Veröffentlichungen

Traurig liegt er auf der Fensterbank
Gedanken über einen kleinen Porzellanengel
in:
Regina Rosenkranz, Jan Eijking (Hg.)
Die verkauften Toten
Anthologie für eine neue Trauerkultur
Oktober 2012, S. 131-134
9,80 Euro – ISBN 987-3-942594-42-4
Informationen zum Buch
und zum Schreibwettbewerb.
Bestellen unter shop.1-2-buch.de

Darf Gottesdienstteilnahme für Konfirmanden verpflichtend sein?
In:
Christoph Urban, Timo Rieg (Hrsg.), Das vergessene Jahrzehnt. Kinder, Jugend, Gottesdienst. Diskussionen, Provokationen und Visionen aus dem kirchlichen Leben.
2004, biblioviel-Verlag, Bochum, S. 127-130

Ein Koffer für die letzte Reise
In:
Fritz Roth (Hrsg.), Einmal Jenseits und zurück. Ein Koffer für die letzte Reise.
2006, Gütersloher Verlagshaus, S. 116-117

Altenheimseelsorge – vielfältige Aufgabe
in:
Altenpflege – Magazin für Fachkräfte in der Altenpflege.
12/2006, Vincentz-Verlag, S. 26-28

Bestatterschelte oder Selbstkritik?
Ein wütender Einwurf zum Beitrag “Vereinnahmung und Vermarktung” von Ulrich Rottschäfer (Deutsches Pfarrerblatt 12/2006, S. 624ff.)
in:
Das deutsche Pfarrerblatt
01/2007, S. 42 f..

stärker als der Tod (Gedicht) und
Stärker als der Tod (Kurzgeschichte)
in:
Stärker als der Tod. Was bleibt, wenn einer geht.
Herausgegeben vom Hospizdienst Weilerswist
2009, ISBN 978-3-941037-33-5
, Seite 59 und Seiten 60-65

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Pfarrerlücke 2030

Keine Pfarrstellen für junge Theologen
in der Evangelischen Kirche im Rheinland?
Überlegungen gegen den PfarrerInnenmangel im Jahr 2030

(19.06.2006 mit Updates in den Folgejahren)

Der Sonderdienst in der Evangelischen Kirche im Rheinland wird abgeschafft, weil es für junge Theologen fast keine Pfarrstellen mehr gibt.“ So zitiert der EPDWochenspiegel den Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Nikolaus Schneider (epd Wochenspiegel Ausgabe West vom 15. Juni 2006 (Nr. 24), Seite 2).

An dieser Aussage sind zwei wichtige Details falsch.

  • Für junge Theologen gibt es sehr wohl Pfarrstellen – wenn die Rheinische Kirche nicht in einem absehbaren katastrophalen Mangel enden will.
  • Das Problem des Sonderdienstes sind nicht die jungen, sondern die inzwischen nach ihrem Sonderdienst ehemals jungen Theologen sowie der Wartestand.

Die Arbeitsgruppe II zur Prioritätendiskussion in der EKiR empfiehlt (EKiR: Prioritätendiskussion. Ergebnis der Arbeitsgruppe II (Dienst- und Arbeitsrecht) – (Materialheft) unter A III 3, Seite 18), die jetzt 1874 Pfarrstellen (Stand: 1.7.2005) auf 1000 Pfarrstellen im Jahre 2030 zu reduzieren. Bei einem linearen Abbau von Pfarrstellen müssten ab sofort jedes Jahr durchschnittlich 35 Stellen abgebaut werden. Dennoch sollten jedes Jahr fünf Neueinstellungen erfolgen (A.a.O., Seite 19).

Sollte dieser Vorschlag umgesetzt werden, kann im Jahre 2030 jede zweite der geplanten 1000 Pfarrstellen nicht besetzt werden.

 

Alterspyramide der Pfarrerinnen und Pfarrer

Diese Entwicklung ergibt sich aus der Altersstruktur der Pfarrerinnen und Pfarrer der EKiR und kann aus der vorstehenden Grafik (Quelle: http://www.ekir.de/ekir/6197_6843.asp – Die Zahlen der folgenden Überlegungen wurden mit recht großer Genauigkeit dieser Grafik entnommen, soweit nicht anders angegeben.) abgelesen werden. Der StatistischeDienst der EKiR nennt für den 1.10.2005 folgende Zahlen (Statistischer Dienst der EKiR, Zahlenspiegel Nr. 1/2006 – http://www.ekir.de/ekir/dokumente/zsp.pdf):
2342 Pfarrerinnen und Pfarrer insgesamt, davon
204 PfarrerInnen im Probedienst,
175 PastorInnen im Sonderdienst
5 GemeindemissionarInnen
Damit spiegelt die Fläche der Grafik insgesamt diese 2342 Theologinnen und
Theologen wider, denen die Zahl von 1961 Pfarrstellen (A.a.O.) gegenüber steht.

Zwei Phasen bis 2030

Aus dem Schaubild ergeben sich für die folgenden Jahre bis 2030 zwei Phasen
(Der Sonderdienst-Fonds neigt sich dem Ende zu; dauerhaft ist der Sonderdienst aus diesem Fonds nicht zu finanzieren, und es ist sicherlich sinnvoll, dort verbliebene Gelder zur Qualifizierung der Betroffenen zu verwenden.):
In den kommenden 15 Jahren (gerechnet ab 2005) werden durchschnittlich jeweils 36,5 Personen die Pensionsgrenze erreichen. Danach folgen weitere 10 Jahre, in denen durchschnittlich 119,5 Personen in den Ruhestand gehen.
2005:     
2167 Pfarrerinnen und Pfarrer (*)
 -550 Reduzierung durch Pensionierung
2020: 
1617 Pfarrerinnen und Pfarrer
-1195 Reduzierung durch Pensionierung 10 Jahre je 119 – 120 Personen
2030:
 422 Pfarrerinnen und Pfarrer
(* Im Ausgangspunkt werden alle 175 Pastorinnen und Pastoren im Sonderdienst herausgerechnet. Entsprechend weniger Personen werden in den jeweiligen Jahren durchschnittlich pensioniert. Die Grafik dürfte in dieser Altersphase vor allem PastorInnen in Sonderdienst darstellen.)
Damit könnte im Jahre 2030 beinahe jede zweite der geplanten 1000 Pfarrstellen nicht besetzt werden!
Selbst wenn linear jedes Jahr 5 Neueinstellungen erfolgen würden, könnten
im Jahr 2030 nur 547 Stellen besetzt werden (25 Jahre je 5 Personen = 125 Neueinstellungen. 422+125=547).

Wartestand

Der Wartestand kann an diesem Problem nur wenig ändern. Im Wartestand oder in Freistellung sind 374 Personen (Statistischer Dienst der EKiR, Zahlenspiegel Nr. 1/2006 – http://www.ekir.de/ekir/dokumente/zsp.pdf). Unterstellt man, dass dieser Kreis eine ähnliche Alterstruktur aufweist wie die übrigen Theologinnen und Theologen im Dienst (Dieser Personenkreis ist in der Grafik nicht aufgeführt, so dass diese Angaben nur grob geschätztwerden können.) und dass alle entsprechend zu Verfügung stehen (Auch in diesem Fall muss ich grob schätzen.), dann entlasten im Jahr 2030 nur etwa 60 Personen (15 Prozent) die zu erwartende Lücke:
Auch mithilfe des Wartestandes können im Jahr 2030
nur 607 der geplanten 1000 Stellen besetzt werden.

Die Lage ist noch schlimmer!

Diese Zahlen gehen davon aus, dass alle derzeitigen Pfarrerinnen und Pfarrer zur
Anstellung übernommen werden.
Vor allem aber wird unterstellt, dass alle Pfarrerinnen und Pfarrer im Jahre 2030 eine volle Stelle bekleiden – auch jene Pfarrerinnen und Pfarrer, die jetzt im geteilten Dienst beschäftigt oder auch weiterhin freigestellt sein werden sind. Das wird sicherlich nicht der Fall sein: Die Lage ist noch viel schlimmer.
Damit im Jahre 2030 wirklich 1000 Pfarrstellen besetzt werden können, müssen von nun an jedes Jahr mindestens 20 Personen in Vollzeit eingestellt werden – unter der Berücksichtung von Teilzeitstellen usw. eher mindestens 25 Personen.

Kein linearer Abbau von Pfarrstellen

Die Altersstatistik der Pfarrerinnen und Pfarrer in der EKiR macht unmittelbar
deutlich, dass in den nächsten 15 Jahren keinesfalls jährlich 35 Stellen eingespart werden können. Sonst müsste bei jeder Pensionierung automatisch die Stelle wegfallen. (Alternativ müsste bei einer Pensionierung eine andere Stelle wegfallen, deren InhaberIn die Stelle des Pensionärs übernehmen würde.)
In den darauf folgenden 10 Jahren werden weitaus mehr Menschen in den Ruhestand gehen, als überhaupt Pfarrstellen abgebaut werden können.

Richtige und falsche Signale an den theologischen Nachwuchs

Die Einstellung von 5 jungen TheologInnen im Jahr kommt einem
Einstellungsstopp gleich. Dies und die fatale Behauptung, es gäbe fast keine Pfarrstellen für junge Theologinnen in der EKiR, setzt bei jungen Menschen das Signal, es lohne sich nicht, Theologie zu studieren. In der Folge würde die Evangelische Kirche im Rheinland nicht einmal für die Hälfte der bis 2030 zu besetzenden Stellen geeignete KandidatInnen finden können.

(Man braucht nicht viel Phantasie, um die Abnahme der Zahl der Theologiestudierenden unter http://www.ekir.de/ekir/images/08stud-z.gif

fortzuschreiben, wenn tatsächlich eine Zeit lang nur noch 5 Menschen pro Jahr Zugang zum Pfarrberuf in der EKiR erhielten. – Was würde dies für die Existenz der theologischen Fakultäten und ihren Disput im wissenschaftlichen Fächerkanon bedeuten?!)
Der Bedarf an jungen TheologInnen ist zweifelsfrei gegeben; und das sollte auch in der Öffentlichkeit vermittelt werden. Darüber hinaus ist zu betonen, dass das Theologiestudium auch für Arbeitgeber außerhalb der Kirche wichtige Schlüsselqualifikationen vermittelt. Die Studierenden sollten von Anfang an so beraten werden, dass sie ihr Theologiestudium auch im Blick auf eine Beschäftigung außerhalb der Kirche anlegen, die modernen Sprachen pflegen, Auslandssemster einlegen, sich Grundkenntnisse in BWL aneignen, gezielt Praktika in für sie interessanten Bereich in der Wirtschaft ableisten.
(Hund/Lück, Berufsperspektiven für Theologinnen und Theologen, Spener Verlag 2000 (Hrsg: Ev. Kirche in Hessen und Nassau). Internet: http://www.muehltal-evangelisch.de/Berufsperspektiven.pdf. Vgl. im katholischen Raum: Becker/Pelzer (Hg.), Berufschancen für Theologiennen und Theologen, Herder 2006.)

Zukunftszugewandt entscheiden und handeln!

Es heißt, unter den gegebenen presbyterial-synodalen Verhältnissen gäbe es keine Möglichkeiten zur Personalplanung. Die Lebensdaten der Pfarrerinnen und Pfarrer, insbesondere ihr mutmaßlicher Eintritt ins Pensionsalter waren aber jederzeit abrufbar. Durch Altersteilzeitmodelle wurden Sonderdienstler Jahre lang vorzeitig in Pfarrstellen vermittelt. Damit war absehbar, wann und für wie viele Sonderdienstler es keine Stellen mehr geben wird. Sie sind im Dienst für die Kirche gealtert und finden nun weitaus schlechtere Chancen zur Umorientierung im Arbeitsmarkt. Sonderdienst und Wartestand verbreitern den „Bauch“ der starken Jahrgänge und tragen kaum zur Verringerung der Besetzungslücke 2030 bei.
Solche fatalen Fehler dürfen der Evangelischen Kirche im Rheinland auf keinen Fall noch einmal unterlaufen. Sonst müssen in Zukunft die Pfarrerinnen und Pfarrer nicht nur eine ständig wachsende Zahl von Gemeindegliedern betreuen, sondern darüber hinaus auch die Vertretungen für vakante Stellen mit ebenfalls gewachsenen Anforderungen leisten. Die EKiR stünde im Jahr 2030 vor einem personellen Fiasko.

Schlussfolgerungen

  1. In den folgenden 13 Jahren (Zur Synode 2007 sind seit dem Zahlenstand 2005 aus diesen Berechnungen 2 Jahre vergangen.) sollten alle frei werdenden Stellen wieder besetzt werden, vorzugsweise mit jungen Theologinnen und Theologen.
  2. In diesem Zeitraum muss die EKiRverbindliche Regeln für den Pfarrstellenabbau ab 2020 vereinbaren.
  3. Trotz des Pfarrstellenabbaus muss die EKiR auch ab 2020 jährlich mindestens 25 junge TheologInnen einstellen.
  4. Studierende müssen von Anfang an so begleitet und beraten werden, dass ihnen das Theologiestudium durch den weiten Ausbildungshorizont reelle Chancen in der freien Wirtschaft bietet. (Vgl. oben: Hund/Lück und Becker/Pelzer)
  5. Die Landeskirche muss gegenüber dem Sonderdienst Verantwortung übernehmen für die mangelnde Planung in der Vergangenheit.
  6. Vor konkreten Entscheidungen der Landessynode müssen jahrgangsweise exakte Zahlen (unter Berücksichtigung von Teilzeitstellen) zum Ausscheiden von Pfarrerinnen und Pfarrern in den Ruhestand vorgelegt und mit realistischem Stellenabbau in den beiden Phasen bis 2020 und bis 2030 sowie mit den erforderlichen Neueinstellungen in Beziehung gesetzt werden.
Bernd Kehren, Pastor im Sonderdienst für Altenheimseelsorge
19.06.2006

[Dieser Text bis hierher als PDF: PfarrerInnenmangel 2030]

Update (Ostern 2007):

Inzwischen wurde auf der Landessynode 2007 ein Maßnahmenpaket geschnürt, das langfristig auch helfen soll, dem drohenden PfarrerInnenmangel entgegenzutreten. (Insofern ist der Text oben veraltet.) Ob es gelingt? Endlich soll es eine mittelfristige Personalplanung geben. Je nach Finanzlage sollen auch (junge) Menschen eingestellt werden, die den Mangel ab etwa 2020 abfedern. Konkrete Zahlen gibt es noch nicht. Für die inzwischen im Sonderdienst gealterten Menschen sieht es immer noch schlecht aus. Die Synode hat freundlicherweise ein Zeitfenster bis 2008 eröffnet, in dem Bewerbungen auf Pfarrstellen noch möglich sind – auf die wenigen Pfarrstellen, die derzeit ausgeschrieben werden.

Danach wird es ein zentrales Bewerbungsverfahren geben – und daran wird die Mehrzahl scheitern. Vor allem jüngere Absolventen werden Stellen in der EKiR finden können, aber auch sie sehen die Chancen zur Zeit ausgesprochen pessimistisch.

Wird es der Kirchen gelingen, den erfolglosen Bewerberinnen und Bewerbern eine Perspektive in der Kirche zu ermöglichen? Partnerschaftlich? Wird es eine pastorale freiberufliche Mitarbeit, gebunden an die Ordinationsrechte, geben können? Und wird diese Mitarbeit angemessen bezahlt werden können?

Ein “Ehrenamt” wird freiwillig ausgeübt. Die drohende Arbeitslosigkeit wird dazu führen, dass die Betroffenen Alternativen suchen. Welche Möglichkeiten wird die EKiR finden, sie dennoch in einem angemessenen Rahmen an sich zu binden? Noch stehen viele Fragen im Raum, hoffentlich gibt es zur Synode 2008 bereits praktikable Antworten.

Besonders bitter: Viele Maßnahmen der letzten Jahre wurden als Reaktion darauf “verkauft”, dass es in der Pfarrerschaft Problemfälle gegeben habe, die letztlich nicht zum Pfarrdienst geeignet waren.

Statt diese Personen nun zu schulen und zuzurüsten, wurden dem Nachwuchs immer weitere Maßnahmen aufgedrückt (Fortbildungen in den ersten Amtsjahren und vieles mehr). Was hat es dem Nachwuchs genutzt? Jetzt steht die Mehrheit trotzdem ohne Stelle da.

Und wer fasst den Mut zum Bekenntnis: Ja, wir haben manche Pfarrerin und manchen Pfarrer im Amt, der Defizite aufweist, weil Defizite einerseits völlig normal sind, und weil wir andererseits das Pfarrerdienstrecht so gehandhabt haben, dass auch Problemfälle eine Chance bekommen?

Wer fasst den Mut zum Bekenntnis: Ja, wir haben zu oft einem Presbyterium nicht deutlich genug gesagt, dass eine bestimmte Wahl mit großer Wahrscheinlichkeit große Probleme nach sich ziehen wird? Wir hatten zwar “Erkenntnisse”, aber wir haben sie nicht weiter gegeben? Weil wir nicht unsozial sein wollten?

Wer fasst den Mut zum Bekenntnis: Ja, wir haben das kirchliche Beamtenrecht im Blick auf die Pfarrerinnen und Pfarrer völlig neutral durchgezogen und damit in Kauf genommen, dass wir nicht die für bestimmten Aufgaben Besten in den Dienst nehmen konnten, sondern nur solche, die im zur Verfügung stehenden Zeitfenster bestimmte formale Anforderungen erfüllten?

Im Ergebnis muss die Kirche jetzt “unsozial” sein – und sie wird viele gut ausgebildete und fähige Kräfte verlieren, die sie selber mit großen Einsatz ausgebildet hatte.

Bernd Kehren

Update 2010

Es sind weitere Jahre ins Land gezogen. Inzwischen wird die Pensionskasse eifrig gefüllt. Inzwischen gibt es Pfarrer mit besonderem Auftrag, einerseits aus den Reihen der Pfarrer im Wartestand, andererseits aus fähigen Nachwuchskräften. Nicht mehr zu jeder dritten, sondern zu jeder zweiten Besetzung einer Pfarrstelle schlägt die Kirchenleitung Kolleginnen und Kollegen aus dem Wartestand vor.

Gleichzeitig werden jedes Jahre eine ganze Reihe junger Theologen eingestellt, damit die Pfarrerschaft nicht ganz überaltert. Über 450 Nachwuchskräfte sind aus dem Dienst ausgeschieden und predigen weiterhin ehrenamtlich und nun auch über das neue Portal ekir.de/pastorale-dienste, über das diejenigen “gebucht” werden können, die mit ihren zusätzlichen pastoralen Diensten sich und ihre Familien zumindest teilweise ernähren wollen.

Es hat sich etwas getan. Fakt bleibt aber nach wie vor, dass in 10 Jahren die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand treten werden, und dass dann die Pfarrstellen gar nicht so schnell abgebaut werden können, wie ältere Kolleginnen pensioniert werden. Ich befürchte immer noch, dass von den seinerzeit 1800 Pfarrstellen im Jahr 2030 maximal 650 werden besetzt werden können. Die jungen KollegInnen, die jetzt erfolgreich eine Pfarrstelle bekommen, werden einen großen Teil ihrer Kraft auf die Zusammenlegung von Pfarrstellen und Gemeinden, auf Kooperationen mit anderen Gemeinden und die Verwaltung des Mangels legen müssen. Es wird schwer werden. Auch weil es immer weniger KüsterInnen, immer weniger KirchenmusikerInnen und immer weniger Mitarbeitende in der Jugendarbeit geben wird.

Es wird hart werden. Hoffentlich werden jetzt die richtigen Weichen gestellt.

Bernd Kehren

Update 2014

Die niedrigen Zahlen sind auf der Synode im Januar bestätigt worden. Aber immerhin haben wir eine Kirchenleitung, die die Probleme engagiert in Angriff nehmen will.

Zum ersten Mal wurde an verschiedenen Stellen von Kreissynoden, der Sondersynode in Hilden 2013 und auch jetzt wieder bekannt, dass die Synoden gegen den ausdrücklichen Widerstand des Finanzdezernenten eine massive Unterdeckung der Pensionskasse beschlossen hatten und das dadurch freie (aber nicht eingesparte) Geld lieber in Projekte steckte, die ihrerseits wieder die Pensionskasse belasten würden.

Mir würde es gut tun, wenn jetzt einer derer, die damals dafür gestimmt oder den Beschluss beklatsch hatten, aufstehen und sich entschuldigen würde.

Stattdessen treten nun (falsche?) Propheten auf, die den Ernst der Lage leugnen, die in den nötigen Abstimmungsprozessen auf Kirchenkreisebene einen Angriff auf das Presbyterial-synodale Prinzip sehen und darauf verweisen, dass die Kirchensteuern nominell doch immer gestiegen seien, obwohl die Gemeindegliederzahl beständig abgenommen hat. Dass es mit der Pensionskasse und der Beihilfe inzwischen sehr knapp werden wird, wird beharrlich ignoriert. Und zur Frage, wie der Prozesse einer fast Drittelung der Pfarrstellen bewältigt werden soll, dazu erfährt man von diesen Propheten auch nichts.

Im Nachhinein muss ich sagen: Die Kosten liefen aus dem Ruder, es führte kein Weg daran vorbei, die Zahlen der Warteständler zu reduzieren und Maßnahmen zu ergreifen, die zumindest den Jüngeren von ihnen den Weg in reguläre Pfarrstellen ermöglichte. Das bedeutete fast einen Einstellungsstopp für junge Theologen. Im Ergebnis wurden die eingestellt, die das Examen bestanden haben, jedes Jahr ungefähr 20 Personen.

Für die Zukunft kann man sagen: Der Pfarrberuf ist ein sehr schöner Beruf. Und wer jetzt mit dem Theologiestudium beginnt, wird viel Arbeit haben, wenn er oder sie mit dem Vikariat fertig ist. Offene Pfarrstellen wird es dann wohl genug geben. Sofern die Sparanstrengungen greifen und das Problem mit der Pensionskasse und der Beihilfekasse gelöst wird.

Update 2015

Präses Rekowski bittet im Namen der EKiR um Entschuldigung für die Folgen einer verfehlten Personalpolitik und die Art des Umgangs mit den Betroffenen. So offen hat das auch sein Vorgänger nicht getan. Die Folgen für viele der Betroffenen sind damit nicht aus der Welt. Aber man spürt ihm ab, wie genau er hingesehen und diese Folgen wahrgenommen hat. Vielleicht wird er ja Wege finden, zumindest die schlimmsten Folgen ein wenig abzufedern.

Die Arbeitsbelastung im Pfarramt wird in wenigen Jahren immens steigen. Hoffentlich verschweigt er das nicht, wenn er nun darum wirbt, wie dringend die EKiR nun wieder gut ausgebildete Theologen braucht. Es ist und bleibt dennoch ein schöner Beruf. Deswegen hängen so viele Pastorinnen und Pastoren an ihren Ordinationsrechten, auch wenn sie davon allein nicht leben können. Wenn das keine Einladung zum Theologiestudium ist, was dann?

Deutsch predigen in der Moschee?

Deutsch predigen in der Moschee?

Die Wellen schlagen hoch in der Diskussion, ob und wie in Köln Ehrenfeld eine neue Moschee errichtet werden soll. Dabei wird immer wieder auch die Forderung aufgestellt, in den Moscheen in Deutschland solle auch auf Deutsch gepredigt werden.

Einerseits kann ich diese Forderung nachvollziehen. Warum soll nicht nach einem Aufenthalt von mehr als 25 oder 30 Jahren auch der Gottesdienst in einer Moschee in deutscher Sprache gehalten werden? Gehört das nicht zur Integration?

Andererseits kann ich meine Erfahrungen nicht vergessen, die ich während des Vikariats auf Studienfahrt unserer Vikariatsgruppe nach Griechenland gemacht habe.

Wir hatten uns entschlossen, einerseits Kontakte zur griechisch-orthodoxen Kirche zu nutzen und andererseits eine Gruppe von Deutschen Frauen zu besuchen. Es war eine sehr lehrreiche Fahrt.

Die meisten dieser Frauen hatten griechische Männer geheiratet und lebten nun seit vielen Jahren in Griechenland. Dass man Leberwurst vermissen könnte, hätten wir nie gedacht. Aber unter den klimatischen Verhältnissen dort kennt man solch ein Produkt halt nicht. Kann man sich als Ausländerin in einem fremden Land integrieren? Ich glaube, die meisten Frauen dort waren gut integriert. Viele hatten inzwischen die griechische Staatsbürgerschaft. Und dennoch brauchten sie ihre Orte, an denen sie deutsch sprechen und sich austauschen konnten. Dennoch freuten sie sich über jedes Päckchen mit einem aktuellen Roman in deutscher Übersetzung.

Auf der Studienfahrt hatte ich die Planung und Gestaltung des Gottesdienstes in der deutschen Auslandsgemeinde in Thessaloniki übernommen. Die deutsche Pfarrerin war zu diesem Zeitpunkt in Deutschland. Wenn der Gottesdienst nicht auffallen sollte, mussten wir ihn selber halten. Die Kirche: Eine größere Wohnung in der ersten Etage in einer Geschäftsstraße. Ein wenig aufgeregt und ein wenig stolz nahm ich zur Kenntnis, dass der Konsul aus Thessaloniki mit seiner Familie den Gottesdienst besuchte.

Die Predigtsprache war natürlich Deutsch. Erstens kann ich kein Neugriechisch, zweitens sind meine Altgriechisch-Kenntnisse bei weitem nicht so gut, dass ich es aktiv sprechen könnte (und wer hätte es überhaupt verstanden), und drittens halte ich es für selbstverständlich, dass die Gottesdienste in einer Auslandsgemeinde in der jeweiligen Heimatsprache gehalten werden. Warum denn nicht?

Der zweite Gottesdienst, den wir während unserer Fahrt besuchten, war völlig anders. Wir waren zu Gast in einer orthodoxen Gemeinde in einem der Vororte von Thessaloniki. Bescheiden wollten wir uns hinten in die Bank setzen, aber die Gemeinde erwartete uns und geleitete uns in die erste Reihe. Der Gottesdienst war natürlich auf Griechisch gehalten. Aber extra für uns waren Theologie-Dozenten von der Universität aus Thessaloniki gekommen, die die Evangelienlesung auf Deutsch lasen. In einem orthodoxen Gottesdienst in Griechenland! Jede und jeder hatten wir einen deutsch-griechischen Ablauf der Liturgie erhalten.

Der Höhepunkt war das Vaterunser gegen Ende des Gottesdienstes. “Vater unser” erklang es auf Deutsch aus dem Altarbereich hinter der Ikonostase. “Lauter”, rief der Priester, und jetzt begriffen wir: Das Vaterunser sollten wir laut auf Deutsch für die griechische und mit der griechischen Gemeinde sprechen. Es gab keine und keinen aus unserer Gruppe ohne feuchte Augen, als wir beim “Amen” angekommen waren.

Müssen Türken ihre Gottesdienste in Deutschland auf Deutsch halten? Und Araber auf Arabisch?

Ich käme nicht im Entferntesten auf die Idee, dass in der Deutsch-Lutherischen Kirche in Jerusalem der Gottesdienst nicht auf Deutsch gehalten würde – darum habe ich auf der Israelreise damals doch genau diese Kirche aufgesucht.

In den Räumen der Versöhnungskirche in Essen-Rüttenscheid war während meiner Zeit dort als Pfarrer im Probedienst eine koreanische Gemeinde zu Gast. Selbstverständlich wurden ihre Gottesdienste auf koreanisch gehalten. Selbstverständlich war aber auch, dass wir gemeinsame Gottesdienste hielten, etwa zu Heilig Abend oder zum Gemeindefest. Die Predigt wurde entweder zweisprachig gehalten, oder – wenn Pfarrer Kim auf deutsch zu uns predigte – erhielten seine Gemeindeglieder die Predigt gedruckt auf koreanisch. Höhepunkt war immer das gemeinsam gebetete Vaterunser auf Koreanisch und Deutsch.

Als Pfarrer Kim dann die Pfarrstelle der koreanischen Gemeinde in Düsseldorf übernahm, wurde auch dieser Gottesdienst selbstverständlich auf Koreanisch gehalten. Mit einer Übersetzung der Predigt und jener Teile des Gottesdienstes, für die eine Übersetzung vorlag, durch die Kopfhörer der Simultanübersetzungsanlage.

So sollte sich das gehören: Man pflegt die gute Nachbarschaft, und lädt sich immer wieder gegenseitig zu seinen Gottesdiensten ein, auch wenn sie in der eigenen Sprache gehalten werden. Wenn jemand zu Gast im Gottesdienst ist, der dieser Sprache nicht mächtig ist, bemüht man sich im Rahmen der Möglichkeiten um eine Übersetzung, zumindest in Zusammenfassung. Und wenn man unter sich ist, dann bleibt man bei seiner Muttersprache.

Die Gottesdienste der französisch-sprachigen Gemeinde in meinem derzeitigen Kirchenkreis sind – wie der Name schon sagt – auf Französisch.

Gibt es nun einen sachlichen Unterschied zwischen all diesen christlichen Gottesdiensten in christlichen Auslandsgemeinden und muslimischen Auslandsgemeinden?

Könnte man die Zahl und die Größe der Gemeinden anführen? Wie müsste man dann vergleichsweise mit den Japanern in der japanischen “Kolonie” in Düsseldorf umgehen?

Die Forderung nach Integration in das Gastgeberland ist eine Selbstverständlichkeit. Auch für Christen gilt sicherlich die Aufforderung Jeremias aus der “Babylonischen Gefangenschaft” aus Kapitel 29,7: “Suchet der Stadt Bestes!” Selbstverständlich lernt man die Landessprache und kann sich damit verständlich machen, wenn man länger dort wohnt. Selbstverständlich erwartet man, dass sich die Menschen hier um deutsche Sprachkenntnisse bemühen. Selbstverständlich erwartet man von den Gästen in einem Land, dass sie auf Sitten und Gebräuche Rücksicht nehmen und sich entsprechend anpassen. Genauso selbstverständlich wie die Neugier für die Sitten und Gebräuche der Gäste – und wie die Rücksicht der Gastgeber darauf.

Aber genauso selbstverständlich werden Gottesdienste in Auslandsgemeinden egal welcher Religion in der Muttersprache gehalten. Auch dann, wenn die Gäste schon einen einheimischen Pass haben und man sich fragt, ob denn “Gast” noch eine angemessene Bezeichnung ist.

So kenne ich es von den wenigen eigenen Auslandsaufenthalten, so kenne ich es von befreundeten christlichen Auslandsgemeinden hier in Deutschland. Und so sollte es auch für die Gottesdienste der Auslandsgemeinden anderer Religionen gelten.

Die Predigtsprache ist kein sinnvolles Kriterium für erfolgreiche Integration und kann es auch niemals werden.

Bernd Kehren

P.S.:
Gleiches Recht für alle!
Und:
„wir Christen“ sollten dabei mit gutem Beispiel voran gehen –
und nicht schlechten Beispielen nacheifern.

Muss das Grab wirklich anonym sein?

Novembergedanken

Ich lese gerade, dass die Zahlen der anonymen Beisetzungen nicht weiter steigen.

Finde ich gut.

Allein aus Kostengründen werden aber die Urnenbeisetzungen weiter zunehmen.
Selbst in der katholischen Eifel gibt es seit der Streichung des Sterbegeldes bei den Krankenkassen eine ungeahnte Zunahme der Feuerbestattungen.

Und immer wieder höre ich: „Meine Kinder sollen mit meinem Grab nicht so viel Mühe haben. Das soll für die nicht so teuer werden.“

Im Trauergespräch treffe ich dann auf Angehörige, die ihre Schwierigkeiten mit der testamentarischen Anordnung haben.

Sie müssen die Urne oder den Sarg nach der Trauerfeier stehen lassen und können die Weg nicht mitgehen.
Vielleicht würden sie sogar gerne das Grab pflegen – aber die Eltern oder Großeltern haben sie nie deswegen gefragt.
Es gibt Menschen, die brauchen kein Grab für ihre Trauer.
Aber woher soll man wissen, dass die eigenen Kinder dazu gehören, wenn man sie vorher nie gefragt hat?

Also: Bevor jemand schriftlich festlegt, er möchte anonym beerdigt werden: Bitte sprecht mit den Kindern drüber, wie die dazu stehen.
Sprecht mit Trauerbegleitern, die davon wissen, wieviel schwerer die Trauerarbeit ohne Grab ist.

Und fragt beim örtlichen Bestatter nach den Alternativen!
Und wenn der davon nichts weiß, dann hört euch um, und fragt einen anderen, der wirklich Ahnung von seinem Job hat!

Hier in Euskirchen gibt es „teilanonyme Beerdigungen“. Da kann man beim Sarg, bei der Urne bleiben, da weiß man dann ungefähr, wo das Grab ist. In jedem Fall kann man den letzten Weg mitgehen, kann man sehen, wie der Sarg abgesenkt wird. Das ist eine enorme Hilfe beim Trauern.

Inzwischen gibt es hier Baumbestattungen: Die Urne wird im Wurzelbereich einer Buche beigesetzt, ein Stein mit Namen und evt. einem Kreuz erinnert an den Verstorbenen, aber eine weitergehende Pflege ist nicht notwendig. Es gibt Rasengräber, über die hinweggemäht wird.

Es gibt so viele Möglichkeiten inzwischen, genau die Beerdigung zu bekommen, die man sich wünscht und die den Nachkommen in ihrer Trauer gut tut – und fast nie muss sie „anonym“ sein.

Wirklich anonym macht doch nur dann Sinn, wenn man seinen Nachkommen eines auswischen und ihnen für immer entkommen will. Das soll es ja auch geben. Aber dann war das Leben miteinander schon schwer genug.

Schöne Grüße
Bernd Kehren

Kleine Kinder im Gottesdienst – unfertige Thesen –

Als aber die Hohenpriester und Schriftgelehrten die Wunder sahen, die er tat, und die Kinder, die im Tempel schrien: Hosianna dem Sohn Davids!, entrüsteten sie sich und sprachen zu ihm: Hörst du auch, was diese sagen? Jesus antwortete ihnen: Ja! Habt ihr nie gelesen: »Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet«?
(Mt 21,15-16)

 

Kleine Kinder im Gottesdienst – unfertige Thesen –

  • „Kinderlärm ist Zukunftsmusik“
  • Alle Gemeindeglieder haben ein Anrecht darauf, den Gottesdienst besuchen zu können. Dies gilt insbesondere auch für Eltern mit kleinen Kindern. Das bedeutet, dass die Gemeinde ein Mindestmaß an Toleranz gegenüber der Unruhe aufbringen muss, die durch Kinder nun einmal entsteht.
  • Mit der Behauptung, kleine Kinder würden im Gottesdienst nur stören, und der Forderung, sie sollten zu Hause bleiben, schließt eine Gemeinde die Eltern junger Kinder auf Jahre vom Gottesdienst aus.
  • Eltern nehmen die Störungen durch ihre Kinder sensibler wahr als alle anderen Anwesenden. Oft reagieren sie nicht sofort, weil dies die Störung zunächst vergrößern würde, und hoffen, dass das Kind auch wieder ruhiger wird. Sie brauchen deshalb die Unterstützung und den Zuspruch der Gemeinde, dass die Bewegungen und Geräusche ihrer Kinder nicht abgelehnt werden.
  • Kleine Kinder dürfen in der Kirche umherlaufen.
  • Eltern sollten vermeiden, hinter ihren Kindern herzulaufen. Sind die Eltern weit genug weg, kommen die Kinder von alleine zurück. Laufen die Eltern hinterher, haben die Kinder keinen Grund, zurückzukommen. Die Eltern stören dann oft mehr als die Kinder.
  • Wenn genügend Eltern mit ihren kleinen Kindern in den Gottesdienst kommen, kann es durch die Masse zu unruhig werden. Schön, wenn eine Gemeinde dann eine Möglichkeit anbieten kann, dass die Eltern optisch hinter eine Glasscheibe und akustisch über eine gute und regelbare Lautsprecheranlage am Gottesdienst teilnehmen können, während die Kinder durch ihr Spiel Gott loben.

Warum misstraut man den Organspendern?

Warum misstraut man den Organspendern?

Zu meinem Beitrag im Kölner Stadtanzeiger vom 11.02.2014
2014-02-11_KStA-Leserbeitrag__Organspende_Bernd_Kehren

Ich möchte nicht missverstanden werden:
Für mich ist die Organspende ein Werk der Barmherzigkeit.

Ich verstehe nur nicht, warum mit den vielen Details zur Organspende nicht offen und ehrlich umgegangen wird. Krankenkassen, Politik, Organspendeorganisationen enthalten uns viele Informationen vor. Wir müssen denen blind vertrauen. Aber sie misstrauen uns, sonst würden sie uns besser informieren.

 

Darum verstehe ich meinen Beitrag als Aufruf, uns Spenderinnen und Spendern umfassend alle nötigen Informationen zu jedem Organ und zu jedem Gewebe mindestens so zu Verfügung zu stellen, wie es bei jedem anderen operativen Eingriff in unseren Körper auch erfolgt. “Mindestens”: Die Organspende ist so sensibel, dass in diesem Fall die Informationen besonders sorgfältig und umfassend sein müssen.

Für Menschen mit schwachen Nerven kann diese Information ja durchaus abgestuft erfolgen. Nicht alle wollen alles wissen. Nicht allen muss alles zugemutet werden. Aber jeder muss das Gefühl haben: “Es gibt keine Geheimnisse. Wenn ich will, kann ich mit wenigen Klicks Zugang zu allen Details bekommen.”

Aber in dieser Geheimnistuerei, in diesem Misstrauen uns Spendern gegenüber sehe ich die wichtigste Ursache dafür, dass so viele zögern, einen Organspendeausweis auszufüllen.

 

Meine zweite Frage bezieht sich auf die Diskrepanz zwischen der Feststellung des Hirntods und dem, was wir sonst Sterbeprozess nennen.

Nicht nur in der Hopizarbeit haben wir doch begriffen, dass Sterben ein Prozess ist mit vielen Zwischenstufen, dessen Ende nicht wirklich exakt bestimmt werden kann. Wenn die sicheren Totenzeichen mit Leichenstarre und Totenflecken eingetreten sind, ist man irgendwo am Ende dieses Prozesses angekommen. Nach meinem Verständnis ist dies auch bei der Organspende so.

Für den Operateur ist es gefühlsmäßig und juristisch absolut wichtig, dass der Organspender nicht durch ihn zu Tode kommt. Das hat zu der juristischen Feststellung des Hirntodes geführt. Biologisch und vom äußeren Anschein jedoch kann auch die Feststellung des Hirntodes nur ein kurzer Augenblick im Sterbeprozess sein. Hinter den Hirntod gibt es kein zurück mehr ins Leben. Zugunsten des Organempfängers muss nun der Sterbeprozess mit hohem intensivmedizinischem Aufwand aufgehalten werden. Ohne diese Intensivmedizin würde der Körper aufhören zu atmen und es würde nicht lange dauern, bis die bekannten eindeutigen Todeszeichen eintreten. Die Organe und Gewebe wären unbrauchbar. Nach der Organentnahme nimmt der Sterbeprozess dann einen extrem rapiden Verlauf. Aber er ist in keinem Fall mit dem Formalakt der Hirntod-Festellung abgeschlossen.

Auch über diese Differenz müsste meiner Ansicht nach offen gesprochen werden. Und sie müsste zu einer ehrlichen Gesetzessprache führen, die dem rechtlichen Bedürfnis der Operateure und OP-Pfleger entgegen kommt, die dem Überlebenswillen der Empfänger entspricht, und die mit dem biologischen und sichtbaren Verlauf der Organspende übereinstimmt.

Hinter den Hirntod gibt es keinen Weg zurück. Aber der Weg ist mit dem Hirntod auch noch nicht ganz zu Ende gegangen. Ehrlichkeit auch in dieser Hinsicht wäre ein vertrauensbildendes Signal, das m.E. die Spendebereitschaft vergrößern würde.

Bernd Kehren, 11.02.2014

Aufstehen gegen die Trolle?

Aufstehen gegen die Trolle?!

In www.evangelisch.de fällt mir ein Hinweis auf einen Blogeintrag ins Auge: Die Kirche und ihre Trolle und dort den Versuch einer Auseinandersetzung mit einem aktuellen evangelikalen Dokument, das Christen zum “Aufstehen” auffordert.

Warum es trotzdem besser ist, sitzen zu bleiben und nicht zu unterschreiben…

Ja, es gibt auch Trolle. Ob man die Initiatoren dieses Aufrufes so bezeichnen kann?

Ein kleiner Umweg. Es gibt einen exzellenten Aufsatz von Klaus Wengst über den Geburtsfehler der Reformation: Luthers Antijudaismus nämlich.
Kurz gesagt: Oft nimmt man den „späten Luther“ mit seinen drastischen Äußerungen mit dem „frühen Luther“ in Schutz, der sich doch so positiv über die Juden geäußert habe.
Wengst zeigt überzeugend, dass Luther die Juden niemals als ernsthaften Gesprächspartner in den Blick genommen hat, sondern immer nur als Missionsobjekt. Entsprechend sei es nur konsequent, dass Luther radikal umschaltete, als die Juden sich nicht so eben missionieren lassen wollte. War Luther ein Troll?

Ich befürchte, jener Aufruf steht vor einem ähnlichen Problem.

Der Anfang liest sich ja gar nicht mal schlecht:

Allein Christus, Allein aus Gnade, Allein durch Glauben. Allein die Schrift.

Und dann das Bekenntnis: Wir genügen dem nicht.
Und dennoch wollen wir für die Menschenwürde aufstehen und für die Religionsfreiheit.

Ja. Ja. Ja.

Aber dann wird es spannend. Dann kommt ein Zungenschlag, den ich nicht verstehe:

„Allein an ihm (Jesus) entscheidet sich das Heil aller Menschen.“
Wie meinen sie das?
Ich meine: In Jesus ist das Heil aller Menschen entschieden. Umfassend. Einmalig.

Warum muss man aufstehen dann „gegen alle Lehren, die die Versöhnung durch seinen Tod am Kreuz infrage stellen und seine leibliche Auferstehung leugnen“?

Ich verstehe es nicht! Das ist auch nicht biblisch. Mir scheint, hier tappen die Autoren in eine vergleichbare Falle, in die auch Luther schon getappt ist.

Was steht denn in der Bibel? Ist Jesus „aufgestanden“ gegen alle Lehren, die seine leibliche Auferstehung leugneten? Oder sagte er zu Thomas: „Lege Deinen Finger in meine Seite.“
Thomas hat es dann nicht getan, sondern er sagte: Mein Herr und mein Gott.

Warum meinen die Initiatoren dieses Aufrufes, sie müssten härter und konsequenter sein als der Herr selbst? Aus der Bibel können sie das so nicht haben. Sie werfen den „linken“ Kritikern vor, diese würden die Bibel verfälschen, aber letztlich machen sie es hier selber.

Warum bezeugen sie nicht einfach, dass sie selbst das so glauben? Warum sind sie unbarmherziger mit den Menschen, die sich mit der leiblichen Auferstehung schwer tun, als Jesus es war? Wer zwingst sie dazu?
Sie versuchen, die Versöhnung zu verteidigen – und werden unversöhnlich. Passt das zusammen?

Wer kann die Auferstehung verstehen? Ich kann es nicht. Man frage einen Intensivmediziner, ob jemand nach drei Tagen Herz-Kreislaufstillstand ohne schwerste Hirnschädigungen auferstehen kann. Das spricht nicht dagegen, dass Gott das nicht irgendwie hinbekommen kann. Aber es spricht gegen die Selbstverständlichkeit, mit der das Unverständnis des Unverstehbaren als „Leugnung“ diffamiert wird. Jesus ist mit Thomas anders umgegangen. Und darum wäre es besser, wenn die Autoren des Aufrufes von Jesus lernen und dem Text hier die Schärfe nehmen.

Für mich ist klar, dass die Botschaft vom Kreuz das Ausrufezeichen unter die Aussage von Gottes Versöhnung mit den Menschen ist. Kain erschlägt Abel. Und Gott schützt ihn mit dem Kainszeichen. Bereits das Kainszeichen macht deutlich, dass Gott ein versöhnender Gott ist. Auch wenn Kain sein Leben lang nicht abschütteln kann, was er getan hat. Er steht unter Gottes Schutz. Davon gibt es so viele Geschichten im Alten Testament, dass für mich völlig klar ist: Gott ist und bleibt ein gnädiger Gott. Auch wenn sich ihm immer wieder sein Magen umdreht angesichts dessen, was seine Gläubigen auf der Erde veranstalten. Warum soll er nicht auch mal aus der Haut fahren? Und trotzdem: Seine Güte währet ewiglich. Wie oft wird das in den Psalmen wörtlich so betont!

Nein, Gott ist nicht erst durch das Kreuz versöhnt, sondern das Kreuz zeigt unmissverständlich, dass Gott schon immer ein versöhnter Gott war.
Weil Gott ein versöhnter Gott war, „musste das so geschehen“.

Es ist ein grandioser Irrtum der Autoren, dass sie diesem alten philosophischen Konstrukt auf den Leim gehen, dass ein gerechter Gott nur durch das Kreuz versöhnt werden kann. Es ist ein grandioser Irrtum, wenn sie nun meinen, der Glaube werde zerstört, wenn jemand dieses Konstrukt infrage stellt, das sich eben nicht unmittelbar aus der Bibel ablesen lässt.

Sie stehen auf für Jesus Christus – und merken nicht, dass sie gegen ihn aufstehen.
Warum müssen sie aufstehen für Jesus Christus? Noch höher, als er ans Kreuz gegangen ist, können sie doch gar nicht aufstehen! Der erhöhte Christus am Kreuz zeigt, wie tief Gott zu uns herab kommt. Vielleicht sollte man dies einfach an sich geschehen lassen. Dieses „wir stehen auf“: Es klingt hochmütig wie Petrus. Kurz bevor er seinen Herrn verleugnete.

Und auch der zweite Punkt ist klasse. Jeder Mensch hat als sein Ebenbild eine unverlierbare Würde.
Ja. Ja. Ja.
Aber aus welcher Position heraus schreiben sie das?
Ich werde das Gefühl nicht los, dass sie es aus der Position des geborenen, starken, gesunden, jungen, reichen Menschen schreiben, der alle Rechte und seine Heimat hat. Aber ist das nicht ein Irrglaube? Ulrich Bach (www.ulrich-bach.de) betont zu Recht, dass dies eine Selbsttäuschung ist. Erst wenn man zugibt, dass man eben selber auch schwach, krank, unperfekt, hilfebedürftig ist, kann man m.E. für die Würde der Menschen eintreten. Und wenn man das zugibt, dann wird man anders mit Menschen umgehen, die „anders“ sind. Aus der Position der vermeintlichen Stärke glaubt man, sich für die Schwachen einzusetzen, und man merkt nicht, wie sehr man gegen sie arbeitet.

Zu Punkt drei: Wer behauptet das eigentlich, dieses: „Menschen bräuchten keine Erlösung“? Ich kenne niemanden! Wen haben die Autoren im Blick? Was für ein Feindbild bauen sie mit diesem Satz auf?

So kommen wir zu Punkt vier. Es geht um die Bibel. Ich behaupte: Die Autoren glauben nicht das, was sie da schreiben. Und sie wissen nicht, was sie da schreiben.

Welche Bibel meinen sie? Es gibt kein einziges Original! Alle Handschriften, die wir haben, weichen irgendwo voneinander ab.
Nach welchen Kriterien wählen wir nun die Handschriften aus?

Die Bibel fordert uns heraus, sich mit ihr auseinander zu setzen!
Die Bibel fordert uns heraus, kritisch zu sein!
Die Bibel konfrontiert uns mit ganz unterschiedlichen Sichtweisen.
Man kann über den guten alten Bultmann sagen, was man will, in dem einen hat er sicher Recht: Die Bibel fordert uns zur Entscheidung heraus. Das nimmt sie uns nicht ab!

Wir lesen den Text, und wir lesen die Ansprüche, und dann ist nicht einfach alles klar, sondern es ist oft alles unklar. Und wir sind gefordert, das Richtige herauszufinden. Ist das „Kritik an der Bibel“? Die Bibel selbst fordert uns dazu heraus!
„Die Bibel ist immer aktueller als der jeweilige Zeitgeist.“ Was für ein richtiger Satz! Und dennoch zugleich: Was für ein himmelschreiender Blödsinn!

Die Bibel ist immer aktuell! Den Satz unterschreibe ich sofort! Aber trotzdem entbindet er mich nicht meiner Verantwortung, mich selbst zu entscheiden, was nun richtig ist oder falsch. Es entbindet mich nicht vom Bewusstsein darüber, dass ich mit meiner Entscheidung auch falsch liegen kann. Es nutzt überhaupt nicht, die Bibel gegen den Zeitgeist auszuspielen! Richtig wäre allein, die Bibel mit dem Zeitgeist ins Gespräch zu bringen. Dann erst zeigt sich ihre Autorität. Und dafür muss dann auch niemand „aufstehen“. Das braucht die Bibel doch gar nicht! Sie ist auch so Autorität! Heißt es nicht, dass Gott gerade in unserer Schwachheit mächtig ist? Was soll dann diese Aufsteherei?

Gott stellt uns in die Zeit. Also müssen wir uns mit der Zeit auseinander setzen. Also müssen wir in der Gegenwart Lösungen für die Gegenwart finden. Wer das ignoriert und als „Zeitgeist“ diffamiert, nimmt weder die Bibel ernst noch die Zeit, noch Gott, der uns in diese Zeit gestellt hat.

Punkt 5 enthält einen weit verbreiteten Fehler. Nein, in der Bibel steht nicht, dass der Mensch „als Mann oder Frau“ geschaffen wurde.

In der Bibel steht, dass der Mensch, egal ob männlich oder weiblich, als Gottes Ebenbild geschaffen wurde. Jeder Mensch. Man muss wissen, dass viele der antiken Herrscher glaubten, nur sie wären Gottes Ebenbild. Gott wäre die Sonne. Und der König ist Gottes Ebenbild. Die restlichen Menschen rangieren irgendwo weit darunter und müssen sich daher auch in den Staub werfen, wenn das selbstangemaßte Ebenbild Gottes vorbei geht.

Diese Voraussetzung muss man kennen, um die Bibel an dieser Stelle zu verstehen.

Erst sagt die Bibel: Sonne und Mond sind keine Götter. Sie sind einfach „das große und das kleine Licht“. Sie sind von Gott geschaffene Gegenstände. Und dann sagt die Bibel: (Nicht nur der König, sondern) jeder Mensch ist Gottes Ebenbild. Und zwar nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen. Gleichberechtigt. Damit ist nicht gesagt, wie die Rollenaufteilung funktioniert. Und damit ist nicht gesagt, wie die biologische Abstufung zwischen den Geschlechtern genau aussieht. Biologisch gibt es leider nicht nur „Mann“ oder „Frau“, sondern viele Abstufungen. Das hat etwas mit der frühen unterschiedlichen hormonellen Ausstattung zu tun. In der frühkindlichen Entwicklung werden die Gene unterschiedlich an- und abgeschaltet. Das führt dazu, dass man bei den meisten Menschen eindeutig „Mann“ oder „Frau“ sagen kann. Bei vielen aber nicht. Und bei manchen Menschen gibt es ein paar Gene zu viel oder zu wenig, so dass das auch durch die verbleibenden genetischen Schalter nicht mehr eindeutig umgeschaltet werden kann. Ist Gott nur der Schöpfer von denen, bei denen man das Geschlecht eindeutig feststellen kann? Sind die anderen dann nicht seine Ebenbilder? Selbstverständlich ist jeder Mensch Gottes Ebenbild, männlich wie weiblich und auch alle, die man irgendwie „dazwischen“ ansiedeln muss. Jeder Mensch hat seine Würde. Jeder Mensch ist auf ein Gegenüber hin angelegt. Darum wollen so viele Menschen auch unbekümmert in einer dauerhaften Partnerschaft leben. Manche entscheiden sich relativ früh dazu – und bekommen auch Kinder. Andere heiraten erst in einem Alter, in dem sie keine Kinder mehr bekommen können. Dürfen sie nicht mehr heiraten? Nicht mehr „Familie“ sein? Manche davon nehmen Pflegekinder auf. Sorgen für sie wie für die eigenen Kinder, weil die leiblichen Eltern das nicht können…

Andere empfinden gleichgeschlechtlich. Von ihnen zu verlangen, sie müssten sich einen gegengeschlechtlichen Partner, eine gegengeschlechtliche Partnerin suchen, wäre Blödsinn. Auch sie sind auf ein Gegenüber angewiesen. Suchen danach. Mit denselben Schwierigkeiten und Irrtümern wie alle anderen Menschen. Und finden sich dann doch. Wollen es miteinander versuchen. Versprechen sich die Treue, bis dass der Tod sie scheidet. Wird die Ehe in irgendeiner Weise entwertet, wenn man sagt: Diese Liebe verdient denselben Schutz wie jede andere Liebe zwischen gleichberechtigten Partnerinnen und Partnern, die sich die „ewige Treue“ versprechen?

Es gibt kinderlose Ehepaare, die Kinder adoptieren oder als Pflegekinder aufnehmen. Das ist ihre Weise, sich an den gesellschaftlichen Aufgaben zu beteiligen. Manches schwule oder lesbische Pärchen möchte das auch. Nicht, weil sie unbedingt ein eigenes Kind haben wollen. Sondern weil sie einem Kind gute Eltern sein können. Weil es immer noch Kinder gibt, bei denen die leiblichen Eltern dazu nicht in der Lage sind.
Mit welchem Recht soll manchen Kindern verwehrt werden, in einer Familie zu leben, nur weil die, die sie aufnehmen könnten, schwul oder lesbisch sind?

Wenn wir sehen, dass es in der Schöpfung real ein größeres Spektrum als „nur Mann“ und „nur Frau“ gibt, wenn wir feststellen, dass auch diese Menschen Gottes Ebenbilder sind: Mit welchem Recht dürfen sich Christen anmaßen, diese Menschen zu diskriminieren und abzuwerten und ihnen das vorzuenthalten, was sie für sich selbst in Anspruch nehmen?

Wenn in der Bibel ein Paar keine Kinder bekommen konnte und der Ehemann stirbt, war der Bruder dieses Mannes verpflichtet, mit seiner Schwägerin ein Kind zu zeugen. Was hat eigentlich seine Ehefrau zu dieser Art göttlich verordneten Ehebruchs gesagt? Was hat die betroffene Schwägerin gesagt, die um ihrer Altersabsicherung wegen mit dem Bruder ihres verstorbenen Mannes schlafen musste? Was hat dieser Bruder gedacht, der mit seiner Schwägerin schlafen musste? Macht die Bibel hier nicht selber deutlich, dass es Situationen geben kann, in denen es weder unsittlich noch unmoralisch sondern geradezu geboten ist, von der Regel abzuweichen und neue Regeln aufzustellen, damit das Leben in der menschlichen Gemeinschaft gelingen kann? Punkt 5 in dieser Art „Bekenntnis“ ist in seinen biblischen Voraussetzungen falsch, er ignoriert die Bibel an wesentlichen Stellen, und er ignoriert die Schöpfung, in die Gott selber uns gestellt hat.

Das heißt nicht, dass nicht die Ehe in besonderer Weise geschützt und gestärkt werden sollte. Aber es heißt, dass Christen mit offenen Augen durch die Welt laufen müssen, ob es nicht weitere Menschen und weitere Beziehungen gibt, die genau solchen Schutz nötig haben. Jesus stellt an einer einschlägigen Stelle infrage, ob es richtig ist, die Gebote zu halten. Der Priester und der Levit waren verpflichtet, sich nicht rituell zu verunreinigen. Sie waren auf dem Weg zum Tempel und mussten dort rituell rein ankommen. Sonst konnten sie den Dienst nicht aufnehmen, zu dem sie sich verpflichtet hatten. Sonst konnten sie ihre Kollegen am Tempel nicht ablösen. Sonst konnten sie Gott nicht dienen! Es war absolut ehrenhaft, was sie getan hatten. Der unter die Räuber Gefallene tat ihnen sicherlich leid. Und ganz bestimmt würde auch ein Nicht-Priester und ein Nicht-Levit kommen, der dem armen Kerl helfen kann.
Und trotzdem haben sie sich falsch verhalten.

Und genauso falsch verhalten sich Menschen, die aufgrund einer verkehrten Auslegung der Bibel anderen Menschen – nur weil sie nicht „klassisch gegengeschlechtlich“ empfinden können – elementare menschliche Beziehungen abwerten und vorenthalten.
Für manche Menschen ist eben auch ein gleichgeschlechtliches Gegenüber Gottes Schöpfungsgabe.

(Und mancher gegengeschlechtliche Ehepartner stellt irgendwann schmerzhaft fest, dass er oder sie sich offenbar geirrt hat und jemandem die Treue versprochen hat, den Gott offenbar doch nicht als Partner vorgesehen hat. Was nichts ausschließt, dass man in der Ehe oder einer eheähnlichen Beziehung gravierende Fehler machen kann, die jede auch von Gott so gewollte Partnerschaft gründlich zerstören können. Was also auch nicht ausschließt, dass man eine solche Partnerschaft retten kann, wenn man an diesen Fehlern arbeitet und sie in Zukunft vermeidet. Nicht jede Ehekrise ist ein Zeichen dafür, den falschen Partner gewählt zu haben.)

Zu Punkt 6 kann ich nur sagen: Ja, ja, ja. Darum also auch „Ja“ dazu, dass Muslime hier in Deutschland Moscheen bauen dürfen. Darum ein deutliches „Nein“ gegenüber Äußerungen von Christen, die gegen andere Religionen polemisieren, die sie lieblos abwerten. Wer für die Religionsfreiheit eintritt, der tritt auch für ein partnerschaftliches Gegenüber der Religionen ein. Damit verraten Christen auch nicht ihren eigenen Glauben. Das bedeutet auch nicht, auf Mission zu verzichten. Aber es bedeutet, fair zu bleiben. Es bedeutet, in jedem Menschen Gottes Ebenbild zu sehen.

Das schließt Spott nicht aus. Was müssen die Juden in Babylon gelacht haben, als ihnen zum ersten Mal 1. Mose 1,1 vorgetragen wurde. An der Stelle mit dem „großen und dem kleinen Licht“ gab es sicherlich Applaus, mindestens aber ein raunenden Schmunzeln. Jeder wusste, wieviel Angst der babylonische König vor dem Mond hatte, dass er wegen des Phasenwechsels regelmäßig die Regierungsgeschäfte unterbrach, und dass er sich selbst für das einzige Ebenbild von “Gott Sonne” hielt.  „Großes und kleines Licht“ spottet über den fremden Glauben und macht sich darüber lustig. Und dann die Stelle mit „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde“. Jeden Menschen: Das ist biblisch-politisch-religiöses Kabarett von seiner schärfsten und schönsten Seite. Es spricht eine wichtige Wahrheit aus und spottet zugleich scharf über religiöse Auffassungen, die zu einer Abwertung von anderen Menschen führt.
Vielleicht ist es sogar eine Rechtfertigung der Themenstellung, ob man auch manche christliche Diskussionspartner nicht zu Recht als „Troll“ bezeichnen darf und muss. Was nichts davon wegnimmt, dass wir für Religionsfreiheit eintreten. Ohne Wenn und Aber. Auch der babylonische König war in seiner ganzen persönlichen und religiösen Selbstanmaßung Gottes Ebenbild.

Punkt sieben: Was für eine Anmaßung: „Wir stehen ein für die biblische Verheißung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde.“ Wie großkotzig. Jesus hat sich immerhin dafür ans Kreuz nageln lassen. Hier ist nur noch eine Unterschrift unter ein theologisch zweifelhaftes Dokument nötig.
„Wir stehen ein für ein Leben in Hoffnung und gegen jede Form der Resignation…“: Erst vor kurzem war ich bei einer Autofahrerin, die kurz zuvor nicht gemerkt hatte, dass die Ampel schon lange auf Rot umgesprungen ist, und ein anderes Auto rammte. Der Fahrer war sofort tot. Und diese Fahrerin war fassungslos über das, was sie da getan hatte. Das war Hoffnungslosigkeit und Resignation pur. Doch: Ich habe diese Situation ausgehalten. Doch: Ich habe versucht, diesem Menschen nach diesem schrecklichen Irrtum Hoffnung und Mut zu machen. Ich habe von Kain erzählt, den Gott selber unter seinen göttlichen Schutz genommen hat. Trotz allem, was er getan hat.
Ich halte es für richtig, Hoffnung und Mut zu machen.
Und trotzdem kann ich diese Anmaßung nur schwer ertragen, die aus diesem Punkt sieben dieser Erklärung herausquillt. Ich kann den Unfallgegner nicht mehr lebendig machen. Für seine Angehörigen und für die Unfallverursacherin kann ich allenfalls Zeugnis davon ablegen, dass Gott zu ihnen hält. Aber kann ich für etwas einstehen, für das nur Gott selber einstehen kann? Ich kann meinen Glauben bekennen. Aber kann ich nachempfinden, was dieser Mensch empfindet? Kann ich nachempfinden, was jene Eltern und Angehörigen empfinden? Kann ich ihnen gegenüber die Hoffnung so unbarmherzig und großkotzig um die Ohren hauen, wie es in der siebten These formuliert ist?
Diese These basiert auf einer riesigen Niederlage am Kreuz. Noch weiter in die Tiefe geht es nicht. Gott hat sich dieser Tiefe ausgesetzt. Dass aus dieser Tiefe ein Sieg erwachsen sein soll, bleibt für menschliches Empfinden völlig unverständlich – und für manchen Menschen anderen Glaubens auch völlig unglaubwürdig.
Wer diese großartige Hoffnung dennoch bezeugt, sollte die Bescheidenheit nicht vernachlässigen, die das Kreuz und die Katastrophen des menschlichen Lebens nahelegen.

Ja, ich bin dafür, dass Christen aufstehen. Ich bin dafür, dass sie zusammen mit Menschen anderen Glaubens aufstehen und Gottes Liebe weitertragen.

Auf diesem Weg können wir auch ins Gespräch kommen. Über die Religion und über unseren eigenen Glauben.

Wir dürfen aber auch sitzen bleiben. Wir dürfen auch bekennen, dass wir gerade Probleme haben mit unserem Glauben. Wir dürfen bekennen, dass wir gerade glauben wollen – und es nicht können. Wir dürfen Menschen eines anderen Glaubens die Hand reichen und gemeinsam trauern, dass wir darunter leiden, dass wir im Blick auf unsere Religion getrennt bleiben. Und wir dürfen uns ermutigen, trotzdem menschlich zu bleiben.

Wenn Religion großkotzig wird, wenn Christen im Blick auf ihren eigenen Glauben gegenüber Zweiflern und Andersgläubigen großkotzig werden, dann – das behaupte ich hier – haben sie weder Kreuz noch Auferstehung begriffen. Dann verraten sie die Bibel. Dann reden sie von Gottes Liebe und bringen den Hass. Und merken es nicht.

Ich bekenne voller Trauer: Wer dieses Dokument unterschreibt, merkt es nicht. Leider.

Bernd Kehren
9.5.2014

Ein Koffer für die letzte Reise

Ein Koffer für die letzte Reise
Der Bestatter Fritz Roth aus Bergisch-Gladbach lud 100 Menschen ein, einen “Koffer für die letzte Reise” zu packen.
Roth will herausfordern, sich über Sterben, Trauer und Tod Gedanken zu machen. Wer würde mitmachen?

Infos zum Projekt

Ich fand den Gedanken spannend, selber einen solchen Koffer zu packen. So manche Beerdigung habe ich selber gehalten, mir Gedanken gemacht.

Aber:

“Das letzte Hemd hat keine Taschen.” Wirklich mitnehmen kann man nichts, es kann meiner Meinung nach “nur” um Symbole gehen. “Nur”?

“Der Tod ist wie der Mond – niemand hat seinen Rücken gesehen” lautet ein Sprichwort in Afrika; Jürgen Thiesbonenkamp hat es als Titel für seinen Vergleich von Bestattung und Totengedenken in Kamerun und Deutschland gewählt.

Niemand weiß, was nach dem Tod sein wird. Ich weiß es auch nicht, auch wenn ich Pastor bin.

Und je genauer ich es mir vorstelle, desto größer sind die Widersprüche, in die ich mich dabei verwickle. Einfach so weitergehen wie hier auf der Erde kann es wohl nicht. Aber jede kleine Veränderung der Umstände führt dazu, dass ich es mir insgesamt doch nicht vorstellen kann. Es ist wohl besser, sich kein Bild davon zu machen.

Und wenn doch, dann nur unter der Voraussetzung, dass ich Bild und Realität des Lebens nach dem Tod immer sorgfältig unterscheide.

“Jetzt sehe ich nur durch einen Spiegel”, verschwommen und unscharf. Erst später einmal wird das Bild scharf werden. Wenn es dann noch so etwas wie Bilder gibt. Das ist das Risiko, das Glaubende eingehen. Es kann auch alles ganz anders sein.

Wenn ich mir das klar mache, kann ich viel leichter die Bilder auf mich wirken lassen, kann ich die Bilder ausmalen, kann ich mich davon trösten lassen.

Ursprünglich wollte ich Gegenstände hinein tun, die zu diesen Bildern passten. Bilder aus Psalm 23. Ein kleines Schaf vielleicht, einen Hirten…

Aber erstens war der Koffer, der dann eines Tages geliefert wurde, für einige der Gegenstände zu klein.

Und zweitens konnte ich nicht reale Dinge einzupacken, wo ich doch denke, dass ich über den Tod nur in Bildern sprechen und denken kann.

Also Bilder…

Und so entstand der Koffer.

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In der Mitte: Eine aufgeschlagene Bibel mit Psalm 23.

Dazu Bilder mit Assoziationen zu diesem Psalm.

Da findet sich ein Hirte. Eine “Biblische Erzählpuppe”, wie ich sie hin und wieder in Altenheimen verwende. Viele Menschen in den Gottesdiensten sind dement. Theoretische Gedanken verstehen sie nicht mehr besonders gut. Aber für Gefühle und  Stimmungen sind sie sehr aufgeschlossen. Mit “Biblischen Erzählpuppen” kann man Gefühle gut ausdrücken. So wurde eine dieser Puppen zum “Guten Hirten”, der seine Schafe weidet. Ein solches Schaf war als Handpuppe auch schon einmal im Gottesdienst dabei.

“Der Herr ist mein Hirte. Mir wird nichts mangeln…” Ein schönes Bild für die Geborgenheit bei Gott. Ein schönes Bild für das Leben jetzt und nach dem Tod…

Es gibt jemanden, der aufpasst, der dabei ist, der mich hört. In guten und in schlechten Zeiten…

Die meisten der Gottesdienste in meinen Heimen sind Abendmahlsgottesdienste. So finden sich auf dem dritten Bild Kelch und Patene mit Oblaten und ein Gedeck mit unserem guten Geschirr. Ein herzliches Dankeschön an die Schwiegereltern, die uns nach der Hochzeit beim Kauf unterstützten.

“Du deckst vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkst mir voll ein.”

An vielen Stellen im Neuen Testament ist Jesus zu Gast, er trinkt und isst und hat Gemeinschaft. Er macht deutlich, wie nahe Gott ist. So wie die Gastfreundschaft auch im Alten Testament immer wieder eine wichtige Rolle spielt.

Gott lädt ein. Auch im Angesicht der Feinde. Auch im Angesicht des Todes.

Eines der schönsten Bilder der Bibel ist für mich das Gastmahl oder das Hochzeitsmahl am Ende der Zeiten.

Voller Genuss. Zusammen mit vielen anderen Gästen. Mit Gästen, die ich lange nicht gesehen habe. Mit Gästen, die ich noch nie gesehen habe, aber denen ich nun persönlich begegnen kann. Es gibt da einige, die ich noch sprechen würde, die aber leider nicht mehr leben. Auf dieses Festmahl freue ich mich schon.

Und feiere Abendmahl. Das kleine Stück Brot, der Schluck Wein (im Heim tauche ich immer die Oblate in den Wein), sie symbolisieren das große Gastmahl und nehmen uns jetzt schon mit dahin. Jesus Christus ist der Gastgeber, er stärkt uns auf eine ganz eigene Weise.

Und so fanden Kelch und Patene einerseits und das Gute Geschirr andererseits den Weg in den Koffer. Herzlichen Dank auch der Christuskirchengemeinde in Zülpich, die mir und den Gottesdienstbesucherinnen und -besuchern Kelch und Patene immer wieder ausleiht für die Gottesdienste in den vielen Heimen.

Die grünen Auen – ein Blick in unseren bunten Garten im Frühling. Ein Blick auch auf eine der Burgen aus dem letzten Sommerurlaub. Es sind schöne Bilder, die einladen zum Leben.

“Wenn ich auch wanderte im finsteren Tal…”

Ein Bild bleibt dunkel.

Immer wieder sagen mir Menschen, dass sie nun alt genug geworden sind. Nun würden sie gerne sterben, aber sie wissen nicht wann und wie.

Und andere sterben viel zu früh, wie das siebzehnjährige Mädchen, dessen Reanimierung fehlschlägt und dessen Freund und dessen Eltern  ich trösten musste.

Es gibt sie, diese finsteren Täler, und ich bin froh, dass die Bibel auch diese Bilder nicht verschweigt oder ignoriert. Das macht diese Bilder für mich so glaubwürdig.

Aber sie machen Mut. Jemand begleitet mich. Viele Menschen, aber auch sie sind Ebenbilder Gottes, auch sie repräsentieren den auferstandenen Christus; er selbst, der Auferstandene und in den Himmel Aufgefahrene (auch so ein schönes Bild) ist mit uns im Hier und Jetzt und begleitet uns…

“Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.”

So manche und mancher musste sein eigenes Haus verlassen und lebt nun im Seniorenheim. Das Zimmer im Hause des Herrn wird niemand mehr verlassen müssen. Auch dafür stehen die Bilder vom Garten und von der Burg…

Ich freue mich, dass ich bei diesem Projekt mitmachen darf.

Koffer und ein Begleittext sind in der Ausstellung an verschiedenen Orten zu sehen, zusammen mit 102 anderen. Am 19. Mai 2006  wurden sie in Bergisch-Gladbach der Öffentlichkeit vorgestellt.

Manche sehr kunstvoll, manche ganz leer, manche witzig, manche abstoßend oder verärgernd.

Und man kann sie zuhause sehen. Der Katalog der Ausstellung ist unter dem Titel “Einmal Jenseits und zurück” im Gütersloher Verlagshaus erschienen.

Und ich würde mich freuen, mit Besucherinnen und Besuchern meiner Homepage darüber ins Gespräch zu kommen.

Vielleicht unterstützt mich ja auch der eine oder andere in den Heimen. Es tut gut.

Es tut gut, sich über Tod und Leben Gedanken zu machen.

Am meisten beeindruckt hat mich dabei Manfred Elzenheimer, ein Fleischermeister, der nichts in den Koffer nahm als Zettel mit vier Worten. “Nein”, “Entschuldigung”, “Danke” und “Liebe”. Bei jedem der Tiere, die er schlachtet, möchtet er für sich und das Tier die Würde bewahren. Phillip Engel hat ihn und die Designstudentin Joa begleitet, als sie ihren Koffer packten, und einen schönen Film gedreht: Einmal Jenseits und zurück. (Erstausstrahlung am 15. Januar 2006 in der ARD – Leider wegen des Rundfunkstaatsvertrags nicht mehr abrufbar).

Das Buch zur Ausstellung ist im Buchhandel für 19,95 Euro erhältlich.
Fritz Roth (Hrsg.), Einmal Jenseits und zurück. Ein Koffer für die letzte Reise.
2006 Güterloher Verlagshaus. ISBN 3-579-03251-8

Gott widersprüchlich?

In “Kurz gefragt” (Chrismon 02/2008) fragt ein Leser danach, warum Gott die bösen Menschen in der Sintflut mit dem Tode bestraft und sich damit selber nicht an das Tötungsverbot hält, dass er nun selber erlässt.

Burkhard Weitz beginnt seine Antwort darauf mit den Worten:

„Die Bibel ist voller Widersprüche. Sie ist eben nicht verbal inspiriert, sondern von Menschen geschrieben.“

Dieser Satz hat eine Voraussetzung: Gott ist ohne Widersprüche. Widersprüchliches muss dann vom Menschen kommen.

Was wäre eigentlich, wenn wir erkennen, dass Gott sehr wohl widersprüchlich sein kann? Unfassbar? Rätselhaft? Manchmal auch brutal?

Könnte diese Erkenntnis uns Menschen nicht vielleicht sogar entlasten, weil wir auch widersprüchlich sein dürfen? Eben: Von Gott geliebte Sünder?

Was wäre eigentlich, wenn in diesem Sinne die widersprüchliche, von Menschen geschriebene Bibel tatsächlich „verbal inspiriert“ ist, damit wir Menschen bescheiden werden, unserem Perfektheitswahn (an dem wohl jeder hin und wieder leidet) den Abschied geben und erkennen, wir können nur als Gemeinschaft der Unperfekten leben und lieben?

Du sollst dir von Gott kein Bildnis machen. Auch nicht das Bild des unfehlbaren und widerspruchsfreien Gottes. Glaube ich.

Bernd Kehren
03.02.2008

Passion 2016 in Deutschland

Passion 2016 in Deutschland

Gedanken am Montag nach den drei Landtagswahlen in Deutschland.

Erschrecken
Einfache Antworten
Abgrenzung, Ausgrenzung, Merkel muss weg
Man wird doch wohl noch sagen dürfen!
Oder sind Sie etwa gegen Demokratie?
Lügenpresse…
Früher riefen Sie:
Ans Kreuz mit ihm!
Zum Glück nicht alle
Aber die Mehrheiten waren gerade so
Die Mehrheiten und die Macht
Und dann hing er da oben
Am Kreuz
Der Friedensstifter
Der Versöhner
Der auch an die anderen im Blick hatte
Die da unten
Die Abgehängten

Sind wir wieder auf dem Weg dorthin?
Wer ist heute abgehängt?
Flüchtlinge?
Wer sucht Sicherheit?
Sicherheit vor einer komplexen Welt
Sicherheit vor den Globalisierungsverlieren
Sicherheit vor den Traumatisierten
Sicherheit vor den Bombardierten

Wer sagt laut und deutlich:
Es gibt keine Sicherheit
Wer sagt laut und deutlich:
Das Leben ist unsicher. Das Leben bleibt unsicher. Das Leben wird immer unsicher bleiben.
Nur eines bleibt sicher:
Es geht nicht
ohne Krankenhäuser und Friedhöfe
Zum Glück
werden viele gesund entlassen
Zum Glück gehen wir oft nur zu einem Besuch dorthin

Zum Glück glauben wir:
Der eine geht mit.
Der vom Kreuz.
Mit den Abgehängten.
Mit denen, die ihn aufhängten.

Zum Glück glauben wir:
Der eine geht mit
Mit uns
Mit denen
Mit Tätern
Mit Opfern

Einmal werden wir alle froh sein

Bis dahin
Hoffentlich sind es nur
Ganz wenige
Schläge
Schläge auf die Nägel
Im Kreuz

Darum bitten wir
Und um Versöhnung
Mit denen
Die wissen
Und denen
Die nicht wissen
Was sie tun.
Um Versöhnung
Bitten wir

Amen.

Bernd Kehren

Pfingsten & Angst

Und Pfingsten war die Angst weg?

“Pfingsten sprengt doch verschlossene Türen auf, reißt ängstliche Jünger von ihren Hockern und treibt sie hinaus in die Öffentlichkeit.” So lese ich es in einer Arbeitshilfe zu Pfingsten 2007, so ähnlich höre ich es im WDR-Fernsehen: Ein Priester erklärt darin, was Pfingsten ist, weil viele Menschen es nicht mehr wissen.

Nur:

Dass die Jüngerinnen und Jünger zu Pfingsten ängstlich in ihren Zimmern gehockt hätten, davon steht in der ganzen Bibel nichts.

Richtig ist: Zu Ostern hatten die Jüngerinnen und Jünger Angst vor dem, was kommt und Angst vor dem, was sie an unglaublichen Neuigkeiten gehört haben. In den Ostergeschichten schließen sie sich ein. In den Ostergeschichten kommt Jesus mit den Worten “Friede sei mit euch”. In der Thomasgeschichte im Johannesevangelium ist von den verschlossenen Türen die Rede.

Richtig ist aber auch: Diese Begegnung war ausgesprochen trostreich. So heißt es bei Lukas in der Himmelfahrtserzählung:

“Sie aber beteten ihn an und kehrten zurück nach Jerusalem mit großer Freude und waren allezeit im Tempel und priesen Gott.”

Da hört man nichts mehr davon, die Jüngerinnen und Jünger hätten sich eingeschlossen: Im Gegenteil, sie gehen öffentlich in den Tempel, sie wissen, dass Jesus Christus auferstanden ist, sie loben Gott und warten auf den versprochenen Heiligen Geist.

Bis zur Kindergottesdiensthelfer-Tagung in Duisburg vor einigen Jahren dachte ich auch noch, dass sich die Jünger bis Pfingsten erschrocken und verängstigt in ihren Räumen eingeschlossen hätten.

Es war die Jüdin Chana Safrai, die an diesem Pfingsttag davon erzählte, was Juden am ShWU’OTh-Fest tun, dem großen Fest nach Pessach. Pessach ist das Fest der Erinnerung an den Auszug aus Ägypten. Shawouth erinnert an die Verkündung der Gebote an Mose am Sinai. Und so lesen fromme Juden zu Shawouth den ganzen Tag in der Tora, in den fünf Büchern Mose. Das darf man nicht als fromme Pflicht verstehen, die man unter Mühen auf sich nimmt. Chana Safrai erzählte die Geschichte von den zwei frommen Juden, die mal “richtig einen draufmachen wollten”, und sie beschlossen – in der Tora zu lesen. Sie suchten sich eine Herberge, vertieften sich in die Schriften, sie lasen und diskutierten, sie wurden von Gottes Geist erfüllt und gerieten dabei so sehr in Extase, das es zu rauchen begann und Flammen aus dem Zimmer schlugen. “Haltet ein!”, rief der Wirt, “wollt ihr meine Herberge abbrennen?”

Flammen, war da Pfingsten nicht etwas mit Flammen? Auf dem Hintergrund dieser Anekdote, auf dem Hintergrund, dass fromme Juden zum Pfingstfest in der Bibel lesen, und dass Extase und Bibellesen keine Widersprüche sind, auf den Hintergrund der Himmelfahrtserzählung des Lukas kam Chana Safrai zu dem Schluss: Auch die Jüngerinnen und Jünger lasen als überzeugte Juden voller Erwartung auf den Heiligen Geist in der Tora. Nicht verzagt, sondern froh. Und wenn das Neue Testament vom Heiligen Geist in Form von Flammen erzählt, der sich auf die Männer und Frauen setze, die sich an diesem Tage alle in einem Raum versammelt hatten, dann wunderte das diese Jüdin aufgrund ihrer eigenen Tradition nicht.

Ich finde es immer wieder spannend, wie sich in der Begegnung mit dem Judentum überraschende Einsichten auftun. Immer wieder merke ich, dass sich in unseren Köpfen christliche Interpretationen festgesetzt haben, die im Widerspruch zu dem stehen, wie es in der Bibel steht.

So findet sich nirgends in der Bibel die Behauptung, in einem jener Länder, in denen die Gastfreundschaft sprichwörtlich ist, hätte ein böser Wirt (oder sogar zahlreiche Wirte) einer hochschwangeren Frau die Tür vor der Nase zugeschlagen. Wer die Häuser damals kennt, mit dem Eingangsbereich für Tiere und dem erhöhten Wohnbereich im hinteren Teil der Wohnung, der wundert sich nicht über eine Futterkrippe in diesen Räumen, und der wundert sich auch nicht darüber, dass das Kind in Windeln dort hinein gelegt wird, “weil es sonst keinen Platz in dieser Herberge gab”. Für mich ist das traditionelle Krippenspiel inzwischen Tradition gewordener Antijudaimus, eine Beleidigung des Volkes, in dem die Gastfreundschaft zum obersten Gebot gehörte, wie man es an Geschichten wie über Lot und seine Gäste in 1. Mose 19 nachlesen kann. Leider wird man die durch zahlreiche Krippenspiele verfestigte Auffassung in absehbarer Zeit nicht korrigieren können.

Und es findet sich eben nirgends ein Beleg dafür, dass die Jüngerinnen und Jünger vor Pfingsten verzagt gewesen seien…

Bibellesen ist spannend, und immer wieder überraschend. Wir Christen sollten uns mehr darauf besinnen…

Bernd Kehren

siehe auch: Pfingstpredigt 2001

Patientenverfügung

Patientenverfügung

Bis vor kurzem war ich noch der Meinung, jeder sollte eine Patientenverfügung haben: Der mündige Patient überlegt sich rechtzeitig, wie der Arzt handeln soll. Zu oft hat man gehört oder vielleicht auch selbst erlebt, dass Ärzte den letzten Lebensfunken aus jemanden heraus-reanimiert haben, weil sie nicht damit fertig werden, dass auf ihrer Station auch einmal ein Patient stirbt. Und es klingt verlockend, dass der Arzt sich in jedem Falle an die Patientenverfügung halten muss.

Inzwischen bin ich vorsichtiger geworden. Wann ist man ein mündiger Patient? Reicht es, wenn man einen Erste-Hilfe-Kursus absolviert hat, oder muss man nicht doch mit einer Krankenschwester oder einem Krankenpfleger verheiratet sein? Sollte man gar Medizin studiert haben? Ich meine: Wofür studiert der Arzt oder die Ärztin denn eigentlich noch Medizin, wenn er oder sie in den schwierigen Fällen von seinem Patienten genau (oder auch nur recht schwammig) vorgeschrieben bekommt, was nun in genau diesem Falle zu geschehen hat, um diesem Patienten am besten gerecht zu werden? Woher will der “mündige Patient” lange Zeit vor dem befürchteten Ereignis wissen, welche Überlebenschancen er noch hat, welche Nebenwirkungen zu befürchten sind, nach wie langer Zeit der Bewusstlosigkeit oder sogar des Komas eine Besserung erwartet werden könnte?

Man muss es ganz klar sagen: Niemand kann das vorhersagen, und niemand ist in der Lage, auch nur annähernd genau eine Patientenverfügung zu verfassen, die vernünftigen Anforderungen entspricht. Eine solche Patientenverfügung müsste so dick sein wie der “Pschyrembel” (ein medizinisches Standard-Wörterbuch mit über 1800 Seiten). Darüber darf auch nicht hinweg täuschen, dass die Zahl der Vordrucke möglicher Patientenverfügungen die 200 überschritten hat.

Eine Patientenverfügung, die den Arzt in jedem Fall bindet, macht aus dem Arzt den Erfüllungsgehilfen des Todes: Er müsste lebenserhaltende Maßnahmen auch dann abstellen, wenn er  eine Wiederherstellung des Patienten erwarten müsste – und obwohl er den Patienten darüber nicht belehren konnte. Ich meine: Das kann und darf nicht sein.

Patientenverfügungen müssen dem Arzt einen Spielraum lassen, in dem er zusammen mit Vertrauenspersonen des Kranken nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden kann, wenn der Betreffende dazu selber nicht mehr in der Lage ist. Dazu sollten die betreffenden Menschen mit ihrem Arzt und ihren Vertrauenspersonen gesprochen haben. Wer eine Patientenverfügung ausfüllt, sollte sich möglichst konkrete Gedanken gemacht haben und diese in eigenen Worten beschreiben. Welche Krankheit habe ich vor Augen? Habe ich selber bei Bekannten Behandlungen erlebt, die ich als unerträglich belastend empfinde?

Wichtiger als eine Patientenverfügung ist in meinen Augen heute eine Vorsorgevollmacht, in der eine oder mehrere Vertrauenspersonen bevollmächtigt werden, über die eigenen Belange zu entscheiden, wenn man selber dazu nicht mehr in der Lage ist. Sie müssen wissen, welche Wünsche man hat, und es sicher gut, wenn diese Wünsche auch schriftlich niedergelegt sind. Aber für die konkrete Situation brauchen sie – um der eigenen Menschenwürde und der Würde dessen, der seinen Willen geäußert hat – einen Interpretationsspielraum.

Inzwischen sollte es selbstverständlich sein, dass Schmerzen mit Morphin oder anderen Schmerzmitteln gelindert werden, und dass dem Schwerkranken mit der Würde begegnet wird, die jedem Menschen zusteht. Die Hospizbewegung und die Palliativmedizin brauchen unbedingt jede nötige Unterstützung. Damit ist klar: Es geht nicht um Medizin um jeden Preis und auch nicht um eine Lebensverlängerung um jeden Preis. Auch das Sterben gehört zum Leben, auch das Sterben muss menschenwürdig bleiben.
Der letzte Papst, Johannes Paul II, hat das für mein Empfinden sehr vorbildlich vorgelebt. Er hat lange um sein Leben gekämpft. Bis Ostern 2005 gab es Stimmtherapie, den Segen Urbi et Orbi wollte er noch sprechen. Aber nicht vom Krankenzimmer aus, sondern von zuhause. Als das nicht mehr ging, beschloss er – so habe ich es über die Medien vermittelt erlebt – dass nun die ärztliche Kunst an ihre Grenzen gekommen ist. Er lebte in der Hoffnung auf das Ewige Leben, auf ein erfülltes Leben in der Nähe Gottes im Hier und Jetzt, das mit dem Tod nicht endet. In dieser Hoffnung konnte er leben und sterben.

Wir müssen den Sterbeprozess wieder nach Hause holen. In die Familie, in die eigenen vier Wände. Dazu braucht es ehrenamtliches Engagement in Hospizinitiativen, um Sterbende und ihre Familien zu unterstützen. Dazu braucht es Hospize und Palliativmedizin, also Medizin, die Leiden lindert und Symptome behandelt, wenn es keine Aussicht auf Heilung mehr gibt. Dazu braucht es Hausärzte, die im Umgang mit Demenz und Schmerzbehandlung geschult sind. Und es braucht eine öffentliche Aufmerksamkeit für die Tatsache, dass immer mehr Menschen alleine alt werden, ohne Kinder und soziale Absicherung durch die Familie.

Dazu braucht es auch eine Patientenverfügung, in der man bestimmte Themen wie PEG-Sonde, also künstliche Ernährung, und weitere Themen, mit denen man sich intensiv auseinander gesetzt hat, anspricht.

Aber eine zu 100 Prozent bindende Patientenverfügung, die dem Arzt, den Angehörigen oder Vertrauenspersonen keinerlei Ermessensspielraum lässt, wie in der aktuellen, so nicht vorhersehbaren Situation konkret im Sinne des Patienten entschieden werden soll, darf es meiner Meinung nach nicht geben.

Nachtrag 27.05.2013:

Ich bin jetzt auf das Buch “Patientenverfügung” von Thomas Klie und Johann-Christoph Student getroffen. Es sei eine Quadratur des Kreises, eine rechtlich zu 100 Prozent bindende Vorausverfügung zu machen, wenn sich die Rahmenbedingungen dafür ständig ändern und ändern müssen. Sie schlagen daher eine “Dialogische Patientenverfügung” vor:

“Wirklich zu leben bedeutet, im Dialog zu bleiben – mit sich selbst und anderen. …

Eine Patientenverfügung, die wirkliches Leben bis zum Ende zulässt, muss diesem urmenschlichen Bedürfnis nach Kommunikation gerecht werden und sie fördern.

Die meisten der gängigen Patientenverfügungen haben eher eine Tendenz, Kommunikation zu stören. Häufig sind sie abschließend, ‘definitv’, also letztlich unkommunikativ formuliert. Damit gefährden sie gerade das, was den meisten Menschen am Lebensende so sehr am Herzen liegt: Sicherheit und Selbstbestimmung. Nur wenn Patientenverfügungen dazu anregen, ja dazu auffordern, sich in den Dialog mit dem Schwerkranken zu begeben, können sie auch sichern, dass seine Wünsche und Bedürfnisse wirklich erfüllt werden.” (S. 175 ff.)

Die Autoren schlagen vor, rechtzeitig Anlässe für das Gespräch zu suchen und zu finden und mit den Menschen zu sprechen und Wünsche zu formulieren: “Wer soll für mich medizinischen Entscheidungen treffen, wenn ich dazu nicht mehr in der Lage bin? … Welche Art von medizinischer Behandlung wünsche ich jetzt noch? Wie soll für mein Wohlergehen gesorgt werden? Wie sollen Menschen in meiner Umgebung mit mir umgehen?” Was möchte ich Menschen mitteilen, die mir besonders wichtig sind? (S. 179-191 mit detaillierten Vorschlägen, wie solche Wünsche aussehen könnten)

Bernd Kehren

Literatur:

Vorsorge für Unfall, Krankheit und Alter
durch Vollmacht, Betreuungsverfügung, Patientenverfügung
Herausgegeben vom Bayerischen Staatsministerium der Justiz
Als Download (bitte nach “Vorsorge Unfall” suchen!)
4,90 Euro
Verlag C.H. Beck

Besonders wichtig erscheint mir der Hinweis dieses Heftes, dass eine Vollmacht keinerlei Bedingungen enthalten sollte. Also nicht: “Für den Fall, dass ich geistig nicht mehr in der Lage sein sollte” o.ä., sondern: “Ich, n.n., bevollmächtige n.n.”
Einzelheiten dazu in diesem Heft

Patientenverfügung. So gibt sie Ihnen Sicherheit.
Thomas Klie / Johann-Christoph Student. Kreuz Verlag 2011
www.kreuz-verlag.de

Die persönliche Patientenverfügung
Ein Arbeitsbuch zur Vorbereitung mit Bausteinen und Modellen

Rita Kielstein, Hans-Martin Sass
LitVerlag Münster
www.lit-verlag.de

Das Wichtigere hieran ist die Einladung, sich mit konkreten Situationen auseinander zu setzen, um im zweiten Schritt eine eigene Verfügung formulieren zu können.
(Update des Textes am 25.09.2006 und am 27.05.2013)