in all seiner wunderbaren Füllen, auch wenn man durch tiefe Täler geht, aber letztlich wird alles gut.

Und jetzt kommt die Falle. Und in der Geschichte unseres Christentums ist sie auf todbringende Weise zugeschnappt.
Paulus ist absolut vom Geist und vom Leben überzeugt. Leute, sagt er, das Gesetz und die Zehn Gebote, die Mose uns gebracht hat, die zeigen uns doch nur, wo wir versagen. Die zeigen uns doch nur unsere Fehler. Die bringen doch den Tod. Aber selbst die hatten doch göttlichen Glanz. Ihr kennt doch die Geschichte mit Mose. Wenn der mit Gott gesprochen hatte, dann war sein Gesicht so leuchtend, dass er nur mit einem Schleier verdeckt zu ertragen war. Das Gesetz und die Buchstaben, mit denen es in Stein gemeißelt war, war todbringend, aber selbst da konnte man Gottes Glanz leuchten sehen. Wieviel mehr leuchtet auf, wenn wir uns heute nicht auf die Buchstaben, sondern auf Gottes Geist verlassen?
Man spürt förmlich die Begeisterung von Paulus.
Das Gesetz, all die vielen Regeln, die dem Leben dienen sollen, die töten so oft das Leben. Verlasst euch auf den Geist, Gott macht das schon, von ihm kommt das Leben!

Und was ist draus geworden? Wir Christen haben die Buchstaben zu ernst genommen und den Geist zu wenig ernst. So wie die Buchstaben da stehen, muss man doch auf die Idee kommen, „mit dem jüdischen Glauben stimmt was nicht. Das sind die Heuchler und Pharisäer. Steht doch irgendwie so drin in unserer Bibel. Unser neues Testament bringt das Leben, im Alten Testament steckt der Tod. Leute, haltet euch lieber an das Neue Testament. Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.“

Schnack.

Haben Sie gemerkt, wie unsere Falle zugeklappt ist?

Eben noch waren wir mit Paulus voll davon begeistert, wie viel Leben die Frohe Botschaft von Jesus Christen bringen soll, und was haben wir gemacht? Wir haben den Buchstaben geglaubt, haben dem Paulus kein ”Nein” entgegen gerufen, haben – als Christentum – nicht laut erwidert: ”Das ist doch Antisemitismus, was du da machst!”
Sondern wir haben in Form von Martin Luther dazu aufgerufen, dass man Juden piesackt und aus der Stadt wirft, letztlich haben wir zum Holocaust und zur Judenvernichtung beigetragen.
Weil wir nicht sehen konnten, wie viel Glanz schon im alten Gesetz Gottes steckt, und wie viel Leben das Alte Testament schon selbst gebracht hat, und wie sehr Jesus daraus schöpfte, mit seiner Lehre. Jesus war Jude und blieb Jude. Sein Leben lang. Das Gesetz, von dem kein I-Punkt wegfallen sollte, das war das jüdische Gesetz. Das Alte Testament ist eben genauso gut wie das Neue Testament. Trotz aller Begeisterung für das Neue, das Jesus für Paulus gebracht hat.

Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.

Der Satz stimmt. Wir dürfen uns begeistern lassen, da steckt Extase drin. Ihr jungen Menscher hier traut uns alten vielleicht gar nichts mehr davon zu und versucht, selbst euren Weg ins Leben und in die Begeisterung zu finden.
Aber vor lauter Begeisterung darf man nicht den kritischen Blick darauf verlieren, wo denn der Buchstabe überall töten kann.
Antisemitismus geht viel zu oft auf solche wortwörtlichen Stellen zurück, die wir in der Bibel finden. Und der Buchstabe hat dann in der Tat ganz wörtlich getötet. Nicht nur, als es zu Hitlers Judenvernichtung kam. Auch vorher schon. Und Namen wie der von Adolf Stoecker aus Berlin erinnern daran, wie Christen zu fanatischen Antisemiten werden können.

Und da ist dann unser Nein gefordert. Wir haben Paulus und sein Wort vom Geist, der Leben bringt, erst dann verstanden, wenn wir ihm entgegen halten: Deine Buchstaben, dein Korintherbrief, der bringt den Tod, wenn wir das Alte Testament so abwerten, wie du es hier tust.

Das ist die Falle, oder vielleicht die Probe, auf die uns Paulus stellt.

Wenn wir einfach sagen: Jaja, der Buchstabe tötet, der Geist macht lebendig, und wir wollen ja lebendig sein, wir wollen doch das pralle Leben, dann haben wir das nur verstanden, wenn wir auch ”Nein” sagen, wenn wir Paulus erwidern: Deine Buchstaben können auch zum Tod führen, auch deine Buchstaben sind nicht alles, der Geist führt uns in einer andere Richtung, er führt zum Leben, und das geht –  wenn wir an die Juden denken – nur mit ihnen zusammen, nicht gegen sie.

Wenn wir den Predigttext heute richtig verstehen wollen, dann müssen wir uns daran reiben. So wie die Alkoholiker am Anfang, die die Therapie erst dann zum Erfolg bringen, wenn sie dem Widerstand der Therapeuten nicht ausweichen, sondern auch einmal Nein sagen, das gefällt mir so nicht, das muss doch anders laufen. Und ich greife nicht zur Flasche oder zur Tablette, ich stehe zu meinem Nein, ich bleibe beim Leben.

So müssen wir uns dran reiben und sagen: so geht das nicht. Es geht um das Leben in seiner ganzen Fülle, und damit hat Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit bei uns keinen Platz. Selbst wenn man etwas davon in der Bibel finden könnte.

Zwei Beispiele zum Schluss.

Eine meine ergreifensten Beerdigungen war die eines Homosexuellen. Seinen todkranken Partner hat er gepflegt wie ein Ehepartner. Er hat zu ihm gehalten bis zum Schluss. Drei Jahre später war er selber tot. Wie soll ich das bewerten?

Es gibt Paulusworte in der Bibel, die klar sagen, dass Menschen, die ihre Homosexualität auch leben, nicht in den Himmel kommen. Und es gibt immer noch die Meinung in der Kirche, dass deswegen Homosexuelle keine Pfarrer sein können oder Mitarbeiter in einem CVJM. Und ich muss sagen: wenn ich die Bibel wörtlich nehme, dann stimmt das. Dann muss ich mich entsprechend engagieren, muss Aufklärungsarbeit betreiben, und vieles mehr, und wenn jemand sagt, ”du, ich bin schwul und ich habe mich verliebt”, dann darf er (oder sie) die Kindergruppe oder sonst was nicht mehr leiten, denn es steht im Widerspruch zum Buchstaben der Bibel.

Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.

Wir haben Paulus erst dann verstanden, wenn wir unser Nein formulieren, auch zu Bibel-Buchstaben – dann, wenn sie töten und wenn sie das Leben verhindern.

Unsere frohe Botschaft von der Liebe Gottes zu uns Menschen steht für das Leben. Gott selber ist in den Tod gegangen, damit wir auferstehen und leben und lieben.

Und ich soll einem Menschen sagen: du durftest deinen Partner, den du bis zum Tod gepflegt hast, nicht lieben? Wenn ich das mache, dann töte ich mit dem Buchstaben. Dann tappe ich in die Falle, dann habe ich noch nichts verstanden von Gottes Geist, der das Leben bringt.

Dasselbe gilt beim Thema Ehescheidung aus dem heutigen Evangelium (Markus 10,2-9).

Es ist ganz klar: was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden. Es lohnt sich immer, um eine Ehe zu kämpfen. Wenn da Leute zusammenkommen und eine Diskussion anfangen, ob das denn wirklich so geht und ob das überhaupt praktikabel ist, dann kennt Jesus keinen Widerspruch. Ehescheidung gibt es nicht. Aber das ist nur der eine Teil der Wahrheit. Denn auch Jesus weiß, dass Ehepartner an Grenzen kommen, die sie zerstören. Dass an solchen Grenzen der Buchstabe tötet. Und dass beide – und auch die Kinder – die Chance haben sollen, zum Leben zu finden. Und dass ein Neuanfang vielleicht der bessere Weg ist, und darum spricht er vom Trennungsbrief des Mose, wenn sich unsere Herzen zu sehr verhärtet haben.

Wie war das mit Paulus? Er war nicht perfekt, und auch wir sind nicht perfekt. Gott liebt uns trotzdem und er will, dass es uns gut geht, dass wir zum Leben kommen, dass wir singen und tanzen und uns des Lebens freuen.

Darum halten wir eben nicht mehr an jedem Buchstaben fest, darum lassen wir uns begeistern – und sagen auch einmal Nein, wenn Buchstaben töten.

Denn wir sind Gottes lebendige Briefe, mit denen er uns und alle anderen Menschen auch zum Leben führen will.

Um nichts weniger geht es: Um das Leben in seiner ganzen Fülle.

Amen.

Gerechtigkeit statt Rache

16.09.2001
Gerechtigkeit statt Rache
Gottesdienst nach dem Terroranschlag auf das World Trade Center
Evangelische Versöhnungskirche Essen-Rüttenscheid, 10.00 Uhr
Pfarrer z.A. Bernd Kehren

Vorspiel: Kyrie eleison (Kanon zu drei Stimmen)

Begrüßung

Herzlich willkommen heute zu diesem Gottesdienst.

Ich habe die Bilder von Dienstag immer noch vor Augen.

Erst das brennende World Trade Center, und der Interviewpartner des WDR sagte, mit Flugzeugen könne das nichts zu tun haben.

Und dann nach dem Konfirmandenunterricht die Nachricht: Zwei Passagierflugzeuge haben die beiden Türme gerammt. Tausende von Toten.
Zu diesem Zeitpunkt noch: Zigtausende von Toten.

Im Jugendclub Gazonga lief der Nachrichtensender.

Blankes Entsetzen. Wie kann das nur sein?

Am Morgen ging der Vater, die Mutter, der Freund, die Freundin wie immer aus dem Haus. Nun sind sie tot.

In Psalm 46,2-3 heißt es:
Gott ist unsre Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben, darum fürchten wir uns nicht.

Im Vertrauen darauf wollen wir heute Gottesdienst feiern.

Ich habe vor allem Friedenslieder herausgesucht, weil ich meine, dass Christen einen ganz bestimmten Auftrag haben, mit solchen unfassbaren Aggressionen umzugehen.

Davon wird dieser Gottesdienst geprägt sein, ebenso auch der Jugendgottesdienst am kommenden Samstagabend, zu dem ich Sie alle – besonders aber natürlich euch Jugendliche und eure Eltern – herzlich einlade.

Abkündigungen

Eingangslied
Gib Frieden, Herr, gib Frieden
(Evangelisches Gesangbuch, Ausgabe Rheinland, Westfalen, Lippe Nr. 430)

ERÖFFNUNG
Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes.
Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn,
der Himmel und Erde gemacht hat,
der Bund und Treue hält ewiglich
und der nicht preisgibt das Werk seiner Hände.
Amen.

Eingangspsalm
Wir sprechen gemeinsam im Wechsel aus Psalm 37
unter der Nummer 719:

Befiehl dem Herrn deine Wege
und hoffe auf ihn, er wird’s wohl machen
und wird deine Gerechtigkeit heraufführen wie das Licht
und dein Recht wie den Mittag.
Sei stille dem Herrn und warte auf ihn.
Entrüste dich nicht, damit du nicht Unrecht tust.
Bleibe fromm und halte dich recht;
denn einem solchen wird es zuletzt gut gehen.
Der Herr hilft den Gerechten,
er ist ihre Stärke in der Not.

Kommt, lasst uns anbeten:
Gemeinde
Ehr‘ sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Gebet und stilles Gebet
Gott,
niemand ist hier, egal ob kleines Kind oder Erwachsener,
der nichts von diesem schrecklichen Unglück mitbekommen hat.
Manche von uns haben die Nächte am Fernseher verbracht,
um die neuesten Nachrichten zu erfahren.
Viele von uns haben Angst, wie es weitergehen soll.
Im Stillen Gebet versuchen wir nun, dir Gott von unseren Ängsten zu erzählen.

[STILLE]

Gott, du hörst uns. Darum bitten wir:
„Herr, erbarme dich.“

Gemeinde
Herre Gott, erbarme dich. Christe erbarme dich, Herre Gott, erbarme dich.

Zuspruch
Gott ist unsre Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben, darum fürchten wir uns nicht und singen:

Gemeinde
Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen.
Wir loben, preis’n, anbeten dich, für deine Ehr wir danken, dass du, Gott Vater, ewiglich, regierst ohn alles Wanken. Ganz ungemessn ist deine Macht, fort gschieht, was dein Will hat bedacht. Wohl uns des guten Herren.

Salutatio
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen!

Gemeinde
Und mit deinem Geist.

Friedensgruß
So grüßt euch auch untereinander mit dem Gruß des Friedens. Wir haben ihn nötiger denn je.

Gemeinde (untereinander)
Der Friede Christi sei mit dir!

Verabschiedung der Kinder in den Kindergottesdienst
So singen wir heute auch die beiden letzten Strophen des Kindergottesdienstliedes, das Sie vorne in Ihren Gesangbüchern finden.
Die Kinder werden sich im Kindergottesdienstraum mit Gottes guter Schöpfung und seiner Erde beschäftigen.
3. Gott, der Vater und der Sohn und der Heil’ge Geist sei mit uns; sei mit uns bei Nacht und Tag, bei Traurigkeit und Freude.
La, la, la,  la…
4. Deinen Segen schenke uns, allen Menschen hier auf Erden.
Jede Stunde sei uns nah, Gott, Vater hoch im Himmel.
La, la, la, la…

Kollektengebet
Deinen Segen schenke uns,
allen Menschen hier auf Erden.
Gott, lass uns nicht aufteilen in Menschen,
die unsere Rache verdienen und Menschen,
die deinen Segen bekommen dürfen.
Wir vertrauen nicht auf unsere Gerechtigkeit,
sondern auf deine große Barmherzigkeit
von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Gemeinde „Amen“

Schriftlesung
Wir hören die Schriftlesung aus Jesaja 32,9-17
9 Wohlan, … hört meine Stimme! … Die ihr so sicher seid, nehmt zu Ohren meine Rede!
10 Über Jahr und Tag, da werdet ihr Sicheren zittern; denn es wird keine Weinlese sein, auch keine Obsternte kommen.
11 Erschreckt, ihr Stolzen … , zittert, ihr Sicheren! Zieht euch aus, entblößt euch und umgürtet eure Lenden!
12 Man wird klagen um die Äcker, ja, um die lieblichen Äcker, um die fruchtbaren Weinstöcke,
13 um den Acker meines Volks, auf dem Dornen und Hecken wachsen, um alle Häuser voll Freude in der fröhlichen Stadt.
14 Denn die Paläste werden verlassen sein, und die Stadt, die voll Getümmel war, wird einsam sein, dass Burg und Turm für immer zu Höhlen werden, dem Wild zur Freude, den Herden zur Weide,
15 so lange bis über uns ausgegossen wird der Geist aus der Höhe. Dann wird die Wüste zum fruchtbaren Lande und das fruchtbare Land wie Wald geachtet werden.
16 Und das Recht wird in der Wüste wohnen und Gerechtigkeit im fruchtbaren Lande.
17 Und der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein, und der Ertrag der Gerechtigkeit wird ewige Stille und Sicherheit sein,
18 dass mein Volk in friedlichen Auen wohnen wird, in sicheren Wohnungen und in stolzer Ruhe.

GLAUBENSBEKENNTNIS
Liebe Gemeinde,
in besonderen Situationen bekennen wir unseren Glauben mit anderen Worten als denen des bekannten Apostolikums.
Ich möchte Sie bitten, im Gesangbuch den Heidelberger Katechismus aufzuschlagen auf der Seite 1352.
Dort finden wir die Erläuterungen zum sechsten Gebot:
„Du sollst nicht töten.“
Wir sprechen gemeinsam:

Frage 105
Was will Gott im sechsten Gebot?
Ich soll meinen Nächsten
weder mit Gedanken
noch mit Worten oder Gebärden,
erst recht nicht mit der Tat
auch nicht mit Hilfe anderer,
schmähen, hassen, beleidigen oder töten.
Ich soll vielmehr alle Rachgier ablegen,
mir auch nicht selbst Schaden zufügen
oder mich mutwillig in Gefahr begeben.
Darum hat auch der Staat den Auftrag,
durch seine Rechtsordnung das Töten zu verhindern.

Frage 106
Redet denn dieses Gebot nur vom Töten?
Nein.
Gott will uns
durch das Verbot des Tötens lehren,
dass er schon die Wurzel des Tötens,
nämlich Neid, Hass, Zorn und Rachgier
hasst und dass alles für ihn heimliches Töten ist.

Frage 107
Haben wir das Gebot schon erfüllt,
wenn wir unseren Nächsten nicht töten?
Nein.
Indem Gott Neid, Hass und Zorn verdammt,
will er, dass wir unseren Nächsten lieben wie uns selbst,
ihm Geduld, Frieden, Sanftmut,
Barmherzigkeit und Freundlichkeit erweisen,
Schaden, so viel uns möglich, von ihm abwenden,
und auch unseren Feinden Gutes tun.

Kanzelabkündigung
des Präses unserer Evangelischen Kirche im Rheinland.

12. September 2001
Unbeschreibliches Leid ist durch die furchtbare Serie von Terroranschlägen in den USA über die Menschen gekommen.
Die menschliche Fähigkeit zum Bösen übersteigt alles, was wir uns vorstellen können. Die Schreckensbilder werden uns nicht mehr aus dem Sinn gehen.
Mit unseren Gedanken sind wir bei den Opfern, die ihr Leben oder ihre Gesundheit verloren haben.
Für Freitag, den 14. September 2001 haben die Evangelische Kirche in Deutschland und die Deutsche Bischofskonferenz zu einem Friedens- und Gedenkgottesdienst in Düsseldorf eingeladen und dazu aufgerufen, auch vor Ort die Gemeinschaft im Gebet zu suchen.
Ich bitte Sie in diesen Tagen besonders um diesen wichtigsten Dienst, den wir Christinnen und Christen leisten können:

Beten Sie für die Opfer, für die Angehörigen und ihre Freunde.
Beten Sie für die Rettungskräfte, die weit über ihre körperlichen und seelischen Kräfte hinaus gefordert sind.
Beten Sie für die Politikerinnen und Politiker, von deren Urteilen und Entscheidungen so viel abhängt.

Untaten wie diese bringen neues Unrecht hervor. Wer auch immer hinter diesen Greueltaten steht, widerstehen Sie allen Versuchen, die allein den Islam als Weltreligion für diese Terroranschläge verantwortlich machen.
Gewalttäter, die ihre Taten religiös oder ideologisch begründen, irren. In Wahrheit sind sie den Götzen der Gewalt und des Fanatismus und des Hasses verfallen.
Stärken Sie alle Menschen, die sich für Vernunft und Verständigung einsetzen.
Suchen Sie das Gespräch, damit die Gräben des Hasses nicht noch tiefer werden.

Lassen Sie uns zusammen für ein Ende der Gewalt, für Gerechtigkeit und Frieden beten und arbeiten.
Manfred Kock

LIED EG 678 Wir beten für den Frieden

Predigt
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt! Amen.

Liebe Gemeinde,

wenn wir uns jetzt Zeit nehmen würden, dass jeder von uns über die Ereignisse der letzten Wochen erzählen könnte, unsere Gottesdienstzeit würde nicht ausreichen.

Die einen schalteten zufällig genau in dem Moment den Fernseher ein, als die ersten Bilder vom brennenden World-Trade-Center gesendet wurden und dachten, einer der Weltuntergangsfilme würde diesmal nicht erst am Abend, sondern schon am Nachmittag gesendet.
Die anderen arbeiteten ganz normal weiter. Manche hatten von einem Flugzeugabsturz gehört, aber es klang so merkwürdig. Und dann sickerte ganz plötzlich die Erkenntnis durch: Da ist einer der schlimmsten Anschläge auf die Menschlichkeit geschehen, den wir alle jemals erlebt haben.
Immer wieder die Bilder vom Flugzeug, das fast durch das Hochhaus hindurch fliegt, immer wieder die Bilder vom Einsturz der Hochhäuser, die unter der Last der eingestürzten Etagen ganz in sich zusammen sackten.

Und nun die Nachrichten von den Menschen, die nach Freunden und Angehörigen suchen. Menschen, die genau wissen, dass niemand von ihren Arbeitskollegen überlebt hat, weil sie sich in den oberen Stockwerken, aus denen niemand mehr bis ganz nach unten gelangen konnte.

Wir sind entsetzt.
Wie kann das alles sein?
Das darf doch nicht wahr sein!
Gott, wo bist du? Gott, verlass uns nicht!

Wir fühlen mit den Opfern, wir fühlen mit den Überlebenden.
Wir fühlen mit den Amerikanern und stehen zu ihnen.
Sie brauchen uns. Wir wollen uns nicht entziehen.
Ich erlebe bei mir, wie emotional ich reagiere, wie mich das Entsetzten packt.

Doch dann klingen schrille Töne an mein Ohr.

Mein Mitgefühl können sie nicht hinwegwischen. Das bleibt.
Aber ich spüre Protest in mir aufkommen.

Ich höre von einem Kampf aller Guten gegen das absolute Böse.

Das absolute Böse ist schnell enttarnt: Alle diejenigen, die Tausende von Menschen mit einem Schlag umbringen und vor nichts zurückschrecken.
Und die Guten sind wir, wir, die wir keine solche Schreckenstaten vollbringen oder zulassen. Wir Guten müssen zusammenstehen, wir müssen das absolute Böse ausmerzen, wir müssen Flagge zeigen, wir müssen Soldaten schicken, wir dürfen uns das nicht gefallen lassen, wir müssen zum Gegenschlag ausholen.

Wie bitte?
Wir sind die Guten?
Woher wissen wir das?

Jesus wird einmal mit „guter Meister“ angeredet und weist dies entschieden zurück.
Gut ist nur einer, Gott.

Wir sind nicht gut. Niemand von uns.

Und ich denke an die 20 000 Kinder, die jeden Tag Stunde für Stunde, Minute für Minute an Hunger sterben. Und wir nehmen es hin. Niemand ruft mit 40 Milliarden Dollar dazu auf, das Böse auszumerzen, das es zulässt, dass diese Kinder sterben.

Im Gegenteil: Wenn die korrupten Regierungen, die ihre eigenen Menschen verhungern lassen, teuere Waffen bestellen, dann machen unsere Länder, deren Regierungschefs sich „gut“ nennen, selbstverständlich Geschäfte mit ihnen.

Im Gegenteil: Wenn in einem Drittweltland billiger produziert werden kann, weil dort für einen Hungerlohn 10 Stunden und mehr an sieben Tagen in der Woche gearbeitet werden kann, dann streichen wir gerne den Profit ein.

Im Gegenteil: Wenn der Welthandel den Kaffee zu preisen handelt, bei denen die Plantagenarbeiter verhungern müssen, dann greifen wir trotzdem zu. Nur eine verschwindende Minderheit bemüht sich, fair gehandelte Produkte zu kaufen, damit unsere Welt gerechter wird.

Wie glaubwürdig ist die angeblich christliche Welt, mit Werten wie der Feindesliebe, wenn sie regelmäßig schweigt, wenn Vergeltungsangriffe geflogen werden? Wie glaubwürdig ist unsere westliche Welt, wenn sie zusieht, wie Umwelt zugrunde geht, Hauptsache, der Euro oder der Dollar rollt?

Ich bin entsetzt über die schrecklichen Bilder,
aber das Entsetzen wird gesteigert dadurch, dass jemand sich für Gut erklärt und zum Kampf gegen das absolute Böse aufruft,
ohne jedes Schuldbewusstsein dafür, wie egal die Hungertoten unserer Welt letztlich sind –
ohne jedes Schuldbewusstsein dafür, wieviel Ungerechtigkeit auf der Welt von diesen angeblich Guten geduldet oder gar gefördert wird.

Ist nicht der Terrorist Osama bin Laden von den USA selbst ausgebildet und gefördert worden?
Hat er nicht einmal auf seiten dieser Guten gekämpft und dabei bei seinen Feinden für Angst und Schrecken gesorgt und Menschen vernichtet?

Wer ist da Gut? Wer ist da böse?
Wer kann sich da anmaßen, mit der Waffe in der Hand den Kampf gegen das absolut Böse aufzunehmen?

Damit ich nicht missverstanden werde: Ich halte jede polizeiliche Ermittlung für gerechtfertigt, damit die Terroristen enttarnt und verurteilt werden. Nach einem fairen Prozess und einem gerechten Urteil. So wie auch der Heidelberger Katechismus vom Auftrag des Staates spricht, durch seine Rechtsordnung das Töten zu verhindern. Keine Frage: Darin hat Amerika unsere volle Unterstützung nötig.

Aber müssen wir Vergeltungsschläge und Vernichtungsschläge „gegen das absolut Böse“ unterstützen?
Müssen gute Freunde nicht auch einmal sagen: Stopp: Hier gehst du zu weit, das darfst du nicht?

Als Predigttext habe ich bewusst zwei Verse aus Jesaja 32 herausgesucht.

Einen Teil haben wir schon in der Lesung gehört.

Jes 32,17-18: Und der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein, und der Ertrag der Gerechtigkeit wird ewige Stille und Sicherheit sein, dass mein Volk in friedlichen Auen wohnen wird, in sicheren Wohnungen und in stolzer Ruhe.

Diese schrecklichen Taten waren nicht gerecht, ihre Frucht ist massiver Unfriede. Die Terroristen bewirken Angst und Schrecken, sie bewirken Unrecht und Unsicherheit.

Aber diese Verse fragen auch uns selbstkritisch: Wie sieht es aus mit unserer Gerechtigkeit? Warum schotten wir uns ab gegen die Armut in der Dritten Welt?
Warum finden wir ab mit Tausenden Hungertoten jeden Tag?
Warum schreit niemand auf, wenn jeden Tag mehr Kinder (von den Erwachsenen reden wir erst gar nicht) am Hunger sterben als Menschen am letzten Dienstag in den Trümmern umgekommen sind?

Ist es vielleicht doch so, dass auch unsere Ungerechtigkeit letztlich nur zum Unfrieden führt?
Zu solchen Anschlägen, die gegen unser Unrecht und unsere Arroganz protestieren wollen?

Der Leiter der Caritas spricht von Entwicklungshilfe als Instrument der Terroristenbekämpfung.

Und so verstehe ich auch die Verse aus dem Jesajabuch:
Setzte dich für Gerechtigkeit ein, dann wirst du Stille und Sicherheit ernten.
Rufe nicht auf zu Gegengewalt, sondern bekämpfe den Terror mit Gerechtigkeit.

Dort ist wahrhaftig noch viel zu tun.

Und darum müssten unsere Kirchen noch deutlicher werden und nicht nur allgemein für Weisheit unserer Politiker bitten.

Darum müssen wir warnen, wenn die untauglichen Mittel ergriffen werden, die den Hass und den Terror nur steigern.

Darum müssen wir sagen: Vergeltung trägt nicht dazu bei, dass das Böse auf der Welt weniger würde.

Jesus hat die Welt nicht dadurch erlöst, dass er das Böse mit einem Streich auslöschte (dann gäbe es uns nämlich gar nicht mehr), sondern indem er für uns betete und für uns starb.
Sein Auftrag an uns war: Folgt mir nach. Dienet, sorget für Gerechtigkeit, ich will bei euch sein.

Darum wollen wir bitten, und darum wollen wir beten.
Darum wollen wir uns in Erinnerung rufen, dass unsere Religion nicht auf Rache aufbaut, sondern auf Feindesliebe.

Das ist schwer. Es übersteigt vielleicht unsere Vernunft.

Aber es könnte helfen, dass unsere Herzen und Sinne nicht hart werden.
Es könnte helfen, dass wir aus unserem Entsetzen und aus unserem Mitgefühl die richtigen Konsequenzen ziehen.

Darum beten wir für den Frieden.
Frieden zwischen den Religionen.
Frieden zwischen den Religionen, die letztlich alle nur Frieden wollen. So wie es unzählige Muslime betonen, die sich ebenfalls von den Terroristen distanzieren und für den Frieden beten.
Und darum schließe ich ganz betont die Predigt mit den Worten aus Philliper 4,7, die ich auch sonst gebrauche:

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all‘ unsre Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christus Jesus!

Lied
Unfriede herrscht auf der Erde (EG 671)

Fürbitten und Vaterunser
Lassen Sie um Frieden beten. Die einzelnen Bitten beantworten wir mit dem Lied „Verleih uns Frieden gnädiglich.“

Gott, wir beten für die Opfer, für die Angehörigen und ihre Freunde.
Nimm die Ermordeten in dein Reich auf, in dem es keinen Terror und keine Anschläge mehr gibt.
Gott, wir beten für die, die die Anschläge verletzt überlebten: verletzt an Leib, aber in jedem Fall an ihrer Seele, ebenso wie ihre Freunde und Verwandten. Wir beten auch für uns, die wir verletzt sind, und Wut spüren und Angst und Trauer.
Wir brauchen deinen Frieden, deine Nähe, damit wir nicht scheitern mit unserem Leben, alle, die wir von dieser schrecklichen Tat verletzt sind.
Damit wir nicht unseren Zorn zum Maßstab machen, sondern deine Liebe.
Darum singen wir:

Gemeinde:
Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott zu unsern Zeiten. Es ist ja doch kein andrer nicht, der für uns könnte streiten, denn du unser Gott alleine. (EG 421 )

Gott, ganz besonders beten wir jetzt für die Rettungskräfte, die bis an den Rand der Kräfte versuchen, Überlebende zu finden, und die dabei so viele finden, die alle nicht überlebt haben.
Gott, es kostet so viel Kraft, Leichenteile aus dem Schutt zu bergen.
Gibt ihnen Menschen, die ihre Trauer aushalten.
Gib ihnen Menschen, die schweigend mittragen, was sie erdulden müssen. Gib ihnen Menschen, die mit ihnen die Wut und den Hass herausschreien, weil diese Gefühle menschlich sind und verständlich.
Hilf ihnen, dass sie an ihrer schweren Aufgabe nicht zerbrechen. Gemeinsam singen wir:

Gemeinde:
Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott zu unsern Zeiten. Es ist ja doch kein andrer nicht, der für uns könnte streiten, denn du unser Gott alleine. (EG 421 )

Gott,
ganz besonders beten wir für die Politikerinnen und Politiker, von deren Urteilen und Entscheidungen so viel abhängt.
Gott, wir möchten konkreter bitten.
Wir bitten, dass unsere Politiker durch ihre Entscheidungen die Spirale von Gewalt und Gegengewalt nicht weiter anheizen.
Gott wir bitten, dass gerade unsere Politiker, die sich christlich nennen, sich an deinen Geboten orientieren und nicht Gewalt mit Gegengewalt vergelten.
Ihre Aufgabe ist es, Menschen vor Gewalt zu schützen und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen.
Aber ihre Aufgabe ist es nicht, Gewalt zu vergelten, sondern für Gerechtigkeit zu sorgen in der Welt.
Solange jeden Tag 20 000 Kinder an Hunger sterben, nimmt uns in der Dritten Welt niemand ab, dass militärische Gegenschläge der Gerechtigkeit dienen.
Gott, viele Menschen in der Welt erleben die Länder unserer westlichen Welt als solche, die sie um des Profits willen ausbeuten und denen sie ansonsten egal sind.
Darum bitten wir für unsere Politiker, dass sie sich für Gerechtigkeit in aller Welt einsetzen, dafür, dass keine Kinder mehr am Hunger sterben müssen und dafür, dass man uns überall auf der Welt abnimmt, dass wir für deinen Frieden eintreten.
Wir singen gemeinsam:

Gemeinde:
Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott zu unsern Zeiten. Es ist ja doch kein andrer nicht, der für uns könnte streiten, denn du unser Gott alleine. (EG 421 )

Gott, gemeinsam beten wir, dass dein Wille im Himmel wie auf Erden geschehe, mit den Worten, die du uns gelehrt hast:

Vater unser im Himmel,
geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung;
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit
in Ewigkeit. Amen.

LIED
Herr, wir bitten komm und segne uns EG 607

Sendung und Segen
Gehet hin im Frieden des Herrn.
Der HERR segne dich und behüte dich;
der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig;
der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.
Gemeinde: „Amen.“

ORGELNACHSPIEL

Warum heißt diese Homepage „Der TheoPoint“?

Der Name hat eine kleine Geschichte.

Es begann etwa 1987 mit einer Meldung im SPIEGEL, dass es christliche Mailboxen gäbe. Ein “Sysop”, der für Raubkopien bekannt gewesen wäre, hätte sich bekehrt und biete nun christliche Inhalte an. Das war der Anlass, mir ein 1200 Baud-Modem zu besorgen und erste Erfahrungen mit der Datenfernübertragung zu machen. Damals noch auf einem Atari 1040 STF, denn der konnte damals schon Hebräisch und Griechisch darstellen, als die üblichen DOS-Computer gerade mal das normale ABC in Rasterbuchstaben drucken konnten.

Aber diese Mailboxen waren im Süden Deutschlands und die Telefonkosten zu hoch, als dass man dort laufend anrufen konnte. Der nächste Schritt bestand in der Suche nach Mailboxen in der näheren Umgebung. Eine der ersten Mailboxen stand in Ratingen, eine Mailbox im weltweiten Fido-Netz. Die Zeit, in der die Sysops nachts den Akustikkoppler bereit liegen hatten, um den Telefonhörer schnell hineinzudrücken und die Verbindung herzustellen (es gab dann auch kurze Zeit automatische Konstruktionen, die das mit Hilfe eines Elektromotors bewerkstelligten), war erst kurz zuvor zu Ende gegangen.

Achim Drinkuth besorgte mir die entsprechende Atari-Software, und so konnte ich kurz darauf ohne Festplatte, nur mit einer internen Ramdisk und einem zweiten Floppylaufwerk, automatisch Nachrichten senden und abholen.

Es gäbe noch viel zu erzählen, von Z-Netz, von der ersten christlichen Mailbox im Ruhrgebiet namens Credo, von langen Jahren der Teilnahme und dann auch Moderation der “Kirche.ger” im Fido-Netz, vom Churchmail-Netz und auch vom LifeNet. Leider verschwand der Atari ST (inzwischen ein Mega STE) vom Markt und die Entwicklung der an sich sehr guten Software fand ein Ende, kurz bevor auch die Mailbox-Netze gegenüber dem Internet zu langsam wurden.

So aber bleibe ich bei jener ersten Mailbox im Fido-Netz. Die Systeme, die bei einer Fidobox anriefen, waren Points. Und jener Sysop nannte das System des Theologiestudenten, der bei ihm “pollte” den Theologen-Box-Point.

Daraus entwickelte sich dann für die erste eigene Homepage der TheoPoint oder Theologenpoint.

Man könnte nun noch mit dem Namen ein wenig spielen. The O-Point, auch das wäre möglich. “O” wie Original? Oder Ostern?

TheoPoint – es geht jedenfalls um Gott (theo). Das hat etwas mit Jesus Christus zu tun. Bei Rudolf Bultmann konnte man lernen, dass es im Wesentlichen auf das “Dass seines Gekommenseins” ankäme: Das ganze Evangelium komprimiert in einem mathematischen Punkt. Wenn man es so sagen will: Gott hat seine Frohe Botschaft auf den Punkt gebracht. Ich würde dazu heute sagen: Dieser Punkt ist mit 1. Kor 13,13 Liebe – noch wichtiger als Glaube und Hoffnung.

Ursachen des Pfarrermangels

Ursachen des Pfarrermangels

Wenn ich mir die Diskussionen der letzten Jahre in der ev. Kirche im Rheinland anschaue, dann bleiben vier Faktoren unberücksichtigt: Zum einen die Bevölkerungsstatistik, zum anderen die Wohlstandsentwicklung, zum dritten die fehlende Personalplanung und zum vierten fehlendes wirtschaftliches Denken.

Die Wohlstandsentwicklung führte dazu, dass Kirche eine ganze Zeit lang in einem erheblichen Maße Personal einstellen konnte. Im Rheinland spricht man daher vom „dagobertinischen Zeitalter“.

Die Bevölkerungsstatistik macht in Nachhinein deutlich, warum in den geburtenstarken Jahrgängen so viele Theologiestudierende eingestellt werden konnten.

Mangelndes wirtschaftliches Denken führte dazu, dass zunächst einmal niemand genau nachrechnete, welche Kosten dieses Einstellungen irgendwann einmal im Blick auf Pensionen hervorrufen würden. Ob man mit der steigenden Lebenserwartung und den damit verbundenen steigenden Kosten für die Beihilfe rechnen konnte, möchte ich hier nicht behaupten.

Allerdings hatte sich eingebürgert, auf die bösen großen internationalen Firmen zu schimpfen, die aufgrund finanzieller Notlagen und wirtschaftlicher Entwicklungen Arbeitnehmer entlassen mussten. Diesen Vorwurf wollte man sich nicht machen lassen.
Man hätte sich ja auch an Josef in Ägypten orientieren können: Der legte in den guten Jahren zurück, um später nicht nur selber durch die schlechten Jahren kommen, sondern auch anderen Bedürftigen dabei helfen zu können.
Die Kirche machte es genau anders herum: Sie schimpfte auf eine Wirtschaft, die auf hemmungslose Expansion und wirtschaftliches Wachstum setzte, und traf gleichzeitig wirtschaftliche Entscheidungen, die genau dieses wirtschaftliche Wachstum zur Voraussetzung hatten.

Beispiel aus meinem Heimatstadt: Jahrelang wurden die Gelder für die Baurücklage für das „Haus der Kirche“ als zentralem Verwaltungsgebäude in der Innenstadt in den Gemeinden der drei Essener Kirchenkreise für die Jugendarbeit ausgegeben. Zweifellos ein guter Zweck. Als dann die Baurücklage für die Renovierung dieses Hauses gebraucht wurde, war sie nicht mehr im nötigen Umfang da. Das Haus musste verkauft werden. Seitdem wird das nötige Verwaltungsgebäude teuer gemietet.

Ebenso wurde mit der Pensionsrücklage verfahren. Man sah es als unsozial an, riesige Summen anzuhäufen, aus denen einmal die Pensionen bezahlt werden können, gab einen Teil dieses Geld für gute Zwecke in der ganzen Welt und der eigenen Kirche aus und vertraute darauf, dass die wirtschaftliche Entwicklung, der Heilige Geist oder sonst wer den Fehlbetrag (sofern man sich darüber überhaupt Rechenschaft ablegte) schon ausgleichen könnte. Dass die Kirche einmal zahlenmäßig abnehmen könnte, dass die Zinsentwicklung nicht immer steigen würde, dass man das zweckgebundene Geld einmal brauchen würde: Daran dachte man nicht.

Und weil es keine Personalplanung gab, fiel auch niemandem auf, wie viele junge Theologen die Presbyterien in einem überregional nicht koordinierten Wahlverfahren in Pfarrstellen wählten, und wie viele längst gewählte und auf Lebenszeit verbeamtete Pfarrerinnen und Pfarrer keine Pfarrstelle mehr abbekamen. Weil man sich nicht dem Vorwurf aussetzen wollte, den man der Wirtschaft in vergleichbaren Situationen machte, wurden diese Menschen auch nicht nach drei Jahren in den Ruhestand versetzt, sondern durch Beschäftigungsaufträge bis an die Pensionsgrenze gebracht. Damit trugen sie zu einem erheblichen Teil zur Entlastung der PfarrstelleninhaberInnen bei: Pro Kirchenkreis bis zu vier zusätzliche Theologinnen! Zwar gab es bei jedem dritten Stellenwechsel ein Stellenbesetzungsrecht der Landeskirche; dieses wurde aber entweder nicht wahrgenommen oder aber durch das wählende Presbyterium so lange unterlaufen, bis das Landeskirchenamt entnervt aufgab und der Wahl des Wunschkandidaten zustimmte.
Auf diese Weise wurden nicht nur wesentlich mehr Pfarrerinnen und Pfarrer auf Lebenszeit verbeamtet, als es das System Landeskirche langfristig verkraftete, es geschah auch noch in einem relativ kurzen Zeitraum. Das bedeutet: Alle diese PfarrstelleninhaberInnen würden auch innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums von wenigen Jahren mit ihrer Pensionierung wieder aus dem Dienst ausscheiden.

Mit anderen Worten: Die Kirche ging durch diese übermäßigen Verbeamtungen finanzielle Verpflichtungen ein ohne sich Rechenschaft darüber abzulegen, wann und wie sie diese finanziellen Verpflichtungen würde ausgleichen können.

Nach außen steigerte dies (neben der gesellschaftlichen Situation: Friedensbewegung, Kirchentage…) die Attraktivität des Pfarrberufes und trug zu zu einem Höchststand an Theologiestudierenden bei.

Die Lage spitzte sich unaufhaltsam zu, ohne dass man dies genügend deutlich merkte. Daher nahm die Personalabteilung der Landeskirche immer noch Interessierte auf die Liste der Theologiestudierenden auf, stellte immer noch fleißig Vikarinnen und Vikare ein, verbeamtete sie auf Probe und gab ihnen damit das Versprechen, sie auch einmal zunächst auf Widerruf und dann auf Lebenszeit zu verbeamten.

Diese Problematik ist schon explosiv genug. Wenn dann aber eine drastische Verlängerung der Lebenszeit hinzukommt, gleichzeitig die Zinsen für die (zu niedrigen) Rücklagen auf ein Niedrigniveau sinken, wird die Lage katastrophal.

Wie hat die Kirche im Rheinland reagiert?
Zunächst hat sie die Kosten für die Pfarrerinnen und Pfarrer für die Gemeinden transparent gemacht: Ein nennenswerter Anteil der Pfarrerkosten wurde nicht mehr durch eine anonyme allgemeine Pfarrbesoldungspauschale gedeckt, sondern den Gemeinden direkt in Rechnung gestellt. Die Gemeinden reagierten darauf mit einer Welle von Pfarrstellenstreichungen.

Das war ein Schock für die Vikarinnen und Vikare. Die Landeskirchen reagierten unterschiedlich. Die benachbarte westfälische Landeskirche machte einen drastischen Schnitt, der zum Teil zu erheblichen Härten führte. Immerhin ermöglichte das den immer noch relativ jungen Theologinnen und Theologen, beruflich umzusteuern. Damit sank bereits die Attraktivität des Theologiestudiums beträchtlich.

Die rheinische Kirche ging einen anderen Weg, richtete auf fünf Jahre befristete Sonderdienststellen ein, mit denen Pfarrstellen weitere entlastet und besondere Projekte angestoßen werden sollten. Das entschärfte die Situation eine Zeit lang, entlastete die Gemeinden und Kirchenkreise zwar nicht finanziell, aber doch in ihrer Arbeit, ließ aber die Betroffenen immer älter werden.
Nur zum Teil gelöst wurde das Problem des ungesteuerten Zugangs zum Pfarrberuf.
Ein Zeit lang ging das Konzept auf; für einige Jahre konnten bis zu 85 Prozent eines Jahrgangs in Pfarrstellen oder einen weiteren Sonderdienst vermittelt werden. Dann spitzte sich die Lage wieder zu. Mangels wirtschaftlichen Denkens wurde immer noch kein fester Schnitt gezogen. Aus den immer noch scheinbar unermesslichen (und doch jetzt schon zu geringen) Rücklagen wurde durch Vorruhestandsregelungen die Quote von 85 Prozent gehalten.

Die rheinische Kirche war immer noch nicht in der Lage, die nötige wirtschaftliche Entscheidung Entscheidung zu treffen, den Betroffenen die Wahrheit zu sagen und den nötigen Schnitt zu machen.

Jetzt kamen zwei verhängnisvolle Wirkungen zusammen: Durch die für die Gemeinden finanziell transparentere Pfarrstellenfinanzierung wurden Pfarrstellen abgebaut und durch die Vorruhestandsregelungen war der Pfarrstellenmarkt zusätzlich auf mehrere Jahre leer gefegt.

Wieder wurde das Theologiestudium unattraktiver.

Jetzt kam der dritte Schritt: Zum ersten Mal wurde ein versicherungsmathematisches Gutachten in Auftrag gegeben. Nun wurde deutlich, dass einerseits die Pensionskasse durch ein mehrere hundertmillionenschweres strukturelles Defizit belastet war und dass andererseits der PfarrerInnenmangel durch die inzwischen gealterten Sonderdienstlerinnen nicht aufgefangen werden kann: Sie würden bei Eintritt des Mangels selber das Ruhestandsalter erreichen.

In der Folge wurde beschlossen, das Sonderdienstprogramm sofort zu stoppen, ohne dass die Betreffenden eine reelle Chance auf eine Pfarrstelle bekommen sollten.

Die Not war für die Landeskirche so groß, dass sie einen jahrelangen Einstellungsstopp und einen linearen Abbau der Pfarrstellen erwog. Dann fiel den zuständigen Ausschüssen auf, dass in den nächsten Jahren weniger Menschen pensioniert würden als bei einem linearen Pfarrstellenabbau nötig wäre: dies würde nur zum Aufblähen des Wartestandes führen. Seitens des theologischen Nachwuchses wurde vorgerechnet, dass von den ca 1950 Gemeindepfarrstellen (Stand: ca 2004) bei einem entsprechenden Abbau im Jahre 2030 nur noch ca 500 besetzt wären.

Mit spitzem Griffel wurde berechnet, dass es möglich sein sollte, jedes Jahr 20 Personen ins Pfarramt zu lassen, zunächst durch überplanmäßige sogenannte mbA-Stellen („mit besonderem Auftrag“). Zugleich wurden harte Maßnahmen zur Verringerung der Personenzahl im Wartestand getroffen.

Die Attraktivität des Pfarrberufes und die Bereitschaft zum Theologiestudium dürfte damit ihren absoluten Tiefpunkt erreicht haben. Dazu beigetragen hat sicherlich auch die Verletzungsgeschichte der betroffenen Theologiestudierenden, die nicht mehr ins Vikariat kamen, ebenso wie die Verletzungsgeschichte der betroffenen VikarInnnen und SonderdienstlerInnen, die nach erfolgreichem Abschluss der theologischen Ausbildung und des Probediensts keine Pfarrstelle mehr bekommen konnten.

Was hätte die Kirche einem Unternehmen in der freien Wirtschaft angesichts der eklatanten wirtschaftlichen und personalplanerischen Maßnahmen nicht alles ins Stammbuch geschrieben! Was _hat_ sie nicht alles alles entsprechenden Firmen etwa in der Stahlkrise ins Stammbuch geschrieben. Hat sie es besser gemacht?

Aus der Not heraus hat die rheinische Kirche endlich nachgerechnet, um die nötigen wirtschaftlichen und personalplanerischen Entscheidungen treffen und sie umsetzen zu können.

Als ein davon selbst Betroffener ist es bitter zu erleben, wie diese Entscheidungen von einigen Veröffentlichungen im Pfarrerblatt und anderswo mit der alten sozialromantischen Leier  infrage gestellt werden. Stattdessen solle die Kirche ihr Handeln noch einmal _theologisch_ bedenken.
Der Rheinischen Kirche kann man sicherlich alles vorwerfen, nicht aber, dass sie zu wenig theologisch oder sozial gedacht habe. Das Problem ist viel mehr: Sie hat zu wenig gerechnet – sie hat nicht wirtschaftlich gedacht.
Sie hat das Gleichnis vom Kornbauern zum Vorbild genommen ohne daran zu denken, dass vielleicht auch Josef in Ägypten ein theologisch und sozial verantwortetes Vorbild sein könnte.
Die Kirche hat durch ihre unterfinanzierten Pensionszusagen in den guten Zeiten einen Kredit aufgenommen, den sie nun in wirtschaftlich schlechteren Zeiten nur mit äußerster Mühe und dem Abbau wichtiger und erfolgreicher Arbeitsbereiche zurück zahlen kann.

Inwieweit sich die Entwicklung dieser Fehlentscheidungen und der Versuche, sie zu korrigieren, auf andere Landeskirchen übertragen lässt, kann ich nicht beurteilen, dazu fehlt mir der Überblick. Sicherlich hat diese Entwicklung einer der großen Landeskirchen der EKD auch Folgen für die anderen Landeskirchen.

Ob die Prognosen für 2030 alle stimmen?
Wer will das sagen?
Fest steht aber jetzt schon, dass die Kinder, die bis jetzt nicht geboren wurden, im Jahre 2030 auch keine Kirchensteuer zahlen werden.
Fest steht schon jetzt, dass ein großer Teil jener der treuesten Kirchenmitglieder im Rentenalter bis 2030 verstorben sein und ein weiterer Teil das Rentenalter erreicht haben wird. Fest steht auch, dass die Bindungen an die Kirchen lockerer geworden sind und die Zahl der Kirchenaustritte eher steigen werden, erst recht, wenn Kirche ihre Angebote unter öffentlicher Anteilnahme zurückfahren muss.
Damit lassen sich reelle Szenarien für die Kirchenfinanzierung hochrechnen.
Und es gibt genügend biblische Gleichnisse und Geschichten, die zu sorgfältigem Rechnen und wirtschaftlich verantwortlichem Handeln auffordern. Wer von den lauten kirchlichen Sozialromantikern macht sich endlich einmal daran, _darüber_ theologisch reflektiert nachzudenken?

Fazit: Wirtschaftliche und personalwirtschaftliche Fehlentscheidungen und die Folgen der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland haben zumindest einige Landeskirchen in der EKD in eine tiefe Krise und das (Voll-) Theologiestudium auf einen Tiefpunkt geführt.
(Zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass auch andere Berufszweige wie Kirchenmusiker, Küster, Sozialarbeiter, Verwaltung ebenfalls bluten mussten.)

Die betreffenden Landeskirchen unternehmen größte Anstrengungen, diese Krisen halbwegs heil zu überstehen. Der Mangel an ausgebildetem theologischen Personal lässt sich inzwischen zahlenmäßig im Zeitablauf relativ genau bestimmen.
Damit lässt sich auch eine relativ sichere Aussage über den kommenden Bedarf in seinem Zeitablauf machen.

Das vor uns liegende Tal wird den Pfarrberuf sicher noch etwas anstrengender machen. Dennoch ist und bleibt er einer der schönsten und freiheitlichsten Berufe, die man sich denken kann. Warum sollte nicht das Wunder gelingen, mit einer transparenten Darstellung des Bedarfs einerseits und der schönen Seiten des Berufes andererseits dazu beitragen, dass junge Menschen wieder die Berufung hören?

Ein transparenter und ehrlicher Umgang mit den Ursachen ist die Voraussetzung dafür, dass mögliche Interessenten für den Pfarrberuf der Bedarfsrechnung für die nächsten Jahre Glauben schenken.

Nachtrag: Auch dieses Tal wird bald durchschritten sein. Hoffentlich denken die Verantwortungsträger daran, dass auch nach den dann kommenden guten Jahren auch wieder schlechte Jahre kommen können. Damit sich dieses selbst verschuldete Desaster nicht wiederholt.

Bernd Kehren
19.05.2014

Reaktion auf den Artikel im Deutschen Pfarrerblatt 2/2013:
Die Nachwuchsfrage im Pfarrberuf aus heutiger Sicht
“… und wir dachten, wir hätten ein Amt errungen …”
Von: Andreas Dreyer

Unterm Tannenbaum entschieden

„Weihnachten wird unterm Baum entschieden“ – viele ärgern sich zu Weihnachten 2011 über diesen Werbeslogan einer bekannten Elektronikmarkt-Kette. Ich finde den Slogan super. Er ist ironisch und selbstironisch – was will man mehr?

„Das Spiel wird auf dem Platz entschieden.“

Da kann man vorher so viel getönt haben wie man will, wer stärker ist und wer schwächer ist, wer mehr Geld für Spieler hat. Immer wieder schafft es im Pokal auch mal ein Außenseiter…

„Weihnachten wird unterm Baum entschieden.“

Klar gibt es Geschenke. Klar haben teure Geschenke einen Vorteil. Bayern München hat halt auch mit kluger Geldpolitik dafür gesorgt, sich mit guten teuren Spielern die besten Vorteile kaufen zu können. Das muss man neidlos anerkennen, gerade auch dann, wenn man die Kohle schlicht nicht hat.

Aber da besinnen sich viele Vereine auf ihre eigenen Stärken, ihren eigenen Nachwuchs – und kommen auch nach oben!

Mit anderen Worten: Auch preiswerte Geschenke sind „erstligareif“, wenn sie von Herzen kommen. Manchmal ist es viel mehr Wert, mit den Kindern Zeit zum Spielen zu haben, als sich und den Kindern mit den Überstunden für die Geschenke die Zeit zu stehlen und dann nach Weihnachten zu „platt“ zu sein, um mit den Kindern gemeinsam Zeit zu haben. Oder mit dem Ehepartner/der Ehepartnerin.

Weihnachten wird unter dem Baum entschieden.

Sitzt man da und ödet sich an? Wird es wieder einmal eskalieren, weil man sich gegenseitig nicht aushält? Oder schafft man es, sich auf seine eigenen Wurzeln  zu besinnen, gehaltvoll und fröhlich und unbekümmert ein Familienfest zu feiern, nach dessen Ende man sich schon aufs nächste Jahr freut?

Weihnachten wird unter dem Baum entschieden.

Vielleicht steht dort ja doch einen Krippe, vielleicht denkt man daran, dass die Weihnachtsbotschaft nicht in einem „Ich verkündige jedem von Euch ein IPhone“ besteht, sondern in „großer Freude“, die verkündet wird.

Vielleicht denkt man daran, dass die Eltern des Christkinds anscheinend zu arm waren für große Geschenke.

Vielleicht denkt man daran, dass es auch in der Nähe Menschen mit wenig Geld für viel unter dem Tannenbaum gibt, und dass man dort etwas Gutes tun kann.

Weihnachten wird unterm Baum entschieden.

Dort wo sich konkret zeigt, ob Konsum und Liebe sich ausschließen oder im Rahmen eines großen Festes – des größten der Welt – eine Verbindung eingehen können.

Weihnachten wird unterm Baum entschieden. Wie beim Fußball. Da können die kleinen Geschenke ganz groß heraus kommen und die großen können durchfallen.

Das größte Geschenk: Ein kleines Menschenkind in der Krippe, das der Welt zeigt, wie sehr Gott sie liebt.

Ein genialer Slogan. Ich mag ihn.

Denn Weihnachten ist unter dem Baum entschieden.

Ulrich Bach

Ulrich Bach verstarb am Sonntag, dem 8. März 2009 in Bergisch-Gladbach.

Ich erinnere mich noch genau, wie ich ihn zum ersten Mal sah. Er trug seine Volmarsteiner Rasiertexte in der Bochumer Westfalenhalle beim CVJM-Ostertreffen vor. Vormittags, und dann nachmittags noch einmal einen Text, nachdem der Hauptredner, nach langer schwerer Krankheit endlich wieder genesen, seine Zeit hemmungslos überzogen hatte.

Ulrich Bach rollte nach vorne und kündigte an, angesichts der fortgeschrittenen Zeit nur noch einen seiner Texte vorzutragen.

Ich war damals ca. 16 Jahre alt und fand es beeindruckend, wie dieser Mensch ohne jegliche Begleitung halb gesungen, halb gesprochen das “Lied vom Asozialen” vortrug. “

Später dann, ich hatte gerade mit dem Theologiestudium für das Lehramt begonnen, erhielt Ulrich Bach die Ehrendoktorwürde in Bochum verliehen. Immer im Sommersemester las er zu den verschiedenen Themen rund um “den behinderten Menschen als Thema der Theologie” und vermittelte lutherische Theologie.

Wir begegneten uns immer wieder, mal lud ich ihn nach Essen zum Jugendmeeting des CVJM Essen-West ein, dann war er Referent bei der Auswertungstagung zum Diakoniepraktikum,,,

Warum ausgerechnet im Lokalteil der Essener WAZ auf seinen Abschied hingewiesen wurde, wird für mich ein dauerhaftes Wunder bleiben. Nach einer ermutigenden Pfingstpredigt (sie ist in “Ohne die Schwächsten ist die Kirche nicht ganz” abgedruckt) wurde er völlig zu Recht von zahlreichen Rednern gelobt und konnte mit dem gebührenden Dank in den Ruhestand verabschiedet werden.

Ich kenne kaum einen Menschen, der so sorgfältig auf die Befindlichkeiten einzelner Gruppenteilnehmer achten und darauf eingehen kann. Um so erstaunlicher war sein Geständnis, er habe einmal beim Thema Gewalt eine der Gruppenteilnehmerinnen nicht ernst genug genommen. “Über Gewalt kann ich auch etwas erzählen!” – “Du bist hier in Volmarstein so behütet, was willst Du hier über Gewalt erzählen?”

So behielt sie ihre Erfahrung für lange Jahre für sich, bis sie dann  doch einmal von ihrer Puppe erzählte. Sie hätte diese selbstgebastelte Puppe gar nicht haben dürfen. Die Diakonissen nahmen den Kindern die Geschenke ab und leiteten sie an Kinder in den Missionsgebieten weiter, denen es noch viel schlimmer ging. Aber in diese Puppe hatte sie sich verliebt, und so versteckte sie sie unter der Bettdecke.

Eines Nachts rutschte die Bettdecke hoch, die Puppe geriet in den Taschenlampenkegel der Nachtschwester. Das Mädchen wurde wach gemacht, die Puppe wurde zerrissen, weil es sich nicht an die Spielregeln gehalten hatte. Die Diakonissen hatten es nur gut gemeint, aber es war Gewalt, zweifellos. “Das Gute will ich, das Böse vollbringe ich”, Ulrich Bach hätte den Apostel Paulus sicherlich sorgfältiger zitiert, als ich es hier tue, aber deutlich wird mir zumindest, dass Kirche nie perfekt war, niemals perfekt sein kann, und dass somit immer wieder Menschen schrecklich unter ihr und ihrem “Bodenpersonal” leiden müssen.

Doch, gerade auch die Kirche ist nicht perfekt. Wenn wieder einmal aus Rom eines der Signale kommt, dass die Evangelische Kirche gar keine Kirche sei, sondern “allenfalls eine kirchliche Gemeinschaft”, dann habe ich bei Ulrich Bach gelernt, dass dies in Wirklichkeit eine Auszeichnung ist.

Theologisch will die römisch-katholische Kirche als Kirche Jesu Christi perfekt sein. Das wirkt sich in fast alle ökumenischen Streitpunkte aus: Ekklesiologie, Ämterfrage, Sakramente. Im Jahr 2000 hat sich der Papst für die Verfehlungen von kath. Christen entschuldigt, niemals aber für Fehler der Kirche. Denn der kath. Ideologie entsprechend kann es solche Fehler in der Heiligen Kirche niemals geben. Wie unmenschlich wird die Kirche da oftmals gegenüber Menschen, die eigentlich Hilfe und nicht Maßregelungen brauchen?

Wer sich als Teil eines Patientenkollektivs versteht, in dem Starke und Schwache sich gegenseitig stützen und aufrichten und von Gott getragen werden, der kann sich nicht mehr daran stoßen, wenn jemand daran festhält: Die reale Kirche ist nicht fehlerlos, sie ist nicht perfekt und wird es niemals sein.

Gott bleibt gerade auch den Menschen in ihren Niederlagen und Schwächen solidarisch zugewandt: Dieser Glaube hat mich durch so manches tiefe Tal in meinem Leben getragen; und ich hoffe, dass er auch weiter trägt, wenn in meiner eigenen Kirche fast nur noch Einser- und Zweierkandidaten ohne Erfahrungen des Scheiterns in den Pfarrdienst gelassen werden.

Kirche ist nur zusammen mit Schwachen und Scheiternden ganz. Ich hoffe, dass diese Erkenntnis von Ulrich Bach so nachhaltig bei seinen Zuhörerinnen und Zuhörerinnen eingepflanzt wurde, dass sie eine dauerhafte Mahnung und Ermutigung bleiben wird.

Kirche ist nicht die Gemeinschaft der Perfekten, sondern die Gemeinschaft der von Gott geheiligten Sünder.

Ist es ein Widerspruch, wenn ich mir meinen theologischen Lehrer Ulrich Bach nun ohne Rollstuhl, ohne die Schwierigkeiten des Post-Polio-Syndroms verstelle, einfach nur geborgen und aufgerichtet in Gottes Gnade?

Jesu Botschaft begann mit der Predigt, dass Gott den Menschen ganz nahe sein will. Ulrich Bach ist nun ganz von Gottes Nähe umgeben und darin geborgen.

In diesem Trost fühle ich mich mit allen verbunden, die um Ulrich Bach trauern. Insbesondere seiner Familie, seiner Frau und seinen Kindern und Enkeln wünsche ich alles Gute

Bernd Kehren

Zwei Anmerkungen 2016: Beim Lesen dieses Artikels wird mir deutlich, wie sehr Papst Franziskus bereits seine Kirche verändert hat. Vor sieben Jahren hätte ich mir nicht vorstellen können, dass ein Papst sich derart von einem solchen Perfektionismus entfernen und sich auf diese Weise auch angreifbar machen kann.
Nach einem Besuch in Wittenberg und auf der Wartburg ist mir noch einmal an mehreren Bildern deutlich geworden, wie sehr und wie unerträglich Luther in Antijudaismus verstrickt gewesen ist. Sie ganz ganz schön weh tun, die Sünde, der von Gott geheiligten Sünder. Dazu gehört auch, was die Freunde von Ulrich Bach über die früheren Zustände in Einrichtungen der Diakonie dokumentieren (siehe den Link ganz unten in diesem Beitrag).   


Gläubige Gelassenheit

An Tobias werde ich noch sehr oft denken. Was mir an ihm auffiel, war seine Stimmungslage, ein Gemisch aus Besonnenheit und Heiterkeit. Tobias war von Geburt an schwer behindert, inzwischen ein Mann in mittleren Jahren. Wir sahen uns zwei-, dreimal die Woche. Wie oft haben wir ihn sagen hören: „Ja und?“

Als die Fußballmannschaft seiner Heimatstadt absteigen mußte, Tobias hielt den Kopf etwas schräg, schmunzelte und sagte: “Ja und?” Das konnte ich ja noch verstehen. Gewundert hat’s mich aber, als sein Rollstuhl plötzlich einen Platten hatte. Ich selbst beginne in solchem Falle leicht zu schimpfen. Tobias hielt den Kopf etwas schräg, schmunzelte und sagte: „Ja und?“

Nur als der Arzt ihm sagte, er habe nur noch Wochen zu leben, und als Tobias wieder sagte: „Ja und?“, da verstand ihn auch seine Mutter kaum noch: „Übertreibst du jetzt nicht, mein Junge?“ Aber Tobias sagte nur: „Hör mal, Mutter, hat Ostern denn nur mit Eiern zu tun – oder auch mit mir?“

Diesen Satz fand ich großartig, aber er machte mir Tobias ein bißchen fremd. Und das wurde erst anders, als seine Mutter mir erzählte – der Sohn war an einem Ostersonntag gestorben -, Tobias hätte fast nie von seiner Behinderung gesprochen. Nur einmal, da saßen sie beim Tee, und der Junge – ach, er war schon erwachsen -, der Junge stieß eine Tasse um. Da fing er an
zu weinen. Der Mann in mittleren Jahren fing wegen einer Tasse an zu weinen. Und er zischte vor sich hin: „Ich bin ein alter Krüppel.“
Wenn ich jetzt an Tobias denke, ist er mir nicht mehr fremd. Die Sache mit Ostern und die Sache mit der Tasse – das beides gehört eben zusammen. Tobias hatte Ziele, sehr hohe Ziele. Aber er war Mensch genug, zu wissen: Wir können unsere Ziele nicht immer fassen. An Tobias werde ich noch sehr oft denken.

aus: Ulrich Bach, Volmarsteiner Rasiertexte

 

Diese Geschichte von Ulrich Bach hat sicher dazu beigetragen, dass unser Jüngster den Namen “Tobias” bekommen hat. Ulrich Bach ist Sonntagabend, genau am Abend des 8. Geburtstages von “unserem” Tobias, verstorben.

Links:

Bestatterschelte?

Im Dezemberheft 2006 des Deutschen Pfarrerblattes erschien ein Artikel, der sich kritisch mit der zunehmenden Praxis eigener Trauerkapellen bei Bestattern befasst und fordert, christliche Feiern in solchen Räumen per Kirchenordnung zu untersagen.
Etwas peinlich: Ausgerechnet Aussegnungsfeiern am Sterbebett werden mit keinem Wort erwähnt.

Vereinnahmung und Vermarktung Kirchlicher Amtshandlungen?
Ein Beitrag zu (hinter-)fragwürdigen Entwicklungen in der Bestattungspraxis
Von: Ulrich Rottschäfer

Mich hat dieser Beitrag sehr geärgert. Niemand kopiert mehr seine Predigten auf dem Spiritusumdrucker, sondern nutzt einen modernen Laser- oder Tintenstrahldrucker. Die Trauerkapellen sind aber oftmals noch auf dem Stand von Spiritusumdruckern. Statt die Initiative der Bestatter aufzugreifen hört man auf seiten der Pfarrer immer noch zu oft eine m.E. unzulässige Bestatterschelte. So erschien im Januarheft der Pfarrerblattes unter der Überschrift “Bestatterschelte oder Selbstkritik” mein wütender Einwurf zu diesem Beitrag.

(Die Links oben sind im Prinzip richtig, aber sie funktionieren nicht immer. Dann hilft nur:

www.pfarrverband.de/
dort links auf Pfarrerblatt -> Archiv
Jahr: 2006
Monat: 12
Autor: Rottschäfer

und
Jahr: 2007
Monat: Januar
Autor: Kehren)

Zur Kritik an der Bibel in gerechter Sprache

Zur Kritik an der Bibel in gerechter Sprache

Wenn man sich die Kontroverse um die “Bibel in gerechter Sprache” anschaut, dann geht es vielen Kritikern schon lange nicht mehr um die Sache. Es geht um die Macht.

Zunächst ein Vergleich.

Meine Examenspredigt seinerzeit wurde vom ersten Prüfer mit “Sehr gut” und vom zweiten mit “Mangelhaft” bewertet. Während der erste Prüfer in seiner Stellungnahme der Reihe nach die Pluspunkte aufzählte, die ich in meiner Arbeit erreicht hatte, hatte sich der zweite Prüfer eine eigene Vorstellung von der Prüfungsarbeit gemacht, die offenbar mit meiner Vorstellung kaum Berührungspunkte hatte. Und so zählte er alle die Punkte auf, die ihm wichtig waren und die ich nicht erwähnt hatte.

Der erste Prüfertypus strebt keine Perfektion an. Eine sehr gute Arbeit muss nicht in allen Punkten perfekt sein, wenn sie denn in genügend anderen Punkten überdurchschnittlich ist. Der zweite Prüfertypus hingegen kann Defizite nicht hinnehmen, vor allem dann, wenn sie in Bereichen liegen, die ihm wichtig sind. Für Pluspunkte in weiteren Bereichen ist er blind. Er bewertet nicht die Prüfungsleistung an sich, sondern er bewertet seine eigene Leistung mit sehr gut. Die Prüfungsleistung wird dann nur nach nach den vorhandenen Übereinstimmungen durchsucht und benotet.

Die meisten Verrisse der Bibel in gerechter Sprache entsprechen dem zweiten Prüfertypus. Sowohl in seiner Selbstgerechtigkeit als auch in seiner Unfähigkeit, eine zweifellos vorhandene Leistung differenziert anzuerkennen.

Liest man die bekannten Verrisse, gewinnt man den Eindruck, bei den Übersetzerinnen und Übersetzern der Bibel in gerechter Sprache müsse es sich um eine Horde durchgeknallter Feministinnen handeln, die von Theologie im Allgemeinen und von Griechisch, Aramäisch und Hebräisch im Besonderen keinerlei Ahnung haben. Die Übersetzerinnen seien vor allem einem feministischen Sprachwahn verfallen, sie hätten blindwütend sowohl bei Pharisäern als auch bei Gott selbst einfach die weiblichen Formen hinzugefügt, um einer vermeintlichen Political Correctness zu genügen.

Schaut man sich dann die Liste der Übersetzerinnen und Übersetzer genauer an, dann entdeckt man dabei hochrangige Fachexegetinnen und -exegeten, die sehr wohl über die entsprechenden Sprach- und Sachkenntnisse verfügung.

Warum wird dann die Übersetzung so abgekanzelt, als handele es sich um eine schlechte Proseminararbeit von Erstsemstern? Selbst bei Erstsemestern wäre dieses Abkanzeln stillos.

Schaut man sich die Bibel in gerechter Sprache noch genauer an, dann entdeckt man Überraschendes.

Wichtiges und leitendes Kriterium des Übersetzerteams ist die Gerechtigkeit in mehreren Bereichen. Der erste Bereich ist ausdrücklich die Gerechtigkeit gegenüber den griechischen, hebräischen und aramäischen Ausgangstexten. Schauen Sie sich bitte einmal die verschiedenen Rezensionen an, ob dieser Bereich erwähnt wird. In den Verrissen wird dieser Bereich immer unterschlagen.

Weitere wichtige Bereiche sind dann Gerechtigkeit im Blick auf die Geschlechter und im Blick auf den jüdisch-christlichen Dialog. Ich weiß noch, wie auf dem Kirchentag im geteilten Berlin Vertreterinnen der feministischen Theologie ein Schuldbekenntnis ablegten, weil sie antijudaistische Stereotypen verbreitet hatten. Sie hatten sich auf traditionelle christliche Darstellungen des Judentums in den Darstellungen der theologischen Lehrer des 20. Jahrhunderts verlassen – und dabei Schiffbruch erlitten. Inzwischen haben sie diese beiden Bereiche gründlich aufgearbeitet. Nur ist dies leider der Mehrzahl der Kritikerinnen völlig egal. Da wird nicht gefragt: Wie kommt ihr denn dazu. Stattdessen wird letztlich behauptet: Alles Schwachsinn in dieser Bibel.

Und das führt mich zu meiner Entdeckung: Es geht überhaupt nicht um die Bibel in gerechter Sprache. Es geht stattdessen um die Macht. Es geht um die Macht, mit irgendwelchen Scheinargumenten sowohl dem Bemühen um jüdisch-christliches Gespräch als auch dem Bemühen um Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche einen Riegel vorzuschieben.

Völlig vergessen wurde, dass 1999 mit dem neuen Gottesdienstbuch eine Agende in den lutherischen und unierten Landeskirchen verabschiedet wurde, die sich ausdrücklich den jüdisch-christlichen Dialog, die Geschlechtergerechtigkeit und die Vermittlung von Tradition und Modernisierung in der Sprache auf die Fahnen geschrieben hatte. Jetzt kommt der Rollback. Man ist dagegen, und damit basta.

Im Einzelnen sind viele der vorgetragenen Argumente blamabel.

So fragt man sich, warum Pfarrerinnen und Pfarrer die alten Sprachen lernen mussten, wo doch offenbar der Wortlaut der Lutherbibel in der Kirche völlig ausreicht.

So fragt man sich weiter, ob man in einer katholischen Kirche seinen Dienst tut, in der einem immer wieder von oben durch die Glaubenskongregation der rechtet Weg vorgegeben wird oder in der evangelischen lebt und arbeitet, in der doch die Gemeinde die Aufgabe hat, die Lehre zu beurteilen. Welche Bibelübersetzung hat eine zweijährige Praxiserprobung hinter sich, in der zahlreiche Gemeindegruppen die Texte gelesen und diskutiert haben? Welches Übersetzerinnenteam hat sich jemals einer solchen Prozedur ausgesetzt?

Blamabel ist, wie Versäumnisse der Kirche nun dem Übersetzerinnenteam angelastet werden. Welches Gemeindeglied weiß darum, dass Gott in der Bibel einen Namen hat, der aber schon zur Zeit Jesu in der Gebetsanrede und im Reden über Gott durch andere Begriffe ersetzt wurde? Und wer kennt diese Ersetzungen in den alten Sprachen und in der deutschen Übersetzung? Warum sind das nur so wenige? Wem ist dieses Versäumnis anzulasten?

Stattdessen wird dem Übersetzerinnenteam vorgeworfen, es würde nun die unmündige Gemeinde verunsichern, wenn sie mit unbekannten Gottesbezeichnungen verwirrt wird.

Nur nicht an den alten Fehlern rütteln! Nur nicht auffallen! Nur nicht das eigene Versagen zugeben. Da soll lieber alles so bleiben, wie es ist! Denn hier geht es um die Macht. Um die Macht, die eigenen Fehler der Vergangenheit zu bestreiten. Um die Macht, diese Fehler auch in Zukunft begehen zu dürfen. Um die Macht, jene lächerlich zu machen und in der Kirche zu diskreditieren, die den Finger in die Wunde legen. Um die Macht, jenen die Tür vor der Nase zuzuschlagen, die die Tür des Dialogs über die Übersetzung und über Fehler darin ausdrücklich geöffnet haben. Die Bibel in gerechter Sprache hat eben nicht den Anspruch, perfekt zu sein und keine Fehler gemacht zu haben. Das Übersetzerinnenteam lädt ausdrücklich zur Diskussion ein und zeigt die Bereitschaft, sich durch Sachargumente überzeugen zu lassen.

Gerade dadurch, wie radikal das Gespräch beendet und das Projekt der Bibel in gerechter Sprache für gescheitert erklärt wird, zeigt sich die Ausübung und der Missbraucht von Macht. Und gerade damit wird deutlich, wie wichtig ein Projekt ist, dass sich der Gerechtigkeit verschrieben hat.

Wie oft konnte man lesen, dass man die Lutherbibel davor bewahren müsse, dass sie von der Bibel in gerechter Sprache verdrängt. Sonst kennt man diese Stilfigur vor allen aus der (schlechten) Politik: Man distanziert sich auf das Heftigste von einer Position, die der politische Gegner niemals vertreten hat. Mehr als einmal hat das Herausgeberteam betont, dass die Lutherbibel nicht ersetzt werden solle. Warum dann die stereotype Verlautbarung in kirchenleitenden Gremien, dass allein die Lutherbibel im liturgischen Gebrauch maßgeblich bleibe?

Antwort: Es geht um die Macht. Diese Gremien (Rat der EKD und die Bischöfe der VELKD) und viele andere hätten ja durchaus festellen können, dass die Lutherbibel ihren bleiben Wert behalten wird, und dass man dennoch das Bemühen um eine Bibel zu würdigen weiß, die sich dem ursprünglichen Sinn der Worte der biblischen Schriften und ihre Übersetzung in heutige Sprache verpflichtet weiß und darüber hinaus auch die Erkenntnisse des jüdisch-christlichen Gesprächs und des Ringens um Geschlechtergerechtigkeit umsetzen möchte. Warum haben sie sich nicht auf solche Art und Weise geäußert? Diese leitenden Gremien sind doch sonst so geschult, öffentliche Erklärungen ausgewogen und differenziert zu formulieren, ohne Betroffenen zu sehr auf die Füße zu treten. Warum formulieren sie ihre Stellungnahmen zu dieser Übersetzung mit dem Holzhammer? Es bleibt nur eine wirkliche Erklärung: Es geht um die Macht.

Hat man noch 1999 im neuen Gottesdienstbuch im Blick auf die Liturgie und den Gottesdienst festgehalten, die Sprache dürfe niemanden ausgrenzen, so wird dies nun als moderne Vorstellung diffamiert, die das Verständnis der biblischen Texte erschwere.

Es ist beschämend zu sehen, wie die kirchliche Kritik und protestantische Publizistik mit gestandenen und weltweit anerkannten Theologinnen und Theologen umspringt, als wären es dumme Schuljungen und durchgeknallte Feministinnen, die sich einen ideologischen Abiturstreich geleistet haben. Es ist beschämend, wie viele blinde Verdächtigungen und Vermutungen und Gerüchte gegen die Bibel in gerechter Sprache verbreitet werden, die mit dieser Übersetzung nicht das geringste zu tun haben. Soll das ein Vorzeichen für die protestantische Diskussionskultur sein, wenn demnächst bei knapper werdenden finanziellen Mitteln über Kürzungen in den Kirchen diskutiert werden muss? Wenn schon in theologischen Fragen eine derartige Unsachlichkeit Platz ergreift, wie muss es dann aussehen, wenn es um kirchenpolitische Sachfragen geht?

Selber gehöre ich zum theologischen rheinischen Nachwuchs, der aus finanziellen Gründen mit großer Wahrscheinlichkeit keine Pfarrstelle mehr in seiner Landeskirche bekommen wird. Es ist bitter zu sehen, mit welcher theologischen Unkenntnis TheologInnen im Amt und in höchsten Ämtern sich zu öffentlichen Verrissen hinreißen lassen. Dass dies vielen Protestanten nicht auffällt, macht deutlich, wieviel Nachholbedarf in puncto Theologie in der Kirche besteht, in der doch die Gemeinde das Recht und die Pflicht hat, die Lehre ihrer Pfarrerinnen und Pfarrer zu beurteilen. Meine eigene Landeskirche ist glücklicherweise mit sehr gemäßigter und besonnener Kritik aufgefallen. Das ist der Punkt, an dem man seine eigene Landeskirche bei allen gegenwärtigen Problemen schätzen lernt.

Wenn jedenfalls die Auseinandersetzung mit der Bibel in gerechter Sprache dazu beiträgt, den theologischen Nachholbedarf deutlich zu machen und in der gemeindlichen Diskussion aufzuarbeiten, dann hat sich diese Übersetzung  gelohnt.

Allerdings würde dies die Bereitschaft voraussetzen, auf Macht zu verzichten und die ausgestreckte Hand zur Diskussion doch noch zu ergreifen. Mut macht die politische Erfahrung der letzten Jahrzehnte, dass auch die reine Macht die Diskussion nicht verhindern kann. Mut macht die Herrschaftskritik der Bibel, die die Geringen gegenüber den Mächtigen aufwertet. Es geht eben doch um Gerechtigkeit vor Gott. Ich freue mich darauf.

Bernd Kehren

Kleine Zitate über die Rheinische Mission

Zum Thema: Mission und Sklaverei

Die erste Rheinische Missionsstation wurde 1830 etwa 300 km nördlich von Kapstadt gegründet. Leipold und Wurmb, zwei der vier ersten Missionare der Rheinischen Mission kauften eine Farm und gaben ihr den Namen Wupperthal. Sie wurden keineswegs nur freudig begrüßt. Am 26.12.1829 schreibt Leipold in sein Tagebuch:

„Beinahe alle Bauern hier in der Umgebung sind gewaltig gegen die Mission, denn sie wissen, kommen Missionare in ihre Nähe, so werden diese (die Farbigen) bald klüger wie sie, und lassen sich nicht mehr unterdrücken und betrügen. Früher, auf manchen Flecken auch jetzt, haben Bauern schrecklich mit diesen armen Leuten gehandelt…“

Schule und Unterricht waren wichtige Elemente der Mission, außerdem die ärztliche Versorgung durch die Missionsstationen.

Die Sklaverei wurde in Südafrika 1838 offiziell abgeschafft. Mission hat auf ihre Weise dazu beigetragen.

Das Zitat stammt aus: Gustav Menzel, Die Rheinische Mission, Wuppertal 1978, S. 55f.

 

Zum Thema: keine Conquesta

Mit der brutalen Eroberung Lateinamerikas ab 1492 durch die spanischen Könige auf den Eroberungsfahrten von Hernán Cortés und Pedro de Valdivia hatte diese spätere Mission durch die pietistisch geprägten Missionsvereine nichts zu tun. Sie begann etwa 1705 durch August-Hermann Francke oder 1731 durch Zindendorfs Brüdergemeine und bekam einen neuen Schub Anfang des 19. Jahrhunderts nach den Berichten von Seefahrern wie Captain Cook.

Waren ihre Missionare teilweise auch kleine Patriarchen, so suchten sie die Nähe zu den Menschen, die sie bekehren wollten. Sie lebten beinahe mönchisch wie in Armut, Keuschheit und Gehorsam, predigten und evangelisierten, bauten Schulen und betrieben Sprach- und Völkerstudien. Massentaufen waren nicht erstrebt. Erste Taufen ergaben sich in der Regel erst ganz vereinzelt und nach Jahren.

1795 wurde die „London Mission Society“ gegründet. Aufgrund von Berichten in Elberfeld und Barmen entstand 1828 die Rheinische Missionsgesellschaft.

 

Zum Thema: Mission und Kolonialismus

Einer der Missionare der Rheinischen Mission war Fabri. Engagiert auch in die soziale Frage, sah er die Lösung der Probleme von Bevölkerungswachstum und Verelendung in Deutschland in einer gelenkten Auswanderung. 1879 erschien seine Broschüre „Bedarf Deutschland der Kolonien?” Die Rheinische Mission beklagte sein Engagement als Kolonialpolitiker, weil er sich nicht seinen missionarischen Aufgaben genügend widmete. „Als die Landnahme in Südwest erfolgt war, hat man sich davon in dem von immerwährenden Kämpfen beunruhigten Gebiet eine in ordentlichen Bahnen verlaufende Missionstätigkeit versprochen. So ist die gesamt Rheinische Mission wie ihr leitender Inspektor nicht freizusprechen von der Mitbeteiligung an der Okkupierung und Unterwerfung afrikanischer wie übrigens auch asiatischer Länder und Völker.“

Dies gilt auch trotz der Kritik am Kolonialismus. In einem Brief an die Nama-Konferenz (etwa im heutigen Namibia) heißt es: „Eure Aufgabe ist es, Christum zu predigen und die Seele Eures Volkes zu retten; jene aber wollen sich selbst bereichern, wollen Handel, Gewerbe, Industrie, unbekümmert, ob das Volk darüber zugrunde geht. Noch nirgends ist in der Heidenwelt eine europäische Kolonie entstanden ohne die schwersten Ungerechtigkeiten. Portugiesen und Spanier, Holländer und Engländer haben darin ziemlich gleichen Schritt gehalten. Die Deutschen werden es schwerlich viel besser machen, und ihr werdet die Aufgabe haben, Euer Volk vor Misshandlungen und Vergewaltigung der Weißen zu schützen, solange ihr könnt.“

Vgl.: Gustav Menzel, Die Rheinische Mission, Wuppertal 1978, S. 78f.

Die Auswirkungen des Handels im Allgemeinen waren eher negativ. Die Händler tauschten gerne Alkohol gegen Waren der Einheimischen. Um diese Folgen ein wenig abzuschwächen, begannen die rheinischen Missionare, selbst einen kleinen Handel zu betreiben. Fabri sieht die Gefahren der Vermischung zwischen Mission und Handel und regt deswegen die Gründung der „Missions-Handels-Aktien-Gesellschaft zu Barmen“ (1869) an. Nach anfänglichen wirtschaftlichen Erfolgen kommen Verluste und Konkurs. Als Ursache wird nicht nur die Konkurrenz verschiedener Handelsgesellschaften um Produkte wie Straußenfedern und Elfenbein genannt, sondern vor allem die Ausrottung der Tiere selbst. „Alles, was auf die Beine zu bringen war, zog aus auf die Jagd. Da wurde totgeschlagen und totgeschossen alles, was zu erreichen war, männlich und weiblich. Von Schonung des Nachwuchses war keine Rede. Die Folge war, dass in der Nähe bald nichts Jagdbares mehr zu finden war.“ Man versuchte zwar, z.B. die ungeheuren Rinderherden der Ova-Herero zu verwerten, scheiterte aber an den enormen Verlusten beim Viehtrieb.

Vgl.: Gustav Menzel, Die Rheinische Mission, Wuppertal 1978, S. 86f.

Nach 1884 war auch Deutschland Kolonialmacht. Die Rheinische Mission versuchte, sich dagegen deutlich abzugrenzen. Der damalige Leiter August Schreiber:
„Die Kolonisation dient zur Ausbreitung der Macht und es Ansehens unseres lieben deutschen Vaterlandes, die Mission dagegen will dienen zur Ausbreitung des Reiches und der Ehre unseres himmlischen Königs, Jesus Christus. So wolle man auch hier nicht verschiedenartige Dinge durcheinandermischen oder miteinander verwechseln; es wird beiden zugute kommen, wenn man sie reinlich und deutlich auseinander hält, denn die Geschichte kann uns lehren, dass noch niemals gute Resultate dabei herausgekommen sind, wenn die Missionare Kolonien gründeten, noch wenn die Kolonialmacht missionierte.“
In diesem Zusammenhang wurde auch von „dem unaustilgbaren Triebe des Christentums, die Religion der ganzen Menschheit zu werden“, gesprochen.

Das Miteinander von Mission und Kolonisation ist damit aber nicht ausgeschlossen. Allerdings muss die Mission unbeliebte Forderungen stellen, etwa nach der Einschränkung oder besser Abschaffung des Branntweinhandels und nach der Anerkennung der „Rechte der Eingeborenen“.
Schreiber: „Es ist gut, wenn die Missionare von Anfang an mit dabei sind, und wenn man ihnen, so oft sie für die Rechte der Eingeborenen eintreten, an maßgebender Stelle auch willig Gehör schenkt“.
An anderer Stelle schreibt er: „Es liegt auf der Hand wie viel auch unseren Missionaren und uns im eigenen Interesse daran liegen muss, dass diese Respektierung der Rechte der Eingeborenen und ihre gerechte billige Behandlung allezeit und nicht nur im Anfang beobachtet werden, denn sonst könnte die deutsche Kolonisation nur allzubald ein ganz gewaltiges Hindernis für die Missionsarbeit werden, wenn nämlich den Herero und Namaqua eben dasselbe begegnen sollte, was schon so manchem Heidenvolke begegnet ist, dass sie nämlich das Evangelium aus der Hand desselben Volkes hinnehmen sollen, das ihnen die Freiheit geraubt, sie unterdrückt hat“. Die Annektierung als solche wird aber nicht als Widerspruch zum Recht der Einheimischen gesehen. Es gehe ihnen in vielen Kolonien besser als je zuvor; sie hätten „ihren Herrschern unendlich viel zu verdanken“. „Aber leider wird solches fast nie von den unterworfenen (!) Völkern anerkannt“. Als „Unterdrückung“ wird die Herrschaft fast nie bezeichnet – obwohl sie es faktisch ist.

Vgl.: Gustav Menzel, Die Rheinische Mission, Wuppertal 1978, S. 218ff.

Gedankt hat man dies der Rheinischen Mission nicht. Als 1904 der Herero-Aufstand gegen die totale Besitzergreifung durch die Weißen erfolgte, erfolgten in der deutschen Presse üble Angriffe gegenüber der Missionsgesellschaft, die für diese „Bestien“, „Paviane“, „Ungeziefer“, “Raubgesindel und Mörder“ eintreten. „Die Mission besitzt noch die Unverfrorenheit, für das farbige Gesindel einzutreten“, heißt es in einer Zeitschrift des „Kolonialbundes“. Aber selbst bei Angriffen durch die Regierung „hinterfragte auch die Rheinische Mission nicht das Recht der Besitzergreifung durch das deutsche Reich. Innerhalb dieser Grenzen lag ihr Verdienst, wehrte sie sich gegen die Ausbeutung und reine Nutznießung der Kolonien auf Kosten der Einheimischen.“
Weiter ging hingegen „August Bebel, Sprecher der Sozialdemokratie im Reichstag, der in seiner Reichstagsrede vom 30.1.1905 mit der gesamten deutschen Kolonialpolitik abrechnet: ‚Das Recht zum Aufstand, das Recht zur Revolution hat jedes Volk und jede Völkerschaft, die sich in ihren Menschenrechten aufs alleräußerste bedroht fühlt. Wenn schließlich nach all diesen Taten, die ich hier vorgetragen habe, schließlich der Aufstand der Herero ausbrach, so ist das nur die natürliche Folge unserer Kolonialpolitik, des Verhaltens der Ansiedler, kurz, der ganzen Tätigkeit, die von uns in Südwestafrika ausgeübt wurden ist‘.“
Warum nur konnte die Kirche nicht so deutliche Worte finden?

Vgl.: Gustav Menzel, Die Rheinische Mission, Wuppertal 1978, S. 241ff.

 

Zum Thema: Mission und Konfession

Die Missionare wurden geradezu ordensähnlich verpflichtet. Heirat war nur mit Genehmigung des Missionsleitung erlaubt. Wohlstand der Missionare galt als schädlich für sie selbst, und es würde schlechten Eindruck auf die Heiden machen. Wer eigenmächtig handelte oder sich den Anordnungen widersetzte, wurde abberufen.
Keine Rolle sollten aber die Konfessionen für die Mission spielen. „Es kann mithin die Absicht unserer Missions-Gesellschaft nicht sein, für eine besondere Confession zu werben, oder deren Unterscheidungs-Lehren geltend zu machen, sondern Christo Seelen zu gewinnen. Der geschichtliche Gang, den die Kirche Christi in Europa durchzugehen hatte, dass sie durch eine Reinigung der Lehre in der Reformation die Fesseln des Irrtums und der Menschenlehre brechen musste, ist insofern für die dortigen Brüder aus den Heiden von geringerer Bedeutung, dass sie denselben nicht nicht notwendig abermals durchzugehen haben, sondern sich unmittelbarer auf die apostolische Kirche, ihre Lehre und ihre erste Einrichtung gründen können.“

Vgl.: Gustav Menzel, Die Rheinische Mission, Wuppertal 1978, S. 97-99.

 

Zum Thema: Schuldbekenntnis nach 1945

Es ließe sich viel Positives über die Rheinische Mission während der Herrschaft des Nationalsozialismus in Deutschland sagen. Die Missionsgesellschaft hatte sich der Bekennenden Kirche angeschlossen, die auch gegen das Verbot der Nazis die Prüfungen der Missionare abnahm und heimlich die Kirchliche Hochschule beherbergte.

„Aber mit dem allen sind wir nicht gerechtfertigt. Wir haben uns vor diesen Gewalten gebeugt und waren zu taktischen Erwägungen, zu Verhandlungen und Kompromissen oft bereit. … Sind wir nicht daran mitschuldig geworden, dass das Gift einer gottlosen politischen Weltanschauung und Machtausübung in die anderen Völker eindrang und sie in ihrem eigenen Nationalismus bestärkte?“

Vorher hatte es in der Erklärung der Leitung (damals „Deputation“ genannt) von 1947 über das politische Verhalten der Missionsarbeiter geheißen:

„Dass wir nicht allein an unserm Christus gehangen haben, nicht allein im Wort Gottes Weisung für unser Handeln gesucht haben, nicht gehorsam genug ihm gefolgt sind, nicht ernstlich genug gebetet, nicht gehorsam genug Ihm gefolgt sind, nicht ernstlich genug gebetet, und nicht getrost die Königsherrschaft Jesu bekannt haben, das ist unsere Schuld. Aus dieser geistlichen Schuld erwuchs alle andere Schuld: unsere politischen Träume und Verblendungen, unsere Angreifbarkeit gegenüber politischer Propaganda, Überredung und Bedrohung, unsere falschen Entscheidungen und halbherzigen Handlungen. Darum leben wir nun mit unserem Volk und anderen Völkern am Rande der Verzweiflung“.

Vgl.: Gustav Menzel, Die Rheinische Mission, Wuppertal 1978, S. 123f.

 

Zum Thema: Missionare und ihre Frauen und Kinder

Die Missionsleitung „hat es den Missionaren nicht leicht gemacht, wenn sie forderte, dass die Brautwahl erst nach bestandenem Examen erfolgen dürfe. In den meisten Fällen mussten die Missionare unverheiratet hinausgehen. Dass die Bitte von draußen um Heiratserlaubnis oder Vermittlung einer Braut nach der gesetzten Frist von mindestens zwei Jahren wunschgemäß erfüllt wurde, war keineswegs eine Selbstverständlichkeit.“ Noch in den Dreißiger Jahren ist es für die Missionsleitung ganz selbstverständlich, „eine Art elterlicher Genehmigung der Brautwahl“ zu beanspruchen.

„Die strenge Durchführung dieses Prinzips traf – mag eine spätere Generation die Starrheit auch gelegentlich verwundern und erschrecken – Menschen, die bereit waren, ihren Weg in Demut und beinahe willenlosem Gehorsam zu gehen.“

Die Arbeit, die ihre Frauen dann leisten sollten, war immens und überstieg teilweise das, was „menschlich zumutbar“ war. Erfahren hat man davon aber weniger direkt sondern vor allem indirekt über die reichhaltigen Erzählungen darüber, was die Missionare alles auszuhalten hatten. Besonders hart war für die Eltern die Trennung von den Kindern, die im Schulalter zur Erziehung nach Deutschland geschickt wurden. 1856 wurde neben dem Missionshaus in Wuppertal deswegen ein eigenes Kinderheim eingeweiht. Gemeint sind aber vor allem die Missionarssöhne: „Die Töchter sind standesgemäß erzogen, wenn sie die Bildung ihrer Mutter bekommen haben, d.h. also nächst der Bildung, welche der heilige Geist gibt, Lesen, Schreiben, Rechnen, die elementaren Kenntnisse der Geschichts-, Erd- und Naturkunde, Fertigkeit im Gesang, um nötigenfalls die Hausandacht leiten zu können, Geschick in weiblicher Arbeit und in der Führung der Wirtschaft.“ Die Söhne hingegen bekommen bei entsprechender Eignung ein der Missionarsausbildung entsprechendes Studium am Missionshaus. Ab 1874 erfolgte die Ausbildung am evangelischen Gymnasium in Gütersloh. Weitere Heime gab es zeitweilig in Moers und Bad Kreuznach. Später wurde den Töchtern die Ausbildung zu Volksschullehrerinnen ermöglicht.

Heute kann man dies nur noch aus der historischen Situation verstehen. Heute ist Mission „ganz anders“.

Vgl.: Gustav Menzel, Die Rheinische Mission, Wuppertal 1978, S. 129ff.

 

Zum Thema: Mission und Medizin

Innerhalb der Mission blieben die Missionsärzte eine kleine Gruppe, verhalfen aber zu einem umfassenderen Missionsverständnis.
„Krankenheilen könne niemals Selbstzweck, sondern nur ein Mittel zum Zweck sein“.

„Dr. Olpp, lange Jahre Missionsarzt in China, sagte z.B. 25 Jahre später: ‚Im Gegensatz zu der Auffassung des 19. Jahrhunderts sind wir also der Ansicht, dass der Missionsarzt in erster Linie ein guter Fachmann sein soll, und dass seine Tätigkeit im Dienste unsers Herrn und Meisters wie die der Schultätigkeit nur ein Wegbereiter für das Evangelium, eine Hilfswaffe im Kampf um die Ausbreitung des Christentums, allerdings eine Hilfswaffe von nicht zu unterschätzender Bedeutung, besonders in mohammedanischen Ländern, ist.'“

1922 sprach ein Missionsarzt von einem Auftrag, den Jesus gegeben habe, „die Kranken gesund zu machen“. „So hat denn auch die christliche Mission von alters her die Pflege der Kranken als eine ihrer wichtigsten Pflichten erkannt, und auch heutigen Tages lässt sich die Fürsorge für die Kranken und Elenden gar nicht von der Predigt des Missionars, von der Verkündigung der frohen Botschaft trennen.“

Vgl.: Gustav Menzel, Die Rheinische Mission, Wuppertal 1978, S. 155ff.

 

Zum Thema: „Mission ist ganz anders“

Nach dem zweiten Weltkrieg setzte eine Entwicklung in der Weltmission ein, die auch in der Rheinischen Mission Veränderungen zur Folge hatte.
Die Begriffe „Missionsfeld“, „Missionar“, „Mission“ wurden mit einem Fragezeichen versehen. Das neue Stichwort hieß „Partnerschaft“.

Es kam zu Kirchengründungen bei den Missionskirchen.

1973 wurde z.B. mit den Kirchen in Indonesien und Deutschland, die der VEM verbunden sind, ausgedrückt, dass „Mündige Partnerschaft“ u.a. geprägt ist von

  • gegenseitiger Abhängigkeit mit gegenseitigem Geben und Nehmen, gegenseitigem Helfen von zwei unabhängigen Partnern
  • beiderseitiger Teilhabe an gemeinsamen Aufgaben
  • Gleichberechtigung der Partner

Nach der Weltmissionskonferenz von Mexico City (1963) wurde von „Mission in sechs Kontinenten“ gesprochen, damit kam ansatzweise auch wieder der Gedanke in den Blick, dass die Missionsgesellschaft auch im eigenen Land eine Aufgabe haben könne.
Weil Kirchen das Angebot des Missionsseminars nicht nutzen wollten und weil die Partnerkirchen nicht mehr lebenslange Missionare, sondern ökumenische Mitarbeiter und Spezialisten auf Zeit brauchten, wurde das Seminar 1970 geschlossen.

Theologisch wurde die organisatorische Trennung von Kirche und Mission fragwürdig. 1955: „Der Platz der Mission ist nicht neben, sondern in der Kirche. Ihre Aufgabe ist Aufgabe der ganzen Kirche. Ihre Verantwortung die Verantwortung der kirchlichen Leitungsorgane in den Gemeinden und Synoden…“ (Menzel, 387) Dies wurde von der rheinischen Landessynode 1955 bestätigt.

1962 wurde die Satzung der Rheinischen Mission so geändert, dass die der Rheinischen Mission verbundenen Kirchen Vertreter in die Missionsleitung entsandten. In diesem Zusammenhang ist auch die Vereinigung mit der Bethel-Mission der westfälischen Kirche zu sehen.

 

Zum Thema: Das Selbstverständnis der Rheinischen Mission

1967 führten verschiedene Beratungen zu einem Brief der Missionsleitung, in dem das Selbstverständnis der Rheinischen Mission dargestellt wurde. Nach einem Bekenntnis zum Auftrag, das Evangelium auf der Grundlage der Heiligen Schrift gemäß der Auslegung durch die reformatorischen Bekenntnisse und die Theologischen Erklärung von Barmen zu verkündigen, wird auf das Thema der Weltmissionskonferenz von Mexico City „Mission in 6 Kontinenten“ von 1963 Bezug genommen.Â

„Mission ist nicht der Dienst der Besitzenden an den Habenichtsen, den ‚armen Heiden‘. Vielmehr ist Mission so zu beschreiben, dass ein Bettler dem anderen sagt, wo es Brot gibt. Dies ist nicht nur geistlich zu verstehen. … Die missio dei, die Gottessendung, meint den ganzen Menschen, Wortzeugnis ohne das liebende Handeln am Nächsten wird steril und unglaubwürdig. Helfender Dienst ohne das Zeugnis des Wortes wird zum bloßen humanen Handeln ohne Hinweis darauf, dass das eben mehr ist als die Speise, ohne Hinweis auf den, der das Brot des Lebens ist. … Unsere Versuchung besteht darin, dass wir Projekte statt Zeugnis bieten. …
Wenn wir Partnerschaft sagen, haben wir die Mission im ökumenischen Zeitalter vor Augen. Die Partnerschaft bedeutet ökumenisches Handeln in seiner ganzen Breite. Das heißt, dass wir uns heute für Konfessionen und Kirchen öffnen, die wir bisher nicht im Blick hatten, dass wir uns in bewusster Solidarität in die Andersartigkeit des ökumenischen Partners hineinversetzen und an seinem Reichtum teilhaben.“
Das Schreiben ist unterzeichnet von Präses Schlingensiepen und Direktor Menzel im Juni 1967.

Eine Gegenbewegung fand sich seit der „Bekenntniskundgebung“ 1966 in Dortmund unter der Losung „Kein anderes Evangelium“ in der „Frankfurter Erklärung“: Sieben Thesen sollten zur Diskussion gestellt werden – durch den Aufruf zur massenhaften Unterzeichnung wurde die Diskussion jedoch von vorneherein abgewürgt und eine Scheidung herbeigeführt – obwohl weithin eine kritische Zustimmung möglich gewesen wäre.

vgl.: Gustav Menzel, Die Rheinische Mission, Wuppertal 1978, S. 389 ff.

 

Zum Thema:
Vereinte Evangelische Mission (VEM)
Gemeinschaft von Kirchen in drei Erdteilen

Die Vereinte Evangelische Mission (VEM) / United Evangelical Mission (UEM) ist eine internationale Missionsgemeinschaft mit Sitz in Wuppertal. Ihr gehören gegenwärtig 33 Kirchen in Afrika, Asien und Deutschland an.

Vorausgegangen war 1971 der Zusammenschluss der Rheinischen Mission und der Bethel-Mission zu einem regionalen Missionswerk mit dem Namen „Vereinigte Evangelische Mission“ (VEM), 1979 kam die Zaire-Mission hinzu.

1996 wurde die VEM bei einer Vollversammlung aller Mitgliedskirchen in Bethel von einem deutschen Missionswerk in eine internationale Missionsgemeinschaft umgewandelt und heißt seitdem Vereinte Evangelische Mission (VEM). 
Gemeinschaft von Kirchen in drei Erdteilen
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Darin wird auch organisatorisch deutlich, dass Mission auf Gegenseitigkeit beruht, auf einem gegenseitigen gemeinschaftlichen Geben und Nehmen, auf Teilen von Verantwortung und Gaben der Kirchen, die sich in der VEM / UEM zusammengeschlossen haben.

„Die United Evangelical Mission/Vereinte Evangelische Mission arbeitet in einem Netz von Kirchen aus Afrika, Asien und Europa und wo immer sie zum Dienst berufen wird.

Gemeinsam verkündigen sie Jesus Christus als Herrn und Heiland aller Menschen und stellen sich den gegenwärtigen missionarischen Herausforderungen.

In einer zerrissenen Welt wollen sie Glieder des einen Leibes Christi bleiben und darum

  • zu einer anbetenden, lernenden und dienenden Gemeinschaft zusammenwachsen,
  • Gaben, Einsichten und Verantwortung teilen,
  • alle Menschen zu Umkehr und neuem Leben rufen,
  • im Eintreten für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung das Reich Gottes bauen.“

(aus der Satzung der VEM)

Stand: 09.03.2000

Weitere Informationen:

Ein Fremder

Gottesdienst in der deutschen Gemeinde
18. Oktober 1998, Thessaloniki
P.Pat.Germanou 13
11.00 Uhr
Predigt: Bernd Kehren,
LektorInnen: Silke G., Martin H.

Organist Vorspiel

Vikar – Begrüßung und Vorstellung

  • Vikarsgruppe des Regionalseminar Moers der Evangelischen Kirche im Rheinland auf Studienfahrt, 11 Vikarinnen und Vikare
  • Freude, den Gottesdienst gemeinsam mit den Mitgliedern der Gemeinde in Thessaloniki feiern zu können
  • Abendmahl

Vikar
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Gemeinde
Amen.
Vikar
Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn,
Gemeinde
der Himmel und Erde gemacht hat.

Lektorin
(Psalm 96,1-3.9-13 = EG 738)
Singet dem HERRN ein neues Lied;
singet dem HERRN, alle Welt!
Singet dem HERRN und lobet seinen Namen,
verkündet von Tag zu Tag sein Heil!
Erzählet unter den Heiden von seiner Herrlichkeit,
unter allen Völkern von seinen Wundern!
Betet an den HERRN in heiligem Schmuck;
es fürchte ihn alle Welt!
Sagt unter den Heiden: Der HERR ist König.
Er hat den Erdkreis gegründet, dass er nicht wankt.
Er richtet die Völker recht.
Der Himmel freue sich, und die Erde sei fröhlich,
das Meer brause und was darinnen ist;
das Feld sei fröhlich und alles, was darauf ist;
es sollen jauchzen alle Bäume im Walde
vor dem HERRN; denn er kommt,
denn er kommt, zu richten das Erdreich.
Er wird den Erdkreis richten mit Gerechtigkeit
und die Völker mit seiner Wahrheit.

Gemeinde
[EG 577,1-3.6] Kommt herbei

1. V Kommt herbei, singt dem Herrn,
ruft ihm zu, der uns befreit.
A Kommt herbei, singt dem Herrn,
ruft ihm zu, der uns befreit.
V Singend lasst uns vor ihn treten,
mehr als Worte sagt ein Lied.
A Singend lasst uns vor ihn treten,
mehr als Worte sagt ein Lied.

2. Er ist Gott, Gott für uns,
er allein ist letzter Halt.
Er ist Gott, Gott für uns,
er allein ist letzter Halt.
Überall ist er und nirgends,
Höhen, Tiefen, sie sind sein.
Überall ist er und nirgends,
Höhen, Tiefen, sie sind sein.

3. Ja, er heißt: Gott für uns;
wir die Menschen, die er liebt.
Ja, er heißt: Gott für uns;
wir die Menschen, die er liebt.
Darum können wir ihm folgen,
können wir sein Wort verstehn.
Darum können wir ihm folgen,
können wir sein Wort verstehn.

6. Menschen, kommt, singt dem Herrn,
ruft ihm zu, der uns befreit.
Menschen, kommt, singt dem Herrn,
ruft ihm zu, der uns befreit.
Singend lasst uns vor ihn treten,
mehr als Worte sagt ein Lied.
Singend lasst uns vor ihn treten,
mehr als Worte sagt ein Lied.
Text: Diethard Zils 1972/1974 nach Psalm 95
Melodie: Volkslied aus Israel, Sarah Levy-Tanai (zu Hoheslied 2,8)

Vikar – Eingeständnis
Freundlicher Gott!
Hier stehen wir vor dir.
Fröhlich wollen wir deine Lieder singen.
Deine Wahrheit wollen wir engagiert verkünden!
Und doch:
Es ist nicht immer leicht mit der Fröhlichkeit,
wenn man fremd ist in einem fremden Land.
Es ist nicht leicht mit der Verkündigung,
wenn fast alle einer anderen Konfession angehören.
Wir brauchen Halt.
Wir brauchen dich, Gott für uns!
Wir brauchen deine Liebe und Gerechtigkeit!
Herr, erbarme dich!

Gemeinde
[EG 178.9] Kyrie
Kyrie eleison,
Kyrie eleison,
Kyrie eleison.
Melodie und Satz: orthodoxe Liturgie aus der Ukraine

Vikar – Zuspruch
Singet dem Herrn ein neues Lied,
denn es liegt nicht an uns,
ob wir Halt haben, sondern allein an ihm.
Singet dem Herrn und lobt seinen Namen,
weil seine Liebe uns befreit:
Von uns selbst, von unserer Angst,
von unseren Vorurteilen.
Der Himmel freue sich und die Erde sei fröhlich,
weil er jeden Menschen liebt,
ob Frau, ob Mann, in jedem Land der Welt.
Darum wollen wir Gott loben mit allen Völkern.

Gemeinde
[EG 181.6] Laudate omnes gentes
lat. Laudate omnes gentes,
laudate Dominum.
Laudate omnes gentes,
laudate Dominum.
Text: nach Psalm 117,1
Melodie und Satz: Jacques Berthier, Taizé 1978

Vikar – Kollektengebet
Gott, du allein bist Herr.
Gib uns den Mut, deinem Ruf zu folgen
und die Freiheit zu wagen,
zu der du uns berufen hast.
Durch Jesus Christus, deinen Sohn,
der mit dir und dem Heiligen Geist lebt und regiert
von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Gemeinde
Amen.

Lektor – Evangelium Mt 25,34-40
Als Evangelium hören wir einen Auszug aus dem Gleichnis vom großen Weltgericht aus Mattäus 25.

34 Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt!
35 Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen.
36 Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen, und ihr seid zu mir gekommen.
37 Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben? oder durstig und haben dir zu trinken gegeben?
38 Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen? oder nackt und haben dich gekleidet?
39 Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen?
40 Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.

Vikar
Wir antworten auf das Evangelium und singen dazu das Halleluja aus dem folgenden Lied.
Die beiden Strophen werden wir nach dem Glaubensbekenntnis singen.

Gemeinde
[EG 182,1] Taize-Halleluja

Vikar
Laßt uns nun gemeinsam unseren Glauben bekennen mit den Worten des Apostolischen Glaubensbekenntnis.
Wir finden es im Gesangbuch unter der Nummer 804

Gemeinde  – Glaubensbekenntnis
Ich glaube an Gott den Vater,
den Allmächtigen,
den Schöpfer des Himmels und der Erde,
und an Jesus Christus,
seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn,
empfangen durch den Heiligen Geist,
geboren von der Jungfrau Maria,
gelitten unter Pontius Pilatus,
gekreuzigt, gestorben und begraben,
hinabgestiegen in das Reich des Todes,
am dritten Tage auferstanden von den Toten,
aufgefahren in den Himmel;
er sitzt zur Rechten Gottes,
des allmächtigen Vaters;
von dort wird er kommen,
zu richten die Lebenden und die Toten.
Ich glaube an den heiligen Geist,
die heilige christliche Kirche,
die Gemeinschaft der Heiligen,
Vergebung der Sünden,
Auferstehung der Toten
und das ewige Leben.
Amen.

Gemeinde
[EG 182, 5.9] Taize-Halleluja
1. Ihr seid das Volk, das der Herr sich ausersehn. Seid eines Sinnes und Geistes. Ihr seid getauft durch den Geist zu einem Leib. Halleluja, Halleluja.
2. Freut euch, ihr Christen, nehmt wahr, was Gott verheißt, daß wir im Dunkel nicht treiben: Wahrheit und Licht und die Kraft, durch seinen Geist in seiner Liebe zu bleiben.

Vikar – Predigt
Wie ist das mit Gott? Ist es nicht manchmal so schwer, ihn wahrzunehmen?

Wir beten und singen und wollen ihn loben und preisen – kommt das an? Und bekommen wir eine Antwort?

Da macht sich eine Gruppe auf zu einer Studienfahrt nach Griechenland. Eine ganze Reihe von ihnen hat Angst vor dem Flug – wo ist da Gott?

Sie wollen Menschen kennenlernen und erfahren, wie sie leben, wie sie arbeiten, wie sie glauben. Ist Gott bei ihnen auf ihrer Reise?

Da machten sich schon lange vor ihnen Menschen auf, um in Griechenland zu leben und zu arbeiten. Sie merken, was es bedeutet, Fremde zu sein und das nicht nur auf kurze Zeit wie im Urlaub, in einer Umgebung, in der sie mit ihrem Glauben in der Minderheit sind. Spüren sie, dass Gott bei ihnen ist?

Was ist mit diesen Reisenden und denen, die schon so lange hier sind? In welchem Verhältnis stehen sie zueinander, zu den anderen Menschen hier und zu Gott?

Ich möchte diesen Fragen anhand der Geschichte der Emmaus-Jünger nachgehen und lese nach Lukas 24:

Und siehe, zwei von ihnen gingen an demselben Tage in ein Dorf, das war von Jerusalem etwa zwei Wegstunden entfernt; dessen Name ist Emmaus. Und sie redeten miteinander von allen diesen Geschichten. Und es geschah, als sie so redeten und sich miteinander besprachen, da nahte sich Jesus selbst und ging mit ihnen. Aber ihre Augen waren gehalten, dass sie ihn nicht erkannten.

Er aber sprach zu ihnen: Was sind das für Dinge, die ihr miteinander verhandelt unterwegs?

Da blieben sie traurig stehen. Und der eine, mit Namen Kleopas, antwortete und sprach zu ihm: Bist du der einzige unter den Fremden in Jerusalem, der nicht weiß, was in diesen Tagen dort geschehen ist?

Und er sprach zu ihnen: Was denn?

Sie aber sprachen zu ihm: Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Taten und Worten vor Gott und allem Volk; wie ihn unsere Hohenpriester und Oberen zur Todesstrafe überantwortet und gekreuzigt haben. Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde. Und über das alles ist heute der dritte Tag, dass dies geschehen ist. Auch haben uns erschreckt einige Frauen aus unserer Mitte, die sind früh beim Grab gewesen, haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben eine Erscheinung von Engeln gesehen, die sagen, er leben. Und einige von uns gingen hin zum Grab und fanden’s so, wie die Frauen sagten; aber ihn sahen sie nicht.

Und er sprach zu ihnen: O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben! Musste nicht Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen? Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in der ganzen Schrift von ihm gesagt war.

Und sie kamen nahe an das Dorf, wo sie hingingen. Und er stellte sich, als wollte er weitergehen. Und sie nötigten ihn und sprachen: Bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben.

Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach’s und gab’s ihnen. Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen.

Und sie sprachen untereinander: Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete?

Und sie standen auf zu derselben Stunde, kehrten zurück nach Jerusalem und fanden die Elf versammelt und die bei ihnen waren; die sprachen: Der Herr ist wahrhaftig auferstanden und Simon erschienen. Und sie erzählten ihnen, was auf dem Wege geschehen war und wie er von ihnen erkannt wurde, als er das Brot brach.

Ich habe mich schon immer gefragt, woran eigentlich die Emmaus-Jünger Jesus erkannten, und warum sie ihn vorher nicht erkennen konnten. Sie werden ausdrücklich so beschrieben, dass sie zum engsten Kreis der Jünger Jesu gehören. Sie haben ihn nicht nur vom Hörensagen gekannt, sondern aus eigener Anschauung: Sie haben ihn gehört, haben mit ihm gesprochen, sind mit ihm gegangen und kannten ihn verhältnismäßig gut. Und die erkennen Jesus nicht, als er direkt neben ihnen geht?

Und dann das „Erkennungszeichen“, an dem sie ihn nun doch erkennen: Es ist das Brotbrechen. Eine Allerweltshandlung, wie sie jeder machen könnte und wie sie zu dieser Zeit sicher jeder unzählige Male gesehen und selbst gemacht hatte. Daran haben sie Jesus erkannt?

Ich finde das unglaublich und möchte versuchen, diesem Geheimnis mit einem ungewöhnlichen Gedanken auf die Spur zu kommen.

Vielleicht ist es ja so, dass wir zu sehr von den einleitenden Kommentaren der Geschichte ausgehen: Wir wissen natürlich vom Erzähler, dass es sich um Jesus handele. Vielleicht ist es genau das, was uns auf eine falsche Fährte lockt.

„Bist du der einzige unter den Fremden Jerusalems, der davon nichts mitbekommen hat?“, fragen sie.

Und ich frage mich: Ist es vielleicht wirklich ein Fremder, in dem Jesus seinen Jüngern begegnet?

Und dann fallen mir sofort viele Geschichten und Texte aus der Bibel ein, in denen ein zunächst Fremder auftritt, der sich später als Gott selber darstellt. Einen weiteren markanten Text, der diesen Sachverhalt darstellt, haben wir in der Evangeliumslesung gehört.
Dort ging es im Gleichnis vom großen Weltgericht um die vielen Fremden, in denen Jesus den Gerechten begegnet ist.

„Wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben?“, fragen die Gerechten. Die Antwort: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Schwestern und Brüder, das habt ihr mir getan!“

Auch bei diesem Text neigen wir dazu, ihn zunächst in einem übertragenen Sinne zu verstehen. Aber was ist, wenn tatsächlich etwas daran ist, dass es konkret Jesus selber ist, der da begegnet, wo wir es gar nicht merken oder merken wollen?

Ist das nicht eine phantastische Vorstellung? In jedem einzelnen Menschen kann uns Jesus begegnen!

Und umgekehrt: Wir selber könnten es sein, in dem Jesus gerade einem anderen Menschen begegnet!

Wie würde sich die Welt wohl ändern, wenn wir einmal auch nur probeweise von einem solchen Gedanken ausgehen!

Gott begegnet uns dann unablässig – und wir merken es sowenig, wie es die Emmausjünger merken, denen erst nachträglich die Augen aufgehen: Brannte nicht unser Herz?!

Und umgekehrt: In uns begegnet Gott fortwährend anderen Menschen, und es ist uns nicht bewußt und den anderen auch nicht!
Könnten wir hier vielleicht ganz neu entdecken, was es im ersten Kapitel der Bibel heißt, dass Gott jeden Menschen zu seinem Ebenbild geschaffen hat?!

So könnten wir die Welt neu sehen lernen…

Eine solche Aufforderung kann aber sehr schnell zu einem neuen Zwang führen. „Den oder die soll ich so sehen als wenn es Jesus selber wäre? Das kann ich nicht und das will ich nicht!“, so könnte man mir entgegnen. Und ich würde antworten: „Vielleicht würde ein Versuch eure Beziehung auf ganz neue Beine stellen! Und zwar gerade dann, wenn die oder der Betreffende so ganz anders ist, als man sich Jesus immer vorgestellt hat.“

Aber zu einem neuen Zwang soll das nicht führen. Das gerade kann man wieder an der Emmaus-Geschichte lernen. Da sind nicht zwei, die ganz krampfhaft versuchen, in einem für sie Fremden Jesus zu sehen. Allenfalls lassen sie sich intensiv auf ihn ein, teilen ihre Sorgen mit diesem Menschen und kommen tief ins Gespräch. Erst im Nachhinein machen sie sich klar, was da passiert ist: „Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete?“

Man merkt es offenbar nie sofort. Aber hinterher wird uns deutlich: Es ist schon etwas mit uns passiert. Die Begegnung hat schon Folgen gehabt. Schön dass es passiert ist.

Ein neuer Zwang soll es also gerade nicht sein. Sondern ein Angebot, andere Menschen, vertraute und fremde, einmal aus einem anderen Blickwinkel zu sehen.

Aus diesem Blickwinkel freue ich mich zum Beispiel, dass nun die Ausländerpolitik in Deutschland offener wird.

Dieser Blickwinkel kann vielleicht meine Gedanken ändern, wenn ich nach dieser Fahrt wieder in meiner Heimatstadt Essen am Bahnhof ankomme und dort die Drogenabhänigen sehe. Vielleicht ändert sich ja auch bei mir etwas, wenn mein Blickwinkel offener wird.

Was sich hier ändern könnte, mag ich nicht mutmaßen – dazu bin ich nicht lange genug hier und wahrscheinlich viel zu schnell wieder weg, um irgendwelche Ratschläge zu geben.

Jedenfalls kann dieser Blickwinkel vielleicht auch einen Auslandsaufenthalt ändern. „Kann“ nicht „Muss“. Aber vielleicht sitzen wir auf der Rückfahrt im Flugzeug zusammen und sagen: „Brannte uns nicht das Herz?“

Es muss nicht unbedingt das Flugzeug sein, [mir war damals spontan nicht klar, warum meine Mitvikare hier lachten – an ein brennendes Flugzeug hatte ich bei der Formulierung jedenfalls nicht gedacht] vielleicht auch eine Zusammenkunft später hier in dieser Gemeinde – oder sonstwo.
Ich bin gespannt, wo Jesus uns begegnen wird und wo wir im Nachhinein sagen: Da bin ich ihm begegnet.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Gemeinde
[EG 648] Wir haben Gottes Spuren festgestellt
1. Wir haben Gottes spuren festgestellt auf unsern Menschenstraßen, Liebe und Wärme in der kalten Welt, Hoffnung, die wir fast vergaßen.
Kehrreim
Zeichen und Wunder sahen wir geschehn in längst vergangnen Tagen, Gott wird auch unsere Wege gehn, uns durch das Leben tragen.
2. Blühende Bäume haben wir gesehn, wo niemand sie vermutet, Sklaven, die durch das Wasser gehn, das die Herren überflutet. Zeichen und Wunder…
3. Bettler und Lahme sahen wir beim Tanz, hörten, wie Stumme sprachen, durch tote Fensterhöhlen kam ein Glanz, Strahlen, die die Nacht durchbrachen. Zeichen und Wunder…

Vikar – Hinführung zum Abendmahl
Als Jesus in Emmaus das Brot brach,
wurden den Jüngern die Augen geöffnet.
Wenn wir nun gemeinsam Brot und Wein teilen,
dann können wir das in der festen Zuversicht tun,
dass Gott auch uns die Augen öffnen will.
Damit wir ihn erkennen,
damit wir uns untereinander erkennen,
und damit wir uns selber erkennen.

Vikar – Einsetzungsworte
Unser Herr Jesus Christus,
in der Nacht, da er verraten ward,
nahm er das Brot,
dankte, brach’s, gab’s seinen Jüngern und sprach:
Nehmet hin und esset:
das ist mein Leib,
der für euch gegeben wird;
solches tut zu meinem Gedächtnis.
Ebenso nahm er auch den Kelch
nach dem Abendmahl,
dankte, gab ihnen den und sprach:
Nehmet hin und trinket alle daraus.
Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut,
das für euch vergossen wird
zur Vergebung der Sünden;
solches tut, sooft ihr daraus trinket,
zu meinem Gedächtnis.

Wir beten gemeinsam:

Gemeinde – Vater unser
Vater unser im Himmel,
geheiligt werde dein Name,
dein Reich komme,
dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute
und vergib uns unsere Schuld
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich
und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

Vikar
Der Friede des Herrn sei mit euch allen.
Gebt einander ein Zeichen des Friedens und der Versöhnung.

Gemeinde
[EG 190.2] Christe du Lamm Gottes“
Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünd der Welt, erbarm dich unser.
Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünd der Welt, erbarm dich unser.
Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünd der Welt, gib uns deinen Frieden.
Amen.
Melodie: Martin Luther (1525) 1528

Vikar
Kommt, es ist alles bereit,
schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist.

Empfang des Abendmahls
Mit den Worten
„Brot des Lebens“ – „Kelch des Heils“

Vikar – Segens- und Sendewort nach Bonhoeffer:
Von guten Mächten wunderbar geborgen
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist mit uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Vikar  – Fürbitten
Freundlicher Gott,
wir waren Gäste an deinem Tisch.
Du hast uns an deiner Liebe Anteil gegeben
und uns auf den Weg des Friedens gerufen.
Geh nun mit uns, wenn wir aufbrechen
und uns dorthin wenden, wo Menschen uns brauchen.
Geh du mit uns, die wir hier in Griechenland leben und arbeiten und mit unserer Konfession in der Minderheit sind.
Geh du auch mit uns, die wir hier für einige Tage zu Besuch sind und uns zu vielen Begegnungen aufgemacht haben.
Segne die ökumenischen Begegnungen überall auf der Welt und hilf den Christen, dass sie überall für Frieden und Gerechtigkeit eintreten:
Wir hier, wo wir es können,
den Christen in den benachbarten Ländern und auch denen, in den fernen Ländern.
Amen.

Gehet hin im Segen des Herrn.

Vikar – Segen
Der Herr segne dich und behüte dich.
Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über dir
und sei dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich
und gebe dir Frieden.

Lied
[EG 171] Bewahre uns Gott, behüte uns Gott
1. Bewahre uns, Gott, behüte uns, Gott,
sei mit uns auf unsern Wegen.
Sei Quelle und Brot in Wüstennot,
sei um uns mit deinem Segen,
sei Quelle und Brot in Wüstennot,
sei um uns mit deinem Segen.
2. Bewahre uns, Gott, behüte uns, Gott,
sei mit uns in allem Leiden.
Voll Wärme und Licht im Angesicht,
sei nahe in schweren Zeiten,
voll Wärme und Licht im Angesicht,
sei nahe in schweren Zeiten.
3. Bewahre uns, Gott, behüte uns, Gott,
sei mit uns vor allem Bösen.
Sei Hilfe, sei Kraft, die Frieden schafft,
sei in uns, uns zu erlösen,
sei Hilfe, sei Kraft, die Frieden schafft,
sei in uns, uns zu erlösen.
4. Bewahre uns, Gott, behüte uns, Gott,
sei mit uns durch deinen Segen.
Dein Heiliger Geist, der Leben verheißt,
sei um uns auf unsern Wegen,
dein Heiliger Geist, der Leben verheißt,
sei um uns auf unsern Wegen.
Text: Eugen Eckert (1985) 1987
Melodie: Anders Ruuth (um 1968) 1984 »La paz del señor«

Organist – Nachspiel

Das Milgram-Experiment

Das Milgram-Experiment

Wieviel Gehorsam kann ein Mensch freiwillig einem anderen Menschen entgegen bringen, ohne dazu in irgendeiner Form gezwungen zu werden?

Hannah Arend sprach von der „Banalität des Bösen“: Ganz normale Menschen – keine Bestien – hatten sich bei der fürchterlichen Menschenvernichtung während der Nazizeit beteiligt. Menschen wie Du und ich beteiligten sich daran in einem ungeheueren Maße, ohne irgendwelche Gewissensbisse zu empfinden und zu einem erheblichen Teil, ohne in irgendeiner Weise gezwungen zu sein. Sie machten einfach ihre Arbeit – und das war es dann. Sie gehorchten einer übergeordneten Instanz, der sie vertrauten, die sich halt als irgendwie übergeordnet legitimierte, sie hielten es für richtig, zu gehorchen. Manche gehorchten nur unter Protest, manche leisteten Widerstand. Gibt es Bedingungen, die den Gehorsam fördern?

Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, ist es erforderlich, Gehorsam zu messen. Aber was könnte der Maßstab sein?

Dazu wurde ein geradezu teuflisches Experiment ausgedacht.

Du liest in einer Zeitung: Versuchspersonen gesucht zu einer Untersuchung über Gedächtnis und Lernvermögen. Kostenerstattung von 25 DM je Stunde.

Du bewirbst dich und wirst mit einer weiteren Person in ein Labor eingeladen. Ein leidenschaftsloser Versuchsleiter erklärt folgendes:

Die Psychologen haben mehrere Theorien entwickelt, die eine Erklärung für die Tatsache bieten, wie Menschen unterschiedliche Arten von Lernstoffen lernen. Einige der bekannteren Theorien werden in diesem Buch abgehandelt.

Der Versuchsleiter legt euch ein Buch über den Lehr- und Lernprozess vor. Er erklärt weiter:

Eine Theorie lautet, dass der Mensch etwas exakt lernt, wenn er für einen Fehler jedesmal bestraft wird. Eine  allgemeine Anwendung dieser Theorie ist etwa, dass Eltern ein Kind schlagen, wenn es etwas angestellt hat. Die Erwartung geht dahin, dass Prügel als Bestrafung das Kind lehren werden, sich besser zu erinnern, dass sie es lehren werden, erfolgreicher zu lernen.

Wir wissen jedoch noch sehr wenig über den Einfluss von Strafe auf den Lernprozess, weil es fast keine wirklich wissenschaftlichen Untersuchungen am Menschen darüber gibt. Wir wissen zum Beispiel nicht, wieviel Strafe sich am günstigsten auf das Lernen auswirkt, und wir wissen nicht, welchen Unterschied die Person des Strafenden ausmacht – ob ein erwachsener Mensch am besten von einer jüngeren oder älteren Person als er selbst lernt – usw., usw.

Deshalb versammeln wir für unser Experiment eine Anzahl von Erwachsenen mit verschiedenen Berufen und von unterschiedlichem Alter und bitten einen Teil von ihnen, Lehrer zu sein, einen anderen Teil, Schüler zu spielen.

Wir wollen herausfinden, welche Auswirkungen verschiedenen Menschen füreinander als Lehrer und als Schüler haben, und wir wollen auch herausfinden, welche Auswirkung Bestrafung in dieser Situation hat.

Deshalb werde ich jetzt einen von Ihnen beiden bitten, hier heute abend den Lehrer darzustellen, den anderen, die Rolle des Schülers zu übernehmen.

Zieht einer von Ihnen die eine oder andere Rolle vor?

Du kannst dich nun dazu äußern, auch der andere Versuchsteilnehmer äußert seine Vorliebe. Der Versuchsleiter fährt fort:

 Also, ich glaube, es ist am fairsten, wenn ich auf zwei Zettel die Wörter „Lehrer“ und „Schüler“ schreibe und Sie beide losen lasse.

Du wirst als Lehrer ausgelost. Danach seht ihr euch die Versuchsanordnung an. Der Versuch beginnt. Der Schüler setzt sich auf eine Art elektrischen Stuhl. Er wird festgeschnallt, an seinen Armen werden Elektroden angebracht. Eine Elektrodensalbe soll helfen, Verbrennungen zu vermeiden. „Obwohl die Schocks äußerst schmerzhaft sein können, verursachen sie keine bleibenden Gewebsschädigung“, erklärt der Versuchsleiter.

Die Lernaufgabe besteht darin, Assoziationspaare zu lernen. Du sitzt im Nebenraum und liest dem Schüler Wortpaare vor:

Blau Schachtel
Schön Tag
Wild Vogel
usw

Anschließend muss der Schüler sich an das zweite Wort erinnern: Du liest vor:

Blau: Himmel, Tinte, Schachtel, Lampe.

Entsprechend der Position der richtigen Antwort drückt der Schüler einen von vier Knöpfen. Du kontrollierst die Antworten anhand von vier Kontroll-Lampen. Zur Versuchsanordnung gehört auch der Schockgenerator.

Vor dir befindet sich eine Tafel mit 30 Kippschaltern. Sie sind beschriftet mit 15 Volt, 30 Volt, 45 Volt usw bis 450 Volt. Jeweils vier Schalter tragen die Bezeichnung: „Leichter Schock“, „Mäßiger Schock“, „Mittlerer  Schock“, „Kräftiger Schock“, „Schwerer Schock“, „Sehr schwerer Schock“, „Gefahr: Bedrohlicher Schock“. Zwei Schalter nach dieser letzten Bezeichnung tragen nur die Markierung „X X X“.

Wenn ein Kippschalter betätigt wird, leuchtet über ihm eine rote Kontrollampe auf; man hört ein elektrisches Summen; ein elektrisches Blaulicht mit der Aufschrift „Spannungsverstärker“ blitzt auf; der Zeiger auf dem Voltmeter schlägt aus.

Bevor es losgeht, erhältst Du einen Probeschock von 45 Volt.

Bei jeder falschen Antwort musst Du auf dem Schockgenerator eine Stufe höher gehen. Du musst vor der Verabreichung die Voltstärke ankündigen. Z.B.: „Sie erhalten jetzt einen Schock von 150 Volt!“ Falls Du bis 450 Volt gehen wirst, sollst Du diese Stufe beibehalten. Nach zwei weiteren Versuchen wird der Versuchsleiter abbrechen.

Der einzige Ansporn, den Du erhalten wirst, besteht aus vier Sätzen, die jeweils der Reihe nach gesagt werden, bis Du den Schalter umlegst.

1 – Zuerst:

Bitte machen Sie weiter! Oder: Bitte fahren Sie fort!

2 – Falls das nicht nutzt:

Das Experiment erfordert, dass Sie weitermachen!

3 – Dann:

Sie müssen unbedingt weitermachen!

4 – Die letzte Steigerung:

Sie haben keine Wahl, Sie müssen weitermachen.

Das Maß für den Gehorsam ist gleichsam die Stromstärke, die Du als Lehrer maximal zu geben bereit bist, bevor Du den Versuch auf jeden Fall abbrechen wirst. Die Auslosung nach Schüler und Lehrer war natürlich Betrug: Du bist die eigentliche Versuchsperson, Du wurdest auf jeden Fall der Lehrer. Gemessen wird Deine Bereitschaft gehorsam zu sein.        

 

Soweit der Versuchsaufbau. Nun zu den Ergebnissen:

In einem Vorversuch gab es außer den Lämpchen keine Kommunikation zwischen Lehrer und Schüler.

Nahezu keine Versuchsperson brach den Versuch ab. Alle fragten so lange, bis auch der Schalter mit der höchsten Voltstärke umgelegt wurde. Kaum einer ließ sich von den Aufschriften über den Schaltern beeindrucken.

Also musste ein Schauspieler den Schüler spielen. Auch wenn der Schüler zunächst mäßig, dann auch schärfer  protestierte, führte die Mehrheit der Versuchspersonen den Versuch bis zum bitteren Ende der Skala durch.

Im eigentlichen Versuch wurden dann bestimmte Äußerungen an eine bestimmte Voltstärke gekoppelt:

 75 Volt: leichtes Knurren

120 Volt: „Es tut weh“

135 Volt: schmerzliches Stöhnen

150 Volt: Schreie „Ich weigere mich!“

180 Volt: Brüllen „Ich kann nicht mehr!“

270 Volt: Qualvolles Brüllen

300 Volt: Der Schüler weigert sich, noch Antworten zu geben.

Der Versuchsleiter gibt die Anweisung, dies als falsche Antwort zu werten und nach 5 bis 10 Sekunden Toleranzzeit weiterzumachen.

Nach 330: Keine Antworten mehr

Diese Versuchsanordnung soll also zu einem Konflikt führen: Einen Konflikt zwischen dem Gehorsam gegenüber der Forderung des Versuchsleiters weiterzumachen und der zunehmend dringenden Bitte des Schülers, das Experiment abzubrechen. Die jeweils maximale Voltstärke ist das Maß für Deinen Gehorsam.

Vorher wurden Menschen gefragt, ob sie bei diesem Versuch abbrechen würden und wann. ALLE Menschen gaben an, in jedem Falle abzubrechen. Eine ganze Reihe würde sich sogar weigern, auch nur den ersten Schock zu geben. Keiner würde einen „Sehr schweren Schock“ geben, für die meisten wäre der „Mittlere Schock“ die äußerste Grenze.

Die Zahlen der dann durchgeführten Versuche sprechen eine andere Sprache:

62 Prozent gingen bis zum bitteren Ende über „X X X“ hinaus. Und erschreckend viele der übrigen machten erst beim „Sehr schweren Schock“ Schluß.

Selbst wenn man die Anordnung veränderte und der Schüler im selben Raum saß wie der Lehrer, waren es noch 40 Prozent, die 450 Volt an einen Schüler verabreichten, der keine Äußerung mehr von sich gab.

In einer weiteren Versuchsreihe bekam der Schüler nur dann einen Schock, wenn seine Hand auf einer „Schockplatte“ lag. Ab 150 Volt weigerte sich der Schüler, und der Lehrer musste mit steigender Gewalt die Hand selbst auf die Platte drücken: Immer noch zogen 30 Prozent bis zum bitteren Ende durch!!!

Das Experiment wurde unter veränderten Bedingungen immer wieder wiederholt.

Ändert sich das Ergebnis, wenn …

  • Frauen statt Männer Versuchspersonen sind?
  • der Versuchsleiter direkt neben dem Lehrer steht?
  • wenn der Versuchsleiter zwar im Raum sitzt, aber weiter entfernt hinter einem Schreibtisch?
  • wenn er den Raum verlässt und die Anweisungen nur noch per Telefon gibt?
  • wenn der Schüler vorher unterschreiben muss, dass er sich freiwillig am Experiment beteiligt und alle Beteiligten von jeglicher Haftung an den Folgen freispricht?
  • wenn das Labor in einem Hinterhof statt hinter einer renommierten Fassade eingerichtet ist?
  • wenn der Schüler zwar unter Schmerzen schreit, aber dennoch bittet weiterzumachen, weil er es als seine Pflicht ansieht?

Teilweise kommt es zu abweichenden Ergebnissen. Immer ist jedoch der Bereitschaft, einfach weiterzumachen, enorm.

Das Ergebnis widerspricht allen Prognosen, die Versuchspersonen über ihr eigenes Verhalten abgegeben haben.

Der Autor schreibt: „Das Dilemma, das sich aus dem Konflikt zwischen Gewissen und  Autorität ergibt, ist in der Gesellschaft selbst beschlossen, und wir würden damit leben müssen, selbst wenn es Nazideutschland nie gegeben hätte. Wenn man das Problem ausschließlich historisch behandelt, verleiht man ihm eine allzu große, zu Illusionen verleitende Distanz.

Manche lehnen das Nazi-Beispiel ab, weil wir heute in einer Demokratie und nicht in einem autoritären Staat lebten. Aber das Problem wird dadurch nicht beseitigt. Denn es lautet nicht „unbedingte Autorität in der Art politischer Organisation“ oder „Gruppe von psychischen Einstellungen“, sondern „Autorität“. Unbedingte Autoritätsgläubigkeit kann demokratischer Praxis weichen, aber Autorität als solche kann nicht ausgeklammert werden, solange die Gesellschaft in der uns vertrauten Form weiterexistieren soll.

In Demokratien werden Menschen durch öffentliche Wahlen in ihr Amt eingesetzt. Doch sobald sie einmal installiert sind, besitzen sie nicht weniger Autorität, als jene, die durch andere Mittel  ihre Position erlangt haben. Und wie wir wiederholt gesehen haben, können auch die Forderungen einer demokratisch installierten  Autorität mit dem Gewissen in Konflikt geraten. Der Import und die Vernichtung der indianischen Bevölkerung Amerikas, die Intervenierung japanischer US-Bürger, der Einsatz von Napalm gegen Zivilisten in Vietnam – alle diese Aktionen waren grausam und entsprangen der Autorität einer demokratischen Nation, und man begegnete ihnen mit dem erwarteten Gehorsam. In jedem einzelnen Fall erhoben sich Stimmen des moralischen Protests, doch die typische Reaktion des Durchschnittsmenschen war, den Befehlen zu gehorchen.“

Inzwischen sind mehr als 20 Jahre vergangen. Mich würde eine Neuauflage dieses Versuches interessieren.

Ich weiß heute auch nicht mehr, ob es unbedingt ein Problem des Gehorsams ist. Ist es gehorsam, wenn man in das verlogene Geheul eines Teils unserer Politiker und des amtierenden Innenministers einstimmt, es gäbe massenhaften Asylmissbrauch in unserem Land und mögliche Asylbewerber müssten durch reduzierte Sozialhilfe usw. abgeschreckt werden, es kämen ganz „Fluten“ von ihnen in unser Land usw.? Jeder, der sich ein wenig für Flüchtlingsarbeit interessiert, kann wissen, wie verlogen dieses Geheul ist. Jeder  kann wissen, dass Bürgerkriegsflüchtlinge von den Ämtern der Gemeinden zum Asylmissbrauch aufgefordert werden, damit nicht mehr die Gemeinden, sondern andere Kostenträger für die Unterbringung zuständig werden. Jeder kann es wissen…

Und dennoch „legt“ die brave Omi von nebenan „den Schalter um“,  redet von ihrer Angst vor diesem „Pack“ und dass sie dringend „raus müssten“. Und dennoch klatschen ansonsten unauffällige Familienväter Beifall, wenn Brandsätze auf Asylheime geworfen werden.  Dennoch werden Menschen zu reiner Manövriermasse für skrupellose Politiker, die künstlich die Bearbeitungsdauer von Asylanträge verlängern und im Gegensatz dazu öffentlich erklären, sie seien zu lang, und viel mehr Menschen müssten ohne individuelle Prüfung ihres Schicksals unmittelbar wieder abgeschoben werden können.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Milgram-Experiment und der gegenwärtigen Asyldebatte? Gibt es vielleicht auch einen Zusammenhang zwischen dem Experiment und der gestiegenen Gewaltbereitschaft (nicht nur) unter Jugendlichen in unserer Gesellschaft?

Ich weiß es nicht. Mir würde es reichen, wenn der eine oder die andere nachdenklich würde über seine eigene Gehorsams- und Gewaltbereitschaft – und heute aufsteht gegen Gewalt gegen Menschen, Frauen, Männer und Kinder, egal welche Hautfarbe sie tragen und egal, ob die Gewalt sich institutionell durch Asylgesetzgebung oder ganz offensichtlich durch Brandsätze geschieht…

Bernd Kehren (ca. 1995)

Literatur:

Stanley Milgram,
Das Milgram-Experiment.
Zur Gehorsamsbereitschaft gegenüber Autorität.

Deutsch von Roland Fleissner.
1974 Rowohlt Verlag, Hamburg

Aus diesem Buch wird ziemlich viel ohne besondere Kennzeichnung sinngemäß und wörtlich zitiert.

Zu diesem Buch gibt es auch einen Film. Er hat seinen Titel in Anlehnung an die Geschichte von der „versuchten Opferung des Isaak“.

Film: „Abraham – ein Versuch“
BRD, 1970
Regie: Hans Lechleitner / Paul Matussek / David M. Mantell
16 mm / Lichtton / schwarz-weiß
48 Minuten
Link: https://www.fernuni-hagen.de/videostreaming/zmi/video/1986/86-16_76674/

Gemeinde – Oase für Kinder

1994 hat meine Landeskirche die Arbeitshilfe „Gemeinde … Oase für Kinder“ vorgestellt. Die folgende Arbeit ist eine religionspädagogische Analyse und kritische Würdigung.

Titelbild der Arbeitshilfe "Gemeinde ... Oase für Kinder"

 

„Gemeinde … Oase für Kinder“
Von den Chancen der Arbeit mit Kindern in der Kirche.
Eine Arbeitshilfe, vorgelegt vom Ausschuß „Arbeit mit Kindern“ der Ev. Kirche im Rheinland, Düsseldorf 1993/1994
– Religionspädagogische Analyse und kritische Würdigung –
von Bernd Kehren

Inhalt

1. Einleitung
2.1 Kinder
2.2 Gemeinde
2.3 Kinder in der Gemeinde
2.4 Das Kind in der Familie
2.5 Kinder – von Gott angenommen
2.6 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
3. Themen, die nicht vorkommen
4. Schluss
Literaturverzeichnis
Anhang 1: Peter Beier, Ein Testament?
Anhang 2: Inhaltsverzeichnis von „Gemeinde … Oase für Kinder“
Bestellmöglichkeit

 

„Kinderlärm ist Zukunftsmusik.“1
„Mir war klar, dass nicht das gesamte Presbyterium diese Auffassung mit mir teilen würde.“
2

1. Einleitung

Schön, dass es diese Arbeitshilfe gibt. Wer sie mit einem offenen Herzen durcharbeitet, wird viele Anregungen bekommen. Man wird über den einen oder anderen Mangel in der Praxis der eigenen Gemeinde stolpern – hoffentlich wirklich nur den einen oder anderen. Und man wird entdecken, dass der Titel der Arbeitshilfe eigentlich ergänzt werden müsste:
„Gemeinde … Oase für Kinder – Kinder … Oase für die Gemeinde“.

2.1 Kinder

Traditionell3 gliedert sich die Betrachtungsweise von Kindern in folgende Bereiche: Kinder in der Familie (von der Geburt an). Hier findet das Kind die nötige Geborgenheit, um eine eigene Persönlichkeit zu werden, indem es nachahmen und sich identifizieren, sich aber auch reiben kann. Die erste religiöse Erziehung sollte in der Familie stattfinden. Das Versprechen der Gemeinde, sich an der religiösen Erziehung der Kinder zu beteiligen, wird ab ca. 3 Jahren im evangelischen Kindergarten und später im Kindergottesdienst wahrgenommen. Ungefähr mit der Konfirmation beginnt die Entwicklungsphase der Jugend. Dies entspricht in etwa übereinstimmender Auffassung, derzufolge mit etwa dem elften bis zwölften Lebensjahr der Übergang zum Jugendalter erfolgt. 4 Als Kinder hat die Arbeitshilfe etwa diese Altersgruppe bis etwa 12 Jahre im Blick.

2.2 Gemeinde

Blickt man auf die verschiedenen „Urgemeinden“ des Neuen Testaments, so bietet sich ein sehr vielfältiges Bild.5 Sie haben aber alle gemeinsam, dass sie auf bewusste Hierarchien verzichten und nur Christus als das Haupt anerkennen. Um die Einheit der Gemeinden in der Auseinandersetzung mit Häresien und wegen der immer länger ausbleibenden Parusie zu sichern, bildete sich das Amt des Bischofs und über die Dauer der Kirchengeschichte eine ausgeprägte Hierarchie. Es gab immer wieder Versuche, dies zu unterbrechen. Die Reformation führte zwar das allgemeine Priestertum der Gläubigen ein, konnte aber letztlich an der Amtsstruktur mit der Vorordnung des Pfarrers vor die Gemeinde nichts ändern. Im Pietismus entstand ein weiterer Versuch, die Hierarchien aufzuweichen, der sich aber ebenfalls nicht bis in die heutigen Landeskirchen durchsetzen konnte, sondern sich in freien selbständigen Werken eher neben den Kirchen verwirklichte. Gemeindepädagogik versucht, durch vielfältige Kommunikationsstrukturen und die ausdrückliche Beteiligung von Mitarbeitern zu neuen Umgangsweisen in der Gemeinde zu gelangen.

Dies spiegelt sich in der Arbeitshilfe vielfältig wieder, indem Kinder und ihre Eltern von Anfang an in ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten wahrgenommen werden und in einem großen Netzwerk der Gemeinde verbunden werden – in diesem Falle im Bild einer Oase.

2.3 Kinder in der Gemeinde

Betrachtet man die Arbeitshilfe hinsichtlich der beiden vorgenannten Punkte, so fällt auf, dass sie Kinder und Eltern nicht in der relativ starren Einteilung von Kindergarten und Kindergottesdienst begrenzt, sondern in ihren vielfältigen Bedürfnissen wahrnimmt. Als Ideal entsteht das Bild einer kinderorientierten Gemeinde, in der die Eltern nach der Taufe ihrer Kinder zu Gesprächskreisen (mit Babysitter-Vermittlung) und Eltern-Kind-Gruppen eingeladen werden. Sie sollen sich in ihrer speziellen Situation austauschen und dabei Gemeinde erfahren können. Ihre Teilnahme am Gottesdienst wird durch das Angebot von „Krabbelgottesdiensten“ ermöglicht, in denen die Eltern nicht verkrampft darum bemüht sein müssen, störenden Lärm ihrer Kinder zu vermeiden, die nichts anderes tun als ihrem entwicklungsgemäßen Erkundungs- und Bewegungsdrang nachzugeben. Vorbereitet werden diese als kleine Feste gestalteten Gottesdienste wiederum in den Eltern-Kind-Gruppen, in denen Eltern und Kinder neue Lieder geübt und Gegenstände selbst angefertigt haben. So vorbereitet werden die Familien auch beim Abendmahl nicht auseinander gerissen. Am gemeinsamen Leben mit den Kindern hat die Gemeinde gelernt, Glauben nicht nur vom Kopf her zu denken, und Abendmahl als ein Geschehen zu betrachten, das erlebt werden muss und das kein Diskussionsgegenstand für eine „intellektuelle Elite“6 ist.

Auf die Bedürfnisse von älteren Kindern, die vor allem in den Großstädten kaum noch Räume zur Selbstentfaltung haben, gehen Kindertreffs ein. Durch regelmäßige Besuche und gemeinsam gestaltete Gottesdienste und Feste entstehen über Eltern, Großeltern, Bekannte und Nachbarn, aber auch über übergemeindliche Verknüpfungen etwa zur Grundschule und zum Jugendamt weitere Kontakte: Kinderorientiere Gemeinde als Form des Gemeindeaufbaus. Behinderte Kinder werden bewusst in integrative Kindergärten aufgenommen und es werden Freizeiten mit ihnen gemeinsam durchgeführt.

2.4 Das Kind in der Familie

Familie ist sehr privat und darin sehr autonom geworden und entsteht, „indem Eltern und Kinder ihre Gemeinschaft selbständig gestalten.“7 Familie kann für das Kind Heimat werden, indem es sich mit seinen Bezugspersonen identifiziert und dabei aktiv eigene Handlungs- und Deutungsmöglichkeiten findet. Die Privatheit der Familie bietet Chancen und Gefährdungen. Weil Familien so klein geworden sind, fehlen den Mitgliedern unter Umständen Rückzugsmöglichkeiten, etwa zu anderen Verwandten. Die Konsumwelt ersetzt Symbole alter Lebensformen und transportiert vorgefertigte Lebensmuster bis ins Kinderzimmer. Die Enge in der Familie macht diese „Nische des Glücks“8 zerbrechlich. Um innerlich wachsen zu können braucht das Kind Bestätigung und Möglichkeit zur Abgrenzung. Es ist erforderlich, dass die Eltern sich selbst und den Kindern gegenüber als verschieden, unabhängig und gleichrangig behandeln. Kinder brauchen die Erfahrung, unbedingt bejaht zu werden.

Gemeinde wird nur dann Oase für Kinder, wenn sie auch die Familien und deren Situation im Blick hat. Konkret wird dies an verschiedenen Teilen der Arbeitshilfe. Es fängt sofort mit dem Thema „Abendmahl mit Kindern“ an, setzt sich mehrfach unter dem Thema „Vernetzung der Gemeinde über ihre Kinderarbeit“ fort. „Beratung – Sexueller Mißbrauch an Kindern“ ist ein weiterer Punkt. Ganz praktisch ist die „Standortbestimmung“ von Adolf-Leopold Krebs, die mit einer Vision endet, in der die zugezogene Familie auf die Angebote der Gemeinde aufmerksam gemacht wird – einschließlich der Babysitter-Vermittlung für die Veranstaltungen für junge Eltern. Manchmal sind es gerade die liebevollen „Kleinigkeiten“, die Gemeinde zur Oase werden lassen. Im dritten Teil der Arbeitshilfe kommt die Familie in den Kapiteln über Gottesdienste mit Kleinkindern, und über Eltern-Kind-Gruppen in den Blick. Für beides gilt: Sie ermöglichen den Kindern, ihre Bedürfnisse nach Bewegung, räumlichen Erkundungen, neuen Beziehungen, Äußern ihrer Lebensfreude zu erfüllen. Den Eltern wird gezeigt, dass sie in ihrer Lebenssituation akzeptiert werden, ihnen werden Kontakte zu anderen ermöglicht, sie lernen, einfach, verständlich und kindgerecht ihren Glauben nahezubringen und sie erhalten eigene religiöse Orientierung.9

2.5 Kinder – von Gott angenommen

Drei neutestamentliche Charakteristika für die Begegnung Jesu mit Kindern zählt die Arbeitshilfe auf:10

  1. „Kindern wird Das Reich Gottes eben nicht wegen besonderer subjektiver Fähigkeiten zugesprochen, sondern gerade weil ihnen … objektiv die besonderen Fähigkeiten fehlen.“11
  2. Theologisch drückt sich darin die Erkenntnis des sola gratia und sola fide aus.
  3. Das Kind hat bei Jesus einen Ehrenplatz (Lk 9,47).

„Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht.“ (Mk 10,14) Indem Jesus die Kinder hautnah zu sich nimmt, betont er die Bedeutung dieses Wortes und stellt sie so „direkt neben die Mühseligen und Beladenen, die Armen, die Sünder, die Verlorenen, die Leidenden“ der Seligpreisungen.

Dies sollte auch in der Theologie zum Ausdruck kommen. „Das Kind ist also nicht Objekt der Belehrung, unfertiges Rohmaterial, das irgendwann zum Erwachsenen und vollwertigen Gemeindeglied heranreifen wird. Das Kind hat schon jetzt den Ehrenplatz.“12

Deswegen empfiehlt die Arbeitshilfe auch gegen vielfältige Einwände u.a., die Arbeit mit Kindern zum Mittelpunkt einer Vernetzung in der Gemeinde zu machen.13 Die Gemeinschaft Gottes mit den Kindern wird z.B. auch im Beitrag über „Kindergarten, Kindertagesstätte, Hort“ hervorgehoben – zusammen mit den Möglichkeiten zur Vernetzung in der Gemeinde, aber auch außerhalb von ihr. 14

Der vollen Annahme der Kinder durch Gott entspricht die Erkenntnis, dass auch Kinder auf ihre Weise vollwertige Menschen sind. Dementsprechend kann sich die Gemeinde nicht in zwei Gruppen teilen, so dass die eine Gruppe „diakonisch“ für die andere sorgt und diese die Hilfe ohne echte Möglichkeit zu einer Gegenleistung entgegennehmen muss. Die Arbeitshilfe stellt gegen eine solche kirchlich-theologische Apartheitsstruktur 15 ausdrücklich „Ulrich Bachs Plädoyer für eine solidarische Diakonie, die nicht im „Machen für“, sondern im „Leben mit“ besteht, in der Bejahung eines Menschenbildes, das das Angewiesensein und die Bodenlosigkeit einschließt“. 16 Zum Umgang mit der Bibel wird in diesem Zusammenhang gesagt: „Die entsprechenden Texte sind nicht nur auszulegen, (sondern) zu begehen und zu feiern.“17

Dies äußert sich in der Arbeitshilfe auf mehrfache Weise.

a) Damit Kinder volles Gehör finden, wird empfohlen, etwa einen Kinderpresbyter oder eine Kinderpresbyterin zu bestimmen. 18 In einem gewissen Gegensatz dazu steht – mir nicht ganz verständlich – die Bemerkung von Rüdiger Maschwitz, „kinderorientierte Gemeinde“ meine nicht, „daß die Kinder die Gemeindearbeit bestimmen und sagen, wo es lang geht.“ 19 Wenn Gemeinde wirklich ein Geben und nehmen ist und Kinder ernstgenommen werden sollen, dann müssen sie auch mitbestimmen können, „wo es lang geht“. Es entspricht den feinen und vorsichtig kritischen Bemerkungen dieser Arbeitshilfe, wenn ich behaupte, dass es vielerorts ganz im Gegenteil so ist, dass Kinder überhaupt nicht wahrgenommen werden – da, wo es lang geht. So empfiehlt im Schlusswort Präses Peter Beier „seinem Enkel“: „Vergiß uns, mein Junge, wenn es sein muß… Misch‘ dich ein. Halte dich nicht heraus… Besser ist es, zu widerstehen.“20 Auch wenn dies bei Kindern seine Grenzen hat: Die „Großen“ sind aufgerufen, auf Kinder in der Gemeinde zu achten, „aber nicht nur als ein Gegenstand in Gruppen, sondern als Menschen, die wir von Angesicht zu Angesicht kennen und schätzen.“ 21

b) Dieses Menschenbild äußert sich weiterhin darin, wie auf verschiedenste Weise behinderte und benachteiligte Kinder in den Blick kommen. „Von behinderten Kindern Gemeinde leben lernen. Das kleine Glück … und noch viel mehr“ 22 und „Beratung – Sexueller Mißbrauch an Kindern“ 23 sind Titel im ersten Teil der Arbeitshilfe,. und im dritten Teil widmen sich gleich drei weitere Beiträge um behinderte Kinder: Integrative Kindergärten werden vorgestellt 24 und eine Stellungnahme der rheinischen Landeskirche dazu abgedruckt25, sowie ein Beitrag über „integrative Freizeiten“ 26.

c) Die Kinder kommen nicht nur „in den Blick“, sind nicht nur Empfänger von Gaben; im Kontakt mit ihnen kann man auch eine Menge lernen, was man ohne sie vergessen würde. Werner Pohl beschreibt, wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Kinderarbeit wachsen und über sich selber lernen. 27 Und er erzählt, wie Pfarrerinnen und Pfarrer eine neue lebendige Beziehung zur Theologie bekommen. „Es fällt ihnen leichter, Glauben beim Namen zu nennen, „Gott“ zu sagen, sich ihres eigenen Glaubens zu freuen. Sie lernen, die biblische Botschaft elementar zu verkündigen, das Evangelium so umzusprechen, daß es verstehbar, auch fühlbar und greifbar wird. Sie entdecken: So eine elementare Verkündigung brauchen nicht nur Kinder, sondern ebenso Erwachsene.“ 28 Ein anderes Beispiel erzählt Günter Ruddat von einem geistig behinderten Kind, das nach der eigenen Einsegnung mit den leise gestammelten Worten „Du auch!“ den Pfarrer segnet: „Nach dem Gottesdienst beginne ich langsam zu verstehen: Birgit hat mich aus der „amtlichen“ Funktion heraus-gelöst und ihren Segen weitergegeben. Wer hat das schon gelernt?“29Das führte dann dazu, dass in einem Kindergottesdienst später diese Erfahrung modifiziert weitergegeben wurde, als „Segen“ erklärt werden sollte. Damit wird Behinderung nicht verklärt und es wird ihr auch kein besonderer Sinn gegeben. (Als ob Nichtbehinderung verklärt würde, wenn man Nichtbehinderten oder Erwachsenen unterstellte, dass man von ihnen lernen könne!) Aber Behinderte und Kinder werden damit als eigenständige Menschen in einer echten Beziehung wahr- und ernstgenommen.

d) Nicht zuletzt gehört zum Kindsein das Spielen. Die Arbeitshilfe lenkt den Blick darauf, dass davon auch Erwachsene lernen können, insbesondere sich in andere Menschen hineinzudenken und Probleme zu lösen. Die Spiele, mit denen das Heft eingeleitet wird und mit denen es ausklingt, sind ein gutes Beispiel dafür. Direkt zum Einstieg 30 werden vier Gruppen zusammengebeten („Pfarrer/in und Hauptamtliche“, „Presbyterinnen und Presbyter“, „Eltern und andere Gemeindeglieder“ sowie „Kinder“), um Menschen aus dem Presbyterium, aus dem Pfarramt, aus der ganzen Gemeinde oder aus einer Jugendfreizeit die Möglichkeit zu geben, sich in das Denken und Fühlen anderer zu versetzen. Jede Gruppe erhält eine Rollenbeschreibung und eine Situation vorgegeben, in der letztlich die Frage diskutiert wird: „Wo/wie müssen wir ansetzen, was wäre zu tun (oder zu lassen), um von der Kirchengemeinde her Kinder anzusprechen und zu gewinnen.“ Anschließend treffen sich alle Gruppen zur „Gemeindeversammlung“, um in einer zweiten Runde des Spiels die Fragen zu vertiefen.

Ein umfangreiches Brettspiel zum Ausschneiden und Aufkleben mit Ereignis- und Fragekarten rund um die Räume eines Gemeindezentrums und den Gemeindesaal bildet den Schluss und lädt ein, sich beim Spielen Gedanken über die Kinderarbeit in der Gemeinde zu machen. Die Grenzen zwischen Spiel und Arbeit (Nachdenken über Gemeindekonzeption und welche Rolle die Arbeit mit Kindern darin spielt) verschwimmen. Und so wird insgesamt deutlich, dass Gemeinde nicht nur aus bitterem Glaubensernst besteht, sondern es scheint auch etwas von der spielerischen Leichtigkeit des Himmels hindurch, in den man nur gelangen kann, wenn man wird wie die Kinder – während gleichzeitig sehr ernst und konzentriert über die konkreten Verhältnisse nachgedacht wird.

2.6 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

Wie schon unter 2.2 kurz ausgeführt, ist unsere Kirche bis heute davon geprägt, dass Pfarrer allein durch ihre Dienstvorschrift jeweils die letzte Entscheidungsbefugnis haben. Modelle der Gemeindepädagogik versuchen, ein partnerschaftlicheres Verhältnis einzuführen. Damit die oben genannten Vernetzungsstrukturen funktionieren können, braucht es qualifizierte, eigenverantwortliche haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dabei werden drei Grundqualifikationen unterschieden 31: Eine theologisch-hermeneutische, eine theologisch-pädagogische und eine theologisch-sozialdiakonische Qualifikation. Eine Ausbildung in allen drei Bereichen bedeutet aber eine Überforderung. „Universalkompetenz führt zu Universaldilletantismus.“32 Die Arbeitshilfe deutet das Problem schon an einer Überschrift an: „Ein bißchen mit Kindern arbeiten kann doch jede/r, oder?“33 So werden qualifizierte Mitarbeiter demotiviert und die in 2.4 angedeuteten Probleme verniedlicht und verharmlost. Häufig werden Jugend- und Kinderarbeit gegeneinander ausgespielt, genau wie auch ehrenamtliche gegen hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das soll nicht sein. Angesichts der sehr unterschiedlichen Anforderungen und Erwartungen z.B. von Eltern, die eine sorgfältige Garantie der Aufsichtspflicht verlangen und denen der Kinder, die nicht nur spannende Programme geboten bekommen wollen, sondern auch Anerkennung und ein Gefühl von Sicherheit, Geborgenheit und Solidarität, brauchen ehrenamtliche Mitarbeiter eine optimale Ausstattung der Arbeit und eine angemessene Beratung und Begleitung seitens der Hauptamtlichen.34 Diese stehen wiederum in einem ständigen Rollenkonflikt mit den Leitungsgremien, dass sie die Zielsetzung der Gemeinde unterstützen, ständig zur Verfügung stehen, Teamfähigkeit beweisen, sorgsam mit dem Geld umgehen und für saubere Räume sorgen. 35 „Zur Erreichung dieser Ansprüche benötigen hauptberuflich Tätige Planungssicherheiten und Anerkennung der Professionalität ihrer Arbeit. Es ist mehr denn je notwendig, dass Leitungsgremien in Gemeinden wegkommen von der bisherigen Denkweise, dass ihre Angestellten „Mit“-ArbeiterInnen sind, die u.a. in der Arbeit mit Kindern mitarbeiten. Hauptberuflich Tätige verantworten ihre Arbeitsbereiche weitestgehend selbständig und brauchen die Anerkennung ihrer Tätigkeit als Arbeit.“ 36 Dabei gilt aber, dass die Arbeit nur von hauptamtlichen Kräften nicht zu bewältigen ist. Insbesondere die Kindergottesdienstarbeit belegt dies mit ihrer großen Zahl freiwilliger Helferinnen und Helfer.

3. Themen, die nicht vorkommen

a) Vermisst habe ich einen Beitrag über die Taufe. So manche Taufe habe ich schon erlebt, die eher lieblos (und gar nicht wie eine „Oase“) irgendwie im Haupt- oder Kindergottesdienst untergebracht war und mehr oder weniger zügig nach Agende „durchgezogen“ wurde. Die vielen Säuglinge dürften dies zwar nicht merken. Dafür empfinden die leider häufig nicht sehr mit Gottesdienst vertrauten Eltern und Paten sehr deutlich, wie einladend der Gottesdienst auch für sie gestaltet war – oder nicht. Noch vor der Krabbelgruppe ist der Taufgottesdienst häufig nach langer Pause der erste Kontakt zur Gemeinde. Und ein solcher erster Eindruck kann die ganze weitere Beziehung prägen, in die das Kind – vermittelt zunächst durch seine Eltern – zur „Gemeinde-Oase“ eintritt oder nicht.

Gemeindepädagogische Möglichkeiten zur Gestaltung der Taufe 37 bestehen darin, schon im Taufgespräch erahnen zu lassen, wie Erwachsene und Kinder Gemeinschaft haben, indem sie Ängste beim Namen nennen und Hoffnungen und Befürchtungen aussprechen können. Sie sollen sich eingebunden fühlen können zwischen Paten und Gemeinde. Biblisch verankerte Symbole wie Wasser, Licht, Baum und Erde können besprochen und dann im Gottesdienst überreicht werden, vielleicht wird sogar ein kleiner Baum auf dem Gemeindegrundstück gepflanzt. Die Gemeinde kann die Gemeinschaft ausdrücken, indem sie die Taufeltern mit einem Kreis um den Taufstein umschließt und Wünsche für das Kind und seine Familie äußert. Vielleicht erhalten die Eltern ein Erinnerungsblatt, das nach dem Gottesdienst von der ganzen Gemeinde, evtl. bei einer Tasse Kaffee unterschrieben wird. Auf diese Weise könnte die Annahme durch Gott durch die Annahme durch Menschen ausgedrückt werden – wenn Gemeinde Oase für Kinder ist, bleibt dies auch nicht auf den Taufgottesdienst beschränkt.

b) Angeregt durch ein Buch von Josef Quadflieg habe ich weiterhin einen Beitrag über Kinder und Theologie 38 vermisst. Er würde wohl am besten in den mittleren, theoretischen Teil passen. Was löst Kirche bei Kindern (also noch keinen Jugendlichen) aus, wenn über Sünde oder den Teufel gesprochen wird? Nicht gerade selten geistern in den Köpfen der Erwachsenen noch Gedanken herum über Gott, der alles sieht und der Sünde bestraft – lange bevor Kinder überhaupt begreifen können, was damit gemeint ist. Aber diese Gedanken sind ausgesprochen und können in Kindern ein verheerendes Eigenleben annehmen. In weniger dramatischen Fällen kann es dazu beitragen, die Kinder langfristig von der Kirche und von Gott zu entfremden. So kann Gemeinde äußerlich zwar einer einladenden Oase gleichen, aber das Wasser in ihr wird als vergiftet empfunden.

Einige Beispiele sollen das verdeutlichen. 1967 wurden im römisch-katholischen „Rahmenplan für die Glaubensunterweisung“ der deutschen Bischöfe die Schöpfungserzählungen der Genesis aus den Grundschulbüchern vertrieben und erst für das 8. Schuljahr, also für 13 bis 14jährige Jugendliche vorgesehen. Die Jugendlichen sollen erst mit der Schöpfungsgeschichte bekanntgemacht werden, nachdem sie mit dem naturwissenschaftlichen Weltbild konfrontiert wurden, damit biblische und naturwissenschaftliche Aussagen nicht zu Konkurrenzaussagen werden. 39 Das heißt nun nicht, dass „Schöpfung“ im Kindesalter nicht vorkommen darf. Nach einem Spaziergang im Wald etwa kann man die Kinder das Erlebte mal lassen. „Im Gespräch werden Sie sagen: Es gibt Menschen, die glauben: Das alles kommt von Gott. Sie sagen: Gott erschafft alles. Sie sagen: Gott, dafür loben wir dich! Dafür danken wir dir! – Es gibt andere Menschen, die sagen: Gott? Gott, das gibt es nicht. – Wenn Sie wollen, fügen Sie hinzu: Ich zum Beispiel, ich glaube, daß alles von Gott kommt.“ 40 Wichtig ist dabei auch die Aussage im Präsens, um den Eindruck zu vermeiden, dass „Schöpfung“ etwas schon abgeschlossenes ist.

Genauso empfiehlt Quadflieg etwa, nicht von Engeln zu Kindern zu sprechen. und entsprechende Bibelstellen ruhig auch auszulassen: „Die Kinder machen sich sonst märchenartige Vorstellungen, die dazu angetan sind, daß sie später sagen: Die ganze Bibel ist ein Kindermärchen; damit wollen wir als Jugendliche nichts mehr zu tun haben. Jeder Religionslehrer einer Hauptschule oder eines Gymnasiums kann Ihnen das bestätigen.“ 41

Ich halte es für wichtig, über diese Problematik aufzuklären und auch Eltern Hilfestellung für die religiöse Erziehung ihrer Kinder zu geben, auch wenn die Problematik z.B. bei der Zusammenstellung der Kindergottesdiensttexte sicherlich berücksichtigt wird. Dabei muss von der Sache her nichts Wichtiges ausgelassen werden, auch wenn bestimmte Begriffe und Inhalte zunächst ausgeklammert bleiben.

4. Schluss

Es bleibt nun nur noch zu wünschen, dass diese Arbeitshilfe – vielleicht in der angegebenen Weise erweitert – möglichst weite Verbreitung findet und mithilft, dass möglichst viele Presbyterien keine Widerstände mehr entgegenbringen, wenn sich Menschen dafür engagieren wollen, dass es im Gemeindehaus etwas lauter wird. Im Gegenteil: Wenn es zu leise wird, muss dies zum Nachdenken führen, wo wohl die Kinder geblieben sind.

 

Fußnoten

1. Unbekannt.
2. Veronika Kohmüller, 115.
Seitenangaben ohne Titelangabe beziehen sich immer auf die dieser Arbeit zugrunde liegende Schrift.
3. vgl.: Adam/Lachmann: Gemeindepädagogisches Kompendium.
4. Rainer Lachmann, TRE „Kind“, 156.
5. vgl. im Folgenden: Karl Foitzik: Die Mitarbeiter in den gemeindepädagogischen Handlungsfeldern. in: Adam/Lachmann, a.a.O., 162ff.
6. Gerda Schmeer, 18.
7. Harald Bewersdorf, 56.
8. Harald Bewersdorf, 57.
9. vgl. Doris Sandbrink, 113f – Gert René Loerken, 98f.
10. Harald Bewersdorff, 55f.
11. B. Vrijdaghs, Werden wie Kinder, EvErz 1980, S. 173f. Zitiert nach Harald Bewersdorf, 55.
12. Harald Bewersdorff, 56.
13. Rüdiger Maschwitz, 39f.
14. Adolf-Leopold Krebs und Rdiger Maschwitz, 24f.
15. vgl. Ulrich Bach: „Gesunde“ und „Behinderte“ : Gegen das Apartheidsdenken in Kirche und Gesellschaft. Göttingen, 1994.
16. Henning Schröer, 72. Vgl. Ulrich Bach: Boden unter den Füßen hat keiner : Plädoyer für eine solidarische Diakonie. Göttingen, 1980.
17. Henning Schröer, 72.
18. Erika Georg-Monney, 50.
19. Rüdiger Maschwitz, 39.
20. Peter Beier, Ein Testament? Aus dem Bericht des Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland auf der Landessynode 1993 (Schlussteil), 127.
21. Rüdiger Maschwitz, 39.
22. Günter Ruddat, 28-30.
23. Friederike Stratmann, 44f.
24. Elsegret Pflug, Gemeinsame Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kinder in evangelischen Kindergärten, 70f.
25. Entwurf einer Stellungnahme der rheinischen Kirchenleitung. Intergration beeinträchtigter Kinder und Jugendlicher, 80-84.
26. Jürgen Danielowski, 86f.
27. Werner Pohl, 22f.
28. Werner Pohl, 23.
29. Günter Ruddat, 29.
30. Jürgen Koerver, 11f.
31. Foitzik in: Adam/Lachmann, 176.
32. Foitzik in: Adam/Lachmann, 176.
33. Erika Georg-Monney, 34.
34. Erika Georg-Monney, 35.
35. Erika Georg-Monney, 36.
36. Erika Georg-Monney, 36.
37. Failing: Religiöse Erziehung in der Familie. In: Adam/Lachmann, 213f.
38. Josef Quadflieg: Theologie in Kinderköpfen? 10. Auflage Donauwörth, 1987.
39. Josef Quadflieg: Theologie in Kinderköpfen?, 79ff.
40. Josef Quadflieg: Theologie in Kinderköpfen?, 81.
41. Josef Quadflieg: Theologie in Kinderköpfen?, 37.

Literaturverzeichnis

„Gemeinde … Oase für Kinder“ : Von den Chancen der Arbeit mit Kindern in der Kirche. Eine Arbeitshilfe, vorgelegt vom Ausschuß Arbeit mit Kindern der Ev. Kirche im Rheinland. Düsseldorf, 1993/1994
(Seitenangaben ohne Titelangabe beziehen sich immer auf die dieser Arbeit zugrunde liegende Schrift.)

Gottfried Adam / Rainer Lachmann (Hg.): Gemeindepädagogisches Kompendium. Göttingen 1987.

Rainer Lachmann: TRE: Artikel „Kind“ .

Ulrich Bach: „Gesunde“ und „Behinderte“ : Gegen das Apartheidsdenken in Kirche und Gesellschaft. Göttingen, 1994.

Ulrich Bach: Boden unter den Füßen hat keiner : Plädoyer für eine solidarische Diakonie. Göttingen, 1980.

Josef Quadflieg: Theologie in Kinderköpfen? 10. Auflage. Donauwörth, 1987.

 

Anhang 1

Peter Beier

Ein Testament?
Aus dem Bericht des Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland auf der Landessynode 1993
(Schlußteil)

Vielleicht ist nun alles, was wir. . . erörtern und bedenken, bedeutungslos im Angesicht der umfassenden Bedrohung, in die wir unseren Planeten manövriert haben und weiter manövrieren.
Die Wälder sterben.
Diese Rasse wird nichts lernen, selbst dann nicht, wenn ihr die Sonne Krebsflecken auf die Haut brennt.
Die einzige Hoffnung, die bleibt, findet für mich in einem schlichten frommen Satz der Väter und Mütter im Glauben Ausdruck: Gott, der Herr, sitzt im Regiment.
Es wird regiert.
Das sind keine Selbstberuhigungen, sondern Aufforderungen zu zähem Kampf für den Bestand der Schöpfung und die Erhaltung der Art, wenn es Gott gefällt.
Hätte ich jetzt ein Testament zu hinterlassen, ich schriebe meinem Enkel so:
Komm, ich erzähl‘ dir die Geschichte vom Turmbau zu Babel.
Die Geschichte erzählt dir alles über mich und meine Generation.
Sie erzählt alles über den Menschen.
Du fragst, was wir mit eurer Zukunft gemacht haben.
Du fragst, was ich gegen explodierenden Wahnsinn unternahm.
Ich kann vor deinen Fragen nicht bestehen.
Was wir gesagt und getan haben, war halbherzig genug.
Ich gehörte zu denen, die in Gottes Namen warnen wollten.
Das war viel zuwenig, wir hätten widerstehen müssen.
Aber es mangelte uns an Phantasie und Löwenmut.
Es mangelte an gemeinsamer Sprache.
Wir haben geredet. Aber aneinander vorbei.
Wir haben argumentiert. Aber über Köpfe und Herzen hinweg.
Das ist unsere Schuld.
Du trägst die Folgen. Nicht ich.
Wenn es für dich etwas zu lernen gibt, dann das:
Unsere Maßstäbe, unsere Werte taugen nicht zum Überleben.
Unsere Sprache ist verbraucht.
Unsere Denkgewohnheiten sind verelendet.
Darum sei genau, mein Junge.
Gib keinen Rabatt auf nachträgliches Gejammer.

Die Menge der Leute wird dir versichern:
Das haben wir nicht gewußt. Glaub‘ ihnen nicht.
Sie haben gewußt, was zu wissen war.
Sie hätten es wissen können.
Andere werden dir sagen:
Wir konnten nichts machen.
Glaub‘ ihnen nicht.
Sie hätten eine Menge machen können.
Vergiß uns, mein Junge, wenn es sein muß.
Es ist Zeit, uns zu vergessen.
Wie die Turmbaugeschichte lehrt.
Mach‘ dich mit anderen auf die Suche nach der neuen Sprache.
Sie ist da.
Buchstabiere das Wort Jesu Christi, besser als es uns je gelang.
Misch‘ dich ein. Halte dich nicht heraus.
Aus Politik und Wissenschaft.
Mach‘ dich sachkundig.
Nimm den Spaten und betrachte die Erde.
Lies die Seekarten.
Sprich mit den Fischen.
Sie werden dir antworten.
Mach‘ keine große Karriere.
Besser ist es, zu widerstehen.
Vielleicht ist das Ende offen.
Für dich und die Deinen.

 

Anhang 2:
Inhaltsverzeichnis von „Gemeinde … Oase für Kinder“

5
Vorwort des Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland

6
Gemeinde. . . Oase für Kinder
Vorwort von Wolfgang Engels und Rudiger Maschwitz

10
Mitglieder des Ausschusses »Arbeit mit Kindern in der Evangelischen Kirche im Rheinland«

11
Zum Einstieg: Kind in der Gemeinde. Ein Rollenspiel
von Jürgen Koerver

14 Oase für Kinder.
Einleitung zum 1. Teil

I
In der Oase – zwischen Wüste und Paradies
Wichtige Handlungsfelder kirchlicher Arbeit mit Kindern

17
Abendmahl mit Kindern. Erfahrungen in der Gemeinde
von Gerda Schmeer

20
Kindergottesdienst. Eine Vision
von Werner Pohl

24
Kindergarten, Kindertagesstätte, Hort. Plädoyer für ein elementares kirchliches Handlungsfeld
von Adolf-Leopold Krebs und Rüdiger Maschwitz

26
Zur klassischen Gruppenarbeit: »Jungschar ade?!«
Interviews zur Arbeit mit Kindern in zwei Landgemeinden im Kirchenkreis Krefeld
von Veronika Kohmüller

28
Von behinderten Kindern Gemeinde leben lernen. Das kleine Glück… und noch viel mehr
von Günter Ruddat

31
Ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Eine besondere Chance für alle
von Luise Pawlowsky

34
Zur Situation hauptberuflicher »Mit«-Arbeiterlnnen in der Arbeit mit Kindern
Ein bißchen mit Kindern arbeiten kann doch jede/r, oder?
von Erika Georg-Monney

31
Musizieren mit Kindern mit Herzen, Mund und Händen für den Leib Christi
von Ursula von den Busch und Michael Heering

39
Kinder in der Gemeinde. Die Vernetzung der Orte, an denen Kinder in der Gemeinde sind
von Rüdiger Maschwitz

41
Schule und Gemeinde. Zur Ganztagsbetreuung und Folgen für die Arbeit mit Kindern
Statements, gesammelt von Rüdiger Maschwitz und Markus Homann

44
Beratung – Sexueller Mißbrauch an Kindern. Gemeinde als Oase
von Friederike Stratmann

46
Sind wir eine kinderfreundliche Kirche?
Was zu tun ist, um das zu werden. Standortbestimmung und Perspektiven
von Adolf-Leopold Krebs

49
Prüfsteine für die Arbeit mit Kindern
von Erika Georg-Monney

52 Schwierige Wege zwischen Wüste und Oase.
Einleitung zum 2. Teil

II
Eine Oase hat viele Quellen

Grundsätzliches zu einer kirchlich-gemeindlichen Arbeit mit Kindern

55
Das Bild der Kinder in der Bibel – Das Bild des Kindes in der Familie
von Harald Bewersdorff

62
Grundlegende Informationen zum Leben der Kinder
und Anregungen zu einer kinderorientierten Gemeindearbeit
von Rüdiger Maschwitz

71
Möglichkeiten eines kinderfreundlichen Gemeindeaufbaus
von Henning Schwer

76
Die Oase bringt Früchte.
Einleitung zum 3. Teil

III
Früchtekorb

Beispielhafte Hoffnungszeichen und Perspektiven aus der Arbeit mit Kindern

Behinderte Kinder

78
Gemeinsame Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kinder in evangelischen Kindergärten
von Elsegret Pflug

80
Integration beeinträchtigter Kinder und Jugendlicher
Entwurf einer Stellungnahme der rheinischen Kirchenleitung

86
Integrative Freizeiten
von Jürgen Danielowski

Kindergottesdienst

88
Die Tempelreinigung. Ein Rollenspiel zu Mt 21,12-17
von Werner Pohl und Lothar Wand

91
Was suchet ihr den Lebendigen bei den Toten? (Lk 24,1-12)
Ein Ostergottesdienst, der auch als Familiengottesdienst gefeiert werden kann von Werner Pohl

95
Kinder-Bibel-Tage. Bericht über biblisch orientierte Kindertage
von Ernst Richter

98
Gottesdienste mit Kleinkindern
von Gert Rene Loerken

100
Krabbelgottesdienst – wie soll ich mir das vorstellen?
von Annette Beuschel

101
Kindergottesdienst und Kinderarbeit. Ergebnisse der Erhebung
zusammengestellt von Markus Homann

Soziokulturelle Arbeit mit Kindern

103
Kinder-Filmstadt Hollywuzz
von Arnold Köppen und Erich Schriever

106
Kinderkulturarbeit durch eine evangelische öffentliche Bücherei
von Sigrid Deichmann

108
Wenn Töne Treppen steigen und Texte triumphieren – Kinderlieder selber machen! von Luise Pawlowsky

110
Das Gauklermärchen. Ein Theater von Kindern für Kinder
von Andrea Visser

111
Kinderfreizeit. »Bitte anschnallen, gleich fliegen wir los!«
von Ulrike Vogt

Neue Pflänzchen in der Oase. Versuche neuer Wege

113
Eltern-Kind-Gruppen
von Doris Sandbrink

115
Offener Kindertreif. Zwischen verschiedenen Nationen, Hausaufgaben und Ganztagsbetreuung
von Veronika Kohmüller

118
Der Offene Kindertreff »Stoppelhops« für Kinder von 6 bis 10 Jahren
von Urs Zietan

119
Erlebnistage für Schulklassen. Schule ist überall
von Luise Pawlowsky

121
Tagesbetreuung von Kindern und Jugendlichen
Hinweis auf die Arbeitshilfe für Kirchenkreise und Gemeinden

122
Beschlüsse rheinischer Landessynoden zum Themenbereich »Arbeit mit Kindern« seit 1979
zusammengestellt von Wolfgang Engels

124
Eine Gemeinde will »kinderfreundlich« werden …
von Jürgen Koerver

127
Ein Testament? Aus dem Bericht des Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland auf der Landessynode 1993 (Schlußteil)
von Peter Beier

128
Bastele Dir ein schönes Gemeindekind (Bastelbogen)

131
Die lieben Kids
Ein Würfelspiel für Kirchengemeinden, die sich und ihre Kindergruppen immer wieder (neu) im Blick haben
von Ewald Schulz

 

Bestellmöglichkeit
Gemeinde … Oase für Kinder
Eine Arbeitshilfe, vorgelegt vom Ausschuß »Arbeit mit Kindern«  der Evangelischen Kirche im Rheinland
Ppbck., 160 Seiten, € 8,10
Die Arbeitshilfe konnte über den Medienverband der Evangelischen Kirche im Rheinland bestellt werden.

Kreuz und Auferstehung

Auf die folgenden Texte stieß ich im ökumenischen Jugendkreis in Essen-Altendorf (1983). Die genaue Quelle ist mir nicht bekannt.

„Wer mir nachfolgen will…“ Markus 8,34

Die Synode der deutschen Bistümer ist – wie mir einer, der es wissen muss, versicherte – ein großes, epochemachendes Ereignis gewesen. Einer der Teilnehmer erklärte uns an einem Beispiel, das natürlich frei erfunden ist, wie ein Synodenpapier entstehen kann.

„Wer mir nachfolgen will, der nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach!“ Ein bekanntes und schlichtes Wort, das im Evangelium zu lesen ist. Seine Bedeutung wird freilich erst dann richtig erkennbar, wenn es zum Gegenstand synodaler Beratungen wird. Nehmen wir es einmal so an.

Natürlich erscheint dieser knappe Satz der zuständigen Sachkommission schon beim ersten Drüberlesen als zu schroff und nicht auf alle Gegebenheiten anwendbar formuliert. Daher beantragt der Synodale U., den festen Rat, das Kreuz auf sich zu nehmen, durch ein „in der Regel“ zu mildern. Dies, so meint er, deute immer noch die Richtung des Gemeinten an, trage aber doch auch der besonderen pastoralen Situation in einigen Bistümern Rechnung. Dies findet Zustimmung.

Als nächster weist der Synodale D. mit beredten Worten auf die Gefahr hin, man könne aus dem Wörtchen „will“ womöglich eine ungebührliche Betonung subjektiven Wollens herauslesen. Er plädiert für Streichung. Trotz der Gegenrede der Synodalin R., die nicht ihren besten Tag hat, holt er eine knappe Mehrheit heraus für die Fassung: „Wer mir nachfolgt, der nehme in der Regel…“

Fünf Wochen später, in der nächsten Sitzung – der zweifach geänderte Satz ist mit dem Protokoll rechtzeitig allen Kommissionsmitgliedern schriftlich zugegangen – steht er erneut zur Debatte. Der magenkranke Synodale M., der beim letzten Mal leider verhindert war, an den Beratungen teilzunehmen, stößt sich sogleich an der Formulierung „der nehme“. Darin muss er lesen, man wolle die Nachfolge dem Betroffenen lediglich anraten. Zudem erinnere ihn dieser Ausdruck gewissermaßen an Kochrezepte. Um derartige assoziative Missverständnisse von vornherein auszuschließen, habe er folgende Neufassung des Textes ausgearbeitet: „Die vom Herrn eindeutig geforderte Nachfolge besagt in der Regel das Aufnehmen des dem angerufenen Jünger spezifischen Kreuzes und damit die Nachfolge des Herrn durch eben diesen Jünger.“ Dies findet Zustimmung. Ebenso der Hinweis, das Wort „eindeutig“ könne man streichen; der Ausdruck „gefordert“ sei stark genug, um das gemeinte Anliegen zu verdeutlichen.

Eine längere Debatte gibt es bei der nächsten Sitzung um den Vorschlag mehrerer synodaler Sprecher, den letzten Teil des Satzes, der stilistisch wie inhaltlich den Satzanfang nur unnötig wiederhole, überhaupt zu streichen. Einige sprechen dagegen, doch erinnert der Vorsitzende rechtzeitig an die Mahnungen der Zentralkommission, die Vorlagen entschieden zu straffen. Der noch eine Stunde vor Schluss der Sitzung angereiste prominente Synodale T. weist auf mögliche Bedenken der Exegeten hin: Das vorliegende Jesuswort von der Nachfolge sei uns schließlich nur als ein durch die Urgemeinde vermitteltes bekannt und dürfe darum nicht so unbefragt, wie im Text geschehen, als direkt jesuanisch postuliert werden. Unter Zeitdruck achtet nun die Kommission nicht mehr auf den Synodalen R., der noch einmal sein Anliegen vorträgt, die Bibel gehöre in jede Arbeiterhand, sondern einigt sich mit zwei Enthaltungen, folgende Fassung zur 1. Lesung in die Vollversammlung einzureichen:

„Die nach dem Zeugnis der Evangelien dem Herrn selbst zugeschriebene Aufforderung zur Nachfolge besagt in der Regel das Aufnehmen des dem jeweiligen Jünger spezifischen Kreuzes durch denselben.“

Zur 1. Lesung in der Vollversammlung werden zu dem vorliegenden Satz insgesamt 21 schriftliche Änderungsanträge eingereicht. Davon werden nach mehrstündiger Beratung 9 abgelehnt und 12 überwiesen.

Zwei Monate später schon gelingt es der Sachkommission bei ihrer nächsten Sitzung, sich auf folgende neue Textfassung zu einigen, in die alle Anträge eingearbeitet sind:

„Sofern uns das Zeugnis der Evangelien als ein sowohl damals entstandenes als auch in der heutigen Weltsituation gültiges authentisch überliefert ist, besagt die darin dem als dem Christus geglaubten Jesus von Nazaret zugeschriebene und von der durch die Zeiten pilgernden Kirche als seines geheimnisvollen Leibes treulich tradierte Aufforderung zur Nachfolge in Glaube, Hoffnung und Liebe in der Regel das Akzeptieren des dem jeweiligen Jünger je und je eigenen und Schicksal und Tod bezeichnenden Kreuzes, jedoch nur, wo dies möglich und üblich ist und wo dem nicht ernsthafte Bedenken des Pfarrgemeinderates wie auch gegebenenfalls des Pfarrers, der dabei im Regelfall der Zustimmung des Dekans bedarf, entgegenstehen.“

Die Sachkommission glaubt, für die 2. Lesung ein brauchbares Arbeitspapier erstellt zu haben. Auf die Frage eines Zeitungsmenschen, ob man dies nicht auch einfacher sagen könne und so, dass man es an der Basis verstehe, meinte man allgemein, damit sei die Synode überfordert.

 

Die Kreuzigung

„Sie höhnten: Steige er doch herab, dann wollen wir an ihn glauben!“
Matthäus 27,42

 

Der-da-oben

wollte ein Beispiel geben,
aus Liebe, sagt er – und ist
Der-da-unten geworden.

Seine Gefühle in Ehren,
aber wo kämen wir hin…
man kann doch nicht einfach
alles auf den Kopf stellen!

So haben wir die Sache
wieder in Ordnung gebracht, haben ihn,
Den-da-unten, am Kreuz erhöht,
in den Himmel erhoben.

Es war nicht ganz einfach.
Jedenfalls ist er nun wieder da,
nämlich oben, wo er hingehört,
Der-da-oben.

 

Vorsorge

„Jesus wusste, dass alles vollbracht war…“
Johannes 19,28-30

Wir haben ihn
festgenagelt
auf seine Versprechungen.

Ein Kreuz, ein Hammer
und vier dicke Nägel,
das genügt.

Nun muss er
sein Versprechen halten,
uns zu retten.