Warum misstraut man den Organspendern?

Warum misstraut man den Organspendern?

Zu meinem Beitrag im Kölner Stadtanzeiger vom 11.02.2014
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Ich möchte nicht missverstanden werden:
Für mich ist die Organspende ein Werk der Barmherzigkeit.

Ich verstehe nur nicht, warum mit den vielen Details zur Organspende nicht offen und ehrlich umgegangen wird. Krankenkassen, Politik, Organspendeorganisationen enthalten uns viele Informationen vor. Wir müssen denen blind vertrauen. Aber sie misstrauen uns, sonst würden sie uns besser informieren.

 

Darum verstehe ich meinen Beitrag als Aufruf, uns Spenderinnen und Spendern umfassend alle nötigen Informationen zu jedem Organ und zu jedem Gewebe mindestens so zu Verfügung zu stellen, wie es bei jedem anderen operativen Eingriff in unseren Körper auch erfolgt. “Mindestens”: Die Organspende ist so sensibel, dass in diesem Fall die Informationen besonders sorgfältig und umfassend sein müssen.

Für Menschen mit schwachen Nerven kann diese Information ja durchaus abgestuft erfolgen. Nicht alle wollen alles wissen. Nicht allen muss alles zugemutet werden. Aber jeder muss das Gefühl haben: “Es gibt keine Geheimnisse. Wenn ich will, kann ich mit wenigen Klicks Zugang zu allen Details bekommen.”

Aber in dieser Geheimnistuerei, in diesem Misstrauen uns Spendern gegenüber sehe ich die wichtigste Ursache dafür, dass so viele zögern, einen Organspendeausweis auszufüllen.

 

Meine zweite Frage bezieht sich auf die Diskrepanz zwischen der Feststellung des Hirntods und dem, was wir sonst Sterbeprozess nennen.

Nicht nur in der Hopizarbeit haben wir doch begriffen, dass Sterben ein Prozess ist mit vielen Zwischenstufen, dessen Ende nicht wirklich exakt bestimmt werden kann. Wenn die sicheren Totenzeichen mit Leichenstarre und Totenflecken eingetreten sind, ist man irgendwo am Ende dieses Prozesses angekommen. Nach meinem Verständnis ist dies auch bei der Organspende so.

Für den Operateur ist es gefühlsmäßig und juristisch absolut wichtig, dass der Organspender nicht durch ihn zu Tode kommt. Das hat zu der juristischen Feststellung des Hirntodes geführt. Biologisch und vom äußeren Anschein jedoch kann auch die Feststellung des Hirntodes nur ein kurzer Augenblick im Sterbeprozess sein. Hinter den Hirntod gibt es kein zurück mehr ins Leben. Zugunsten des Organempfängers muss nun der Sterbeprozess mit hohem intensivmedizinischem Aufwand aufgehalten werden. Ohne diese Intensivmedizin würde der Körper aufhören zu atmen und es würde nicht lange dauern, bis die bekannten eindeutigen Todeszeichen eintreten. Die Organe und Gewebe wären unbrauchbar. Nach der Organentnahme nimmt der Sterbeprozess dann einen extrem rapiden Verlauf. Aber er ist in keinem Fall mit dem Formalakt der Hirntod-Festellung abgeschlossen.

Auch über diese Differenz müsste meiner Ansicht nach offen gesprochen werden. Und sie müsste zu einer ehrlichen Gesetzessprache führen, die dem rechtlichen Bedürfnis der Operateure und OP-Pfleger entgegen kommt, die dem Überlebenswillen der Empfänger entspricht, und die mit dem biologischen und sichtbaren Verlauf der Organspende übereinstimmt.

Hinter den Hirntod gibt es keinen Weg zurück. Aber der Weg ist mit dem Hirntod auch noch nicht ganz zu Ende gegangen. Ehrlichkeit auch in dieser Hinsicht wäre ein vertrauensbildendes Signal, das m.E. die Spendebereitschaft vergrößern würde.

Bernd Kehren, 11.02.2014

Aufstehen gegen die Trolle?

Aufstehen gegen die Trolle?!

In www.evangelisch.de fällt mir ein Hinweis auf einen Blogeintrag ins Auge: Die Kirche und ihre Trolle und dort den Versuch einer Auseinandersetzung mit einem aktuellen evangelikalen Dokument, das Christen zum “Aufstehen” auffordert.

Warum es trotzdem besser ist, sitzen zu bleiben und nicht zu unterschreiben…

Ja, es gibt auch Trolle. Ob man die Initiatoren dieses Aufrufes so bezeichnen kann?

Ein kleiner Umweg. Es gibt einen exzellenten Aufsatz von Klaus Wengst über den Geburtsfehler der Reformation: Luthers Antijudaismus nämlich.
Kurz gesagt: Oft nimmt man den „späten Luther“ mit seinen drastischen Äußerungen mit dem „frühen Luther“ in Schutz, der sich doch so positiv über die Juden geäußert habe.
Wengst zeigt überzeugend, dass Luther die Juden niemals als ernsthaften Gesprächspartner in den Blick genommen hat, sondern immer nur als Missionsobjekt. Entsprechend sei es nur konsequent, dass Luther radikal umschaltete, als die Juden sich nicht so eben missionieren lassen wollte. War Luther ein Troll?

Ich befürchte, jener Aufruf steht vor einem ähnlichen Problem.

Der Anfang liest sich ja gar nicht mal schlecht:

Allein Christus, Allein aus Gnade, Allein durch Glauben. Allein die Schrift.

Und dann das Bekenntnis: Wir genügen dem nicht.
Und dennoch wollen wir für die Menschenwürde aufstehen und für die Religionsfreiheit.

Ja. Ja. Ja.

Aber dann wird es spannend. Dann kommt ein Zungenschlag, den ich nicht verstehe:

„Allein an ihm (Jesus) entscheidet sich das Heil aller Menschen.“
Wie meinen sie das?
Ich meine: In Jesus ist das Heil aller Menschen entschieden. Umfassend. Einmalig.

Warum muss man aufstehen dann „gegen alle Lehren, die die Versöhnung durch seinen Tod am Kreuz infrage stellen und seine leibliche Auferstehung leugnen“?

Ich verstehe es nicht! Das ist auch nicht biblisch. Mir scheint, hier tappen die Autoren in eine vergleichbare Falle, in die auch Luther schon getappt ist.

Was steht denn in der Bibel? Ist Jesus „aufgestanden“ gegen alle Lehren, die seine leibliche Auferstehung leugneten? Oder sagte er zu Thomas: „Lege Deinen Finger in meine Seite.“
Thomas hat es dann nicht getan, sondern er sagte: Mein Herr und mein Gott.

Warum meinen die Initiatoren dieses Aufrufes, sie müssten härter und konsequenter sein als der Herr selbst? Aus der Bibel können sie das so nicht haben. Sie werfen den „linken“ Kritikern vor, diese würden die Bibel verfälschen, aber letztlich machen sie es hier selber.

Warum bezeugen sie nicht einfach, dass sie selbst das so glauben? Warum sind sie unbarmherziger mit den Menschen, die sich mit der leiblichen Auferstehung schwer tun, als Jesus es war? Wer zwingst sie dazu?
Sie versuchen, die Versöhnung zu verteidigen – und werden unversöhnlich. Passt das zusammen?

Wer kann die Auferstehung verstehen? Ich kann es nicht. Man frage einen Intensivmediziner, ob jemand nach drei Tagen Herz-Kreislaufstillstand ohne schwerste Hirnschädigungen auferstehen kann. Das spricht nicht dagegen, dass Gott das nicht irgendwie hinbekommen kann. Aber es spricht gegen die Selbstverständlichkeit, mit der das Unverständnis des Unverstehbaren als „Leugnung“ diffamiert wird. Jesus ist mit Thomas anders umgegangen. Und darum wäre es besser, wenn die Autoren des Aufrufes von Jesus lernen und dem Text hier die Schärfe nehmen.

Für mich ist klar, dass die Botschaft vom Kreuz das Ausrufezeichen unter die Aussage von Gottes Versöhnung mit den Menschen ist. Kain erschlägt Abel. Und Gott schützt ihn mit dem Kainszeichen. Bereits das Kainszeichen macht deutlich, dass Gott ein versöhnender Gott ist. Auch wenn Kain sein Leben lang nicht abschütteln kann, was er getan hat. Er steht unter Gottes Schutz. Davon gibt es so viele Geschichten im Alten Testament, dass für mich völlig klar ist: Gott ist und bleibt ein gnädiger Gott. Auch wenn sich ihm immer wieder sein Magen umdreht angesichts dessen, was seine Gläubigen auf der Erde veranstalten. Warum soll er nicht auch mal aus der Haut fahren? Und trotzdem: Seine Güte währet ewiglich. Wie oft wird das in den Psalmen wörtlich so betont!

Nein, Gott ist nicht erst durch das Kreuz versöhnt, sondern das Kreuz zeigt unmissverständlich, dass Gott schon immer ein versöhnter Gott war.
Weil Gott ein versöhnter Gott war, „musste das so geschehen“.

Es ist ein grandioser Irrtum der Autoren, dass sie diesem alten philosophischen Konstrukt auf den Leim gehen, dass ein gerechter Gott nur durch das Kreuz versöhnt werden kann. Es ist ein grandioser Irrtum, wenn sie nun meinen, der Glaube werde zerstört, wenn jemand dieses Konstrukt infrage stellt, das sich eben nicht unmittelbar aus der Bibel ablesen lässt.

Sie stehen auf für Jesus Christus – und merken nicht, dass sie gegen ihn aufstehen.
Warum müssen sie aufstehen für Jesus Christus? Noch höher, als er ans Kreuz gegangen ist, können sie doch gar nicht aufstehen! Der erhöhte Christus am Kreuz zeigt, wie tief Gott zu uns herab kommt. Vielleicht sollte man dies einfach an sich geschehen lassen. Dieses „wir stehen auf“: Es klingt hochmütig wie Petrus. Kurz bevor er seinen Herrn verleugnete.

Und auch der zweite Punkt ist klasse. Jeder Mensch hat als sein Ebenbild eine unverlierbare Würde.
Ja. Ja. Ja.
Aber aus welcher Position heraus schreiben sie das?
Ich werde das Gefühl nicht los, dass sie es aus der Position des geborenen, starken, gesunden, jungen, reichen Menschen schreiben, der alle Rechte und seine Heimat hat. Aber ist das nicht ein Irrglaube? Ulrich Bach (www.ulrich-bach.de) betont zu Recht, dass dies eine Selbsttäuschung ist. Erst wenn man zugibt, dass man eben selber auch schwach, krank, unperfekt, hilfebedürftig ist, kann man m.E. für die Würde der Menschen eintreten. Und wenn man das zugibt, dann wird man anders mit Menschen umgehen, die „anders“ sind. Aus der Position der vermeintlichen Stärke glaubt man, sich für die Schwachen einzusetzen, und man merkt nicht, wie sehr man gegen sie arbeitet.

Zu Punkt drei: Wer behauptet das eigentlich, dieses: „Menschen bräuchten keine Erlösung“? Ich kenne niemanden! Wen haben die Autoren im Blick? Was für ein Feindbild bauen sie mit diesem Satz auf?

So kommen wir zu Punkt vier. Es geht um die Bibel. Ich behaupte: Die Autoren glauben nicht das, was sie da schreiben. Und sie wissen nicht, was sie da schreiben.

Welche Bibel meinen sie? Es gibt kein einziges Original! Alle Handschriften, die wir haben, weichen irgendwo voneinander ab.
Nach welchen Kriterien wählen wir nun die Handschriften aus?

Die Bibel fordert uns heraus, sich mit ihr auseinander zu setzen!
Die Bibel fordert uns heraus, kritisch zu sein!
Die Bibel konfrontiert uns mit ganz unterschiedlichen Sichtweisen.
Man kann über den guten alten Bultmann sagen, was man will, in dem einen hat er sicher Recht: Die Bibel fordert uns zur Entscheidung heraus. Das nimmt sie uns nicht ab!

Wir lesen den Text, und wir lesen die Ansprüche, und dann ist nicht einfach alles klar, sondern es ist oft alles unklar. Und wir sind gefordert, das Richtige herauszufinden. Ist das „Kritik an der Bibel“? Die Bibel selbst fordert uns dazu heraus!
„Die Bibel ist immer aktueller als der jeweilige Zeitgeist.“ Was für ein richtiger Satz! Und dennoch zugleich: Was für ein himmelschreiender Blödsinn!

Die Bibel ist immer aktuell! Den Satz unterschreibe ich sofort! Aber trotzdem entbindet er mich nicht meiner Verantwortung, mich selbst zu entscheiden, was nun richtig ist oder falsch. Es entbindet mich nicht vom Bewusstsein darüber, dass ich mit meiner Entscheidung auch falsch liegen kann. Es nutzt überhaupt nicht, die Bibel gegen den Zeitgeist auszuspielen! Richtig wäre allein, die Bibel mit dem Zeitgeist ins Gespräch zu bringen. Dann erst zeigt sich ihre Autorität. Und dafür muss dann auch niemand „aufstehen“. Das braucht die Bibel doch gar nicht! Sie ist auch so Autorität! Heißt es nicht, dass Gott gerade in unserer Schwachheit mächtig ist? Was soll dann diese Aufsteherei?

Gott stellt uns in die Zeit. Also müssen wir uns mit der Zeit auseinander setzen. Also müssen wir in der Gegenwart Lösungen für die Gegenwart finden. Wer das ignoriert und als „Zeitgeist“ diffamiert, nimmt weder die Bibel ernst noch die Zeit, noch Gott, der uns in diese Zeit gestellt hat.

Punkt 5 enthält einen weit verbreiteten Fehler. Nein, in der Bibel steht nicht, dass der Mensch „als Mann oder Frau“ geschaffen wurde.

In der Bibel steht, dass der Mensch, egal ob männlich oder weiblich, als Gottes Ebenbild geschaffen wurde. Jeder Mensch. Man muss wissen, dass viele der antiken Herrscher glaubten, nur sie wären Gottes Ebenbild. Gott wäre die Sonne. Und der König ist Gottes Ebenbild. Die restlichen Menschen rangieren irgendwo weit darunter und müssen sich daher auch in den Staub werfen, wenn das selbstangemaßte Ebenbild Gottes vorbei geht.

Diese Voraussetzung muss man kennen, um die Bibel an dieser Stelle zu verstehen.

Erst sagt die Bibel: Sonne und Mond sind keine Götter. Sie sind einfach „das große und das kleine Licht“. Sie sind von Gott geschaffene Gegenstände. Und dann sagt die Bibel: (Nicht nur der König, sondern) jeder Mensch ist Gottes Ebenbild. Und zwar nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen. Gleichberechtigt. Damit ist nicht gesagt, wie die Rollenaufteilung funktioniert. Und damit ist nicht gesagt, wie die biologische Abstufung zwischen den Geschlechtern genau aussieht. Biologisch gibt es leider nicht nur „Mann“ oder „Frau“, sondern viele Abstufungen. Das hat etwas mit der frühen unterschiedlichen hormonellen Ausstattung zu tun. In der frühkindlichen Entwicklung werden die Gene unterschiedlich an- und abgeschaltet. Das führt dazu, dass man bei den meisten Menschen eindeutig „Mann“ oder „Frau“ sagen kann. Bei vielen aber nicht. Und bei manchen Menschen gibt es ein paar Gene zu viel oder zu wenig, so dass das auch durch die verbleibenden genetischen Schalter nicht mehr eindeutig umgeschaltet werden kann. Ist Gott nur der Schöpfer von denen, bei denen man das Geschlecht eindeutig feststellen kann? Sind die anderen dann nicht seine Ebenbilder? Selbstverständlich ist jeder Mensch Gottes Ebenbild, männlich wie weiblich und auch alle, die man irgendwie „dazwischen“ ansiedeln muss. Jeder Mensch hat seine Würde. Jeder Mensch ist auf ein Gegenüber hin angelegt. Darum wollen so viele Menschen auch unbekümmert in einer dauerhaften Partnerschaft leben. Manche entscheiden sich relativ früh dazu – und bekommen auch Kinder. Andere heiraten erst in einem Alter, in dem sie keine Kinder mehr bekommen können. Dürfen sie nicht mehr heiraten? Nicht mehr „Familie“ sein? Manche davon nehmen Pflegekinder auf. Sorgen für sie wie für die eigenen Kinder, weil die leiblichen Eltern das nicht können…

Andere empfinden gleichgeschlechtlich. Von ihnen zu verlangen, sie müssten sich einen gegengeschlechtlichen Partner, eine gegengeschlechtliche Partnerin suchen, wäre Blödsinn. Auch sie sind auf ein Gegenüber angewiesen. Suchen danach. Mit denselben Schwierigkeiten und Irrtümern wie alle anderen Menschen. Und finden sich dann doch. Wollen es miteinander versuchen. Versprechen sich die Treue, bis dass der Tod sie scheidet. Wird die Ehe in irgendeiner Weise entwertet, wenn man sagt: Diese Liebe verdient denselben Schutz wie jede andere Liebe zwischen gleichberechtigten Partnerinnen und Partnern, die sich die „ewige Treue“ versprechen?

Es gibt kinderlose Ehepaare, die Kinder adoptieren oder als Pflegekinder aufnehmen. Das ist ihre Weise, sich an den gesellschaftlichen Aufgaben zu beteiligen. Manches schwule oder lesbische Pärchen möchte das auch. Nicht, weil sie unbedingt ein eigenes Kind haben wollen. Sondern weil sie einem Kind gute Eltern sein können. Weil es immer noch Kinder gibt, bei denen die leiblichen Eltern dazu nicht in der Lage sind.
Mit welchem Recht soll manchen Kindern verwehrt werden, in einer Familie zu leben, nur weil die, die sie aufnehmen könnten, schwul oder lesbisch sind?

Wenn wir sehen, dass es in der Schöpfung real ein größeres Spektrum als „nur Mann“ und „nur Frau“ gibt, wenn wir feststellen, dass auch diese Menschen Gottes Ebenbilder sind: Mit welchem Recht dürfen sich Christen anmaßen, diese Menschen zu diskriminieren und abzuwerten und ihnen das vorzuenthalten, was sie für sich selbst in Anspruch nehmen?

Wenn in der Bibel ein Paar keine Kinder bekommen konnte und der Ehemann stirbt, war der Bruder dieses Mannes verpflichtet, mit seiner Schwägerin ein Kind zu zeugen. Was hat eigentlich seine Ehefrau zu dieser Art göttlich verordneten Ehebruchs gesagt? Was hat die betroffene Schwägerin gesagt, die um ihrer Altersabsicherung wegen mit dem Bruder ihres verstorbenen Mannes schlafen musste? Was hat dieser Bruder gedacht, der mit seiner Schwägerin schlafen musste? Macht die Bibel hier nicht selber deutlich, dass es Situationen geben kann, in denen es weder unsittlich noch unmoralisch sondern geradezu geboten ist, von der Regel abzuweichen und neue Regeln aufzustellen, damit das Leben in der menschlichen Gemeinschaft gelingen kann? Punkt 5 in dieser Art „Bekenntnis“ ist in seinen biblischen Voraussetzungen falsch, er ignoriert die Bibel an wesentlichen Stellen, und er ignoriert die Schöpfung, in die Gott selber uns gestellt hat.

Das heißt nicht, dass nicht die Ehe in besonderer Weise geschützt und gestärkt werden sollte. Aber es heißt, dass Christen mit offenen Augen durch die Welt laufen müssen, ob es nicht weitere Menschen und weitere Beziehungen gibt, die genau solchen Schutz nötig haben. Jesus stellt an einer einschlägigen Stelle infrage, ob es richtig ist, die Gebote zu halten. Der Priester und der Levit waren verpflichtet, sich nicht rituell zu verunreinigen. Sie waren auf dem Weg zum Tempel und mussten dort rituell rein ankommen. Sonst konnten sie den Dienst nicht aufnehmen, zu dem sie sich verpflichtet hatten. Sonst konnten sie ihre Kollegen am Tempel nicht ablösen. Sonst konnten sie Gott nicht dienen! Es war absolut ehrenhaft, was sie getan hatten. Der unter die Räuber Gefallene tat ihnen sicherlich leid. Und ganz bestimmt würde auch ein Nicht-Priester und ein Nicht-Levit kommen, der dem armen Kerl helfen kann.
Und trotzdem haben sie sich falsch verhalten.

Und genauso falsch verhalten sich Menschen, die aufgrund einer verkehrten Auslegung der Bibel anderen Menschen – nur weil sie nicht „klassisch gegengeschlechtlich“ empfinden können – elementare menschliche Beziehungen abwerten und vorenthalten.
Für manche Menschen ist eben auch ein gleichgeschlechtliches Gegenüber Gottes Schöpfungsgabe.

(Und mancher gegengeschlechtliche Ehepartner stellt irgendwann schmerzhaft fest, dass er oder sie sich offenbar geirrt hat und jemandem die Treue versprochen hat, den Gott offenbar doch nicht als Partner vorgesehen hat. Was nichts ausschließt, dass man in der Ehe oder einer eheähnlichen Beziehung gravierende Fehler machen kann, die jede auch von Gott so gewollte Partnerschaft gründlich zerstören können. Was also auch nicht ausschließt, dass man eine solche Partnerschaft retten kann, wenn man an diesen Fehlern arbeitet und sie in Zukunft vermeidet. Nicht jede Ehekrise ist ein Zeichen dafür, den falschen Partner gewählt zu haben.)

Zu Punkt 6 kann ich nur sagen: Ja, ja, ja. Darum also auch „Ja“ dazu, dass Muslime hier in Deutschland Moscheen bauen dürfen. Darum ein deutliches „Nein“ gegenüber Äußerungen von Christen, die gegen andere Religionen polemisieren, die sie lieblos abwerten. Wer für die Religionsfreiheit eintritt, der tritt auch für ein partnerschaftliches Gegenüber der Religionen ein. Damit verraten Christen auch nicht ihren eigenen Glauben. Das bedeutet auch nicht, auf Mission zu verzichten. Aber es bedeutet, fair zu bleiben. Es bedeutet, in jedem Menschen Gottes Ebenbild zu sehen.

Das schließt Spott nicht aus. Was müssen die Juden in Babylon gelacht haben, als ihnen zum ersten Mal 1. Mose 1,1 vorgetragen wurde. An der Stelle mit dem „großen und dem kleinen Licht“ gab es sicherlich Applaus, mindestens aber ein raunenden Schmunzeln. Jeder wusste, wieviel Angst der babylonische König vor dem Mond hatte, dass er wegen des Phasenwechsels regelmäßig die Regierungsgeschäfte unterbrach, und dass er sich selbst für das einzige Ebenbild von “Gott Sonne” hielt.  „Großes und kleines Licht“ spottet über den fremden Glauben und macht sich darüber lustig. Und dann die Stelle mit „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde“. Jeden Menschen: Das ist biblisch-politisch-religiöses Kabarett von seiner schärfsten und schönsten Seite. Es spricht eine wichtige Wahrheit aus und spottet zugleich scharf über religiöse Auffassungen, die zu einer Abwertung von anderen Menschen führt.
Vielleicht ist es sogar eine Rechtfertigung der Themenstellung, ob man auch manche christliche Diskussionspartner nicht zu Recht als „Troll“ bezeichnen darf und muss. Was nichts davon wegnimmt, dass wir für Religionsfreiheit eintreten. Ohne Wenn und Aber. Auch der babylonische König war in seiner ganzen persönlichen und religiösen Selbstanmaßung Gottes Ebenbild.

Punkt sieben: Was für eine Anmaßung: „Wir stehen ein für die biblische Verheißung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde.“ Wie großkotzig. Jesus hat sich immerhin dafür ans Kreuz nageln lassen. Hier ist nur noch eine Unterschrift unter ein theologisch zweifelhaftes Dokument nötig.
„Wir stehen ein für ein Leben in Hoffnung und gegen jede Form der Resignation…“: Erst vor kurzem war ich bei einer Autofahrerin, die kurz zuvor nicht gemerkt hatte, dass die Ampel schon lange auf Rot umgesprungen ist, und ein anderes Auto rammte. Der Fahrer war sofort tot. Und diese Fahrerin war fassungslos über das, was sie da getan hatte. Das war Hoffnungslosigkeit und Resignation pur. Doch: Ich habe diese Situation ausgehalten. Doch: Ich habe versucht, diesem Menschen nach diesem schrecklichen Irrtum Hoffnung und Mut zu machen. Ich habe von Kain erzählt, den Gott selber unter seinen göttlichen Schutz genommen hat. Trotz allem, was er getan hat.
Ich halte es für richtig, Hoffnung und Mut zu machen.
Und trotzdem kann ich diese Anmaßung nur schwer ertragen, die aus diesem Punkt sieben dieser Erklärung herausquillt. Ich kann den Unfallgegner nicht mehr lebendig machen. Für seine Angehörigen und für die Unfallverursacherin kann ich allenfalls Zeugnis davon ablegen, dass Gott zu ihnen hält. Aber kann ich für etwas einstehen, für das nur Gott selber einstehen kann? Ich kann meinen Glauben bekennen. Aber kann ich nachempfinden, was dieser Mensch empfindet? Kann ich nachempfinden, was jene Eltern und Angehörigen empfinden? Kann ich ihnen gegenüber die Hoffnung so unbarmherzig und großkotzig um die Ohren hauen, wie es in der siebten These formuliert ist?
Diese These basiert auf einer riesigen Niederlage am Kreuz. Noch weiter in die Tiefe geht es nicht. Gott hat sich dieser Tiefe ausgesetzt. Dass aus dieser Tiefe ein Sieg erwachsen sein soll, bleibt für menschliches Empfinden völlig unverständlich – und für manchen Menschen anderen Glaubens auch völlig unglaubwürdig.
Wer diese großartige Hoffnung dennoch bezeugt, sollte die Bescheidenheit nicht vernachlässigen, die das Kreuz und die Katastrophen des menschlichen Lebens nahelegen.

Ja, ich bin dafür, dass Christen aufstehen. Ich bin dafür, dass sie zusammen mit Menschen anderen Glaubens aufstehen und Gottes Liebe weitertragen.

Auf diesem Weg können wir auch ins Gespräch kommen. Über die Religion und über unseren eigenen Glauben.

Wir dürfen aber auch sitzen bleiben. Wir dürfen auch bekennen, dass wir gerade Probleme haben mit unserem Glauben. Wir dürfen bekennen, dass wir gerade glauben wollen – und es nicht können. Wir dürfen Menschen eines anderen Glaubens die Hand reichen und gemeinsam trauern, dass wir darunter leiden, dass wir im Blick auf unsere Religion getrennt bleiben. Und wir dürfen uns ermutigen, trotzdem menschlich zu bleiben.

Wenn Religion großkotzig wird, wenn Christen im Blick auf ihren eigenen Glauben gegenüber Zweiflern und Andersgläubigen großkotzig werden, dann – das behaupte ich hier – haben sie weder Kreuz noch Auferstehung begriffen. Dann verraten sie die Bibel. Dann reden sie von Gottes Liebe und bringen den Hass. Und merken es nicht.

Ich bekenne voller Trauer: Wer dieses Dokument unterschreibt, merkt es nicht. Leider.

Bernd Kehren
9.5.2014

Ein Koffer für die letzte Reise

Ein Koffer für die letzte Reise
Der Bestatter Fritz Roth aus Bergisch-Gladbach lud 100 Menschen ein, einen “Koffer für die letzte Reise” zu packen.
Roth will herausfordern, sich über Sterben, Trauer und Tod Gedanken zu machen. Wer würde mitmachen?

Infos zum Projekt

Ich fand den Gedanken spannend, selber einen solchen Koffer zu packen. So manche Beerdigung habe ich selber gehalten, mir Gedanken gemacht.

Aber:

“Das letzte Hemd hat keine Taschen.” Wirklich mitnehmen kann man nichts, es kann meiner Meinung nach “nur” um Symbole gehen. “Nur”?

“Der Tod ist wie der Mond – niemand hat seinen Rücken gesehen” lautet ein Sprichwort in Afrika; Jürgen Thiesbonenkamp hat es als Titel für seinen Vergleich von Bestattung und Totengedenken in Kamerun und Deutschland gewählt.

Niemand weiß, was nach dem Tod sein wird. Ich weiß es auch nicht, auch wenn ich Pastor bin.

Und je genauer ich es mir vorstelle, desto größer sind die Widersprüche, in die ich mich dabei verwickle. Einfach so weitergehen wie hier auf der Erde kann es wohl nicht. Aber jede kleine Veränderung der Umstände führt dazu, dass ich es mir insgesamt doch nicht vorstellen kann. Es ist wohl besser, sich kein Bild davon zu machen.

Und wenn doch, dann nur unter der Voraussetzung, dass ich Bild und Realität des Lebens nach dem Tod immer sorgfältig unterscheide.

“Jetzt sehe ich nur durch einen Spiegel”, verschwommen und unscharf. Erst später einmal wird das Bild scharf werden. Wenn es dann noch so etwas wie Bilder gibt. Das ist das Risiko, das Glaubende eingehen. Es kann auch alles ganz anders sein.

Wenn ich mir das klar mache, kann ich viel leichter die Bilder auf mich wirken lassen, kann ich die Bilder ausmalen, kann ich mich davon trösten lassen.

Ursprünglich wollte ich Gegenstände hinein tun, die zu diesen Bildern passten. Bilder aus Psalm 23. Ein kleines Schaf vielleicht, einen Hirten…

Aber erstens war der Koffer, der dann eines Tages geliefert wurde, für einige der Gegenstände zu klein.

Und zweitens konnte ich nicht reale Dinge einzupacken, wo ich doch denke, dass ich über den Tod nur in Bildern sprechen und denken kann.

Also Bilder…

Und so entstand der Koffer.

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In der Mitte: Eine aufgeschlagene Bibel mit Psalm 23.

Dazu Bilder mit Assoziationen zu diesem Psalm.

Da findet sich ein Hirte. Eine “Biblische Erzählpuppe”, wie ich sie hin und wieder in Altenheimen verwende. Viele Menschen in den Gottesdiensten sind dement. Theoretische Gedanken verstehen sie nicht mehr besonders gut. Aber für Gefühle und  Stimmungen sind sie sehr aufgeschlossen. Mit “Biblischen Erzählpuppen” kann man Gefühle gut ausdrücken. So wurde eine dieser Puppen zum “Guten Hirten”, der seine Schafe weidet. Ein solches Schaf war als Handpuppe auch schon einmal im Gottesdienst dabei.

“Der Herr ist mein Hirte. Mir wird nichts mangeln…” Ein schönes Bild für die Geborgenheit bei Gott. Ein schönes Bild für das Leben jetzt und nach dem Tod…

Es gibt jemanden, der aufpasst, der dabei ist, der mich hört. In guten und in schlechten Zeiten…

Die meisten der Gottesdienste in meinen Heimen sind Abendmahlsgottesdienste. So finden sich auf dem dritten Bild Kelch und Patene mit Oblaten und ein Gedeck mit unserem guten Geschirr. Ein herzliches Dankeschön an die Schwiegereltern, die uns nach der Hochzeit beim Kauf unterstützten.

“Du deckst vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkst mir voll ein.”

An vielen Stellen im Neuen Testament ist Jesus zu Gast, er trinkt und isst und hat Gemeinschaft. Er macht deutlich, wie nahe Gott ist. So wie die Gastfreundschaft auch im Alten Testament immer wieder eine wichtige Rolle spielt.

Gott lädt ein. Auch im Angesicht der Feinde. Auch im Angesicht des Todes.

Eines der schönsten Bilder der Bibel ist für mich das Gastmahl oder das Hochzeitsmahl am Ende der Zeiten.

Voller Genuss. Zusammen mit vielen anderen Gästen. Mit Gästen, die ich lange nicht gesehen habe. Mit Gästen, die ich noch nie gesehen habe, aber denen ich nun persönlich begegnen kann. Es gibt da einige, die ich noch sprechen würde, die aber leider nicht mehr leben. Auf dieses Festmahl freue ich mich schon.

Und feiere Abendmahl. Das kleine Stück Brot, der Schluck Wein (im Heim tauche ich immer die Oblate in den Wein), sie symbolisieren das große Gastmahl und nehmen uns jetzt schon mit dahin. Jesus Christus ist der Gastgeber, er stärkt uns auf eine ganz eigene Weise.

Und so fanden Kelch und Patene einerseits und das Gute Geschirr andererseits den Weg in den Koffer. Herzlichen Dank auch der Christuskirchengemeinde in Zülpich, die mir und den Gottesdienstbesucherinnen und -besuchern Kelch und Patene immer wieder ausleiht für die Gottesdienste in den vielen Heimen.

Die grünen Auen – ein Blick in unseren bunten Garten im Frühling. Ein Blick auch auf eine der Burgen aus dem letzten Sommerurlaub. Es sind schöne Bilder, die einladen zum Leben.

“Wenn ich auch wanderte im finsteren Tal…”

Ein Bild bleibt dunkel.

Immer wieder sagen mir Menschen, dass sie nun alt genug geworden sind. Nun würden sie gerne sterben, aber sie wissen nicht wann und wie.

Und andere sterben viel zu früh, wie das siebzehnjährige Mädchen, dessen Reanimierung fehlschlägt und dessen Freund und dessen Eltern  ich trösten musste.

Es gibt sie, diese finsteren Täler, und ich bin froh, dass die Bibel auch diese Bilder nicht verschweigt oder ignoriert. Das macht diese Bilder für mich so glaubwürdig.

Aber sie machen Mut. Jemand begleitet mich. Viele Menschen, aber auch sie sind Ebenbilder Gottes, auch sie repräsentieren den auferstandenen Christus; er selbst, der Auferstandene und in den Himmel Aufgefahrene (auch so ein schönes Bild) ist mit uns im Hier und Jetzt und begleitet uns…

“Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.”

So manche und mancher musste sein eigenes Haus verlassen und lebt nun im Seniorenheim. Das Zimmer im Hause des Herrn wird niemand mehr verlassen müssen. Auch dafür stehen die Bilder vom Garten und von der Burg…

Ich freue mich, dass ich bei diesem Projekt mitmachen darf.

Koffer und ein Begleittext sind in der Ausstellung an verschiedenen Orten zu sehen, zusammen mit 102 anderen. Am 19. Mai 2006  wurden sie in Bergisch-Gladbach der Öffentlichkeit vorgestellt.

Manche sehr kunstvoll, manche ganz leer, manche witzig, manche abstoßend oder verärgernd.

Und man kann sie zuhause sehen. Der Katalog der Ausstellung ist unter dem Titel “Einmal Jenseits und zurück” im Gütersloher Verlagshaus erschienen.

Und ich würde mich freuen, mit Besucherinnen und Besuchern meiner Homepage darüber ins Gespräch zu kommen.

Vielleicht unterstützt mich ja auch der eine oder andere in den Heimen. Es tut gut.

Es tut gut, sich über Tod und Leben Gedanken zu machen.

Am meisten beeindruckt hat mich dabei Manfred Elzenheimer, ein Fleischermeister, der nichts in den Koffer nahm als Zettel mit vier Worten. “Nein”, “Entschuldigung”, “Danke” und “Liebe”. Bei jedem der Tiere, die er schlachtet, möchtet er für sich und das Tier die Würde bewahren. Phillip Engel hat ihn und die Designstudentin Joa begleitet, als sie ihren Koffer packten, und einen schönen Film gedreht: Einmal Jenseits und zurück. (Erstausstrahlung am 15. Januar 2006 in der ARD – Leider wegen des Rundfunkstaatsvertrags nicht mehr abrufbar).

Das Buch zur Ausstellung ist im Buchhandel für 19,95 Euro erhältlich.
Fritz Roth (Hrsg.), Einmal Jenseits und zurück. Ein Koffer für die letzte Reise.
2006 Güterloher Verlagshaus. ISBN 3-579-03251-8

Gott widersprüchlich?

In “Kurz gefragt” (Chrismon 02/2008) fragt ein Leser danach, warum Gott die bösen Menschen in der Sintflut mit dem Tode bestraft und sich damit selber nicht an das Tötungsverbot hält, dass er nun selber erlässt.

Burkhard Weitz beginnt seine Antwort darauf mit den Worten:

„Die Bibel ist voller Widersprüche. Sie ist eben nicht verbal inspiriert, sondern von Menschen geschrieben.“

Dieser Satz hat eine Voraussetzung: Gott ist ohne Widersprüche. Widersprüchliches muss dann vom Menschen kommen.

Was wäre eigentlich, wenn wir erkennen, dass Gott sehr wohl widersprüchlich sein kann? Unfassbar? Rätselhaft? Manchmal auch brutal?

Könnte diese Erkenntnis uns Menschen nicht vielleicht sogar entlasten, weil wir auch widersprüchlich sein dürfen? Eben: Von Gott geliebte Sünder?

Was wäre eigentlich, wenn in diesem Sinne die widersprüchliche, von Menschen geschriebene Bibel tatsächlich „verbal inspiriert“ ist, damit wir Menschen bescheiden werden, unserem Perfektheitswahn (an dem wohl jeder hin und wieder leidet) den Abschied geben und erkennen, wir können nur als Gemeinschaft der Unperfekten leben und lieben?

Du sollst dir von Gott kein Bildnis machen. Auch nicht das Bild des unfehlbaren und widerspruchsfreien Gottes. Glaube ich.

Bernd Kehren
03.02.2008

Passion 2016 in Deutschland

Passion 2016 in Deutschland

Gedanken am Montag nach den drei Landtagswahlen in Deutschland.

Erschrecken
Einfache Antworten
Abgrenzung, Ausgrenzung, Merkel muss weg
Man wird doch wohl noch sagen dürfen!
Oder sind Sie etwa gegen Demokratie?
Lügenpresse…
Früher riefen Sie:
Ans Kreuz mit ihm!
Zum Glück nicht alle
Aber die Mehrheiten waren gerade so
Die Mehrheiten und die Macht
Und dann hing er da oben
Am Kreuz
Der Friedensstifter
Der Versöhner
Der auch an die anderen im Blick hatte
Die da unten
Die Abgehängten

Sind wir wieder auf dem Weg dorthin?
Wer ist heute abgehängt?
Flüchtlinge?
Wer sucht Sicherheit?
Sicherheit vor einer komplexen Welt
Sicherheit vor den Globalisierungsverlieren
Sicherheit vor den Traumatisierten
Sicherheit vor den Bombardierten

Wer sagt laut und deutlich:
Es gibt keine Sicherheit
Wer sagt laut und deutlich:
Das Leben ist unsicher. Das Leben bleibt unsicher. Das Leben wird immer unsicher bleiben.
Nur eines bleibt sicher:
Es geht nicht
ohne Krankenhäuser und Friedhöfe
Zum Glück
werden viele gesund entlassen
Zum Glück gehen wir oft nur zu einem Besuch dorthin

Zum Glück glauben wir:
Der eine geht mit.
Der vom Kreuz.
Mit den Abgehängten.
Mit denen, die ihn aufhängten.

Zum Glück glauben wir:
Der eine geht mit
Mit uns
Mit denen
Mit Tätern
Mit Opfern

Einmal werden wir alle froh sein

Bis dahin
Hoffentlich sind es nur
Ganz wenige
Schläge
Schläge auf die Nägel
Im Kreuz

Darum bitten wir
Und um Versöhnung
Mit denen
Die wissen
Und denen
Die nicht wissen
Was sie tun.
Um Versöhnung
Bitten wir

Amen.

Bernd Kehren

Pfingsten & Angst

Und Pfingsten war die Angst weg?

“Pfingsten sprengt doch verschlossene Türen auf, reißt ängstliche Jünger von ihren Hockern und treibt sie hinaus in die Öffentlichkeit.” So lese ich es in einer Arbeitshilfe zu Pfingsten 2007, so ähnlich höre ich es im WDR-Fernsehen: Ein Priester erklärt darin, was Pfingsten ist, weil viele Menschen es nicht mehr wissen.

Nur:

Dass die Jüngerinnen und Jünger zu Pfingsten ängstlich in ihren Zimmern gehockt hätten, davon steht in der ganzen Bibel nichts.

Richtig ist: Zu Ostern hatten die Jüngerinnen und Jünger Angst vor dem, was kommt und Angst vor dem, was sie an unglaublichen Neuigkeiten gehört haben. In den Ostergeschichten schließen sie sich ein. In den Ostergeschichten kommt Jesus mit den Worten “Friede sei mit euch”. In der Thomasgeschichte im Johannesevangelium ist von den verschlossenen Türen die Rede.

Richtig ist aber auch: Diese Begegnung war ausgesprochen trostreich. So heißt es bei Lukas in der Himmelfahrtserzählung:

“Sie aber beteten ihn an und kehrten zurück nach Jerusalem mit großer Freude und waren allezeit im Tempel und priesen Gott.”

Da hört man nichts mehr davon, die Jüngerinnen und Jünger hätten sich eingeschlossen: Im Gegenteil, sie gehen öffentlich in den Tempel, sie wissen, dass Jesus Christus auferstanden ist, sie loben Gott und warten auf den versprochenen Heiligen Geist.

Bis zur Kindergottesdiensthelfer-Tagung in Duisburg vor einigen Jahren dachte ich auch noch, dass sich die Jünger bis Pfingsten erschrocken und verängstigt in ihren Räumen eingeschlossen hätten.

Es war die Jüdin Chana Safrai, die an diesem Pfingsttag davon erzählte, was Juden am ShWU’OTh-Fest tun, dem großen Fest nach Pessach. Pessach ist das Fest der Erinnerung an den Auszug aus Ägypten. Shawouth erinnert an die Verkündung der Gebote an Mose am Sinai. Und so lesen fromme Juden zu Shawouth den ganzen Tag in der Tora, in den fünf Büchern Mose. Das darf man nicht als fromme Pflicht verstehen, die man unter Mühen auf sich nimmt. Chana Safrai erzählte die Geschichte von den zwei frommen Juden, die mal “richtig einen draufmachen wollten”, und sie beschlossen – in der Tora zu lesen. Sie suchten sich eine Herberge, vertieften sich in die Schriften, sie lasen und diskutierten, sie wurden von Gottes Geist erfüllt und gerieten dabei so sehr in Extase, das es zu rauchen begann und Flammen aus dem Zimmer schlugen. “Haltet ein!”, rief der Wirt, “wollt ihr meine Herberge abbrennen?”

Flammen, war da Pfingsten nicht etwas mit Flammen? Auf dem Hintergrund dieser Anekdote, auf dem Hintergrund, dass fromme Juden zum Pfingstfest in der Bibel lesen, und dass Extase und Bibellesen keine Widersprüche sind, auf den Hintergrund der Himmelfahrtserzählung des Lukas kam Chana Safrai zu dem Schluss: Auch die Jüngerinnen und Jünger lasen als überzeugte Juden voller Erwartung auf den Heiligen Geist in der Tora. Nicht verzagt, sondern froh. Und wenn das Neue Testament vom Heiligen Geist in Form von Flammen erzählt, der sich auf die Männer und Frauen setze, die sich an diesem Tage alle in einem Raum versammelt hatten, dann wunderte das diese Jüdin aufgrund ihrer eigenen Tradition nicht.

Ich finde es immer wieder spannend, wie sich in der Begegnung mit dem Judentum überraschende Einsichten auftun. Immer wieder merke ich, dass sich in unseren Köpfen christliche Interpretationen festgesetzt haben, die im Widerspruch zu dem stehen, wie es in der Bibel steht.

So findet sich nirgends in der Bibel die Behauptung, in einem jener Länder, in denen die Gastfreundschaft sprichwörtlich ist, hätte ein böser Wirt (oder sogar zahlreiche Wirte) einer hochschwangeren Frau die Tür vor der Nase zugeschlagen. Wer die Häuser damals kennt, mit dem Eingangsbereich für Tiere und dem erhöhten Wohnbereich im hinteren Teil der Wohnung, der wundert sich nicht über eine Futterkrippe in diesen Räumen, und der wundert sich auch nicht darüber, dass das Kind in Windeln dort hinein gelegt wird, “weil es sonst keinen Platz in dieser Herberge gab”. Für mich ist das traditionelle Krippenspiel inzwischen Tradition gewordener Antijudaimus, eine Beleidigung des Volkes, in dem die Gastfreundschaft zum obersten Gebot gehörte, wie man es an Geschichten wie über Lot und seine Gäste in 1. Mose 19 nachlesen kann. Leider wird man die durch zahlreiche Krippenspiele verfestigte Auffassung in absehbarer Zeit nicht korrigieren können.

Und es findet sich eben nirgends ein Beleg dafür, dass die Jüngerinnen und Jünger vor Pfingsten verzagt gewesen seien…

Bibellesen ist spannend, und immer wieder überraschend. Wir Christen sollten uns mehr darauf besinnen…

Bernd Kehren

siehe auch: Pfingstpredigt 2001

Patientenverfügung

Patientenverfügung

Bis vor kurzem war ich noch der Meinung, jeder sollte eine Patientenverfügung haben: Der mündige Patient überlegt sich rechtzeitig, wie der Arzt handeln soll. Zu oft hat man gehört oder vielleicht auch selbst erlebt, dass Ärzte den letzten Lebensfunken aus jemanden heraus-reanimiert haben, weil sie nicht damit fertig werden, dass auf ihrer Station auch einmal ein Patient stirbt. Und es klingt verlockend, dass der Arzt sich in jedem Falle an die Patientenverfügung halten muss.

Inzwischen bin ich vorsichtiger geworden. Wann ist man ein mündiger Patient? Reicht es, wenn man einen Erste-Hilfe-Kursus absolviert hat, oder muss man nicht doch mit einer Krankenschwester oder einem Krankenpfleger verheiratet sein? Sollte man gar Medizin studiert haben? Ich meine: Wofür studiert der Arzt oder die Ärztin denn eigentlich noch Medizin, wenn er oder sie in den schwierigen Fällen von seinem Patienten genau (oder auch nur recht schwammig) vorgeschrieben bekommt, was nun in genau diesem Falle zu geschehen hat, um diesem Patienten am besten gerecht zu werden? Woher will der “mündige Patient” lange Zeit vor dem befürchteten Ereignis wissen, welche Überlebenschancen er noch hat, welche Nebenwirkungen zu befürchten sind, nach wie langer Zeit der Bewusstlosigkeit oder sogar des Komas eine Besserung erwartet werden könnte?

Man muss es ganz klar sagen: Niemand kann das vorhersagen, und niemand ist in der Lage, auch nur annähernd genau eine Patientenverfügung zu verfassen, die vernünftigen Anforderungen entspricht. Eine solche Patientenverfügung müsste so dick sein wie der “Pschyrembel” (ein medizinisches Standard-Wörterbuch mit über 1800 Seiten). Darüber darf auch nicht hinweg täuschen, dass die Zahl der Vordrucke möglicher Patientenverfügungen die 200 überschritten hat.

Eine Patientenverfügung, die den Arzt in jedem Fall bindet, macht aus dem Arzt den Erfüllungsgehilfen des Todes: Er müsste lebenserhaltende Maßnahmen auch dann abstellen, wenn er  eine Wiederherstellung des Patienten erwarten müsste – und obwohl er den Patienten darüber nicht belehren konnte. Ich meine: Das kann und darf nicht sein.

Patientenverfügungen müssen dem Arzt einen Spielraum lassen, in dem er zusammen mit Vertrauenspersonen des Kranken nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden kann, wenn der Betreffende dazu selber nicht mehr in der Lage ist. Dazu sollten die betreffenden Menschen mit ihrem Arzt und ihren Vertrauenspersonen gesprochen haben. Wer eine Patientenverfügung ausfüllt, sollte sich möglichst konkrete Gedanken gemacht haben und diese in eigenen Worten beschreiben. Welche Krankheit habe ich vor Augen? Habe ich selber bei Bekannten Behandlungen erlebt, die ich als unerträglich belastend empfinde?

Wichtiger als eine Patientenverfügung ist in meinen Augen heute eine Vorsorgevollmacht, in der eine oder mehrere Vertrauenspersonen bevollmächtigt werden, über die eigenen Belange zu entscheiden, wenn man selber dazu nicht mehr in der Lage ist. Sie müssen wissen, welche Wünsche man hat, und es sicher gut, wenn diese Wünsche auch schriftlich niedergelegt sind. Aber für die konkrete Situation brauchen sie – um der eigenen Menschenwürde und der Würde dessen, der seinen Willen geäußert hat – einen Interpretationsspielraum.

Inzwischen sollte es selbstverständlich sein, dass Schmerzen mit Morphin oder anderen Schmerzmitteln gelindert werden, und dass dem Schwerkranken mit der Würde begegnet wird, die jedem Menschen zusteht. Die Hospizbewegung und die Palliativmedizin brauchen unbedingt jede nötige Unterstützung. Damit ist klar: Es geht nicht um Medizin um jeden Preis und auch nicht um eine Lebensverlängerung um jeden Preis. Auch das Sterben gehört zum Leben, auch das Sterben muss menschenwürdig bleiben.
Der letzte Papst, Johannes Paul II, hat das für mein Empfinden sehr vorbildlich vorgelebt. Er hat lange um sein Leben gekämpft. Bis Ostern 2005 gab es Stimmtherapie, den Segen Urbi et Orbi wollte er noch sprechen. Aber nicht vom Krankenzimmer aus, sondern von zuhause. Als das nicht mehr ging, beschloss er – so habe ich es über die Medien vermittelt erlebt – dass nun die ärztliche Kunst an ihre Grenzen gekommen ist. Er lebte in der Hoffnung auf das Ewige Leben, auf ein erfülltes Leben in der Nähe Gottes im Hier und Jetzt, das mit dem Tod nicht endet. In dieser Hoffnung konnte er leben und sterben.

Wir müssen den Sterbeprozess wieder nach Hause holen. In die Familie, in die eigenen vier Wände. Dazu braucht es ehrenamtliches Engagement in Hospizinitiativen, um Sterbende und ihre Familien zu unterstützen. Dazu braucht es Hospize und Palliativmedizin, also Medizin, die Leiden lindert und Symptome behandelt, wenn es keine Aussicht auf Heilung mehr gibt. Dazu braucht es Hausärzte, die im Umgang mit Demenz und Schmerzbehandlung geschult sind. Und es braucht eine öffentliche Aufmerksamkeit für die Tatsache, dass immer mehr Menschen alleine alt werden, ohne Kinder und soziale Absicherung durch die Familie.

Dazu braucht es auch eine Patientenverfügung, in der man bestimmte Themen wie PEG-Sonde, also künstliche Ernährung, und weitere Themen, mit denen man sich intensiv auseinander gesetzt hat, anspricht.

Aber eine zu 100 Prozent bindende Patientenverfügung, die dem Arzt, den Angehörigen oder Vertrauenspersonen keinerlei Ermessensspielraum lässt, wie in der aktuellen, so nicht vorhersehbaren Situation konkret im Sinne des Patienten entschieden werden soll, darf es meiner Meinung nach nicht geben.

Nachtrag 27.05.2013:

Ich bin jetzt auf das Buch “Patientenverfügung” von Thomas Klie und Johann-Christoph Student getroffen. Es sei eine Quadratur des Kreises, eine rechtlich zu 100 Prozent bindende Vorausverfügung zu machen, wenn sich die Rahmenbedingungen dafür ständig ändern und ändern müssen. Sie schlagen daher eine “Dialogische Patientenverfügung” vor:

“Wirklich zu leben bedeutet, im Dialog zu bleiben – mit sich selbst und anderen. …

Eine Patientenverfügung, die wirkliches Leben bis zum Ende zulässt, muss diesem urmenschlichen Bedürfnis nach Kommunikation gerecht werden und sie fördern.

Die meisten der gängigen Patientenverfügungen haben eher eine Tendenz, Kommunikation zu stören. Häufig sind sie abschließend, ‘definitv’, also letztlich unkommunikativ formuliert. Damit gefährden sie gerade das, was den meisten Menschen am Lebensende so sehr am Herzen liegt: Sicherheit und Selbstbestimmung. Nur wenn Patientenverfügungen dazu anregen, ja dazu auffordern, sich in den Dialog mit dem Schwerkranken zu begeben, können sie auch sichern, dass seine Wünsche und Bedürfnisse wirklich erfüllt werden.” (S. 175 ff.)

Die Autoren schlagen vor, rechtzeitig Anlässe für das Gespräch zu suchen und zu finden und mit den Menschen zu sprechen und Wünsche zu formulieren: “Wer soll für mich medizinischen Entscheidungen treffen, wenn ich dazu nicht mehr in der Lage bin? … Welche Art von medizinischer Behandlung wünsche ich jetzt noch? Wie soll für mein Wohlergehen gesorgt werden? Wie sollen Menschen in meiner Umgebung mit mir umgehen?” Was möchte ich Menschen mitteilen, die mir besonders wichtig sind? (S. 179-191 mit detaillierten Vorschlägen, wie solche Wünsche aussehen könnten)

Bernd Kehren

Literatur:

Vorsorge für Unfall, Krankheit und Alter
durch Vollmacht, Betreuungsverfügung, Patientenverfügung
Herausgegeben vom Bayerischen Staatsministerium der Justiz
Als Download (bitte nach “Vorsorge Unfall” suchen!)
4,90 Euro
Verlag C.H. Beck

Besonders wichtig erscheint mir der Hinweis dieses Heftes, dass eine Vollmacht keinerlei Bedingungen enthalten sollte. Also nicht: “Für den Fall, dass ich geistig nicht mehr in der Lage sein sollte” o.ä., sondern: “Ich, n.n., bevollmächtige n.n.”
Einzelheiten dazu in diesem Heft

Patientenverfügung. So gibt sie Ihnen Sicherheit.
Thomas Klie / Johann-Christoph Student. Kreuz Verlag 2011
www.kreuz-verlag.de

Die persönliche Patientenverfügung
Ein Arbeitsbuch zur Vorbereitung mit Bausteinen und Modellen

Rita Kielstein, Hans-Martin Sass
LitVerlag Münster
www.lit-verlag.de

Das Wichtigere hieran ist die Einladung, sich mit konkreten Situationen auseinander zu setzen, um im zweiten Schritt eine eigene Verfügung formulieren zu können.
(Update des Textes am 25.09.2006 und am 27.05.2013)

Welcher Friedhof?

Gedanken zur Wahl der Grabes oder des Friedhofs

Wenn ich gefragt werde, ob ich eine Beerdigung übernehmen kann, ist die Entscheidung für eine Bestattungsart, für ein bestimmtes Grab oder einen bestimmten Friedhof meist gefallen. Aber vielleicht schauen Sie vorher hier vorbei. Dann finden Sie hier einige persönliche Gedanken, welcher Friedhof oder welche Bestattungsart zu Ihnen passen könnte. Dabei spare ich in einigen Fällen auch meine Zweifel nicht aus.

Im Laufe der Jahre habe ich an vielen unterschiedlichen Gräbern gestand und weiß immer noch nicht, welches für mich das geeignetste Grab ist. Bei vielen Gesprächen habe ich aber gelernt, wie wichtig dabei die Angehörigen sind.

Manche brauchen ein Grab als Ort ihrer Trauer. Manche Menschen sind todunglücklich, wenn sie keine Gelegenheit habe, das Grab eines lieben Verstorbenen zu pflegen und zu gestalten.
Andere wiederum brauchen gar kein Grab, sondern finden in ihrem Herzen oder an ganz anderen Stellen den Ort, den sie zum Trauern brauchen. Dazwischen gibt es viele Abstufungen. Es lohnt sich auch, die teilweise ganz unterschiedlichen Kosten für das Grab, den Grabschmuck und die Grabpflege im Detail zu vergleichen und dabei auch daran zu denken, wie lange diese Gräber jeweils bestehen werden.

Anonyme Gräber?

Ich glaube, dass dies nur in ganz wenigen besonderen Fällen eine wirklich gute Lösung ist. Ich merke das immer wieder, wie schwer es Angehörigen fällt, den “letzten Weg” nicht begleiten zu können. Nach der Trauerfeier müssen sie die Halle verlassen oder wird der Sarg weggefahren. Völlig fremde Menschen werden ihn oder später die Urne beisetzen – und man kann nicht dabei sein. Viele Friedhöfe haben die große Not von Freunden und Angehörigen erkannt und erlauben es, zumindest im kleinen Kreis bei der Beisetzung dabei zu sein und ein Vaterunser sprechen zu können.

Gepflegt soll es sein! Oder jedenfalls nicht ungepflegt aussehen!

Bestattungswälder

Sie heißen z.B. “Friedwald”, “Ruheforst” oder “FinalForrest”, um nur zwei bekanntere Namen von Bestattungswäldern zu nennen. Kirchlich waren sie kritisch beäugt wegen ihrer anfangs etwas esoterisch angehauchten Auffassung, dass der Leichnam über die Asche in den ewigen Kreislauf der Natur eingeht. Für mich ergeben sich zwei Hauptvorteile dieser Bestattungsform: Es entfällt jegliche Grabpflege und es wird in der Regel keine Brief am Ende der Liegezeit kommen und fragen, was nun mit dem Grab und dem Grabstein geschehen soll. Diese Bestattungswälder sind meist vor noch gar nicht so langer Zeit eingerichtet und für 99 Jahre im Grundbuch eingetragen. Wer jetzt beerdigt wird, kann oft noch bis zu 90 Jahre dort liegen bleiben. Inzwischen werden dort aber auch preisgünstigere Gräber mit kürzeren Liegezeiten angeboten.

Hinzu kommt eine in der Regel sehr angenehme Atmosphäre. Nachteile sehe ich vor allem für ältere Menschen, denen es mit zunehmender Gebrechlichkeit schwer fallen wird, das Grab mit Rollator oder Rollstuhl zu erreichen. Die Trauerfeier selbst ist natürlich auf gutes Wetter angewiesen, weil es in der Regel keine Trauerhalle gibt. An den Bäumen kann eine kleine Namensplakette angebracht werden. Weitere Formen des Gedenkens sind in der Regel nicht möglich. Diese Bestattungswälder liegen in der Regel etwas weiter von den Angehörigen entfernt, soweit sie nicht direkt im Ort wohnen.

Gärten der Bestattung

Eine Ausnahme, die ich kenne, sind die “Gärten der Bestattung” in Bergisch-Gladbach (der erste Privatfriedhof in Deutschland, ein Projekt von Fritz Roth). Dort sind keine anonymen Bestattungen möglich. Die Angehörigen haben aber große Freiheiten, wie sie die Urnengräber unter den Bäumen gestalten. Solange keine Waldbrandgefahr besteht, sind auch Lampen möglich, regelrechte kleine Grabsteine ebenso wie Findlinge mit dem Namen. Ich erinnere mich z.B. an eine E-Gitarre mit Grabinschrift… Hier bestehen sehr individuelle Möglichkeiten, seiner Trauer Ausdruck zu verleihen. Wer allerdings nicht direkt in Bergisch-Gladbach wohnt, wird lange Wege zu diesem Friedhof inkauf nehmen müssen.

Baumbestattungen

Als Reaktion auf die Bestattungswälder gibt es inzwischen auf vielen Friedhöfen das Angebot einer Baumbestattung. In kleinen Kreisen können bis zu 10 oder 12 Urnen auf der Rasenfläche rund um die teilweise neu gepflanzten Bäume beigesetzt werden. Eine Namensplakette im Boden erinnert an den Verstorbenen. Grabschmuck soll nicht abgelegt werden, damit der Rasen ständig problemlos gemäht werden kann. Auf manchen Friedhöfen sind die Bäume mit Gussstahl-Gittern geschützt, in die man ein kleines Grablicht oder eine kleine Blumenvase einhängen kann. Hier (wie auch in den “Gärten der Bestattung” sind die Liegezeiten ähnlich wie auf einem “normalen” Friedhof. Nach regional unterschiedlichen Zeiten zwischen 15 bis 35 Jahren werden die Gräber eingeebnet bzw. aufgelöst und können neu vergeben werden. Im Vergleich zu den Bestattungswäldern sind diese Gräber relativ ortsnah und können auch mit Rollstühlen und Gehhilfen gut erreicht werden.

Grüne Wiese, grüne Reihe: Rasengräber

Es geht pflegeleicht auch ohne Baum. Die meisten Friedhöfe haben unterschiedliche Angebote von Reihengräbern, bei denen entweder Namensplaketten in den Rasen eingelassen werden oder die Grabsteine so gestaltet werden, dass davor eine Rasenfläche einfach gemäht werden kann. Manchmal ist es dann sogar möglich, auf den Sockel neben dem Grabstein eine Blumenvase aufzustellen. Auf manchen Friedhöfen gibt es zentrale Gedenksteine, vor denen Blumen abgelegt werden können, manchmal ist es möglich, den Namen und das Geburts- und das Sterbedatum eingravieren zu lassen.

Bestattungsgärten

In manchen Großstädten haben sich so viele Menschen für eine Bestattung in einem Bestattungswald entschieden, dass die Einnahmeseite von Friedhöfen, Steinmetzen und Friedhofsgärtnern in eine grobe Schieflage geraten ist. Aus der Not heraus haben sie in Einzel- oder Gemeinschaftsinitiative begonnen, vor Ort auf ihren Friedhöfen pflegeleichte Gärten anzulegen, in denen Feuer- und zum Teil auch Erdbestattungen möglich sind. Dabei sind echte kleine Schmuckstücke entstanden, zum Teil Hochbeete in gemauerten labyrinthähnlichen Anlagen, Lavendel-, Stein- und Rosengärten mit geschmackvollen Stelen-Ensemblen als Grabsteinen. Die Grabpflege ist im Verhältnis gar nicht so teuer und im Vergleich zu mancher klassischen Grabgestaltung fühlen auch jüngere Menschen sich dort im Trauerfall in einer Weise geborgen, mit der sie selber gar gerettet hätten.

Leider gibt es diese Möglichkeiten noch nicht überall. Es lohnt sich aber, sich rechtzeitig zu informieren. Schöne Beispiele finden Sie z.B. auf dem Melatenfriedhof Köln. Und vielleicht können Sie ja auch Ihre örtliche Kommune, einen örtlichen Friedhofsgärtner oder eine Genossenschaft auf Friedhofsgärtnern und Steinmetzen anregen, die diese Idee auch bei Ihnen umsetzt.
Der eigenen Kreativität sind durch das Gartenkonzept Grenzen gesetzt. Der zuständige Gärtner wird Sie zum  Entfernen Ihrer Pflanzen oder Gestaltung auffordern, wenn es nicht in das pflegeleichte und gestalterische Konzept passt.

Kolumbarium

Kolumbarien sind Urnenwände, die teilweise auf Friedhöfen, zunehmend auch in entwidmeten Kirchen angelegt werden. Sie sind meist sehr stilvoll, im Freien leider nicht immer genügend witterungsbeständig und werden zunehmend nachgefragt. Sie sind auch für Menschen mit körperlichen Einschränkungen gut zu erreichen, meistens können Blumen abgelegt werden. Ich persönlich empfinde sie aber als “vorletzte Ruhe”, weil die Urne nach Ablauf der Liegezeit dort entfernt wird und (erst) anschließend einen endgültigen Platz findet.

Verstreuung

Verstreuungen sind je nach Landesgesetzgebung nur möglich, wenn der Verstorbene sich zu Lebzeiten damit (hand-) schriftlich einverstanden erklärt hat. Manche Krematorien bieten eine Verstreuung auf ihren benachbarten Friedhöfen sehr kostengünstig an.

Bei der Bestattung wird oft eine “Verstreuungsurne” verwendet, die man unten öffnen kann. Auf der Erde sieht man dann einen entsprechenden Asche-Hügel oder je nach Verstreuung ein entsprechendes Muster. Mancherorts wird daher ein Stück Grasnarbe abgehoben, die Asche an dieser Stelle verstreut und anschließend wieder mit dem Stück rasen bedeckt.

Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Asche mithilfe der Streuurne relativ großflächig zu verstreuen. Mancherorts wird auch die Aschekapsel mit großem Schwung entleert. Es kann gut geschehen, dass man anschließend den Staub auf Schuhen und Kleidung hat.

Bei dieser Bestattungsart sollte vorher besonders gut überlegt und abgesprochen sein, wie sie gestaltet wird. Wichtig ist, dass diese Bestattung gut begleitet wird. Die Anwesenden sollten wissen, was sie erwartet.

Gute Bekannte waren einmal völlig entsetzt, als der Bestatter ohne Vorankündigung plötzlich hinter einem Busch verschwand und plötzlich mehrfach eine Aschewolke zu sehen war.

Im Gegensatz dazu habe ich eine sehr würdevolle Verstreuung erlebt, bei der der Redner im Rahmen der Zeremonie die Asche in einer feinen Schicht großflächig auf dem Rasen verteilte. Diese Schicht wird nach dem nächsten Regen nicht mehr zu sehen sein. Für andere ist es gerade wichtig, dass die Asche an einer bestimmten Stelle noch länger zu sehen ist.
Wenn man vorher darüber nachgedacht hat, kann man auch diese Bestattungsart sehr würdevoll gestalten.

Noch einmal: Anonyme Beisetzung

Beim Besuch des hiesigen Krematoriums wurde von einem Konkurrenten erzählt, der auch sehr günstige anonyme Beisetzungen anbietet. Der Betreiber kommt aus dem Tiefbaugewerbe und soll entsprechende Rohre senkrecht in der Erde versenkt haben. Auf diese Weise muss er zur Beisetzung nur oben die Grasnabe abheben, den Deckel öffnen und kann kurz und schmerzlos ein Dutzend (?) Urnen übereinander gestapelt “beisetzen”.

In der Historie wurden einmal die Christen gelobt, weil man deren Haltung auch daran ablesen konnte, mit welcher Ehrfurcht sie den Verstorbenen begegneten. Wenn es bei der Beisetzung nur noch auf eine möglichst preisgünstige Entsorgung ankommt, dann ist es an der Zeit, diese gesellschaftliche Fehlentwicklung laut zu beklagen.

Andererseits ist vor einer zu offensichtlichen Verklärung zu warnen. Wenn man eine malerische gut geschmückte Trauerfeier am Sarg erlebt und hinterher eine ebenso schön gestaltete persönliche und zugewandte Verabschiedung, dann kann man durchaus einen heftigen Widerspruch erleben (“Gegenwart” – Dokumentation auf Arte), wie fabrikmäßig mancherorts die Einäscherung organisiert wird und die Urnen völlig ungeschmückt im Schwerlastregal auf den Weiterversand warten.
Eine schematische Darstellung der Einäscherung kann man auf Youtube anschauen.

Diamantbestattung

Manchmal hört man auch von einer Diamantbestattung. In einem kostspieligen Prozess wird der in der Asche enthaltene Kohlenstoff gereinigt, konzentriert und unter hohen Druck zu einem kleinen Diament gepresst. Dazu sollte man Folgendes wissen: In einem “normalen” Krematorium läuft der Verbrennungsprozess so ab, dass der im Körper enthaltene Kohlenstoff vollständig zu Kohlenstoffdioxid verbrannt wird. Es ist also gar kein Kohlenstoff mehr da, der gepresst werden könnte. In der Urne sind daher vor allem Kalzium-Reste aus den Knochen. Es soll Anbieter geben, die daher kleine Diamanten in diese Asche legen, deren “Kraft” in diese Diamanten übergeht. Fragen Sie mich bitte nicht, was ich davon halte. In anderen Fällen wird der Verbrennungsprozess im Krematorium so gestaltet, dass dabei in der Tat noch Kohlenstoff für eine Diamantenpressung vorhanden ist. Wer sich dafür interessiert, sollte sicherlich sehr sorgfältig nachfragen, ob tatsächlich genau das passiert, was man sich darunter vorstellt.

Weltraumbestattung

Zur “Weltraumbestattung” sollte man anmerken, dass nur eine lippenstiftgroße Patrone ins All geschossen wird. Der Rest bleibt dann irgendwo hier auf der Erde. Wird die “Rakete” mit einem Feuerwerkskörper in die Luft geschossen, dass ist das sicherlich außerhalb der Grenzen des deutschen Rechts geschehen – und wie alle derartigen Raketen handelt es sich um verhältnismäßig niedrige Höhen, die derartige Geschosse erreichen. Wenn sie nicht als  Irrläufer quer über den Boden rasen, wie man auf diversen Filmen im Internet nachverfolgen kann.

Seebestattung

Wesentlich seriöser erscheint mir die Seebestattung. Mit einem kleinen Kutter fahren die Angehörigen zu einer der Stellen im Meer, die dafür z.B. in der Nordsee vorgesehen sind. Die Schiffsbesatzung lässt die wasserlösliche Urne mit einem Blütenkranz zu Wasser. Sie löst sich in kurzer Zeit auf, die Asche geht in diesem Bereich auf den Boden nieder. Über den genauen Ort erhalten die Angehörigen eine Seekarte.

Reihen- und Wahlgräber

Daneben gibt es nach wie vor die klassischen Reihen- oder Wahlgräber. Hier hat man alle Möglichkeiten der eigenen und beauftragten Grabgestaltung. Die Friedhöfe sind meist in der Nähe des letzten Wohnorts, was gerade für Ehepartner sehr hilfreich sein kann. In diesen Fällen hat man ggf. alle gestalterischen Möglichkeiten. Auch wenn meine Kommentierung hier besonders knapp ausfällt, ist und bleibt das eine angemessene und für viele Menschen hilfreiche Möglichkeit, bei der ich Trauernde gerne begleite.

Wenn bis hierher etwas fehlt, das Ihnen wichtig erscheint oder aus Ihrer Sicht richtig gestellt werden müsste, bin ich übrigens für einen Hinweis dankbar.

Große Beerdigung – kleine Beerdigung

n manchen Fällen ist von vorneherein klar, dass es eine große Beerdigung werden wird: Wenn ein Mensch, den viele gut kannten, plötzlich und viel zu früh stirbt, wird sein Tod mit großer Anteilnahme bedacht. Manchmal ist die für Eltern ein großer Trost zu spüren, dass sie in ihrer Trauer nicht allein sind, dass diese Trauer von vielen Menschen geteilt wird.
Das gilt oft auch für die weniger spektakulären Trauerfälle. In vielen Fällen gibt es nur noch wenige Angehörige, manchmal gar keine. Dann ist es gut, wenn vor Ort Menschen da sind, die auch in diesen Fällen dafür sorgen, dass niemand einsam beerdigt wird. Immer wieder aber haben Menschen verfügt, dass ihre Beisetzung nur im ganz kleinen Kreis stattfinden soll, obwohl viele Menschen um sie trauern und den Angehörigen gerne ihr Mitgefühl ausdrücken würden. Ich kann nicht müde werden zu betonen, wie wichtig daher das Gespräch darüber ist.

Wozu soll man sich entscheiden?

Das muss und darf im Rahmen seiner Möglichkeiten jeder für sich entscheiden. Manchmal merkt man es Sterbenden förmlich an, wie gut es ihnen tut, wenn sie wissen, dass alles in Ihrem Sinne geregelt wird.
Tragisch wird es allerdings dann, wenn die Verstorbenen zu Lebzeiten nicht mit Ihren Nachkommen darüber gesprochen und dann Dinge und Abläufe bestimmt haben, die den Angehörigen nicht gut tun. Ich habe schon so viele Trauerfeiern erlebt, die im kleinen Kreis stattfanden, obwohl es den Angehörigen gut getan hätte, Unterstützung bei Freunden und Nachbarn zu finden. Sie mussten darauf verzichten, weil der Verstorbene es anders festgelegt hatte.

Wie oft habe ich mit einem Unbehagen im Bauch zusammen mit Angehörigen die Trauerhalle mit dem Sarg oder der Urne verlassen, weil der Verstorbene dies so verfügt hatte, ohne mit den Angehörigen zu sprechen, was dies für sie bedeutet!

Der Tod gehört zum Leben. Wir können uns ihm nicht entziehen, auch wenn wir den Gedanken daran verdrängen. Aber wir können ihn in gewisser Hinsicht so gestalten und vorbereiten, dass wir gut sterben und dass unsere Nachkommen damit gut leben können. Dazu braucht es das offene Gespräch, zu dem ich an dieser Stelle ausdrücklich Mut machen möchte.

Bestattungs- und Grabpflege-Vorsorgeverträge

Es ist nicht verkehrt, sich rechtzeitig darum zu kümmern, wie die Beerdigung und die Grabpflege finanziert wird. Welche Möglichkeiten bieten die unterschiedlichen Bestatter? Wie viel Zeit nehmen sie sich für die Angehörigen? Wie viel Zeit können sie den Angehörigen geben, damit sich diese bis zur Beisetzung am offenen Sarg verabschieden können? Haben sie eigene Räume dafür oder können sie örtlich vorhandene kirchliche oder kommunale Räume dazu nutzen? Können sie durch Krankheit oder Unfall verunstaltete Leichname so herrichten, dass man mit ihrer Hilfe trotzdem Abschied nehmen und den Tod im wahrsten Sinne des Wortes “begreifen” kann? Könnten solche Möglichkeiten für Sie wichtig sein? Was kostet dann eine Beerdigung?

In unserer Zeit wird auch die finanzielle Vorsorge wichtiger. Wenn Menschen pflegebedürftig werden, muss oft das Sozialamt einspringen. Die “Schonbeträge” für das eigene Vermögen sind relativ gering. Angemessene Beträge für die Beerdigung und die Grabpflege dürfen zusätzlich zurück gelegt werden, solange bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Man könnte die Beerdigung beim Bestatter schon bezahlen. Wichtige Fragen: Wer erhält die Zinsen aus diesem Geld? Wie hoch ist die Verzinsung? Wer bezahlt dafür die Steuern? Ist das Geld verloren, wenn der Bestatter einmal Insolvenz anmelden oder das Institut aufgeben muss? Was passiert mit diesem Vorsorgevertrag, falls man einmal umziehen muss? Kann man dann dieser Vertrag mühelos zu einem Bestatter vor Ort “umziehen”? Wer kontrolliert die Einhaltung des Vertrags gerade in den Fällen, in denen Alleinstehende vorsorgen möchten?

Ein seriöser Bestatter wird für diese Fragen Verständnis haben. Die Bestatterverbände bieten Treuhandverträge an, bei denen die angelegten Gelder gegen Insolvenz geschützt sind und die Umsetzung der Verträge kontrolliert werden. Auch der “Umzug” der Verträge ist möglich.

Den Trauernden und sich selber Spielraum lassen

In manchen Fällen hat man sich sehr detailliert Gedanken gemacht und entsprechende Vorbereitungen getroffen. Dass man noch viele Jahre leben würde, hat man gar nicht erwartet. Und dass sich in der Zwischenzeit die eigenen Vorstellungen ändern können oder das Recht oder die Lebensumstände: Damit hat man nicht gerechnet. Aber der Stein ist schon fertig (bis auf das Sterbedatum)… Vielleicht sollte man das eine oder andere doch noch offen lassen oder zumindest seine diesbezügliche Verfügung regelmäßig aktualisieren.

Bernd Kehren
01.06.2015

Taize-Andachten für Demente

Meine Gottesdienste in den Altenheimen werden von mehr oder weniger dementen Menschen besucht. Diese Gottesdienste halte ich relativ klassisch mit lutherisch orientierter gesungener Liturgie:

GottesdienstbesucherInnen ohne Demenz werden durch die Predigt besonders angesprochen, GottesdienstbesucherInnen mit leichter Demenz werden sich zwar nicht mehr an die Predigt erinnern können, aber sie werden merken, dass sie ihnen gut getan hat.

GottesdienstbesucherInnen mit ausgeprägterer Demenz werden von den geprägten Stücken der lutherischen Liturgie angesprochen, die durch vergleichbare Stücke in der katholischen Liturgie in ökumenischer Verbundenheit auch katholischen GottesdienstbesucherInnen vertraut wirkt.

Allerdings ist es organisatorisch nicht zu schaffen, auch jene Bewohnerinnen mit einer ausgeprägteren Demenz in diese Gottesdienste zu bringen. Also muss man sich auf den Weg in die Wohngruppen und in die Zimmer der Bettlägerigen machen.

Angeregt durch einen Artikel von Mechthild Lärm habe ich “Taizé-Andachten” entwickelt, die ich mit meiner Gitarre durch einfache Zupfmuster begleite und mit mehreren ehrenamtlichen Gemeindegliedern gestalte.

Dazu bringe ich Panesamt-Tücher mit und gestalte mit ihnen, mit Kerze und Kreuz sowie Schmucksteinen und Tee-Lichtern eine Mitte. Je nach den Gegebenheiten auf der Station setzen wir uns darum im Kreis, manchmal wird auch nur der Tisch in der Mitte entsprechend gestaltet, und wenn wir anschließend die bettlägerigen Bewohnerinnen und Bewohner in ihren Zimmern besuchen, wird diese Mitte direkt auf einem Tee-Wagen gestaltet.

Eine Verdunklung der Räume wäre in der Regel zu aufwendig, die Andachten sollen bewusst auch organisatorisch einfach gehalten werden.

Der Zielgedanke war, diese Andachten so zu gestalten, dass möglichst viele Sinne angesprochen werden. Darum verwende ich besonders als optischen Reiz gerne das leuchtend rote Tuch, auch wenn vom Kirchenjahr her eher “grün” angesagt wäre. Aber auch die Tücher in den gedeckteren Farben zeigen an, dass jetzt der gewohnte Alltag unterbrochen wird. Unterstützt wird der optische Impuls durch Kerze und Teelichter und die übrigen Materialien.

Der akustische Reiz geschieht durch die Lieder. Zwar sind die Lieder aus Taizé den Bewohnerinnen und Bewohnern in der Regel nicht bekannt. Durch die mehrfachen Wiederholen wirken sie aber sehr beruhigend, wie das Pflegepersonal immer wieder neu feststellt.

Dennoch fühlte ich mich schon nach wenigen Andachten nicht wohl damit, nur fremde Gesänge zu präsentieren. So wurden die Lieder aus Taizé durch möglichst ökumenisch bekannte alte Kirchenlieder und weiterhin speziell durch Abendlieder ergänzt. Letztere sind offenbar dadurch sehr gut im Gedächtnis verankert, dass sie in der Kindheit immer wieder gesungen wurden. Auch wenn die Andachten in der Regel nicht abends stattfinden, passen sie durch ihre Abschiedssymbolik immer wieder auch gut zu den Gedanken um Hohes Alter, Tod und Sterben. Reine Volkslieder, auch wenn sie sehr gut bekannt sind, wollte ich in diesen geistlich geprägten Minuten nicht singen.

Auch wenn meine Altenheim-Gottesdienste in der Regel durch Glockengeläut vom MP3-Player eingeläutet werden, beginne ich die Taize-Andachten nicht mit Geläut, sondern durch eine Begrüßung mit einer kurzen Erläuterung.

Leider war ich selber noch nie in Taizé, aber einzelne Lieder sind mir in der Gemeinde immer wieder begegnet. Sie liegen daher auch der Auswahl zugrunde. Um nicht unnötige Irritationen dadurch zu erzeugen, dass unbekannte Lieder in einer fremden Sprache gesungen werden, wird bei allen Lieder der deutsche Texte verwendet. Vor kurzem habe ich allerdings gelesen, dass gerade katholische demente Menschen erstaunlich gut auf ihnen aus der Kindheit bekannte lateinische Texte reagieren, aber ich habe dies noch nicht bewusst vergleichen können.

Somit werden bereits die Sinne “Hören” und “Sehen” angesprochen. Gegen Ende der Andacht wird das Lied “Bleib mit deiner Gnade bei uns” gesungen. Während dieses Liedes werden reihum jedem Anwesenden die Handflächen mit einem kleinen Kreuz gesalbt. Ich habe dazu auf der Basis von naturgepresstem Olivenöl mit einigen Tropfen Lavendelöl ein Duftöl zubereitet, mit dessen Hilfe auch die Sinne “Riechen” und “Spüren/Fühlen” angesprochen werden.

Bei mir hat sich folgender Ablauf herausgebildet
(Nummern aus dem Evangelischen Gesangbuch,
Ausgabe Rheinland-Westfalen-Lippe):

  • „Im Namen des Vaters…“
  • Lobt Gott, ihr Völker alle (Laudate omnes gentes – EG 181.6)
  • Lesung: Ps 95,1+2
    1 Kommt herzu, lasst uns dem HERRN frohlocken
    und jauchzen dem Hort unsres Heils!
    2 Lasst uns mit Danken vor sein Angesicht kommen
    und mit Psalmen ihm jauchzen!
    Freuet euch im Herrn (EG-RWL 579)
  • Lesung
    Mt 5,2-9 (Seligpreisungen)
    oder 1. Kor 13,2+13 (Hoheslied der Liebe)
  • Wo die Liebe wohnt (ubi caritas – EG-RWL 587)
  • Unsere Augen sehn stets auf den Herren (oculi nostri – EG-RWL 582)
  • Heilig, Heilige Herr Gott Zebaoth (sanctus – EG-RWL 583)

Bekannte Kirchenlieder:

  • Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren (EG 317,1+2+5)
  • Nun danket alle Gott (EG 321)
  • So nimm denn meine Hände (EG 376)
  • Großer Gott, wir loben dich (EG 331,1+2+11)
  • Geh aus, mein Herz (EG 503, 1+2+8)
  • Befiehl du deine Wege (EG 361, 1+2+12)
    (12 singe ich besonders gerne bei reaktionsarmen bettlägerigen Patienten)

Aus der Kinderzeit sind viele Abendlieder bekannt:

  • Nun wollen wir singen das Abendlied (EG-RWL 684)
  • Abend ward, bald kommt die Nacht (EG 487)
  • Der Mond ist aufgegangen (EG 482,1-3+7)
  • Nun ruhen alle Wälder (EG 477, 1+3+5)
  • Weißt du, wieviel Sternlein stehen (EG 511)
  • Guten Abend, gut Nacht (?)

Die Reihenfolge behalte ich immer bei, aber die Auswahl erfolgt relativ spontan. Ich habe mir für den Eigenbedarf mithilfe des Elektronischen Gesangbuches einige Liedheftchen zusammen gestellt, in dem ich während des Weiterblätterns aussuche.

  • Hieran schließt sich eine Salbung an mit Olivenöl und Lavendelduft, und zwar zum Lied:
    Bleib mit deiner Gnade bei uns (EG-RWL 586)
    Dazu werden die Hände mit einem kleinen Kreuz gesalbt. Das Lied wird so
    lange wiederholt, bis alle die Salbung erhalten haben.
    Meine Erfahrung ist: Gerade weil diese Salbung so unspektakulär “inszeniert” ist, wird sie so gut angenommen.
  • Fürbittengebet zu „Kyrie, Kyrie eleison“ (EG 187.12)
  • Vaterunser
  • Trinitarischer Segen
  • Geh’n wir in Frieden den Weg, den wir gekommen. (EG Oldenburg 560)

Eine Predigt gibt es nicht oder allenfalls rudimentär und ganz spontan aus der Situation heraus.

Die Mitarbeitenden reagieren ganz unterschiedlich. Manche sehen es als Chance und sehen zu, dass möglichst viele Menschen kommen können. Andere nutzen es als Ruhephase. In einem der Häuer habe ich Frauen gefunden, die sogar eine Oberstimme begleitend singen können. Ich habe die Andacht aber auch schon ganz alleine gehalten. Ich zupfe die Gitarre mit einfachen Zupfmustern. Bin ich alleine, singe ich „Bleib mit deiner Gnade bei uns“ ohne Gitarrenbegleitung und salbe selber.

Haben wir für die Andacht einen Teewagen gestaltet, dann gehen wir im Anschluss an diese Andacht durch die Zimmer zu den Bettlägerigen, singen eines der Lieder und das „Bleib mit deiner Gnade bei uns“ und salben bei letzterem den Pflegebedürftigen die Handflächen.

Altenheim-Gottesdienste

Predigten aus dem Altenheim finden Sie hier keine. Das liegt einfach daran, dass ich diese Predigten so gut wie alle frei halte und daher keine fertigen Texte habe, die ich ins Internet setzen könnte.

Zur Zeit [Anmerkung: Dieser Text entstand ca. 2009] feiere ich zwei Arten von Gottesdiensten:

  • Taize-Andachten für Menschen mit einer Demenz
  • Etwas gekürzte Abendmahlsgottesdienste mit vielen traditionellen, auch gesungenen liturgischen Anteilen.

Taize-Andachten

Diese Andachten werden mit einigen Ehrenamtlichen und Pflegenden für die schwerer dementen Bewohnerinnen und Bewohner gehalten. Sie haben einen relativ festen Ablauf und dauern etwa 20 bis 25 Minuten. In den Wohngruppen wird ein Tisch mit Tüchern, Kerzen, einem Kreuz und Dekomaterial festlich gestaltet. Die Wiederholungen der Taize-Lieder tun den Menschen – Bewohnern wie Pflegenden – sichtlich gut. Bei einem der Lieder wird der Handrücken gesalbt: Es ist ein Gottesdienst für alle Sinne: Hören, Sehen, Riechen, Hautkontakt spüren.

Als Pfarrer oder Pastor habe ich vor allem gelernt, mit Worten umzugehen und zu predigen. In den Taize-Andachten geht es um eine Form der Kommunikation, die viel mehr das Gefühl anspricht: Das ist die Ebene, auf der Menschen mit einer Demenz sehr gut kommunizieren können. Angeregt zu dieser Form der Gottesdienste wurde ich von Mechthild Lärm. Ehrenamtliche Besucherinnen und Besucher singen und gestalten die Andacht mit, bei der die Lieder mit der Konzertgitarre und nach Möglichkeit weiteren Instrumenten begleitet werden. Auf diese Weise haben sie auch einen leichteren Zugang zu einer für Außenstehende manchmal auch sehr belastenden Situation im Altenheim.

Nicht zuletzt tut diese Form auch den Mitarbeitenden gut, die ihre Bewohnerinnen und Bewohner in dieser Andacht begleiten.

Abendmahlsgottesdienste

Sie bestehen aus möglichst vielen alten bekannten Elementen.

Begrüßung, Lied, Psalm 23 mit gesungenem “Ehr sei dem Vater und dem Sohn…” freiem Tagesgebet, Glaubensbekenntnis, Lied, Predigt, Lied, Abendmahl mit vielen gesungenen Teilen, Einzelsegnung, Segen, “Großer Gott, wir loben dich”.

Selber würde ich gerne etwas mehr modifizieren, aber die alten Texte bieten den Gottesdienstbesuchern ein wichtiges Stück “Heimat”. Seit den Erfahrungen mit den Taize-Andachten begleite ich die Gottesdienste auch nicht mehr mit der Schlaggitarre, sondern mit der Konzertgitarre und einem einfachen Zupfmuster. (Nur In einem meiner Heime wird der Gottesdienst von einem Pianisten begleitet.)

Für die Predigten versuche ich nach Möglichkeit, ein kleines Stück Anschauungsmaterial mitzubringen: Eine Postkarte (die man dann auch mit auf das Zimmer nehmen kann), eine Handpuppe oder auch eine der Erzählfiguren aus dem Bistum Aachen, weil man mit ihnen so gut Gefühle ausdrücken kann. Weihnachten 2005 hatte ich für jeden einen kleinen Esel aus gedrechselten ”Reifentieren” aus dem Erzgebirge mitgebracht, und noch heute finde ich das kleine Tier auf vielen Nachtschränken in den Zimmern liegen. Dank Laserdrucker und Elektronischem Gesangbuch kann ich schnell und unkompliziert die Liedtexte in extrem großer Schrift abdrucken, so dass auch Menschen mit stärkerer Sehbehinderung die Worte noch entziffern können. An hohen Feiertagen benutze ich “Gemeindebrief-Mantelbögen”, um darauf die Liedtexte zu drucken. So haben die Besucherinnen und Besucher ein dem Feiertag angemessenens “Mitbringsel”, das oftmals noch lange Zeit aufgehoben wird.

Die frohe Botschaft des Evangeliums soll den zuhörenden Menschen in ihrer Alters- und Heimsituation gepredigt werden. Sie sollen nicht allein bleiben, wenn sie Bilanz ziehen und hoffnungsvoll in die Zukunft, nicht mehr in die ferne Zukunft, sondern auf die nächsten Monate oder auch immer nur auf die nächsten Tage (vgl. Ursula Schmitt-Pridik, Hoffnungsvolles Altern – Gerontologische Bibelauslegung, Neukirchen 2003). Einige haben sicherlich aufgrund von Alzheimer oder einer anderen Form von Demenz schon am Ende des Gottesdienstes vergessen, wovon die Predigt handelt. Aber in ihrem emotionalen Gedächtnis bleibt diesen Menschen das Gespür für die Atmosphäre in ihrem Gottesdienst und sie merken (und sagen das auch), dass sie einen schönen Gottesdienst erlebt haben.

Die Form der Einzelsegnung habe ich erst nach meiner Einführung in den Dienst als Altenheimseelsorger in Bad Münstereifel kennengelernt. Für einige der Gottesdienstbesucher ist dies die dichteste Form der Feier, fast noch wichtiger als das Abendmahl. Zu Beginn habe ich mit Händeauflegen gesegnet. Allerdings ist dies bei durchgängig sitzenden Menschen immer “von oben herab”. Seit einiger Zeit habe ich von einem Kollegen eine Form “auf Augenhöhe” übernommen: Ich gehe vor dem sitzendenden Bewohner oder der Bewohnerin in die Hocke und halte nun seine Hände. Wer möchte, bleibt mit dem Segnenden in Augenkontakt, und wer die Situation nicht versteht, hat dem Pastor einfach die Hand gegeben. Der Segensspruch greift meistens einen Gedanken der Predigt auf und endet mit der trinitarischen Form. Im Ostergottesdienst lautete er zum Beispiel: “Jesus spricht: Ich lebe und du sollst auch leben. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.”

Das Abendmahl gestalte ich als Intinctio. Einzelkelche sind bei einem Dienst in fünf verschiedenen Heimen relativ unpraktisch. Am liebsten hätte ich den Gemeinschaftskelch, aber das lässt sich im Heim aus hygienischen Gründen schlecht realisieren. Aber in jedem Gottesdienst findet sich ein Besucher oder Helfer, der noch gut zu Fuß ist und den Kelch tragen kann, in den ich dann die Oblate tauche.

Warum heißt diese Homepage „Der TheoPoint“?

Der Name hat eine kleine Geschichte.

Es begann etwa 1987 mit einer Meldung im SPIEGEL, dass es christliche Mailboxen gäbe. Ein “Sysop”, der für Raubkopien bekannt gewesen wäre, hätte sich bekehrt und biete nun christliche Inhalte an. Das war der Anlass, mir ein 1200 Baud-Modem zu besorgen und erste Erfahrungen mit der Datenfernübertragung zu machen. Damals noch auf einem Atari 1040 STF, denn der konnte damals schon Hebräisch und Griechisch darstellen, als die üblichen DOS-Computer gerade mal das normale ABC in Rasterbuchstaben drucken konnten.

Aber diese Mailboxen waren im Süden Deutschlands und die Telefonkosten zu hoch, als dass man dort laufend anrufen konnte. Der nächste Schritt bestand in der Suche nach Mailboxen in der näheren Umgebung. Eine der ersten Mailboxen stand in Ratingen, eine Mailbox im weltweiten Fido-Netz. Die Zeit, in der die Sysops nachts den Akustikkoppler bereit liegen hatten, um den Telefonhörer schnell hineinzudrücken und die Verbindung herzustellen (es gab dann auch kurze Zeit automatische Konstruktionen, die das mit Hilfe eines Elektromotors bewerkstelligten), war erst kurz zuvor zu Ende gegangen.

Achim Drinkuth besorgte mir die entsprechende Atari-Software, und so konnte ich kurz darauf ohne Festplatte, nur mit einer internen Ramdisk und einem zweiten Floppylaufwerk, automatisch Nachrichten senden und abholen.

Es gäbe noch viel zu erzählen, von Z-Netz, von der ersten christlichen Mailbox im Ruhrgebiet namens Credo, von langen Jahren der Teilnahme und dann auch Moderation der “Kirche.ger” im Fido-Netz, vom Churchmail-Netz und auch vom LifeNet. Leider verschwand der Atari ST (inzwischen ein Mega STE) vom Markt und die Entwicklung der an sich sehr guten Software fand ein Ende, kurz bevor auch die Mailbox-Netze gegenüber dem Internet zu langsam wurden.

So aber bleibe ich bei jener ersten Mailbox im Fido-Netz. Die Systeme, die bei einer Fidobox anriefen, waren Points. Und jener Sysop nannte das System des Theologiestudenten, der bei ihm “pollte” den Theologen-Box-Point.

Daraus entwickelte sich dann für die erste eigene Homepage der TheoPoint oder Theologenpoint.

Man könnte nun noch mit dem Namen ein wenig spielen. The O-Point, auch das wäre möglich. “O” wie Original? Oder Ostern?

TheoPoint – es geht jedenfalls um Gott (theo). Das hat etwas mit Jesus Christus zu tun. Bei Rudolf Bultmann konnte man lernen, dass es im Wesentlichen auf das “Dass seines Gekommenseins” ankäme: Das ganze Evangelium komprimiert in einem mathematischen Punkt. Wenn man es so sagen will: Gott hat seine Frohe Botschaft auf den Punkt gebracht. Ich würde dazu heute sagen: Dieser Punkt ist mit 1. Kor 13,13 Liebe – noch wichtiger als Glaube und Hoffnung.

Ursachen des Pfarrermangels

Ursachen des Pfarrermangels

Wenn ich mir die Diskussionen der letzten Jahre in der ev. Kirche im Rheinland anschaue, dann bleiben vier Faktoren unberücksichtigt: Zum einen die Bevölkerungsstatistik, zum anderen die Wohlstandsentwicklung, zum dritten die fehlende Personalplanung und zum vierten fehlendes wirtschaftliches Denken.

Die Wohlstandsentwicklung führte dazu, dass Kirche eine ganze Zeit lang in einem erheblichen Maße Personal einstellen konnte. Im Rheinland spricht man daher vom „dagobertinischen Zeitalter“.

Die Bevölkerungsstatistik macht in Nachhinein deutlich, warum in den geburtenstarken Jahrgängen so viele Theologiestudierende eingestellt werden konnten.

Mangelndes wirtschaftliches Denken führte dazu, dass zunächst einmal niemand genau nachrechnete, welche Kosten dieses Einstellungen irgendwann einmal im Blick auf Pensionen hervorrufen würden. Ob man mit der steigenden Lebenserwartung und den damit verbundenen steigenden Kosten für die Beihilfe rechnen konnte, möchte ich hier nicht behaupten.

Allerdings hatte sich eingebürgert, auf die bösen großen internationalen Firmen zu schimpfen, die aufgrund finanzieller Notlagen und wirtschaftlicher Entwicklungen Arbeitnehmer entlassen mussten. Diesen Vorwurf wollte man sich nicht machen lassen.
Man hätte sich ja auch an Josef in Ägypten orientieren können: Der legte in den guten Jahren zurück, um später nicht nur selber durch die schlechten Jahren kommen, sondern auch anderen Bedürftigen dabei helfen zu können.
Die Kirche machte es genau anders herum: Sie schimpfte auf eine Wirtschaft, die auf hemmungslose Expansion und wirtschaftliches Wachstum setzte, und traf gleichzeitig wirtschaftliche Entscheidungen, die genau dieses wirtschaftliche Wachstum zur Voraussetzung hatten.

Beispiel aus meinem Heimatstadt: Jahrelang wurden die Gelder für die Baurücklage für das „Haus der Kirche“ als zentralem Verwaltungsgebäude in der Innenstadt in den Gemeinden der drei Essener Kirchenkreise für die Jugendarbeit ausgegeben. Zweifellos ein guter Zweck. Als dann die Baurücklage für die Renovierung dieses Hauses gebraucht wurde, war sie nicht mehr im nötigen Umfang da. Das Haus musste verkauft werden. Seitdem wird das nötige Verwaltungsgebäude teuer gemietet.

Ebenso wurde mit der Pensionsrücklage verfahren. Man sah es als unsozial an, riesige Summen anzuhäufen, aus denen einmal die Pensionen bezahlt werden können, gab einen Teil dieses Geld für gute Zwecke in der ganzen Welt und der eigenen Kirche aus und vertraute darauf, dass die wirtschaftliche Entwicklung, der Heilige Geist oder sonst wer den Fehlbetrag (sofern man sich darüber überhaupt Rechenschaft ablegte) schon ausgleichen könnte. Dass die Kirche einmal zahlenmäßig abnehmen könnte, dass die Zinsentwicklung nicht immer steigen würde, dass man das zweckgebundene Geld einmal brauchen würde: Daran dachte man nicht.

Und weil es keine Personalplanung gab, fiel auch niemandem auf, wie viele junge Theologen die Presbyterien in einem überregional nicht koordinierten Wahlverfahren in Pfarrstellen wählten, und wie viele längst gewählte und auf Lebenszeit verbeamtete Pfarrerinnen und Pfarrer keine Pfarrstelle mehr abbekamen. Weil man sich nicht dem Vorwurf aussetzen wollte, den man der Wirtschaft in vergleichbaren Situationen machte, wurden diese Menschen auch nicht nach drei Jahren in den Ruhestand versetzt, sondern durch Beschäftigungsaufträge bis an die Pensionsgrenze gebracht. Damit trugen sie zu einem erheblichen Teil zur Entlastung der PfarrstelleninhaberInnen bei: Pro Kirchenkreis bis zu vier zusätzliche Theologinnen! Zwar gab es bei jedem dritten Stellenwechsel ein Stellenbesetzungsrecht der Landeskirche; dieses wurde aber entweder nicht wahrgenommen oder aber durch das wählende Presbyterium so lange unterlaufen, bis das Landeskirchenamt entnervt aufgab und der Wahl des Wunschkandidaten zustimmte.
Auf diese Weise wurden nicht nur wesentlich mehr Pfarrerinnen und Pfarrer auf Lebenszeit verbeamtet, als es das System Landeskirche langfristig verkraftete, es geschah auch noch in einem relativ kurzen Zeitraum. Das bedeutet: Alle diese PfarrstelleninhaberInnen würden auch innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums von wenigen Jahren mit ihrer Pensionierung wieder aus dem Dienst ausscheiden.

Mit anderen Worten: Die Kirche ging durch diese übermäßigen Verbeamtungen finanzielle Verpflichtungen ein ohne sich Rechenschaft darüber abzulegen, wann und wie sie diese finanziellen Verpflichtungen würde ausgleichen können.

Nach außen steigerte dies (neben der gesellschaftlichen Situation: Friedensbewegung, Kirchentage…) die Attraktivität des Pfarrberufes und trug zu zu einem Höchststand an Theologiestudierenden bei.

Die Lage spitzte sich unaufhaltsam zu, ohne dass man dies genügend deutlich merkte. Daher nahm die Personalabteilung der Landeskirche immer noch Interessierte auf die Liste der Theologiestudierenden auf, stellte immer noch fleißig Vikarinnen und Vikare ein, verbeamtete sie auf Probe und gab ihnen damit das Versprechen, sie auch einmal zunächst auf Widerruf und dann auf Lebenszeit zu verbeamten.

Diese Problematik ist schon explosiv genug. Wenn dann aber eine drastische Verlängerung der Lebenszeit hinzukommt, gleichzeitig die Zinsen für die (zu niedrigen) Rücklagen auf ein Niedrigniveau sinken, wird die Lage katastrophal.

Wie hat die Kirche im Rheinland reagiert?
Zunächst hat sie die Kosten für die Pfarrerinnen und Pfarrer für die Gemeinden transparent gemacht: Ein nennenswerter Anteil der Pfarrerkosten wurde nicht mehr durch eine anonyme allgemeine Pfarrbesoldungspauschale gedeckt, sondern den Gemeinden direkt in Rechnung gestellt. Die Gemeinden reagierten darauf mit einer Welle von Pfarrstellenstreichungen.

Das war ein Schock für die Vikarinnen und Vikare. Die Landeskirchen reagierten unterschiedlich. Die benachbarte westfälische Landeskirche machte einen drastischen Schnitt, der zum Teil zu erheblichen Härten führte. Immerhin ermöglichte das den immer noch relativ jungen Theologinnen und Theologen, beruflich umzusteuern. Damit sank bereits die Attraktivität des Theologiestudiums beträchtlich.

Die rheinische Kirche ging einen anderen Weg, richtete auf fünf Jahre befristete Sonderdienststellen ein, mit denen Pfarrstellen weitere entlastet und besondere Projekte angestoßen werden sollten. Das entschärfte die Situation eine Zeit lang, entlastete die Gemeinden und Kirchenkreise zwar nicht finanziell, aber doch in ihrer Arbeit, ließ aber die Betroffenen immer älter werden.
Nur zum Teil gelöst wurde das Problem des ungesteuerten Zugangs zum Pfarrberuf.
Ein Zeit lang ging das Konzept auf; für einige Jahre konnten bis zu 85 Prozent eines Jahrgangs in Pfarrstellen oder einen weiteren Sonderdienst vermittelt werden. Dann spitzte sich die Lage wieder zu. Mangels wirtschaftlichen Denkens wurde immer noch kein fester Schnitt gezogen. Aus den immer noch scheinbar unermesslichen (und doch jetzt schon zu geringen) Rücklagen wurde durch Vorruhestandsregelungen die Quote von 85 Prozent gehalten.

Die rheinische Kirche war immer noch nicht in der Lage, die nötige wirtschaftliche Entscheidung Entscheidung zu treffen, den Betroffenen die Wahrheit zu sagen und den nötigen Schnitt zu machen.

Jetzt kamen zwei verhängnisvolle Wirkungen zusammen: Durch die für die Gemeinden finanziell transparentere Pfarrstellenfinanzierung wurden Pfarrstellen abgebaut und durch die Vorruhestandsregelungen war der Pfarrstellenmarkt zusätzlich auf mehrere Jahre leer gefegt.

Wieder wurde das Theologiestudium unattraktiver.

Jetzt kam der dritte Schritt: Zum ersten Mal wurde ein versicherungsmathematisches Gutachten in Auftrag gegeben. Nun wurde deutlich, dass einerseits die Pensionskasse durch ein mehrere hundertmillionenschweres strukturelles Defizit belastet war und dass andererseits der PfarrerInnenmangel durch die inzwischen gealterten Sonderdienstlerinnen nicht aufgefangen werden kann: Sie würden bei Eintritt des Mangels selber das Ruhestandsalter erreichen.

In der Folge wurde beschlossen, das Sonderdienstprogramm sofort zu stoppen, ohne dass die Betreffenden eine reelle Chance auf eine Pfarrstelle bekommen sollten.

Die Not war für die Landeskirche so groß, dass sie einen jahrelangen Einstellungsstopp und einen linearen Abbau der Pfarrstellen erwog. Dann fiel den zuständigen Ausschüssen auf, dass in den nächsten Jahren weniger Menschen pensioniert würden als bei einem linearen Pfarrstellenabbau nötig wäre: dies würde nur zum Aufblähen des Wartestandes führen. Seitens des theologischen Nachwuchses wurde vorgerechnet, dass von den ca 1950 Gemeindepfarrstellen (Stand: ca 2004) bei einem entsprechenden Abbau im Jahre 2030 nur noch ca 500 besetzt wären.

Mit spitzem Griffel wurde berechnet, dass es möglich sein sollte, jedes Jahr 20 Personen ins Pfarramt zu lassen, zunächst durch überplanmäßige sogenannte mbA-Stellen („mit besonderem Auftrag“). Zugleich wurden harte Maßnahmen zur Verringerung der Personenzahl im Wartestand getroffen.

Die Attraktivität des Pfarrberufes und die Bereitschaft zum Theologiestudium dürfte damit ihren absoluten Tiefpunkt erreicht haben. Dazu beigetragen hat sicherlich auch die Verletzungsgeschichte der betroffenen Theologiestudierenden, die nicht mehr ins Vikariat kamen, ebenso wie die Verletzungsgeschichte der betroffenen VikarInnnen und SonderdienstlerInnen, die nach erfolgreichem Abschluss der theologischen Ausbildung und des Probediensts keine Pfarrstelle mehr bekommen konnten.

Was hätte die Kirche einem Unternehmen in der freien Wirtschaft angesichts der eklatanten wirtschaftlichen und personalplanerischen Maßnahmen nicht alles ins Stammbuch geschrieben! Was _hat_ sie nicht alles alles entsprechenden Firmen etwa in der Stahlkrise ins Stammbuch geschrieben. Hat sie es besser gemacht?

Aus der Not heraus hat die rheinische Kirche endlich nachgerechnet, um die nötigen wirtschaftlichen und personalplanerischen Entscheidungen treffen und sie umsetzen zu können.

Als ein davon selbst Betroffener ist es bitter zu erleben, wie diese Entscheidungen von einigen Veröffentlichungen im Pfarrerblatt und anderswo mit der alten sozialromantischen Leier  infrage gestellt werden. Stattdessen solle die Kirche ihr Handeln noch einmal _theologisch_ bedenken.
Der Rheinischen Kirche kann man sicherlich alles vorwerfen, nicht aber, dass sie zu wenig theologisch oder sozial gedacht habe. Das Problem ist viel mehr: Sie hat zu wenig gerechnet – sie hat nicht wirtschaftlich gedacht.
Sie hat das Gleichnis vom Kornbauern zum Vorbild genommen ohne daran zu denken, dass vielleicht auch Josef in Ägypten ein theologisch und sozial verantwortetes Vorbild sein könnte.
Die Kirche hat durch ihre unterfinanzierten Pensionszusagen in den guten Zeiten einen Kredit aufgenommen, den sie nun in wirtschaftlich schlechteren Zeiten nur mit äußerster Mühe und dem Abbau wichtiger und erfolgreicher Arbeitsbereiche zurück zahlen kann.

Inwieweit sich die Entwicklung dieser Fehlentscheidungen und der Versuche, sie zu korrigieren, auf andere Landeskirchen übertragen lässt, kann ich nicht beurteilen, dazu fehlt mir der Überblick. Sicherlich hat diese Entwicklung einer der großen Landeskirchen der EKD auch Folgen für die anderen Landeskirchen.

Ob die Prognosen für 2030 alle stimmen?
Wer will das sagen?
Fest steht aber jetzt schon, dass die Kinder, die bis jetzt nicht geboren wurden, im Jahre 2030 auch keine Kirchensteuer zahlen werden.
Fest steht schon jetzt, dass ein großer Teil jener der treuesten Kirchenmitglieder im Rentenalter bis 2030 verstorben sein und ein weiterer Teil das Rentenalter erreicht haben wird. Fest steht auch, dass die Bindungen an die Kirchen lockerer geworden sind und die Zahl der Kirchenaustritte eher steigen werden, erst recht, wenn Kirche ihre Angebote unter öffentlicher Anteilnahme zurückfahren muss.
Damit lassen sich reelle Szenarien für die Kirchenfinanzierung hochrechnen.
Und es gibt genügend biblische Gleichnisse und Geschichten, die zu sorgfältigem Rechnen und wirtschaftlich verantwortlichem Handeln auffordern. Wer von den lauten kirchlichen Sozialromantikern macht sich endlich einmal daran, _darüber_ theologisch reflektiert nachzudenken?

Fazit: Wirtschaftliche und personalwirtschaftliche Fehlentscheidungen und die Folgen der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland haben zumindest einige Landeskirchen in der EKD in eine tiefe Krise und das (Voll-) Theologiestudium auf einen Tiefpunkt geführt.
(Zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass auch andere Berufszweige wie Kirchenmusiker, Küster, Sozialarbeiter, Verwaltung ebenfalls bluten mussten.)

Die betreffenden Landeskirchen unternehmen größte Anstrengungen, diese Krisen halbwegs heil zu überstehen. Der Mangel an ausgebildetem theologischen Personal lässt sich inzwischen zahlenmäßig im Zeitablauf relativ genau bestimmen.
Damit lässt sich auch eine relativ sichere Aussage über den kommenden Bedarf in seinem Zeitablauf machen.

Das vor uns liegende Tal wird den Pfarrberuf sicher noch etwas anstrengender machen. Dennoch ist und bleibt er einer der schönsten und freiheitlichsten Berufe, die man sich denken kann. Warum sollte nicht das Wunder gelingen, mit einer transparenten Darstellung des Bedarfs einerseits und der schönen Seiten des Berufes andererseits dazu beitragen, dass junge Menschen wieder die Berufung hören?

Ein transparenter und ehrlicher Umgang mit den Ursachen ist die Voraussetzung dafür, dass mögliche Interessenten für den Pfarrberuf der Bedarfsrechnung für die nächsten Jahre Glauben schenken.

Nachtrag: Auch dieses Tal wird bald durchschritten sein. Hoffentlich denken die Verantwortungsträger daran, dass auch nach den dann kommenden guten Jahren auch wieder schlechte Jahre kommen können. Damit sich dieses selbst verschuldete Desaster nicht wiederholt.

Bernd Kehren
19.05.2014

Reaktion auf den Artikel im Deutschen Pfarrerblatt 2/2013:
Die Nachwuchsfrage im Pfarrberuf aus heutiger Sicht
“… und wir dachten, wir hätten ein Amt errungen …”
Von: Andreas Dreyer

Unterm Tannenbaum entschieden

„Weihnachten wird unterm Baum entschieden“ – viele ärgern sich zu Weihnachten 2011 über diesen Werbeslogan einer bekannten Elektronikmarkt-Kette. Ich finde den Slogan super. Er ist ironisch und selbstironisch – was will man mehr?

„Das Spiel wird auf dem Platz entschieden.“

Da kann man vorher so viel getönt haben wie man will, wer stärker ist und wer schwächer ist, wer mehr Geld für Spieler hat. Immer wieder schafft es im Pokal auch mal ein Außenseiter…

„Weihnachten wird unterm Baum entschieden.“

Klar gibt es Geschenke. Klar haben teure Geschenke einen Vorteil. Bayern München hat halt auch mit kluger Geldpolitik dafür gesorgt, sich mit guten teuren Spielern die besten Vorteile kaufen zu können. Das muss man neidlos anerkennen, gerade auch dann, wenn man die Kohle schlicht nicht hat.

Aber da besinnen sich viele Vereine auf ihre eigenen Stärken, ihren eigenen Nachwuchs – und kommen auch nach oben!

Mit anderen Worten: Auch preiswerte Geschenke sind „erstligareif“, wenn sie von Herzen kommen. Manchmal ist es viel mehr Wert, mit den Kindern Zeit zum Spielen zu haben, als sich und den Kindern mit den Überstunden für die Geschenke die Zeit zu stehlen und dann nach Weihnachten zu „platt“ zu sein, um mit den Kindern gemeinsam Zeit zu haben. Oder mit dem Ehepartner/der Ehepartnerin.

Weihnachten wird unter dem Baum entschieden.

Sitzt man da und ödet sich an? Wird es wieder einmal eskalieren, weil man sich gegenseitig nicht aushält? Oder schafft man es, sich auf seine eigenen Wurzeln  zu besinnen, gehaltvoll und fröhlich und unbekümmert ein Familienfest zu feiern, nach dessen Ende man sich schon aufs nächste Jahr freut?

Weihnachten wird unter dem Baum entschieden.

Vielleicht steht dort ja doch einen Krippe, vielleicht denkt man daran, dass die Weihnachtsbotschaft nicht in einem „Ich verkündige jedem von Euch ein IPhone“ besteht, sondern in „großer Freude“, die verkündet wird.

Vielleicht denkt man daran, dass die Eltern des Christkinds anscheinend zu arm waren für große Geschenke.

Vielleicht denkt man daran, dass es auch in der Nähe Menschen mit wenig Geld für viel unter dem Tannenbaum gibt, und dass man dort etwas Gutes tun kann.

Weihnachten wird unterm Baum entschieden.

Dort wo sich konkret zeigt, ob Konsum und Liebe sich ausschließen oder im Rahmen eines großen Festes – des größten der Welt – eine Verbindung eingehen können.

Weihnachten wird unterm Baum entschieden. Wie beim Fußball. Da können die kleinen Geschenke ganz groß heraus kommen und die großen können durchfallen.

Das größte Geschenk: Ein kleines Menschenkind in der Krippe, das der Welt zeigt, wie sehr Gott sie liebt.

Ein genialer Slogan. Ich mag ihn.

Denn Weihnachten ist unter dem Baum entschieden.

Ulrich Bach

Ulrich Bach verstarb am Sonntag, dem 8. März 2009 in Bergisch-Gladbach.

Ich erinnere mich noch genau, wie ich ihn zum ersten Mal sah. Er trug seine Volmarsteiner Rasiertexte in der Bochumer Westfalenhalle beim CVJM-Ostertreffen vor. Vormittags, und dann nachmittags noch einmal einen Text, nachdem der Hauptredner, nach langer schwerer Krankheit endlich wieder genesen, seine Zeit hemmungslos überzogen hatte.

Ulrich Bach rollte nach vorne und kündigte an, angesichts der fortgeschrittenen Zeit nur noch einen seiner Texte vorzutragen.

Ich war damals ca. 16 Jahre alt und fand es beeindruckend, wie dieser Mensch ohne jegliche Begleitung halb gesungen, halb gesprochen das “Lied vom Asozialen” vortrug. “

Später dann, ich hatte gerade mit dem Theologiestudium für das Lehramt begonnen, erhielt Ulrich Bach die Ehrendoktorwürde in Bochum verliehen. Immer im Sommersemester las er zu den verschiedenen Themen rund um “den behinderten Menschen als Thema der Theologie” und vermittelte lutherische Theologie.

Wir begegneten uns immer wieder, mal lud ich ihn nach Essen zum Jugendmeeting des CVJM Essen-West ein, dann war er Referent bei der Auswertungstagung zum Diakoniepraktikum,,,

Warum ausgerechnet im Lokalteil der Essener WAZ auf seinen Abschied hingewiesen wurde, wird für mich ein dauerhaftes Wunder bleiben. Nach einer ermutigenden Pfingstpredigt (sie ist in “Ohne die Schwächsten ist die Kirche nicht ganz” abgedruckt) wurde er völlig zu Recht von zahlreichen Rednern gelobt und konnte mit dem gebührenden Dank in den Ruhestand verabschiedet werden.

Ich kenne kaum einen Menschen, der so sorgfältig auf die Befindlichkeiten einzelner Gruppenteilnehmer achten und darauf eingehen kann. Um so erstaunlicher war sein Geständnis, er habe einmal beim Thema Gewalt eine der Gruppenteilnehmerinnen nicht ernst genug genommen. “Über Gewalt kann ich auch etwas erzählen!” – “Du bist hier in Volmarstein so behütet, was willst Du hier über Gewalt erzählen?”

So behielt sie ihre Erfahrung für lange Jahre für sich, bis sie dann  doch einmal von ihrer Puppe erzählte. Sie hätte diese selbstgebastelte Puppe gar nicht haben dürfen. Die Diakonissen nahmen den Kindern die Geschenke ab und leiteten sie an Kinder in den Missionsgebieten weiter, denen es noch viel schlimmer ging. Aber in diese Puppe hatte sie sich verliebt, und so versteckte sie sie unter der Bettdecke.

Eines Nachts rutschte die Bettdecke hoch, die Puppe geriet in den Taschenlampenkegel der Nachtschwester. Das Mädchen wurde wach gemacht, die Puppe wurde zerrissen, weil es sich nicht an die Spielregeln gehalten hatte. Die Diakonissen hatten es nur gut gemeint, aber es war Gewalt, zweifellos. “Das Gute will ich, das Böse vollbringe ich”, Ulrich Bach hätte den Apostel Paulus sicherlich sorgfältiger zitiert, als ich es hier tue, aber deutlich wird mir zumindest, dass Kirche nie perfekt war, niemals perfekt sein kann, und dass somit immer wieder Menschen schrecklich unter ihr und ihrem “Bodenpersonal” leiden müssen.

Doch, gerade auch die Kirche ist nicht perfekt. Wenn wieder einmal aus Rom eines der Signale kommt, dass die Evangelische Kirche gar keine Kirche sei, sondern “allenfalls eine kirchliche Gemeinschaft”, dann habe ich bei Ulrich Bach gelernt, dass dies in Wirklichkeit eine Auszeichnung ist.

Theologisch will die römisch-katholische Kirche als Kirche Jesu Christi perfekt sein. Das wirkt sich in fast alle ökumenischen Streitpunkte aus: Ekklesiologie, Ämterfrage, Sakramente. Im Jahr 2000 hat sich der Papst für die Verfehlungen von kath. Christen entschuldigt, niemals aber für Fehler der Kirche. Denn der kath. Ideologie entsprechend kann es solche Fehler in der Heiligen Kirche niemals geben. Wie unmenschlich wird die Kirche da oftmals gegenüber Menschen, die eigentlich Hilfe und nicht Maßregelungen brauchen?

Wer sich als Teil eines Patientenkollektivs versteht, in dem Starke und Schwache sich gegenseitig stützen und aufrichten und von Gott getragen werden, der kann sich nicht mehr daran stoßen, wenn jemand daran festhält: Die reale Kirche ist nicht fehlerlos, sie ist nicht perfekt und wird es niemals sein.

Gott bleibt gerade auch den Menschen in ihren Niederlagen und Schwächen solidarisch zugewandt: Dieser Glaube hat mich durch so manches tiefe Tal in meinem Leben getragen; und ich hoffe, dass er auch weiter trägt, wenn in meiner eigenen Kirche fast nur noch Einser- und Zweierkandidaten ohne Erfahrungen des Scheiterns in den Pfarrdienst gelassen werden.

Kirche ist nur zusammen mit Schwachen und Scheiternden ganz. Ich hoffe, dass diese Erkenntnis von Ulrich Bach so nachhaltig bei seinen Zuhörerinnen und Zuhörerinnen eingepflanzt wurde, dass sie eine dauerhafte Mahnung und Ermutigung bleiben wird.

Kirche ist nicht die Gemeinschaft der Perfekten, sondern die Gemeinschaft der von Gott geheiligten Sünder.

Ist es ein Widerspruch, wenn ich mir meinen theologischen Lehrer Ulrich Bach nun ohne Rollstuhl, ohne die Schwierigkeiten des Post-Polio-Syndroms verstelle, einfach nur geborgen und aufgerichtet in Gottes Gnade?

Jesu Botschaft begann mit der Predigt, dass Gott den Menschen ganz nahe sein will. Ulrich Bach ist nun ganz von Gottes Nähe umgeben und darin geborgen.

In diesem Trost fühle ich mich mit allen verbunden, die um Ulrich Bach trauern. Insbesondere seiner Familie, seiner Frau und seinen Kindern und Enkeln wünsche ich alles Gute

Bernd Kehren

Zwei Anmerkungen 2016: Beim Lesen dieses Artikels wird mir deutlich, wie sehr Papst Franziskus bereits seine Kirche verändert hat. Vor sieben Jahren hätte ich mir nicht vorstellen können, dass ein Papst sich derart von einem solchen Perfektionismus entfernen und sich auf diese Weise auch angreifbar machen kann.
Nach einem Besuch in Wittenberg und auf der Wartburg ist mir noch einmal an mehreren Bildern deutlich geworden, wie sehr und wie unerträglich Luther in Antijudaismus verstrickt gewesen ist. Sie ganz ganz schön weh tun, die Sünde, der von Gott geheiligten Sünder. Dazu gehört auch, was die Freunde von Ulrich Bach über die früheren Zustände in Einrichtungen der Diakonie dokumentieren (siehe den Link ganz unten in diesem Beitrag).   


Gläubige Gelassenheit

An Tobias werde ich noch sehr oft denken. Was mir an ihm auffiel, war seine Stimmungslage, ein Gemisch aus Besonnenheit und Heiterkeit. Tobias war von Geburt an schwer behindert, inzwischen ein Mann in mittleren Jahren. Wir sahen uns zwei-, dreimal die Woche. Wie oft haben wir ihn sagen hören: „Ja und?“

Als die Fußballmannschaft seiner Heimatstadt absteigen mußte, Tobias hielt den Kopf etwas schräg, schmunzelte und sagte: “Ja und?” Das konnte ich ja noch verstehen. Gewundert hat’s mich aber, als sein Rollstuhl plötzlich einen Platten hatte. Ich selbst beginne in solchem Falle leicht zu schimpfen. Tobias hielt den Kopf etwas schräg, schmunzelte und sagte: „Ja und?“

Nur als der Arzt ihm sagte, er habe nur noch Wochen zu leben, und als Tobias wieder sagte: „Ja und?“, da verstand ihn auch seine Mutter kaum noch: „Übertreibst du jetzt nicht, mein Junge?“ Aber Tobias sagte nur: „Hör mal, Mutter, hat Ostern denn nur mit Eiern zu tun – oder auch mit mir?“

Diesen Satz fand ich großartig, aber er machte mir Tobias ein bißchen fremd. Und das wurde erst anders, als seine Mutter mir erzählte – der Sohn war an einem Ostersonntag gestorben -, Tobias hätte fast nie von seiner Behinderung gesprochen. Nur einmal, da saßen sie beim Tee, und der Junge – ach, er war schon erwachsen -, der Junge stieß eine Tasse um. Da fing er an
zu weinen. Der Mann in mittleren Jahren fing wegen einer Tasse an zu weinen. Und er zischte vor sich hin: „Ich bin ein alter Krüppel.“
Wenn ich jetzt an Tobias denke, ist er mir nicht mehr fremd. Die Sache mit Ostern und die Sache mit der Tasse – das beides gehört eben zusammen. Tobias hatte Ziele, sehr hohe Ziele. Aber er war Mensch genug, zu wissen: Wir können unsere Ziele nicht immer fassen. An Tobias werde ich noch sehr oft denken.

aus: Ulrich Bach, Volmarsteiner Rasiertexte

 

Diese Geschichte von Ulrich Bach hat sicher dazu beigetragen, dass unser Jüngster den Namen “Tobias” bekommen hat. Ulrich Bach ist Sonntagabend, genau am Abend des 8. Geburtstages von “unserem” Tobias, verstorben.

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