Wie lange darf ich trauern?

Wie lange darf ich trauern?

Die Hinterbliebenen trauern. Ein geliebter Mensch ist gestorben. Er fehlt. Tränen kommen. Manchmal auch Aggressionen, die man so nicht kannte. Trauer hat ganz viele Gesichter. Freunde, Nachbarn und Angehörige nehmen gerne eine ganze Zeit lang Rücksicht.

Und doch kommt irgendwann die Frage: „Hört das denn nie auf mit der Trauer?“
Manchmal man sich mit dieser Frage auch selber unter Druck.

Ich frage manchmal zurück: „Willst du wirklich, dass die Trauer aufhört?“

Trauer kann als unangenehm empfunden werden. Man teilte so viele gemeinsame Erinnerungen. Nun ist man mit diesen Erinnerungen allein. Weil das wehtut, möchte man, dass die Trauer endet. Aber andererseits kann und will man auf diese Erinnerungen nicht verzichten. Man erinnert sich doch gern an diesen Menschen. Ihn zu vergessen kommt gar nicht infrage.

Genau darin besteht das Problem: Man will einen geliebten Menschen nicht vergessen. Aber die Trauer hätte nur dann ein Ende, wenn genau das passierte: Zwei widersprüchliche Wünsche, die einen innerlich zerreißen.

Wie wäre es, wenn Sie Tränen nicht negativ als Kontrollverlust verstehen, gegen den man sich wehrt, sondern positiv als etwas Verbindendes. Der Tod konnte mir diesen Menschen nehmen, aber die Tränen kann er mir nicht nehmen. Sie sind und bleiben etwas, das mich mit einem geliebten Menschen verbindet. Und mit den Tränen freue ich mich über gute Erinnerungen.

Darüber hinaus sollte man sich die Erlaubnis geben, neue Erfahrungen zu machen. Welcher Verstorbene würde wollen, dass wir in Trauer versinken und uns nicht mehr des Lebens freuen?! Sagen unsere Verstorbenen uns nicht: „Geh auf andere Menschen zu!“ Oder: „Lass die Sonne in Dein Herz!“

Je mehr wir neue gute Erfahrungen zulassen oder aktiv auf sie zugehen, desto weniger tut die Trauer weh. Die Trauer muss sich dann den Platz mit anderen guten Gefühlen teilen. Sie kann dann zu einem guten Teil unserer Erinnerungen werden. Und in Gedanken können wir dem sagen, um den wir trauern: „Freust Du Dich mit mir darüber, wie gut es mir gerade geht?“

Ich wünsche Ihnen, dass sie einen guten Zugang zu Ihrer Trauer finden.

Bernd Kehren
2. Vorsitzender von NEST e. V.
www.nest-euskirchen.de