Was ist „Tranzendenz“

Ein Gespräch im Talkformat „Doppelblick“ regte mich zu den folgenden Gedanken an. Der Link zum Gespräch mit Helmut Fink und Frank Vogelsang findet sich unten.

Die Welt ist zu komplex, um sie vollständig erfassen zu können.
Schon Bonhoeffer sagte: „Einen Gott, den ‚es gibt‘, gibt es nicht.“
Das heißt: Gott ist nichts, was immanent untersucht werden könnte oder fassbar wäre. Wenn es Gott gibt, dass nur in der Transzendenz. Und darüber haben wir nichts in der Hand.
Das heißt: Es gibt keinen Glauben ohne den Zweifel.

Naturwissenschaft wiederum kann nur in der Immanenz spielen.
In dieser Hinsicht kann man mit dem Naturwissenschaftler als Naturwissenschaftler auch nicht über Transzendenz diskutieren.
In der Naturwissenschaft gibt es keine Transzendenz.
Punkt.

An dieser Stelle: Was lerne ich aus der Bibel?

Den Realismus in der Immanenz.
Wie brutal diese Immanenz zu oft ist.
Das fängt leicht an mit Schweiß bei der Arbeit, geht über die Schmerzen bei der Geburt. Es folgen Neid, Brudermord, Krieg, Flut, Katastrophen, Krankheit, Tod.

Wenn man so will:
„Leben ist immer gefährdet. Wenn das Leben nicht mehr gefährdet ist, sind wir tot.“

Transzendenz ist m.E. Ausdruck der Hoffnung, dass dies nicht alles ist: Dass es (nicht erst) nach dem Tod noch etwas gibt: Gerechtigkeit, Frieden.
Dass mit dem Tod trotzdem noch „Beziehungen“ zu den Verstorbenen bestehen.

An dieser Stelle: Was lerne ich aus der Bibel?

Dass (damals?) übliche Vorstellungen, wie „Gott“ lebt, liebt, sich fortpflanzt, …, abgelehnt werden.
Gott gilt als der, als der er/sie/es sich erweisen wird.
Gott repräsentiert das Wunder all dessen, was so ist, durchaus auch in seiner Brutalität, aber in der Hoffnung auf ein gutes Ende.
Gott repräsentiert das Leben: Die Möglichkeit zur Entwicklung. Dass es weiter geht.
Dass es bei den Versuchen, weiter zu gehen, immer wieder auch Sackgassen gibt.
Sackgassen bis in den Tod.

Aber daneben, und dahinter, oder woanders: Da geht es weiter!
Keine Garantie! Eine Hoffnung.

Menschen mit einer PTBS (oder in einer schweren Depression) verfügen oft nicht mehr über die Fähigkeit, Hoffnungsbilder zu kreieren.
In ausweglosen Situationen ist oft nur die Hoffnung, dass es doch noch einen Ausweg geben wird, das Einzige, was beim Überleben hilft.

Die Auferstehung (Christi) ist immanent eine der unmöglichsten Tatsachen.
Immanent gibt es sie nicht.
Im Glauben an eine Möglichkeit in der Transzendenz entfacht sie eine ungeheure Kraft.
Ohne Garantie.

Zum Teil ist diese Hoffnung, sind diese Hoffnungsbilder ein Geschenk.

Zum Teil ist diese Hoffnung eine eigene Entscheidung.
Es hat etwas von Münchhausen (Sich am eigenen Schopf auf dem Sumpf ziehen), es hat etwas von Schönreden.
Aber ist die Welt nicht oft endlich und traurig und hässlich genug, um sie sich nicht schön zu reden?
Um nicht das Schöne zu genießen und Hoffnungsbilder für sich und die Welt zu entwerfen, daran zu arbeiten, daran zu glauben und Verantwortung zu übernehmen bei der Umsetzung?
Im Extremfall selbst dann, wenn es einen das Leben kostet, damit andere leben können?
Es gibt keine Garantie.

Transzendenz ist die Hoffnung (der Hoffnungsmotor?), Verantwortung zu übernehmen und nicht aufzugeben.
Transzendenz ist Ausdruck des Willens, seine Trauer zu gestalten und nicht darin zu versinken.
Transzendenz ist Ausdruck dessen, sich auf die Offenheit des Lebens einzulassen, zu staunen, selbst auf den Feind noch zugehen zu können und davon zu träumen, mit ihm ohne Rachegedanken noch einmal ein Bier oder einen Wein trinken zu können, weil dann alles gut ist.
Transzendenz ist der Protest gegen die Unbillen des Lebens. Sie können und dürfen nicht das Letzte sein, was bleibt. Transzendenz ist die Liebe, auf den Leidenden zugehen zu können und zu wollen, auf den Fremden, auf den Nächsten.
Transzendenz ist Ausdruck (nicht die Erklärung!) dessen, dass das Leben unfassbar ist, dass Anfang und Ende unfassbar sind.
Vielleicht ist das der Interpretationsfehler des biblischen „Alpha und Omega“, des Anfangs und des Endes, als das Gott gilt: Dass Gott quasi der Garant dessen ist, dass es Anfang und Ende gibt.

In Wirklichkeit ist es eher der Ausdruck dessen, wie unfassbar Anfang und Ende sind: So unfassbar wie Gott.

Transzendenz ist Ausdruck dessen, dass es keine absolute Moral gibt, an die man sich nur zu halten braucht und alles ist richtig. Transzendenz ist Ausdruck unserer (vorhandenen oder nicht vorhandenen?) Entscheidungsfreiheit. Es gibt immer nur die Moral, für die wir uns entscheiden und die wir mit anderen vereinbaren.

Transzendenz ist Ausdruck der Hoffnung, dass all unsere Fehlentscheidungen doch irgendwie zu einem guten Ende führen können.
Vielleicht könnte man auch sagen: Transzendenz ist eine andere Form des: „Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst!“ Machen wir das Beste daraus.

Das Beste daraus machen kann man wahrscheinlich nur mit Methoden der Immanenz: Verstehen wollen, Begründungen finden, Zusammenhänge suchen, sich daran orientieren. Aber all das nimmt uns nicht die Frage ab, wie wir uns im richtigen Moment richtig entscheiden. Entscheiden müssen wir uns selbst. Das ist nicht leicht. Das kann überfordern und „an die Grenzen bringen“.

Transzendenz ist Ausdruck einer Geborgenheit: Ich lasse mich drauf ein, ich mach es.

Transzendenz kann missbraucht werden. Transzendenz kann man missbrauchen.
Um andere zu unterwerfen und gefügig und abhängig zu machen.
Um eine Absolutheit zu behaupten, der sich alle anderen unter zu ordnen haben.
Da gilt es zu widerstehen, da gilt es, die Transzendenz offen zu halten.
Offen wie jenen Gott, der immer erst der sein wird, als der er sich erweisen wird.
Offen für eigene Entscheidungen.
Offen für das Leben, das bringen wird, was es bringt. Irgendwann nicht nur den Tod, sondern auch das „danach“.

Was immer das sein wird.

Transzendenz ist Ausdruck des Willens, nicht hoffnungslos leben zu wollen.

P.S.: Man merkt, dass ich eine gewisse hoffnungsvolle Biographie durchlaufen habe. Andere mögen Transzendenz als Ausdruck der Hoffnung auf Rache verstehen. Das wäre eine andere Entscheidung.
Wieder andere sehen in der Transzendenz die Möglichkeit, Absolutheit zu garantieren, die es in der Immananz nicht gibt. Auch das wäre eine andere Entscheidung. Aber beides sind nicht meine Entscheidungen.




Danke für das Gespräch, dass zu diesen Gedanken anregte.

Transzendenz – Worauf bezeiehn sich religiöse Aussagen?
Der Humanist und Physiker Helmut Fink und der Theologe Frank Vogelsang im Gespräch


„Auge um Auge“ – Was es wirklich bedeutet – und was nicht…

Immer wieder trifft man auf diese Worte aus dem Alten Testament.
Und es scheint so, als ginge es um einen rächenden und brutalen Gott des Judentums, dem die Christen die Botschaft der Feindesliebe entgegengesetzt haben.
Dabei gibt es die Feindesliebe in sehr konkreter Form schon im Alten Testament. Und die Zeiten, in denen das „Auge um Auge“ als „nur“ ein Auge für ein Auge die Blutrache begrenzen sollte, liegen schon lange zurück.
Zu den Zeiten, in denen das Alte Testament zusammen gestellt wurde, geht es um einen gerechten Ausgleich für das ausgeschlagene Auge, der von den Richtern im Tor des Ortes festgelegt werden soll. Was nutzt es dem Geschädigten, wenn der andere auch nicht mehr sieht? Der Geschädigte braucht eine ganz andere Form der Unterstützung und Hilfestellung.
Warum das so ist, erklärt Professor Vetter in seinem hier verlinkten Aufsatz:
Das „um“ wird sonst in der Bibel nämlich zu Recht mit „anstelle von“ übersetzt, legt Prof. Vetter überzeugen dar. Lesen Sie hier seine Ausführungen:


https://theopoint.de/wp-content/uploads/Dieter-Vetter-Auge-um-Auge.pdf

Kabarett-Gott ?!

Mit welcher Vorstellung beginne ich, die Bibel zu lesen: jenes schöne Kapitel, mit den Sonne und Mond und den sieben Tagen?

Mit welcher Vorstellung beginne ich, die Bibel zu lesen: jenes schöne Kapitel, mit den Sonne und Mond und den sieben Tagen?

Die Frage ist halt, welches Bild von Gott wir haben wollen:
Ist er eher der Bio- und Erdkundelehrer, der unbedingt die Naturkunde im ersten Kapitel der Bibel unterbringen wollte?
Oder der Sowilehrer?

Oder kann man sich Gott als Kabarett-Texter denken, der einen genialen Text für eine Aufführung in Babylon geschrieben hat?
Und ich sehe die Juden mit trappelnden Füßen vor mir, wie der Vers mit den beiden großen Lampen am Himmel kommt, und sie denken sich in den Applaus hinein, dass es förmlich laut hallt: „Und du, König von Babylon, der du dich für das Ebenbild von Gott Sonne hältst und Schiss hast vor Gott Mond in der Nacht: Du fürchtest dich nur vor einer kleinen Lampe am Himmel. Und Ebenbild bist du … von einer großen Lampe. Herzlichen Glückwunsc h, Du Ebenbild der großen Lampe….“
Und dann kommt die Stelle mit dem „Gott schuf den Menschen zu seinem Ebenbild, männlich ebenso wie weiblich.“
Und den Zuhörerinnen und Zuhörern läuft es erregt den Rücken rauf und runter: Nicht nur der da oben, nein jeder Mensch soll als Ebenbild Gottes gelten.

Und so wurde der Erdkundelehrergott für mich völlig bedeutungslos.

Aber Jesus später, der mit dem „was ihr dem Geringsten (nicht) getan habt, habt ihr mir (nicht) getan“, der von sich als dem „ben Adam“, dem Menschen sprach und vielleicht doch nicht einen Würdetitel im Blick hatte, sondern Gen 1 , dass doch jeder Mensch Ebenbild Gottes sei, eben Mensch, der brachte das wieder in Erinnerung.
Lebt als Ebenbilder Gottes. Mensch sein und Mensch sein lassen…

Ich mag Gott, der Spaß hat an Literatur, an Kabarett, an Humor, an Gedichten und Liebestexten. Der anleitet, zu seinen Gefühlen zu stehen und zu Hasspsalmen. Weil, wenn man es artikulieren kann, vielleicht doch nicht umsetzt.
Weil der Feind doch auch nur ein Ebenbild Gottes ist…
Und so haben wir eine wunderbare Bibel bekommen.
Und kein Bio- oder Erdkundebuch.

Seid barmherzig!

Gedanken zur „Jahreslosung“ 2021 aus Lukas 6,36
„Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“

Gedanken zur Jahreslosung 2021

Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Lukas 6,36

Ein Wort für alle?
Ein Wort zunächst nur für Fromme.
Fromme Menschen nehmen Gott besonders ernst. Gott und seine Gebote. Wie soll man richtig leben? Was tut eine gut?

Da könnte man bei Gott eine ganze Menge lernen. Bis zum letzten i-Punkt. Alles bis ins kleinste geregelt. Einfach nur machen, und alles wird gut.

Aber so einfach ist das nicht. Niemand kann alles richtig machen. Dazu ist das Lenen viel zu komplex. Jeder Mensch macht Fehler. Überhaupt gibt es das Leben nur, weil es auch Fehler gibt. Sagt Lesch, und er hat recht. Ohne Barmherzigkeit wären wir da aufgeschmissen.

Gott, ďer uns geschaffen hat, hat uns genau so geschaffen: lebend. Lernend. Ausprobieren. Fehler machend. Gott kennt uns – und ist barmherzig.

Das tut Gott manchmal ganz schön weh, bei all dem, was wir so verzapfen. Aber er bleibt barmherzig.

Ich muss an jenen Menschen aus dem Wachdienst meiner Kaserne denken.
„Salam aleikum“, beginnt einer von uns beiden. Und der andere antwortet mit: „aleikum salam“. Und ich weiß, dass er fünfmal am Tag zu „Gott dem Barmherzigen“ betet. Unter den 99 muslimischen Gottesnamen der vornehmste. Wenn wir nicht sprechen können oder zu weit entfernt sind, führen wir die Hand aufs Herz. Friede sie mir Dir. Und mit Dir. Gott ist ein barmherziger Gott. Mit tut das gut.

Darf ich das? Sind „sein“ Allah und „mein“ christlicher Gott identisch? Der Mathematiker in mir weiß: Wenn es nur einen Gott gibt, und er glaubt an den einen Gott und ich glaube an den einen Gott, dann müssen wir beide an den identischen Gott glauben. Aber Gott ist ist Gott. Er sieht ihn anders, als ich ihn sehe. Aber beide sehen wir ihn als den barmherzigen Gott.

Fromme Menschen können manchmal so abgrenzend, so unbarmherzig sein. So überheblich über Menschen ohne religiösen Glauben oder anderem Glauben. Dabei findet sich auch dort viel Weisheit und das Bemühen, möglichst heil und friedlich durch das Unheil der Welt zu kommen.

Dementsprechend beginnt die Bibel universell. Die antiken Herrscher hielten sich selbst gerne für Stellvertreter Gottes. Ebenbild von Gott „Sonne“ wollte der König von Babylon sein. Und hatte Angst vor Gott „Mond“ in der Nacht. „Keine Götter“, so beginnt die Bibel, sondern einfach „Lampen am Himmel“. Und Ebenbild Gottes ist jeder Mensch. Männlich wie weiblich, das ist egal. Wenn du an Gott glaubst, dann ist jeder Mensch sein Stellvertreter. Egal ob babylonisch, assyrisch oder jüdisch. Ob muslimisch, christlich, hinduistisch oder atheistisch.

Was bedeutet es, sein Stellvertreter zu sein? Es heißt: Verantwortung zu haben. Es heißt: Selber entscheiden zu müssen. Es bedeutet, dass die Bibel nicht einfach ein Rezeptbuch ist, das einem jede Entscheidung abnimmt. „Lieber Gott, da in der Bibel steht doch, da kann ich mich doch jetzt nicht falsch verhalten haben?“ Doch, kannst Du. Du kannst falsche Entscheidungen treffen. Das gehört dazu, wenn man Mensch ist. Ohne Fehler kein Leben. Und Gott bleibt ein gnädiger Gott. Und er leitet an, auch gegenüber anderen barmherzig zu bleiben, die sich ebenfalls falsch verhalten haben. Die anders glauben. Damit wir miteinander leben können.

Seid barmherzig. Ich hoffe, dass auch Nichtfromme sie diesem Gedanken anschließen können.

Wir müssen uns nicht alles gefallen lassen. Man soll sich auch nicht auf dem Kopf herum tanzen lassen. Manchmal muss man auch auf den Tisch hauen. Manchmal hauen die anderen auf den Tisch. Seid barmherzig. Dann kann man sich gemeinsam an den Tisch setzen.

Ich wünsche ein friedliches 2021. Dass wir am Ende gemeinsam an unserem Tischen sitzen. Nicht nur im Freien. Auch in den Schulen. In den Heimen, an den Arbeitsplätzen.

Und dass wir Gas geben im Blick auf den Klimawandel, im Blick auf Gerechtigkeit in der Welt. Denn auch wenn Gott ein barmherziger Gott ist: Die Folgen des Klimawandels werden wir selber ausbaden. Der Klimawandel ist da anders als der barmherzige Gott. Klimawandel ist stürmisch und unbarmherzig. Man darf das nicht verwechseln.

„Ich glaube. Hilf meinem Unglauben!“

Gedanken zur „Jahreslosung“ 2021 aus Lukas 6,36
„Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“

Gedanken zur Jahreslosung 2020

„Ich glaube. Hilf meinem Unglauben!“ Markus 9,24

Seit dem 16. Juni 2020 bin ich Militärpfarrer am Standort Mayen.

Meine Evangelischen Kirche im Rheinland hat mich für diesen Dienst freigestellt. Ich bin aber froh, immer noch zu meiner Landeskirche zu gehören, in der ich zuletzt im Kirchenkreis Bad Godesberg-Voreifel als „Pfarrer mit Besonderem Auftrag“ in der Altenheim- und Krankenhausseelsorge tätig war.

Die Zeit als Notfallseelsorger im Kriseninterventionsdienst-Team des DRK prägte mich ebenso wie die Aufgabe Sternenkinder zu beerdigen: Kinder, die tot auf die Welt gekommen sind. Unsere Welt ist manchmal ziemlich brutal – auch wenn ich das Privileg genieße, in einer Ecke der Erde zu leben, die seit Jahrzehnten von Wohlstand und Frieden geprägt ist. Für mich bedeutet es, dass ich versuche, dankbar aber auch ehrlich zu predigen – nun auch in der Militärseelsorge.

„Ich glaube!“ Das tun heute viele. Und sie glauben viel zu viel. Glauben ist gar nicht so schwer. Einfach liken und weiterschicken.
Aber kritisch hinterfragen? Nicht sofort weiterschicken, sondern erst einmal kontrollieren, ob die Quelle glaubwürdig ist? Nicht alles für bare Münze nehmen? Was mag dieser Vater des „besessenen“ Jungen nicht alles ausprobiert haben? Wer mag ihm nicht schon alles versprochen haben, er könne seinen Sohn heilen? „Ich glaube doch!“, schreit der Vater. „Den anderen habe ich doch auch geglaubt. Mein Sohn ist immer noch krank. Meine Zweifel gehören zu mir. Du kannst meinem Sohn nur helfen, wenn du mich so nimmst, wie ich bin. Mein Glaube gehört zu mir! Hilf auch meinem Unglauben!“
So lautet einer meiner Versuche, die Jahreslosung zu lesen. Wenn wir alles für bare Münze nehmen, wenn wir uns kritiklos ein X für ein U vormachen lassen, geben wir die Verantwortung ab an irgendwen. Wir übernehmen sie dann jedenfalls nicht mehr. Richard P. Feynman, der großartige Physik-Nobelpreisträger und unbestechliche Wissenschaftler, legte großen Wert darauf, dass es Wissenschaft ohne Zweifel nicht gibt. Und er bewunderte den Glauben, der seiner Meinung nach ohne Zweifel auskäme. Ich möchte ihm widersprechen. Auch der Glaube kommt nicht ohne den Zweifel aus. Nichts an Gott kann ich wissen. Es gibt keinen archimedischen Punkt, von dem aus ich über Gott Sicherheit bekommen kann. Und wenn ich mir besonders sicher scheine, kann ich von Gott besonders weit entfernt sein. Glaube gibt es nicht ohne den Zweifel.
„Hilf meinem Unglauben!“ Dieser Vater hatte etwas begriffen. Wie sein Sohn gesund geworden ist: Ich weiß es nicht. Ich muss das auch nicht wissen. Ich freue mich für die beiden. Und verliere hoffentlich meinen Glauben auch im Auslandseinsatz nicht. „Hilf meinem Unglauben!“

Bernd Kehren,
Militärpfarrer