Sendung mit der Maus zum Thema Sterben und Beerdigung

„Abschied von der Hülle“ – eine der schönsten Sendungen über Tod und Sterben.

Wenn mich jemand fragt, empfehle ich gerne eine Sondersendung der „Sendung mit der Maus“.
„Abschied von der Hülle“ – eine Sondersendung der Sendung mit der Maus
Für mich eine der schönsten Sendungen über Tod und Sterben, und was man in der Situation alles tun kann. Ein Film für Kinder und Erwachsene, der hier von Armin Maiwald nachträglich kommentiert wird.
Ein trauriges Thema – und trotzdem könnte ich mir diese Sendung immer wieder anschauen.

Namensschilder bei Sitzungen

Kennt Ihr das auch?

Für eine Sitzung hat jemand Namensschilder gefertigt, oben gefalzt, vorne steht der Name. Wer gegenüber sitzt, kann den Namen gut lesen. Von der Seite hat man keine Chance. Und wenn das Papier nicht dick genug war, bleiben sie auch nicht stehen, sondern fallen in sich zusammen.

Darum drucke ich die Namen am liebsten zweimal: Einmal rechts und einmal links. Davon passen zwei übereinander, so dass ich das Blatt DIN-A-4 der Länge nach zerteile und dann in der Mitte knicke.

Ein Namensschild

Dieses Blatt stelle ich so vor mir auf, dass alle anderen das Blatt vor mir so sehen, wie auf dem Bild hier, und dass ich dahinter der Einzige bin, der es nicht lesen kann. Und das Blatt wird auch nicht zusammenfallen.

Und wer das einfach drucken will, für den gibt es eine Excel-Tabelle für die Namen und ggf. eine Zusatzangabe und ein Word-Dokument für die Serienbrieffunktion.

Als erstes trägt man in der Excel-Tabelle die Namen und ggf. eine Zusatzangabe ein und speichert sie ab.

Im Word-Dokument (hier: Office 2010) wählt man oben im Reiter „Sendungen“ zunächst die Excel-Tabelle aus („vorhandene Liste auswählen“) (1.),

Vorgehen in Word 2010

wählt dann unter „Empängerliste bearbeiten “ die betreffenden Einträge aus (2.)
und druckt diese dann unter „Fertigstellen und Zusammenführen“ aus (3.).

Das Word-Dokument und die Excel-Tabelle findet Ihr hier:

Viel Vergnügen und viel Erfolg mit der neuen Art, Namensschilder zu erstellen.

Schwangerschaft – Abtreibung – Fehlgeburt

Gerade werden die Zahlen für das erste Quartal 2018 veröffentlicht.
In der Pressemitteilung Nr. 207 vom 13.06.2018 des statistischen Bundesamtes heißt es: „Im ersten Quartal 2018 wurden rund 27 200 Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland gemeldet. Wie das Statistische Bundesamt weiter mitteilt, waren das 2,2 % mehr als im entsprechenden Vorjahreszeitraum.“

Die einen beklagen die Zunahme, andere weisen darauf hin, das die Geburten aber um etwa 7 % zugenommen hätten. Anteilmäßig hätten die Abtreibungen aber abgenommen.

Zu meinen eigenen beruflichen Aufgaben gehört es, die Sammelbestattungen der Tot- und Fehlgeburten eines Krankenhauses zu gestalten. Daher weiß ich, dass Fehlgeburten gar nicht so selten sind. Aber wie verhalten sich die Zahlen zueinander?

Für das Jahr 2016 liegen vergleichbare Zahlen vor.

Lebendgeborene:   792 131 
Totgeborene:        2 914
Abtreibungen:      89 721

Summe:                          893 766

„Man schätzt, dass dreißig, vielleicht sogar bis zu vierzig Prozent aller Schwangerschaften in den ersten zwölf Wochen in einem Abort enden“, sagt Christian Albring, Vorsitzender des Berufsverbands der Frauenärzte. (www.welt.de, abgerufen am 22.6.2018) Es gibt andere Schätzungen, die liegen doppelt so hoch. Geht man also davon aus, dass 70 Prozent der Schwangerschaften diesen Punkt erreichen, dann wären das im Jahr 2016 ca. 894000 Schwangerschaften gewesen. Dann müssten die übrigen 30 Prozent etwa 383 000 Aborten, also Fehlgeburten in den ersten 12 Schwangerschaftswochen entsprechen.

Diese Zahlen von 2016 sollte man noch einmal gegenüber stellen:

Lebendgeburten: 792 000
Abtreibungen:    90 000
Aborte:         383 000

Ich stehe auf dem ethischen Standpunkt, dass Abtreibungen möglichst vermieden werden sollten. Allerdings kann man das werdende Leben nur mit der Mutter schützen und nicht gegen sie. Die deutsche Beratungsregel scheint mir in diesem Zusammenhang eine der besten Lösungen der Welt zu sein.

Dennoch machen mich diese Zahlen nachdenklich. Manche Abtreibungsgegner fordern, dass der Staat jedes werdende Leben schützen müsse. Aber ein Drittel aller Schwangerschaften kann der Staat schon allein deswegen nicht schützen, weil dieses Leben auf natürlichem Wege ein trauriges Ende nimmt, ca. 383 000-mal im Jahr 2016. Manche Mutter hat es für eine verspätete Regelblutung gehalten. In vielen Fällen hatten die Eltern aber bereits das schlagende Herz auf dem Ultraschall sehen können. Ich erlebe immer wieder die Trauer mit, wenn dieses winzige Herz zu schlagen aufhörte und die Hoffnung der werdenden Eltern zerstörte. Es gibt viel mehr betroffene Eltern als man denkt. Man sollte um diese immense Zahl wissen, damit man sich nicht so einsam fühlt, wenn man selber betroffen ist.

Andererseits: Das ist mehr als das Vierfache der Zahl, mit der die Abtreibungen beziffert werden.

Was bedeutet das für die ethische Debatte um die Abtreibungen? Wenn ich mit Beraterinnen aus der Schwangerschaftskonfliktberatung spreche, sagen sie alle: Keine Frau treibt leichtfertig ab.

An dieser Stelle: Den Vergleich mit der Judenvernichtung oder dem Euthanasieprogramm der Nazi halte ich für infam. Im Blick auf die Abtreibungen gibt es keinerlei Bestrebung, Frauen massenweise zu einer Abtreibung zu veranlassen. Es gibt in Deutschland kein staatliches Programm, um massenweise Kinder abzutreiben. Hinter jeder Abtreibung steht eine einzelne Frau, die sich selber nicht in der Lage sieht, die Schwangerschaft auszutragen, aus welchen Gründen auch immer. Sie sieht für sich in diesem Augenblick keine andere Möglichkeit als den Schwangerschaftsabbruch. Das ist schwer genug.

Dennoch ist jede Abbtreibung eine zu viel. Allerdings erscheint mir die Problematik in einem anderen Licht, wenn ich die Zahl der Abtreibungen mit der Zahl der Aborte in den ersten 12 Schwangerschaftswochen vergleiche. Viermal mehr Schwangerschaften enden durch einen solchen Abort. So brutal ist die Natur. Als frommer Mensch sage ich: Da verstehe ich meinen „lieben“ Gott nicht mehr.

Habe ich mich verrechnet? Mir erscheint die Zahl als sehr hoch. Aber es scheint mir, als könne man mit dieser Zahl im Hinterkopf etwas gelassener in die Diskussion um Abtreibungen gehen. Wir können nicht jedes lebende Leben retten. In manchen Fällen wird es auch besser sein, dass man es nicht retten kann, angesichts dessen, was es in seinem irdischen Leben hätte erdulden müssen. Wer einmal das Leid miterlebt hat, das die Eltern eines Kindes durchmachen, das völlig gesund war und wegen eines Knotens in der Nabelschnur nur tot zur Welt kam, der wird auch angesichts der Zahl der Abtreibungen nicht gleichgültig werden. Aber er wird anders auf die Not der Schwangeren blicken können, die sich zu diesem Schritt entscheiden. Er oder sie wird nicht zu haltlosen „Fetizid“-Vorwürfen greifen müssen. Und sie wird betroffenen Frauen und Paaren anders zur Seite stehen können.

 

 

 

 

Abraham hätte Nein sagen sollen!

Predigt am 2. April 2017 in der Christuskirche zu Zülpich

Liebe Gemeinde,

der Predigtext heute aus dem 1. Buch Mose, Kapitel 22 verstört.

Das Opfer Abrahams (Luther 2017)

1 Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich.

2 Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde.

3 Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte.

4 Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne.

5 Und Abraham sprach zu seinen Knechten: Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen.

6 Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand; und gingen die beiden miteinander.

7 Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Mein Vater! Abraham antwortete: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer?

8 Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Und gingen die beiden miteinander.

9 Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz

10 und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete.

11 Da rief ihn der Engel des HERRN vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich.

12 Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen.

13 Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich im Gestrüpp mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes statt.

 

Liebe Gemeinde,

geht es Ihnen so wie mir?

Am liebsten möchte ich Abraham an den Schultern packen und schütteln:
Was machst Du da?
Das darfst Du nicht!
Auf gar keinen Fall darfst Du Deinen Sohn opfern!

Wenn ich mich in Isaak hinein fühle: Was mag er gedacht haben? Voll Vertrauen, bis das Messer über ihm schwebt?

Heute müsste man davon ausgehen, dass dieses Erlebnis zu einer posttraumatischen Belastungsstörung führt. Große Todesangst. Ausgerechnet der eigene Vater erhebt das Messer. Und nur noch wenige Sekunden, dann ist es aus. Hilflos gefesselt, ohne etwas tun zu können.

Mir geht so viel durch den Kopf.

Dorothee Sölle wollte diesen grausamen Text aus der Bibel streichen.
Wer kann nach Auschwitz an einen Gott glauben, der so etwas von Abraham verlangt?
Das kann nicht sein, das darf nicht sein. An einen solchen Gott können wir nicht glauben, so Dorothee Sölle.

Ulrich Bach, dem ich für meinen Glauben viel verdanke, sagte aber, dass Gott vielen Menschen genau so erscheint wie hier bei Abraham: Rätselhaft, unfassbar, grausam. Und sie lassen trotzdem nicht von ihrem Glauben ab. Wie Abraham.

Ulrich Bach dachte an die Eltern schwerst behinderter Kinder. Müssen sie nicht auch glauben: Gott, warum ausgerechnet wir? Warum ausgerechnet unser Kind? Musste das sein? Warum wird es so früh sterben müssen? Was soll das alles?

Oder ich denke an Menschen aus dem Krankenhaus, die ich jetzt kennen lernen durfte, die sich auf ihr Kind freuten. Und dann sagt der Arzt, es gibt keine Herztöne mehr. Und dann muss die Geburt künstlich eingeleitet werden. Oder es gibt eine Ausschabung. Und immer die Frage: Gott, was mutest Du uns da zu?

Oder kennen Sie die Situation, wenn das Kind geimpft werden muss? Und es hat Angst? Und es schreit! Und wir können es nur in den Arm nehmen, aber den Piks können wir ihm nicht ersparen… Oder wenn größere OPs anstehen?
Oder allein, wenn man hilflos da steht und das Kind sich nicht trösten lässt und weint und schreit – und man weiß nicht warum, und es tut einem in der Seele weh.

Oder wenn ich mit einem Kollegen oder einer Kollegin vom Kriseninterventionsdienst hinter der Polizei stehe. Wir klingeln, und ich weiß, gleich wird jemand von der Todes-Nachricht, die der Polizist überbringen muss, zusammen brechen. Gleich wird es einen Menschen heiß und kalt den Rücken herunter laufen, die Beine werden fast nachgeben, und alles wird sich wie in Zeitlupe und wie in Watte anfühlen.

Da könnte man sich vorkommen wie Abraham, der sich auf den Weg machte und nicht wusste, wie er es seinem Sohn sagen sollte. Und hinterher seiner Frau, wo es doch schon überhaupt ein unfassbares Wunder gewesen war, dass sie in diesem hohen Alter überhaupt noch schwanger geworden ist.

Ich bewundere immer wieder den Realismus der Bibel.
Wir glauben an einen gnädigen Gott.
Ich predige gerne von diesem Gott, der uns auch in Notlagen ganz nahe ist und nicht im Stich lässt.

Aber ich weiß: Diese Notlagen können grausam sein. Und dann steht man da und kann alles nur noch hilflos geschehen lassen. Was soll man denn tun?

Da bewundere ich Abraham als ein Vorbild des Glaubens.

Und doch ist das nicht alles.

Es gibt noch mehr zu sagen zu diesem Bibeltext.

Israel damals erscheint uns ja auch gerne als irgendwie musterhaft. Aber das waren sie ganz und gar nicht. Immer wieder ging das Vertrauen in den unsichtbaren einzigen Gott verloren. Die religiöse Praxis bröckelte auch vor 2500 Jahren weiter ab. Man lernte den Glauben anderer Völker kennen. Deren Götterfiguren konnte man immerhin sehen. Denen konnte man viel wertvollere Opfer bringen, wenn es mal hart auf hart kam. Menschenopfer zum Beispiel. Junge Kinder, den Erstgeborenen. Da konnte Gott nicht mehr zürnen. Da musste er einfach für eine gute Ernte sorgen… Dachte man zumindest.

Und so erschien es immer wieder als Gottes Wille, solch einem Opfer zuzustimmen. Vielleicht erschien es den Kindern sogar als eine besondere Ehre. So wie es heute so manchem islamistischen Glaubenskämpfer als eine große Ehre erscheint, sich für den Glauben in die Luft zu sprengen und dabei möglichst viele Menschen in den Tod zu reißen. Man hat es ihm (und zunehmend auch ihr) eingeredet.

Ich weiß nicht, ob es diese Begebenheit mit Abraham wirklich so gegeben hat. Vielleicht wurde sie auch nur als eine Mustergeschichte erzählt, in der deutlich wurde: Jetzt ist ein für alle Mal Schluss mit diesen Opfergeschichten. Es gibt diese Opfer nicht mehr. Opfere, was Du willst, aber niemals  Deinen eigenen Sohn.

Und wenn Dich irgendein Führer für Volk und Vaterland verheizen will, dann sag nein.

Ist denn die Lehre aus dieser Geschichte, dass wir uns ebenso halsbrecherisch darauf einlassen, dass schon alles gut gehen wird?
Oder ist nicht die Lehre, dass wir schon vorher Nein sagen?!

Vorgestern erst war ich am Sterbebett einer Frau, der es wichtig war, dass in der Nazizeit nicht alles so schlecht war und dass nicht alle zum Schlechten gezwungen waren. Sie hat manche Sachen gerne gemacht. Und war hinterher erschüttert, wie viel Unheil durch die angerichtet worden war, denen sie vertraut hatte.

Wie viele Pfarrer hatten sich umgekehrt mit ihrer Kirche darauf eingelassen, den Führereid zu schwören. Und sie fühlten sich daran gebunden, obwohl sie genau wussten, dass es kein gutes Ende nehmen würde. Und dass sie Teil einer Mordmaschinerie waren, die nur noch Unheil über die Welt brachte.

Wäre es doch besser gewesen, wenn Abraham deutlich Nein gesagt hätte? Fordert uns die Bibel nicht förmlich dazu heraus, eben nicht alles zu glauben?

Und sind wir heute so viel besser als die damals?

Heute wird über selbstfahrende Autos diskutiert. Und über ethische Probleme, wen die nun im Zweifelsfall überfahren dürfen, wenn sich eine Kollision doch nicht mehr vermeiden lässt: Das Kind oder den Greis, den Bettler oder die Professorin…
Warum schreit keiner auf und ruft „Nein!“?
„Programmiert die Autos so, dass sie immer nur so schnell fahren dürfen, wie sie gefahrlos bremsen können!“
Oder haben Sie sich jemals in der Fahrschule darüber Gedanken gemacht, wenn Sie umfahren sollen, wenn sich ein Unfall nicht mehr vermeiden lässt?`

Oder: Darf man halsbrecherisch eine Partei wählen, von der man eigentlich nur Unheil erwarten kann, nur um den anderen eines auszuwischen?

Bei den Trumps und Putins, bei den Erdogans und sonst wem auf der Welt sieht man, dass sich zum Schluss kein Widder in den Zweigen verfängt, den man stattdessen opfern könnte. Da nimmt das Unheil unbarmherzig seinen Lauf.

So lerne ich aus diesem Bibeltext von Abraham und Isaak heute zweierlei:

Einerseits das Gottvertrauen, dass Gott es schon zu einem guten Ende bringen wird, wenn ich mich in einer scheinbar ausweglosen Situation befinde.

Was muss dieser Mann mitgemacht haben. Wie mag er die Situation von links nach rechts und von rechts nach links überlegt haben… Und er vertraute: Gott wird uns nicht im Stich lassen, egal wie es ausgeht.

Und das andere, was ich lerne, ist:

Es gibt Situationen, da muss man kritisch hinterfragen, ob das wirklich so Gottes Wille ist.
Es gibt Situationen, dass muss man bewusst suchen, wo dieser Widder ist, dieser Ausweg. Und selbst wenn man den Ausweg nicht sieht, dass man stoppt und nicht weiter macht.

In einem konservativ-evangelikalen Nachrichtenmagazin lese ich wieder einmal die Kritik daran, dass Bundeskanzlerin Merkel dieses „Wir schaffen das“ gesagt habe. Ohne eine Obergrenze ginge es nicht.
Wenn das wirklich stimmte: Hätten sich dann nicht viele Flüchtlinge wie Abraham auf einen langen Weg aufgemacht – aber der Widder, der ihnen den Ausweg möglich gemacht hätte, wird ihnen vor der Nase weggeschnappt?
Chaos, Hunger, Kälte, Unmenschlichkeit an der Grenze – und der Tod?

Und wir sagen nicht: „Wir wissen einen Ausweg!? Irgendwie schaffen wir es gemeinsam!“?

Sondern wir sagen: „Es gibt keine Lösung. Nimm Dein Messer und stoß zu!“?

Man kann diese Geschichte von Abraham und seinem Sohn Isaak unendlich grausam finden und verabscheuen und am liebsten aus der Bibel werfen.

Man kann sich aber auch von ihr leiten lassen und selbstkritisch heute fragen, wo wir uns vielleicht ganz genauso verhalten wie Abraham. Wo wir mitlaufen, wo wir schon lange hätten deutlich stoppen und Nein sagen müssen. – Und das voller Vertrauen, dass Gott dennoch bei uns ist.

Ein letztes Wort:

Die Abrahamsgeschichte kann uns helfen, die Passionstage, die noch vor uns liegen, zu verstehen.

Gott selber ist in einer Zwickmühle wie Abraham. Jesus bringt die Botschaft vom freundlichen und den Menschen zugewandten Gott. Von einem Gott, der nicht nur das Wohl der Frommen im Blick hat, sondern das Wohl aller Menschen. Und diese Menschen sollen in einer großen Freiheit voller Liebe leben.

Und gerade die Frommen verstehen das nicht und sind aufgebracht über diesen Mann namens Jesus, der ihrer fundamentalen Glaubensüberzeugungen durcheinander bringt und ihre Zusammenarbeit mit den Römern kritisiert.

An Jesus wird die Menschenfreundlichkeit Gottes deutlich. Aber was ist mit dieser Freundlichkeit, wenn sich Menschen quer stellen? Wenn sie sie nicht akzeptieren wollen? Wenn sie ausgerechnet den als Gotteslästerer hinrichten wollen, der Gottes Liebe wie kein anderer verkörpert? Soll Gott seine Menschenliebe aufgeben und mit Blitz und Donner dazwischen hauen? Oder bleibt er bei seiner Liebe zu den Menschen?

Wie muss Gott sich gefühlt haben, als er in diesem Dilemma steckt und alles auf Karfreitag zulief?

Welch ein Ansporn für uns, dass wir unsere Verantwortung voll Gottvertrauen wahrnehmen, dass nach Möglichkeit niemand in eine solch ausweglose Situation kommt.

Und welch eine Ermutigung, trotzdem am Glauben festzuhalten, auch wenn alles plötzlich sinnlos erscheint.

Möge Gott immer mit seinem Segen bei uns und unseren Lieben sein. Amen.

Theologie als Spielball des Zeitgeistes?

Warum tue ich mir eigentlich immer noch einen Text mit dem „Zeitgeist-Vorwurf“ in der Überschrift an?

Diesmal geht es um einen Artikel in den Mitteldeutschen Kirchenzeitungen. Anfang Dezember wurde dazu Professor Schnelle, „einer der renommiertesten Theologieprofessoren Deutschlands“ interviewt.

„Zeitgeist“ ist und bleibt ein Kampfbegriff, effektiv und doch inhaltsleer.

Das Evangelium ist und bleibt auf die jeweilige Gegenwart bezogen. Unser Gott ist ein lebendiger Gott. Solange das so ist, hat sich Kirche mit der Gegenwart und der Vergangenheit kritisch auseinander zu setzen.

Typisch für die „Zeitgeist-Verurteiler“ ist die Weigerung, die Opfer der Kirchengeschichte anzuerkennen. Da bleibt dann keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, was den vielen Geschiedenen seitens der Kirche an Ausgrenzung, Hähme und Verunglimpfung angetan wurde. Da rühmt man sich zwar seiner historisch-kritschen Arbeit, lässt aber dennoch unberücksichtigt, wie sich eine frauenfeindliche Männerschar gegenüber Jesus zusammen gerottet hat, um von ihm das OK zu bekommen, sich lästig gewordener Ehefrauen zu entledigen.

Ist wirklich noch nie jemandem aufgefallen, wie a) biblizistisch und b) verfälschend Jesus die Bibel zitiert?

Im Schöpfungsbericht heißt es, „Gott schuf den Menschen zu seinem Ebenbild, männlich wie weiblich“. Es steht dort nicht, „Gott schuf den Menschen als Mann und Frau“.

Dennoch habe ich Respekt davor, wie geschickt Jesus seinen frauenfeindlichen Gesprächspartnern den Wind aus den Segeln nimmt.
Keinen Respekt habe ich vor Theologen, die a) dies nicht als einen zwar geschickten aber doch sachlich fragwürdigen Schachzug wahrnehmen und b) daraus ein ethisch fragwürdiges Gesetz aufstellen.

War Jesus pauschal gegen die Ehescheidung? Oder war er nicht vielleicht doch „nur“ gegen eine derart unsoziale Scheidung zulasten der Frauen?

Da ist es mir doch etwas zu platt, wie „einer der renommiertesten Theologen Deutschlands“ argumentiert.

Stichwort „Gericht“: Diesen Vorwurf kann ich schon gar nicht mehr hören. In der Regel läuft es doch so: Das Gericht soll immer den anderen gepredigt werden. Traue ich mich dann in solchen Diskussionen, den Vorwurf zurück zu geben und nachzuweisen, dass die Betreffenden doch selber auch vom Gericht betroffen und angesprochen sind, dann wollen sie davon nichts mehr wissen.
Dann werden sie sogar meist pampig, was mir denn überhaupt einfalle, und bei ihnen sei doch alles in Ordnung. Sorry, dieser Vorwurf ist zum K*tzen.

Als wären nicht viele der „grünen“ Bibelinterpretationen beste prophetische Gerichtspredigten gewesen, die einen klaren Spiegel vorgehalten haben, wie es mit Gott und der Erde weiter geht, wenn die Menschen das Verhalten nicht ändern. „Gott lässt sich nicht spotten.“

Die „Mehrheitsmeinung“ ist mir ziemlich egal. Wenn es danach ginge, würde ich AfD-like gegen Flüchtlinge hetzen und Obergrenzen fordern. Im Gegenteil, ich finde es wichtig, mich für Minderheiten einzusetzen. Ich finde es übrigens auch wichtig zu sagen, dass mir nicht immer gefällt, wie oberflächlich mit AfD-Wählern umgegangen wird. Die werden mir viel zu schnell in Nazi-Schubladen gesteckt, statt mal zu fragen, wie die zu ihrer Auffassung kommen. Das ist noch einmal etwas ganz anderes, als mit Recht und Abscheu festzustellen, wie verlogen die AfD-Spitzen mit der Wahrheit um gehen. Das ist nicht „postfaktisch“, sondern „verlogen-faktisch“. Die da oben arbeiten zwar auch mit „Gefühlen“, vor allem aber lügen sie sich die Realität auf eine penetranten Weise zurecht und lassen davon auch nicht ab, wenn man ihnen ihre Argumentation ausdrücklich widerlegen konnte. Sie wiederholen die verdrehten Wahrheiten so lange, bis sie (zumindest für ihre immer zahlreicheren Anhängerinnen und Angehänger) zum Allgemeingut geworden sind.

Worin der „renommierte Theologe“ selber Teil des theologischen Zeitgeistes ist: Er glaubt immer noch, Kriterien aufstellen zu können, welche Bibelstellen man dem historischen Jesus zusprechen kann und welche nicht. „Speisung der 5000“: eher nein, „Heilung der Schwiegermutter des Petrus“: eher ja. Bisher ist es doch so gewesen, dass bei diesem Verfahren immer nur das herausgekommen ist, was man als Voaussetzungen reingesteckt hatte.

Da war Bultmann übrigens durchaus weiter: Er hat den Mythos nicht eliminieren wollen, sondern ihm ging es darum, ihn zu interpretieren. (Wobei ich da gerne ganz eigene Auffassungen habe, wie der Mythos heute angemessen interpretiert werden sollte.) Sorry, aber dass ein renommierter Professor diesen beliebten Vorwurf Bultmann gegenüber wiederholt, macht ihn auch nicht wahrer.

Genau das aber ist das Problem: Die Theologie glaubt immer noch, mit ihrem historisch-kritischen Instrumentarium entscheiden zu können, was in den biblischen Worten der Menschen nun Wort Gottes ist und was nicht. Und wenn etwas „Wort Gottes“ ist, dann kann man seine Verantwortung abgeben, denn das „Wort Gottes“ wird ja wohl Recht haben.

Demgegenüber vertrete ich die Auffassung, dass mir kein einziges Bibelwort die Verantworung für mein Handeln abnimmt. Und mag ich mir noch so sicher sein, dass ein Bibelwort als Wort Gottes mein Handeln legitimiert, so kann es ausgerechnet in dieser Situation genau das verkehrte Handeln gewesen sein.

Ist etwa Abraham Vorbild im Glauben, weil er das Messer gegen seinen Sohn Isaak erhoben hat – oder weil er das Messer im entscheidenden Moment hat fallen lassen?

Ist diese Geschichte, die Aufforderung an Väter, sich so auf Gott zu verlassen, dass sie auch heute noch die Hand gegen ihre Söhne erheben würden, oder ist es die Aufforderung, dass man sich als Vater einer solchen Aufforderung nur von Anfang an widersetzen kann und widersetzen muss (das Szenario, in dem eine Art finaler Rettungsschuss gegen den eigenen gewalttätigen Sohn nötig werden könnte, einmal unberücksichtigt gelassen)?

Warum eiert dieser renommierte Professor beim Thema „Homosexualität“ so rum? Da habe ich in meinem Theologiestudium meine Ethik- und NT- und AT-Professoren (Frauen waren da damals in diesen Seminaren und Vorlesungen leider nicht dabei) ganz anders wahrgenommen: Nah an den Menschen und nah und begründet am Bibeltext, und so dass ich damit durchaus auch in der Diskussion in der Gemeinde bestehen konnte.

Wenn zu mir jemand mit einer gescheiterten Ehe in die Seelsorge kommt, dann hat er sein Gericht im Grunde schon hinter sich. Was soll ich da noch auf ihn theologisch einprügeln?
Und überhaupt: Wem gegenüber predigte Jesus das Gericht? Und wem gegenüber predigte er es ausdrücklich nicht? Täuscht mich meine Beobachtung, dass es vor allem Theologen waren, denen gegenüber er das Gericht predigte? Und Menschen, die sich in ihrem unsozialen und frommen Lebenswandel so sehr eingerichtet hatten, dass sie gar nicht mehr wahrnahmen, wem sie die qua Gottesebenbildlichkeit zugesprochene Menschenwürde vorenthielten?

Den Menschen gegenüber, die ohnehin in ihrem Leben gescheitert waren, war Jesus zugewandt und präsentierte ihnen den Gott der Liebe.

Denen, die seine zugewandte Nächstenliebe als Anbiederung an den Zeitgeist und als Gotteslästerung diffamierten, denen präsentierte er das Gericht. Ein Gericht, das ihn selbst ans Kreuz und zu den Worten „Vater vergibt ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ führte.

Wieder einmal ist die Hoffnung getrogen worden, von einem „Zeitgeist-Vorwurf-Artikel“ könnte man etwas Positives erwarten.
Man vertrödelt mit dieser Erwartung nur seine Zeit.
Ich hoffe, beim nächsten Mal kann ich der Versuchung widerstehen.

Frohe Weihnachten!

Vaterunser für Mitarbeitende im Kriseninterventionsdienst

Vater unser im Himmel.
Wir wären auch gerne dort. Im Himmel:
Denn dort gibt es kein Leid, keine Not, keine Tränen.
Außer bei Dir. Wenn Du siehst, was hier passiert.
Was Menschen aushalten müssen.

Geheiligt werde dein Name.
Welchen Namen auch immer wir Dir geben.
Wie immer wir an Dich glauben.

Dein Reich komme.
Das wünschen wir uns.
Kein Leid, keine Not, keine Unfälle, kein Abschied.

Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.
Manchmal würden wir uns schon wünschen,
dass etwas mehr Dein Wille geschähe.
Zu viel Leid ist in der Welt, und wir verstehen es nicht.
Und doch bleibt die Hoffnung, dass es ein gutes Ende nehmen wird.

Unser tägliches Brot gib uns heute.
… damit wir uns stärken lassen können:
uns und unsere Seele.
Für die Menschen, die für uns da sind und für die wir da sind. Und für den nächsten Einsatz, der vor uns liegt.

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Denn davor haben wir Angst: Etwas falsch zu machen in einem Einsatz. Schuldig zu werden an denen, für die wir da sein wollen. Und an denen, mit denen wir in den Einsatz gehen.
Hilf uns, mit Schuld gut umzugehen.
Mit Liebe zu uns, zu den anderen Einsatzkräften, zu den Menschen, denen wir in unserer Arbeit begegnen.

Und führe uns nicht in Versuchung,
in die Versuchung, Sensationen zu suchen.
oder in die Versuchung, alles lösen und heilen und schaffen zu wollen.

sondern erlöse uns von dem Bösen.
Uns und die vielen Menschen, denen wir lieber nicht begegnen würden.
Denn erlöst von dem Bösen gäbe es keine Einsätze mehr.
Und das wäre gut so.
Für uns und für die anderen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Es ist gut, trotz allem Leids darauf vertrauen zu können, dass es ein gutes Ende nehmen wird.
Und wenn es noch nicht gut ist, dann ist es auch noch nicht das Ende.

Amen.

Emmaus – Massenanfall von Verletzten?

Dialogpredig über die Emmaus-Geschichte (Lukas 24,13-25) im Gottesdienst am 29.11.2008 im Rotkreuz-Kreisverband Euskirchen aus Anlass der Überreichung von Teddys für Kinder in Notlagen an den Rettungsdienst im Kreis Euskirchen und aus Anlass von acht Jahren Kriseninterventionsdienst, „KID“, des Roten Kreuzes im Kreis Euskirchen

In der Lesung geht es um die beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus. Jesus ist gekreuzigt, es gibt Berichte, er sei auferstanden. Erschüttert sind die beiden auf dem Weg und finden einen tröstenden Begleiter.

Die Dialogpredigt betrachtet diese Emmaus-Geschichte aus der Sicht eines Mitarbeiters im Kriseninterventionsdienst.

(Link zum Bibeltext: https://www.bibleserver.com/text/LUT/Lukas24,13-35)

Bernd           

Eine riesige Katastrophe ist eingetreten. Nicht gerade ein Massenanfall von Verletzten, eigentlich waren es nur drei, zwei Verbrecher und ein Unschuldiger. Aber gerade dieser gewaltsame Tod  des einen unschuldigen Menschen hat viele Menschen ratlos zurückgelassen. Jesus ist am Kreuz gestorben. Für seine Freunde und Anhänger ist eine ganze Welt zusammengebrochen.

Winfried

Was ist eigentlich eine Verletzung, ein Trauma? Ich meine: Muss da immer Blut geflossen sein? Geht es da nur um Tote und körperlich Schwerverletzte? Oder kann nicht auch die Seele schwer traumatisiert werden?
Die Rettungsdienste sind ja gut vorbereitet, um Verletzungen zu erkennen, die Situation zu stabilisieren, zu verbinden usw. Aber was ist, wenn äußerlich nichts zu erkennen ist? Wenn nichts gebrochen ist, wenn kein Blut fließt? Wenn keine Schockreaktionen zu beobachten sind?

Bernd

Du meinst: Diese beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus unterhalten sich vielleicht über einen Massenanfall von Verletzten – aber die Menschen sind nicht körperlich, sondern seelisch verletzt? Weil so viele Menschen diesem Jesus vertraut hatten, weil so viele Menschen gehofft hatten, dass er dem Leben einen neuen Sinn geben wird!

Winfried

Sie hofften nicht nur, dass die Römer, also die Besatzungsmacht, endlich wieder rausgeschmissen werden. Man muss sich das mal überlegen: Seit über 300 Jahren fremde Soldaten im Land, erst Griechen, dann Römer, und dann kommt jemand, der immer wieder davon spricht: Es wird alles gut. Gottes Reich ist ganz nahe. Bald kommt Gott!

Bernd

Und dann, plötzlich, unerwartet, zwar angekündigt, aber doch unerwartet: Jesus wird plötzlich verhaftet, es gibt einen kurzen Prozess, einen grausamen Tod. Für seine Anhänger bricht eine Welt zusammen. Auch wenn sie selber körperlich nicht leiden mussten: Für sie bricht eine ganze Weltanschauung zusammen. Ihre Welt ist aus den Fugen. Einer stirbt am Kreuz, aber Hunderte sind traumatisiert.

Winfried

Sagen wir mal so: Wenn Menschen ein Trauma erleiden, versuchen sie auch, irgendwie damit umzugehen. Ihre Stressreaktionen sind ganz normal, weil die Situation, in der sie steckten, nicht normal war. Die meisten kommen da über die Zeit ganz heil aus der Situation heraus. Wie wird es den Emmaus-Jüngern gehen, und wie gehen die beiden mit der Situation um?

Bernd

Es ist wirklich spannend: Traumatisierte Menschen haben viele Reserven und Ressourcen, die ihnen bei der Bewältigung helfen können. Die beiden hier machen sich zu Fuß auf den Weg. Körperliche Betätigung ist nicht die schlechteste Taktik. Vor allem, wenn sie vom Ort des Geschehens weg führt. Ohne dass sie es wissen, arbeiten sie im Grunde den ersten Punkt des sogenannten SAFER-Modells ab: Sie begeben sich in Sicherheit, sie entfernen sich vom Ort der Verletzung.

Winfried

Und sie sprechen miteinander. Es ist so eine große Chance, wenn man nicht im Schweigen verharrt, sondern sich das von der Seele spricht, was einen bedrückt. Vielleicht wissen beide keinen Ausweg, sie finden keine Lösung, aber das macht nichts. Wichtig ist, dass sie sprechen und sich erinnern: So haben wir es erlebt. Das ist uns passiert. Sprechen hilft. Damit setzen sie instinktiv den zweiten Punkt des Safer-Modells um, nach dem das KID-Team immer wieder erfolgreich arbeitet: Sie drücken ihre Gefühle aus und erzählen, was passiert ist. Es ist eine Katastrophe, das kann gar nicht bestritten werden.

Bernd

Durch einen KID-oder Notfallseelsorge-Einsatz wird das Gespräch nicht überflüssig. Im Gegenteil: Das KID-Team wird versuchen, Freunde, Nachbarn und Verwandte einzubeziehen. Wenn das persönliche Umfeld aktiviert worden ist, dann verabschiedet sich das KID-Team auch wieder. Wenn es gelingt, dass traumatisierte Menschen sprechen und jemanden finden, der ihnen einfach zuhört, dann ist schon ein großes Stück Arbeit gelungen.

Winfried

Bis hierher passiert mit den Emmaus-Jüngern schon eine Menge, was im KID-Einsatz zum Tragen kommt. Und jetzt kommt ein Dritter hinzu. Der Bibelleser weiß, es handelt sich um Jesus, aber die beiden wissen es nicht. Für sie ist er ein Fremder. Sie haben ihn noch nie gesehen, wahrscheinlich werden sie sich auch nicht wieder begegnen, nur eine ganz kurze Zeit sind sie zusammen. Und doch passiert Entscheidendes.

Bernd

Die neue Person kommt mir vor wie eine KID-Einsatzkraft. Blitzschnell checkt sie die Situation ab, Sicherheit ist gegeben, die Krise muss man anerkennen, das geht gar nicht anders, aber offenbar verstehen die beiden noch gar nicht richtig, was los ist. Die dritte Phase des Safer-Modells beginnt. Der Fremde fragt, und er erläutert. Für die Jünger, aber auch für Menschen in einer solchen Situation ist es eine Hilfe, dass sie verstehen, was passiert ist.

Winfried

Ob der Fremde an der Seite der Emmaus-Jünger dann auch die vierte Phase des Safer-Modells abgearbeitet hat? Hier geht es darum, Strategien zu entwickeln, wie man mit der Situation umgehen kann. Hier geht es darum, die Stressreaktionen zu erläutern und zu wissen: Diese Reaktionen sind normal. Erst wenn sie zu lange anhalten, wird man weitere professionelle Hilfe brauchen.

Bernd

Die letzte Phase im Safer-Modell ist der Versuch, zur Rückkehr in die eigene Realität überzuleiten. Wir sollten sicher nicht zu viel in die Emmaus-Geschichte hineininterpretieren. Aber hat der Fremde das mit dem Brot nicht geschickt gemacht? Ich glaube, hier endet unser Versuch, aus der Emmaus-Geschichte einen KID-Einsatz herauszulesen. Aber ich finde es spannend, diese altbekannte Geschichte einmal aus der Sicht von Menschen zu sehen, die versuchen, anderen beizustehen, die in eine traumatisierende Situation geraten sind.

Winfried

Denn jeder kann in eine solche Situation kommen, gerade auch Einsatzkräfte.
Wir sind hier, weil wir als Mitarbeiter in der Krisenintervention und als Mitarbeiter im Rettungsdienst anderen Menschen professionell helfen wollen. Wir versuchen unser Bestes. Wir versuchen selber, heil aus Situationen herauszukommen, die belastend sind. Vielleicht ist es da gut, wenn wir in diesem Fremden aus der Emmaus-Geschichte ein KID-Mitglied sehen, das für jeden von uns da ist.

Bernd

Als Bibelleser wissen wir ja: Dieser Fremde ist Jesus, dieser Fremde ist jener, der immer gepredigt hat: Gott ist Euch ganz nahe.
Das könnte bedeuten: Seid vorsichtig, fahrt nicht zu schnell, sonst ist Euch Gott schnell näher, als Euch lieb ist, und Ihr macht Mtarbeitende im Rettungsdienst unglücklich, die Euch und andere, die Ihr mitgefährdet habt, wieder zusammensammeln müssen.

Winfried

Jesus hat immer wieder gepredigt: Gott ist Euch ganz nahe. Das kann man ermahnend hören oder drohend, aber eben auch ermutigend: Ihr kommt in Eurem Dienst immer wieder in belastende Situation, und auch da ist Gott ganz in Eurer Nähe. Vielleicht merkt Ihr das nicht, wie auch die Emmaus-Jünger das nicht sofort merkten. Es geht ihnen erst im Nachhinein auf, dass ihnen jemand beigestanden hat. Aber dieser eine war dabei.
Und es tut gut zu wissen, dass Gott selber immer in der Nähe ist, dann, wenn ein Einsatz zu einem guten Ende kommt, aber auch dann, wenn der Einsatz nicht den gewünschten Erfolg hatte.

Bernd

Gott steht auch dem bei, dem wir nicht mehr helfen können. An Gott können wir getrost den Einsatz übergeben. Aber Gott steht auch uns bei, wenn wir mitten im Einsatz stecken. Er ist einfach da, das tut uns gut, dafür wollen wir mit diesem Gottesdienst danken.

Winfried

Acht Jahre gibt es nun das KID-Team, es hat sich ausbilden lassen, damit Rettungskräfte einen Ansprechpartner haben, wenn sie durch einen belastenden Einsatz hindurch mussten. Inzwischen sind ganz viele Einsätze hinzugekommen, in denen es gut für die Rettungskräfte ist, dass sie vor Ort den Einsatz an das KID-Team weitergeben konnten, weil der nächste Einsatz ruft, aber noch Menschen da sind, die mit der Situation noch nicht fertig werden.

Bernd

So danken wir Gott für die gute Zusammenarbeit zum Wohl der Menschen.
Ein letzter Gedanke noch: Für die Emmaus-Jünger war der Mensch zunächst ein Fremder.
Für die Menschen, denen wir im Einsatz helfen, sind wir Fremde.
Im Nachhinein merkten die Jünger: Als dieser Fremde bei uns war, war uns Gott ganz nahe.
Vielleicht wird es Menschen geben, die nach einem Einsatz sagen: Als die Helfer uns geholfen haben, da war uns Gott ganz nahe.

Winfried

Denn das war es ja, was dieser eine Helfer immer wieder gesagt hat: Fangt neu an, der Himmel ist schon ganz nahe. Ihr seid nie allein, Ihr seid nie alleine gewesen, in acht Jahren KID-Einsätzen, Ihr seid in diesen acht Jahren im Rettungsdienst nicht alleine gewesen, und Ihr werdet auch in Zukunft nicht allein sein.

Bernd

Letztlich sind auch unsere Teddys dafür das richtige Symbol. „Ihr seid nicht allein“, sagen sie betroffenen und verängstigten Kindern. Da ist von Jesus und von Emmaus gar keine Rede. Muss auch nicht. Hauptsache, sie können mit den kuscheligen Bären begreifen: Wir sind nicht allein. Da sind Menschen, die für uns da sind.

Denn Gott ist uns immer ganz nahe. Für diese Kinder – für uns im Rettungsdienst – für uns in der Krisenintervention. Amen

Die Predigt wurde gehalten von Winfried Krämer und Bernd Kehren.

Siehe auch: http://www.drk-eu.de/