Taize-Andachten für Demente

Meine Gottesdienste in den Altenheimen werden von mehr oder weniger dementen Menschen besucht. Diese Gottesdienste halte ich relativ klassisch mit lutherisch orientierter gesungener Liturgie:

GottesdienstbesucherInnen ohne Demenz werden durch die Predigt besonders angesprochen, GottesdienstbesucherInnen mit leichter Demenz werden sich zwar nicht mehr an die Predigt erinnern können, aber sie werden merken, dass sie ihnen gut getan hat.

GottesdienstbesucherInnen mit ausgeprägterer Demenz werden von den geprägten Stücken der lutherischen Liturgie angesprochen, die durch vergleichbare Stücke in der katholischen Liturgie in ökumenischer Verbundenheit auch katholischen GottesdienstbesucherInnen vertraut wirkt.

Allerdings ist es organisatorisch nicht zu schaffen, auch jene Bewohnerinnen mit einer ausgeprägteren Demenz in diese Gottesdienste zu bringen. Also muss man sich auf den Weg in die Wohngruppen und in die Zimmer der Bettlägerigen machen.

Angeregt durch einen Artikel von Mechthild Lärm habe ich “Taizé-Andachten” entwickelt, die ich mit meiner Gitarre durch einfache Zupfmuster begleite und mit mehreren ehrenamtlichen Gemeindegliedern gestalte.

Dazu bringe ich Panesamt-Tücher mit und gestalte mit ihnen, mit Kerze und Kreuz sowie Schmucksteinen und Tee-Lichtern eine Mitte. Je nach den Gegebenheiten auf der Station setzen wir uns darum im Kreis, manchmal wird auch nur der Tisch in der Mitte entsprechend gestaltet, und wenn wir anschließend die bettlägerigen Bewohnerinnen und Bewohner in ihren Zimmern besuchen, wird diese Mitte direkt auf einem Tee-Wagen gestaltet.

Eine Verdunklung der Räume wäre in der Regel zu aufwendig, die Andachten sollen bewusst auch organisatorisch einfach gehalten werden.

Der Zielgedanke war, diese Andachten so zu gestalten, dass möglichst viele Sinne angesprochen werden. Darum verwende ich besonders als optischen Reiz gerne das leuchtend rote Tuch, auch wenn vom Kirchenjahr her eher “grün” angesagt wäre. Aber auch die Tücher in den gedeckteren Farben zeigen an, dass jetzt der gewohnte Alltag unterbrochen wird. Unterstützt wird der optische Impuls durch Kerze und Teelichter und die übrigen Materialien.

Der akustische Reiz geschieht durch die Lieder. Zwar sind die Lieder aus Taizé den Bewohnerinnen und Bewohnern in der Regel nicht bekannt. Durch die mehrfachen Wiederholen wirken sie aber sehr beruhigend, wie das Pflegepersonal immer wieder neu feststellt.

Dennoch fühlte ich mich schon nach wenigen Andachten nicht wohl damit, nur fremde Gesänge zu präsentieren. So wurden die Lieder aus Taizé durch möglichst ökumenisch bekannte alte Kirchenlieder und weiterhin speziell durch Abendlieder ergänzt. Letztere sind offenbar dadurch sehr gut im Gedächtnis verankert, dass sie in der Kindheit immer wieder gesungen wurden. Auch wenn die Andachten in der Regel nicht abends stattfinden, passen sie durch ihre Abschiedssymbolik immer wieder auch gut zu den Gedanken um Hohes Alter, Tod und Sterben. Reine Volkslieder, auch wenn sie sehr gut bekannt sind, wollte ich in diesen geistlich geprägten Minuten nicht singen.

Auch wenn meine Altenheim-Gottesdienste in der Regel durch Glockengeläut vom MP3-Player eingeläutet werden, beginne ich die Taize-Andachten nicht mit Geläut, sondern durch eine Begrüßung mit einer kurzen Erläuterung.

Leider war ich selber noch nie in Taizé, aber einzelne Lieder sind mir in der Gemeinde immer wieder begegnet. Sie liegen daher auch der Auswahl zugrunde. Um nicht unnötige Irritationen dadurch zu erzeugen, dass unbekannte Lieder in einer fremden Sprache gesungen werden, wird bei allen Lieder der deutsche Texte verwendet. Vor kurzem habe ich allerdings gelesen, dass gerade katholische demente Menschen erstaunlich gut auf ihnen aus der Kindheit bekannte lateinische Texte reagieren, aber ich habe dies noch nicht bewusst vergleichen können.

Somit werden bereits die Sinne “Hören” und “Sehen” angesprochen. Gegen Ende der Andacht wird das Lied “Bleib mit deiner Gnade bei uns” gesungen. Während dieses Liedes werden reihum jedem Anwesenden die Handflächen mit einem kleinen Kreuz gesalbt. Ich habe dazu auf der Basis von naturgepresstem Olivenöl mit einigen Tropfen Lavendelöl ein Duftöl zubereitet, mit dessen Hilfe auch die Sinne “Riechen” und “Spüren/Fühlen” angesprochen werden.

Bei mir hat sich folgender Ablauf herausgebildet
(Nummern aus dem Evangelischen Gesangbuch,
Ausgabe Rheinland-Westfalen-Lippe):

  • „Im Namen des Vaters…“
  • Lobt Gott, ihr Völker alle (Laudate omnes gentes – EG 181.6)
  • Lesung: Ps 95,1+2
    1 Kommt herzu, lasst uns dem HERRN frohlocken
    und jauchzen dem Hort unsres Heils!
    2 Lasst uns mit Danken vor sein Angesicht kommen
    und mit Psalmen ihm jauchzen!
    Freuet euch im Herrn (EG-RWL 579)
  • Lesung
    Mt 5,2-9 (Seligpreisungen)
    oder 1. Kor 13,2+13 (Hoheslied der Liebe)
  • Wo die Liebe wohnt (ubi caritas – EG-RWL 587)
  • Unsere Augen sehn stets auf den Herren (oculi nostri – EG-RWL 582)
  • Heilig, Heilige Herr Gott Zebaoth (sanctus – EG-RWL 583)

Bekannte Kirchenlieder:

  • Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren (EG 317,1+2+5)
  • Nun danket alle Gott (EG 321)
  • So nimm denn meine Hände (EG 376)
  • Großer Gott, wir loben dich (EG 331,1+2+11)
  • Geh aus, mein Herz (EG 503, 1+2+8)
  • Befiehl du deine Wege (EG 361, 1+2+12)
    (12 singe ich besonders gerne bei reaktionsarmen bettlägerigen Patienten)

Aus der Kinderzeit sind viele Abendlieder bekannt:

  • Nun wollen wir singen das Abendlied (EG-RWL 684)
  • Abend ward, bald kommt die Nacht (EG 487)
  • Der Mond ist aufgegangen (EG 482,1-3+7)
  • Nun ruhen alle Wälder (EG 477, 1+3+5)
  • Weißt du, wieviel Sternlein stehen (EG 511)
  • Guten Abend, gut Nacht (?)

Die Reihenfolge behalte ich immer bei, aber die Auswahl erfolgt relativ spontan. Ich habe mir für den Eigenbedarf mithilfe des Elektronischen Gesangbuches einige Liedheftchen zusammen gestellt, in dem ich während des Weiterblätterns aussuche.

  • Hieran schließt sich eine Salbung an mit Olivenöl und Lavendelduft, und zwar zum Lied:
    Bleib mit deiner Gnade bei uns (EG-RWL 586)
    Dazu werden die Hände mit einem kleinen Kreuz gesalbt. Das Lied wird so
    lange wiederholt, bis alle die Salbung erhalten haben.
    Meine Erfahrung ist: Gerade weil diese Salbung so unspektakulär “inszeniert” ist, wird sie so gut angenommen.
  • Fürbittengebet zu „Kyrie, Kyrie eleison“ (EG 187.12)
  • Vaterunser
  • Trinitarischer Segen
  • Geh’n wir in Frieden den Weg, den wir gekommen. (EG Oldenburg 560)

Eine Predigt gibt es nicht oder allenfalls rudimentär und ganz spontan aus der Situation heraus.

Die Mitarbeitenden reagieren ganz unterschiedlich. Manche sehen es als Chance und sehen zu, dass möglichst viele Menschen kommen können. Andere nutzen es als Ruhephase. In einem der Häuer habe ich Frauen gefunden, die sogar eine Oberstimme begleitend singen können. Ich habe die Andacht aber auch schon ganz alleine gehalten. Ich zupfe die Gitarre mit einfachen Zupfmustern. Bin ich alleine, singe ich „Bleib mit deiner Gnade bei uns“ ohne Gitarrenbegleitung und salbe selber.

Haben wir für die Andacht einen Teewagen gestaltet, dann gehen wir im Anschluss an diese Andacht durch die Zimmer zu den Bettlägerigen, singen eines der Lieder und das „Bleib mit deiner Gnade bei uns“ und salben bei letzterem den Pflegebedürftigen die Handflächen.

Altenheim-Gottesdienste

Predigten aus dem Altenheim finden Sie hier keine. Das liegt einfach daran, dass ich diese Predigten so gut wie alle frei halte und daher keine fertigen Texte habe, die ich ins Internet setzen könnte.

Zur Zeit [Anmerkung: Dieser Text entstand ca. 2009] feiere ich zwei Arten von Gottesdiensten:

  • Taize-Andachten für Menschen mit einer Demenz
  • Etwas gekürzte Abendmahlsgottesdienste mit vielen traditionellen, auch gesungenen liturgischen Anteilen.

Taize-Andachten

Diese Andachten werden mit einigen Ehrenamtlichen und Pflegenden für die schwerer dementen Bewohnerinnen und Bewohner gehalten. Sie haben einen relativ festen Ablauf und dauern etwa 20 bis 25 Minuten. In den Wohngruppen wird ein Tisch mit Tüchern, Kerzen, einem Kreuz und Dekomaterial festlich gestaltet. Die Wiederholungen der Taize-Lieder tun den Menschen – Bewohnern wie Pflegenden – sichtlich gut. Bei einem der Lieder wird der Handrücken gesalbt: Es ist ein Gottesdienst für alle Sinne: Hören, Sehen, Riechen, Hautkontakt spüren.

Als Pfarrer oder Pastor habe ich vor allem gelernt, mit Worten umzugehen und zu predigen. In den Taize-Andachten geht es um eine Form der Kommunikation, die viel mehr das Gefühl anspricht: Das ist die Ebene, auf der Menschen mit einer Demenz sehr gut kommunizieren können. Angeregt zu dieser Form der Gottesdienste wurde ich von Mechthild Lärm. Ehrenamtliche Besucherinnen und Besucher singen und gestalten die Andacht mit, bei der die Lieder mit der Konzertgitarre und nach Möglichkeit weiteren Instrumenten begleitet werden. Auf diese Weise haben sie auch einen leichteren Zugang zu einer für Außenstehende manchmal auch sehr belastenden Situation im Altenheim.

Nicht zuletzt tut diese Form auch den Mitarbeitenden gut, die ihre Bewohnerinnen und Bewohner in dieser Andacht begleiten.

Abendmahlsgottesdienste

Sie bestehen aus möglichst vielen alten bekannten Elementen.

Begrüßung, Lied, Psalm 23 mit gesungenem “Ehr sei dem Vater und dem Sohn…” freiem Tagesgebet, Glaubensbekenntnis, Lied, Predigt, Lied, Abendmahl mit vielen gesungenen Teilen, Einzelsegnung, Segen, “Großer Gott, wir loben dich”.

Selber würde ich gerne etwas mehr modifizieren, aber die alten Texte bieten den Gottesdienstbesuchern ein wichtiges Stück “Heimat”. Seit den Erfahrungen mit den Taize-Andachten begleite ich die Gottesdienste auch nicht mehr mit der Schlaggitarre, sondern mit der Konzertgitarre und einem einfachen Zupfmuster. (Nur In einem meiner Heime wird der Gottesdienst von einem Pianisten begleitet.)

Für die Predigten versuche ich nach Möglichkeit, ein kleines Stück Anschauungsmaterial mitzubringen: Eine Postkarte (die man dann auch mit auf das Zimmer nehmen kann), eine Handpuppe oder auch eine der Erzählfiguren aus dem Bistum Aachen, weil man mit ihnen so gut Gefühle ausdrücken kann. Weihnachten 2005 hatte ich für jeden einen kleinen Esel aus gedrechselten ”Reifentieren” aus dem Erzgebirge mitgebracht, und noch heute finde ich das kleine Tier auf vielen Nachtschränken in den Zimmern liegen. Dank Laserdrucker und Elektronischem Gesangbuch kann ich schnell und unkompliziert die Liedtexte in extrem großer Schrift abdrucken, so dass auch Menschen mit stärkerer Sehbehinderung die Worte noch entziffern können. An hohen Feiertagen benutze ich “Gemeindebrief-Mantelbögen”, um darauf die Liedtexte zu drucken. So haben die Besucherinnen und Besucher ein dem Feiertag angemessenens “Mitbringsel”, das oftmals noch lange Zeit aufgehoben wird.

Die frohe Botschaft des Evangeliums soll den zuhörenden Menschen in ihrer Alters- und Heimsituation gepredigt werden. Sie sollen nicht allein bleiben, wenn sie Bilanz ziehen und hoffnungsvoll in die Zukunft, nicht mehr in die ferne Zukunft, sondern auf die nächsten Monate oder auch immer nur auf die nächsten Tage (vgl. Ursula Schmitt-Pridik, Hoffnungsvolles Altern – Gerontologische Bibelauslegung, Neukirchen 2003). Einige haben sicherlich aufgrund von Alzheimer oder einer anderen Form von Demenz schon am Ende des Gottesdienstes vergessen, wovon die Predigt handelt. Aber in ihrem emotionalen Gedächtnis bleibt diesen Menschen das Gespür für die Atmosphäre in ihrem Gottesdienst und sie merken (und sagen das auch), dass sie einen schönen Gottesdienst erlebt haben.

Die Form der Einzelsegnung habe ich erst nach meiner Einführung in den Dienst als Altenheimseelsorger in Bad Münstereifel kennengelernt. Für einige der Gottesdienstbesucher ist dies die dichteste Form der Feier, fast noch wichtiger als das Abendmahl. Zu Beginn habe ich mit Händeauflegen gesegnet. Allerdings ist dies bei durchgängig sitzenden Menschen immer “von oben herab”. Seit einiger Zeit habe ich von einem Kollegen eine Form “auf Augenhöhe” übernommen: Ich gehe vor dem sitzendenden Bewohner oder der Bewohnerin in die Hocke und halte nun seine Hände. Wer möchte, bleibt mit dem Segnenden in Augenkontakt, und wer die Situation nicht versteht, hat dem Pastor einfach die Hand gegeben. Der Segensspruch greift meistens einen Gedanken der Predigt auf und endet mit der trinitarischen Form. Im Ostergottesdienst lautete er zum Beispiel: “Jesus spricht: Ich lebe und du sollst auch leben. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.”

Das Abendmahl gestalte ich als Intinctio. Einzelkelche sind bei einem Dienst in fünf verschiedenen Heimen relativ unpraktisch. Am liebsten hätte ich den Gemeinschaftskelch, aber das lässt sich im Heim aus hygienischen Gründen schlecht realisieren. Aber in jedem Gottesdienst findet sich ein Besucher oder Helfer, der noch gut zu Fuß ist und den Kelch tragen kann, in den ich dann die Oblate tauche.