Vaterunser für Mitarbeitende im Kriseninterventionsdienst

Vater unser im Himmel.
Wir wären auch gerne dort. Im Himmel:
Denn dort gibt es kein Leid, keine Not, keine Tränen.
Außer bei Dir. Wenn Du siehst, was hier passiert.
Was Menschen aushalten müssen.

Geheiligt werde dein Name.
Welchen Namen auch immer wir Dir geben.
Wie immer wir an Dich glauben.

Dein Reich komme.
Das wünschen wir uns.
Kein Leid, keine Not, keine Unfälle, kein Abschied.

Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.
Manchmal würden wir uns schon wünschen,
dass etwas mehr Dein Wille geschähe.
Zu viel Leid ist in der Welt, und wir verstehen es nicht.
Und doch bleibt die Hoffnung, dass es ein gutes Ende nehmen wird.

Unser tägliches Brot gib uns heute.
… damit wir uns stärken lassen können:
uns und unsere Seele.
Für die Menschen, die für uns da sind und für die wir da sind. Und für den nächsten Einsatz, der vor uns liegt.

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Denn davor haben wir Angst: Etwas falsch zu machen in einem Einsatz. Schuldig zu werden an denen, für die wir da sein wollen. Und an denen, mit denen wir in den Einsatz gehen.
Hilf uns, mit Schuld gut umzugehen.
Mit Liebe zu uns, zu den anderen Einsatzkräften, zu den Menschen, denen wir in unserer Arbeit begegnen.

Und führe uns nicht in Versuchung,
in die Versuchung, Sensationen zu suchen.
oder in die Versuchung, alles lösen und heilen und schaffen zu wollen.

sondern erlöse uns von dem Bösen.
Uns und die vielen Menschen, denen wir lieber nicht begegnen würden.
Denn erlöst von dem Bösen gäbe es keine Einsätze mehr.
Und das wäre gut so.
Für uns und für die anderen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Es ist gut, trotz allem Leids darauf vertrauen zu können, dass es ein gutes Ende nehmen wird.
Und wenn es noch nicht gut ist, dann ist es auch noch nicht das Ende.

Amen.

Emmaus – Massenanfall von Verletzten?

Dialogpredig über die Emmaus-Geschichte (Lukas 24,13-25) im Gottesdienst am 29.11.2008 im Rotkreuz-Kreisverband Euskirchen aus Anlass der Überreichung von Teddys für Kinder in Notlagen an den Rettungsdienst im Kreis Euskirchen und aus Anlass von acht Jahren Kriseninterventionsdienst, „KID“, des Roten Kreuzes im Kreis Euskirchen

In der Lesung geht es um die beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus. Jesus ist gekreuzigt, es gibt Berichte, er sei auferstanden. Erschüttert sind die beiden auf dem Weg und finden einen tröstenden Begleiter.

Die Dialogpredigt betrachtet diese Emmaus-Geschichte aus der Sicht eines Mitarbeiters im Kriseninterventionsdienst.

(Link zum Bibeltext: https://www.bibleserver.com/text/LUT/Lukas24,13-35)

Bernd           

Eine riesige Katastrophe ist eingetreten. Nicht gerade ein Massenanfall von Verletzten, eigentlich waren es nur drei, zwei Verbrecher und ein Unschuldiger. Aber gerade dieser gewaltsame Tod  des einen unschuldigen Menschen hat viele Menschen ratlos zurückgelassen. Jesus ist am Kreuz gestorben. Für seine Freunde und Anhänger ist eine ganze Welt zusammengebrochen.

Winfried

Was ist eigentlich eine Verletzung, ein Trauma? Ich meine: Muss da immer Blut geflossen sein? Geht es da nur um Tote und körperlich Schwerverletzte? Oder kann nicht auch die Seele schwer traumatisiert werden?
Die Rettungsdienste sind ja gut vorbereitet, um Verletzungen zu erkennen, die Situation zu stabilisieren, zu verbinden usw. Aber was ist, wenn äußerlich nichts zu erkennen ist? Wenn nichts gebrochen ist, wenn kein Blut fließt? Wenn keine Schockreaktionen zu beobachten sind?

Bernd

Du meinst: Diese beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus unterhalten sich vielleicht über einen Massenanfall von Verletzten – aber die Menschen sind nicht körperlich, sondern seelisch verletzt? Weil so viele Menschen diesem Jesus vertraut hatten, weil so viele Menschen gehofft hatten, dass er dem Leben einen neuen Sinn geben wird!

Winfried

Sie hofften nicht nur, dass die Römer, also die Besatzungsmacht, endlich wieder rausgeschmissen werden. Man muss sich das mal überlegen: Seit über 300 Jahren fremde Soldaten im Land, erst Griechen, dann Römer, und dann kommt jemand, der immer wieder davon spricht: Es wird alles gut. Gottes Reich ist ganz nahe. Bald kommt Gott!

Bernd

Und dann, plötzlich, unerwartet, zwar angekündigt, aber doch unerwartet: Jesus wird plötzlich verhaftet, es gibt einen kurzen Prozess, einen grausamen Tod. Für seine Anhänger bricht eine Welt zusammen. Auch wenn sie selber körperlich nicht leiden mussten: Für sie bricht eine ganze Weltanschauung zusammen. Ihre Welt ist aus den Fugen. Einer stirbt am Kreuz, aber Hunderte sind traumatisiert.

Winfried

Sagen wir mal so: Wenn Menschen ein Trauma erleiden, versuchen sie auch, irgendwie damit umzugehen. Ihre Stressreaktionen sind ganz normal, weil die Situation, in der sie steckten, nicht normal war. Die meisten kommen da über die Zeit ganz heil aus der Situation heraus. Wie wird es den Emmaus-Jüngern gehen, und wie gehen die beiden mit der Situation um?

Bernd

Es ist wirklich spannend: Traumatisierte Menschen haben viele Reserven und Ressourcen, die ihnen bei der Bewältigung helfen können. Die beiden hier machen sich zu Fuß auf den Weg. Körperliche Betätigung ist nicht die schlechteste Taktik. Vor allem, wenn sie vom Ort des Geschehens weg führt. Ohne dass sie es wissen, arbeiten sie im Grunde den ersten Punkt des sogenannten SAFER-Modells ab: Sie begeben sich in Sicherheit, sie entfernen sich vom Ort der Verletzung.

Winfried

Und sie sprechen miteinander. Es ist so eine große Chance, wenn man nicht im Schweigen verharrt, sondern sich das von der Seele spricht, was einen bedrückt. Vielleicht wissen beide keinen Ausweg, sie finden keine Lösung, aber das macht nichts. Wichtig ist, dass sie sprechen und sich erinnern: So haben wir es erlebt. Das ist uns passiert. Sprechen hilft. Damit setzen sie instinktiv den zweiten Punkt des Safer-Modells um, nach dem das KID-Team immer wieder erfolgreich arbeitet: Sie drücken ihre Gefühle aus und erzählen, was passiert ist. Es ist eine Katastrophe, das kann gar nicht bestritten werden.

Bernd

Durch einen KID-oder Notfallseelsorge-Einsatz wird das Gespräch nicht überflüssig. Im Gegenteil: Das KID-Team wird versuchen, Freunde, Nachbarn und Verwandte einzubeziehen. Wenn das persönliche Umfeld aktiviert worden ist, dann verabschiedet sich das KID-Team auch wieder. Wenn es gelingt, dass traumatisierte Menschen sprechen und jemanden finden, der ihnen einfach zuhört, dann ist schon ein großes Stück Arbeit gelungen.

Winfried

Bis hierher passiert mit den Emmaus-Jüngern schon eine Menge, was im KID-Einsatz zum Tragen kommt. Und jetzt kommt ein Dritter hinzu. Der Bibelleser weiß, es handelt sich um Jesus, aber die beiden wissen es nicht. Für sie ist er ein Fremder. Sie haben ihn noch nie gesehen, wahrscheinlich werden sie sich auch nicht wieder begegnen, nur eine ganz kurze Zeit sind sie zusammen. Und doch passiert Entscheidendes.

Bernd

Die neue Person kommt mir vor wie eine KID-Einsatzkraft. Blitzschnell checkt sie die Situation ab, Sicherheit ist gegeben, die Krise muss man anerkennen, das geht gar nicht anders, aber offenbar verstehen die beiden noch gar nicht richtig, was los ist. Die dritte Phase des Safer-Modells beginnt. Der Fremde fragt, und er erläutert. Für die Jünger, aber auch für Menschen in einer solchen Situation ist es eine Hilfe, dass sie verstehen, was passiert ist.

Winfried

Ob der Fremde an der Seite der Emmaus-Jünger dann auch die vierte Phase des Safer-Modells abgearbeitet hat? Hier geht es darum, Strategien zu entwickeln, wie man mit der Situation umgehen kann. Hier geht es darum, die Stressreaktionen zu erläutern und zu wissen: Diese Reaktionen sind normal. Erst wenn sie zu lange anhalten, wird man weitere professionelle Hilfe brauchen.

Bernd

Die letzte Phase im Safer-Modell ist der Versuch, zur Rückkehr in die eigene Realität überzuleiten. Wir sollten sicher nicht zu viel in die Emmaus-Geschichte hineininterpretieren. Aber hat der Fremde das mit dem Brot nicht geschickt gemacht? Ich glaube, hier endet unser Versuch, aus der Emmaus-Geschichte einen KID-Einsatz herauszulesen. Aber ich finde es spannend, diese altbekannte Geschichte einmal aus der Sicht von Menschen zu sehen, die versuchen, anderen beizustehen, die in eine traumatisierende Situation geraten sind.

Winfried

Denn jeder kann in eine solche Situation kommen, gerade auch Einsatzkräfte.
Wir sind hier, weil wir als Mitarbeiter in der Krisenintervention und als Mitarbeiter im Rettungsdienst anderen Menschen professionell helfen wollen. Wir versuchen unser Bestes. Wir versuchen selber, heil aus Situationen herauszukommen, die belastend sind. Vielleicht ist es da gut, wenn wir in diesem Fremden aus der Emmaus-Geschichte ein KID-Mitglied sehen, das für jeden von uns da ist.

Bernd

Als Bibelleser wissen wir ja: Dieser Fremde ist Jesus, dieser Fremde ist jener, der immer gepredigt hat: Gott ist Euch ganz nahe.
Das könnte bedeuten: Seid vorsichtig, fahrt nicht zu schnell, sonst ist Euch Gott schnell näher, als Euch lieb ist, und Ihr macht Mtarbeitende im Rettungsdienst unglücklich, die Euch und andere, die Ihr mitgefährdet habt, wieder zusammensammeln müssen.

Winfried

Jesus hat immer wieder gepredigt: Gott ist Euch ganz nahe. Das kann man ermahnend hören oder drohend, aber eben auch ermutigend: Ihr kommt in Eurem Dienst immer wieder in belastende Situation, und auch da ist Gott ganz in Eurer Nähe. Vielleicht merkt Ihr das nicht, wie auch die Emmaus-Jünger das nicht sofort merkten. Es geht ihnen erst im Nachhinein auf, dass ihnen jemand beigestanden hat. Aber dieser eine war dabei.
Und es tut gut zu wissen, dass Gott selber immer in der Nähe ist, dann, wenn ein Einsatz zu einem guten Ende kommt, aber auch dann, wenn der Einsatz nicht den gewünschten Erfolg hatte.

Bernd

Gott steht auch dem bei, dem wir nicht mehr helfen können. An Gott können wir getrost den Einsatz übergeben. Aber Gott steht auch uns bei, wenn wir mitten im Einsatz stecken. Er ist einfach da, das tut uns gut, dafür wollen wir mit diesem Gottesdienst danken.

Winfried

Acht Jahre gibt es nun das KID-Team, es hat sich ausbilden lassen, damit Rettungskräfte einen Ansprechpartner haben, wenn sie durch einen belastenden Einsatz hindurch mussten. Inzwischen sind ganz viele Einsätze hinzugekommen, in denen es gut für die Rettungskräfte ist, dass sie vor Ort den Einsatz an das KID-Team weitergeben konnten, weil der nächste Einsatz ruft, aber noch Menschen da sind, die mit der Situation noch nicht fertig werden.

Bernd

So danken wir Gott für die gute Zusammenarbeit zum Wohl der Menschen.
Ein letzter Gedanke noch: Für die Emmaus-Jünger war der Mensch zunächst ein Fremder.
Für die Menschen, denen wir im Einsatz helfen, sind wir Fremde.
Im Nachhinein merkten die Jünger: Als dieser Fremde bei uns war, war uns Gott ganz nahe.
Vielleicht wird es Menschen geben, die nach einem Einsatz sagen: Als die Helfer uns geholfen haben, da war uns Gott ganz nahe.

Winfried

Denn das war es ja, was dieser eine Helfer immer wieder gesagt hat: Fangt neu an, der Himmel ist schon ganz nahe. Ihr seid nie allein, Ihr seid nie alleine gewesen, in acht Jahren KID-Einsätzen, Ihr seid in diesen acht Jahren im Rettungsdienst nicht alleine gewesen, und Ihr werdet auch in Zukunft nicht allein sein.

Bernd

Letztlich sind auch unsere Teddys dafür das richtige Symbol. „Ihr seid nicht allein“, sagen sie betroffenen und verängstigten Kindern. Da ist von Jesus und von Emmaus gar keine Rede. Muss auch nicht. Hauptsache, sie können mit den kuscheligen Bären begreifen: Wir sind nicht allein. Da sind Menschen, die für uns da sind.

Denn Gott ist uns immer ganz nahe. Für diese Kinder – für uns im Rettungsdienst – für uns in der Krisenintervention. Amen

Die Predigt wurde gehalten von Winfried Krämer und Bernd Kehren.

Siehe auch: http://www.drk-eu.de/