Gerade werden die Zahlen für das erste Quartal 2018 veröffentlicht.
In der Pressemitteilung Nr. 207 vom 13.06.2018 des statistischen Bundesamtes heißt es: „Im ersten Quartal 2018 wurden rund 27 200 Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland gemeldet. Wie das Statistische Bundesamt weiter mitteilt, waren das 2,2 % mehr als im entsprechenden Vorjahreszeitraum.“
Die einen beklagen die Zunahme, andere weisen darauf hin, das die Geburten aber um etwa 7 % zugenommen hätten. Anteilmäßig hätten die Abtreibungen aber abgenommen.
Zu meinen eigenen beruflichen Aufgaben gehört es, die Sammelbestattungen der Tot- und Fehlgeburten eines Krankenhauses zu gestalten. Daher weiß ich, dass Fehlgeburten gar nicht so selten sind. Aber wie verhalten sich die Zahlen zueinander?
Für das Jahr 2016 liegen vergleichbare Zahlen vor.
Lebendgeborene: 792 131 Totgeborene: 2 914 Abtreibungen: 89 721
Summe: 893 766
„Man schätzt, dass dreißig, vielleicht sogar bis zu vierzig Prozent aller Schwangerschaften in den ersten zwölf Wochen in einem Abort enden“, sagt Christian Albring, Vorsitzender des Berufsverbands der Frauenärzte. (www.welt.de, abgerufen am 22.6.2018) Es gibt andere Schätzungen, die liegen doppelt so hoch. Geht man also davon aus, dass 70 Prozent der Schwangerschaften diesen Punkt erreichen, dann wären das im Jahr 2016 ca. 894000 Schwangerschaften gewesen. Dann müssten die übrigen 30 Prozent etwa 383 000 Aborten, also Fehlgeburten in den ersten 12 Schwangerschaftswochen entsprechen.
Diese Zahlen von 2016 sollte man noch einmal gegenüber stellen:
Lebendgeburten: 792 000 Abtreibungen: 90 000 Aborte: 383 000
Ich stehe auf dem ethischen Standpunkt, dass Abtreibungen möglichst vermieden werden sollten. Allerdings kann man das werdende Leben nur mit der Mutter schützen und nicht gegen sie. Die deutsche Beratungsregel scheint mir in diesem Zusammenhang eine der besten Lösungen der Welt zu sein.
Dennoch machen mich diese Zahlen nachdenklich. Manche Abtreibungsgegner fordern, dass der Staat jedes werdende Leben schützen müsse. Aber ein Drittel aller Schwangerschaften kann der Staat schon allein deswegen nicht schützen, weil dieses Leben auf natürlichem Wege ein trauriges Ende nimmt, ca. 383 000-mal im Jahr 2016. Manche Mutter hat es für eine verspätete Regelblutung gehalten. In vielen Fällen hatten die Eltern aber bereits das schlagende Herz auf dem Ultraschall sehen können. Ich erlebe immer wieder die Trauer mit, wenn dieses winzige Herz zu schlagen aufhörte und die Hoffnung der werdenden Eltern zerstörte. Es gibt viel mehr betroffene Eltern als man denkt. Man sollte um diese immense Zahl wissen, damit man sich nicht so einsam fühlt, wenn man selber betroffen ist.
Andererseits: Das ist mehr als das Vierfache der Zahl, mit der die Abtreibungen beziffert werden.
Was bedeutet das für die ethische Debatte um die Abtreibungen? Wenn ich mit Beraterinnen aus der Schwangerschaftskonfliktberatung spreche, sagen sie alle: Keine Frau treibt leichtfertig ab.
An dieser Stelle: Den Vergleich mit der Judenvernichtung oder dem Euthanasieprogramm der Nazi halte ich für infam. Im Blick auf die Abtreibungen gibt es keinerlei Bestrebung, Frauen massenweise zu einer Abtreibung zu veranlassen. Es gibt in Deutschland kein staatliches Programm, um massenweise Kinder abzutreiben. Hinter jeder Abtreibung steht eine einzelne Frau, die sich selber nicht in der Lage sieht, die Schwangerschaft auszutragen, aus welchen Gründen auch immer. Sie sieht für sich in diesem Augenblick keine andere Möglichkeit als den Schwangerschaftsabbruch. Das ist schwer genug.
Dennoch ist jede Abbtreibung eine zu viel. Allerdings erscheint mir die Problematik in einem anderen Licht, wenn ich die Zahl der Abtreibungen mit der Zahl der Aborte in den ersten 12 Schwangerschaftswochen vergleiche. Viermal mehr Schwangerschaften enden durch einen solchen Abort. So brutal ist die Natur. Als frommer Mensch sage ich: Da verstehe ich meinen „lieben“ Gott nicht mehr.
Habe ich mich verrechnet? Mir erscheint die Zahl als sehr hoch. Aber es scheint mir, als könne man mit dieser Zahl im Hinterkopf etwas gelassener in die Diskussion um Abtreibungen gehen. Wir können nicht jedes lebende Leben retten. In manchen Fällen wird es auch besser sein, dass man es nicht retten kann, angesichts dessen, was es in seinem irdischen Leben hätte erdulden müssen. Wer einmal das Leid miterlebt hat, das die Eltern eines Kindes durchmachen, das völlig gesund war und wegen eines Knotens in der Nabelschnur nur tot zur Welt kam, der wird auch angesichts der Zahl der Abtreibungen nicht gleichgültig werden. Aber er wird anders auf die Not der Schwangeren blicken können, die sich zu diesem Schritt entscheiden. Er oder sie wird nicht zu haltlosen „Fetizid“-Vorwürfen greifen müssen. Und sie wird betroffenen Frauen und Paaren anders zur Seite stehen können.