Zur Kritik an der Bibel in gerechter Sprache

Zur Kritik an der Bibel in gerechter Sprache

Wenn man sich die Kontroverse um die “Bibel in gerechter Sprache” anschaut, dann geht es vielen Kritikern schon lange nicht mehr um die Sache. Es geht um die Macht.

Zunächst ein Vergleich.

Meine Examenspredigt seinerzeit wurde vom ersten Prüfer mit “Sehr gut” und vom zweiten mit “Mangelhaft” bewertet. Während der erste Prüfer in seiner Stellungnahme der Reihe nach die Pluspunkte aufzählte, die ich in meiner Arbeit erreicht hatte, hatte sich der zweite Prüfer eine eigene Vorstellung von der Prüfungsarbeit gemacht, die offenbar mit meiner Vorstellung kaum Berührungspunkte hatte. Und so zählte er alle die Punkte auf, die ihm wichtig waren und die ich nicht erwähnt hatte.

Der erste Prüfertypus strebt keine Perfektion an. Eine sehr gute Arbeit muss nicht in allen Punkten perfekt sein, wenn sie denn in genügend anderen Punkten überdurchschnittlich ist. Der zweite Prüfertypus hingegen kann Defizite nicht hinnehmen, vor allem dann, wenn sie in Bereichen liegen, die ihm wichtig sind. Für Pluspunkte in weiteren Bereichen ist er blind. Er bewertet nicht die Prüfungsleistung an sich, sondern er bewertet seine eigene Leistung mit sehr gut. Die Prüfungsleistung wird dann nur nach nach den vorhandenen Übereinstimmungen durchsucht und benotet.

Die meisten Verrisse der Bibel in gerechter Sprache entsprechen dem zweiten Prüfertypus. Sowohl in seiner Selbstgerechtigkeit als auch in seiner Unfähigkeit, eine zweifellos vorhandene Leistung differenziert anzuerkennen.

Liest man die bekannten Verrisse, gewinnt man den Eindruck, bei den Übersetzerinnen und Übersetzern der Bibel in gerechter Sprache müsse es sich um eine Horde durchgeknallter Feministinnen handeln, die von Theologie im Allgemeinen und von Griechisch, Aramäisch und Hebräisch im Besonderen keinerlei Ahnung haben. Die Übersetzerinnen seien vor allem einem feministischen Sprachwahn verfallen, sie hätten blindwütend sowohl bei Pharisäern als auch bei Gott selbst einfach die weiblichen Formen hinzugefügt, um einer vermeintlichen Political Correctness zu genügen.

Schaut man sich dann die Liste der Übersetzerinnen und Übersetzer genauer an, dann entdeckt man dabei hochrangige Fachexegetinnen und -exegeten, die sehr wohl über die entsprechenden Sprach- und Sachkenntnisse verfügung.

Warum wird dann die Übersetzung so abgekanzelt, als handele es sich um eine schlechte Proseminararbeit von Erstsemstern? Selbst bei Erstsemestern wäre dieses Abkanzeln stillos.

Schaut man sich die Bibel in gerechter Sprache noch genauer an, dann entdeckt man Überraschendes.

Wichtiges und leitendes Kriterium des Übersetzerteams ist die Gerechtigkeit in mehreren Bereichen. Der erste Bereich ist ausdrücklich die Gerechtigkeit gegenüber den griechischen, hebräischen und aramäischen Ausgangstexten. Schauen Sie sich bitte einmal die verschiedenen Rezensionen an, ob dieser Bereich erwähnt wird. In den Verrissen wird dieser Bereich immer unterschlagen.

Weitere wichtige Bereiche sind dann Gerechtigkeit im Blick auf die Geschlechter und im Blick auf den jüdisch-christlichen Dialog. Ich weiß noch, wie auf dem Kirchentag im geteilten Berlin Vertreterinnen der feministischen Theologie ein Schuldbekenntnis ablegten, weil sie antijudaistische Stereotypen verbreitet hatten. Sie hatten sich auf traditionelle christliche Darstellungen des Judentums in den Darstellungen der theologischen Lehrer des 20. Jahrhunderts verlassen – und dabei Schiffbruch erlitten. Inzwischen haben sie diese beiden Bereiche gründlich aufgearbeitet. Nur ist dies leider der Mehrzahl der Kritikerinnen völlig egal. Da wird nicht gefragt: Wie kommt ihr denn dazu. Stattdessen wird letztlich behauptet: Alles Schwachsinn in dieser Bibel.

Und das führt mich zu meiner Entdeckung: Es geht überhaupt nicht um die Bibel in gerechter Sprache. Es geht stattdessen um die Macht. Es geht um die Macht, mit irgendwelchen Scheinargumenten sowohl dem Bemühen um jüdisch-christliches Gespräch als auch dem Bemühen um Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche einen Riegel vorzuschieben.

Völlig vergessen wurde, dass 1999 mit dem neuen Gottesdienstbuch eine Agende in den lutherischen und unierten Landeskirchen verabschiedet wurde, die sich ausdrücklich den jüdisch-christlichen Dialog, die Geschlechtergerechtigkeit und die Vermittlung von Tradition und Modernisierung in der Sprache auf die Fahnen geschrieben hatte. Jetzt kommt der Rollback. Man ist dagegen, und damit basta.

Im Einzelnen sind viele der vorgetragenen Argumente blamabel.

So fragt man sich, warum Pfarrerinnen und Pfarrer die alten Sprachen lernen mussten, wo doch offenbar der Wortlaut der Lutherbibel in der Kirche völlig ausreicht.

So fragt man sich weiter, ob man in einer katholischen Kirche seinen Dienst tut, in der einem immer wieder von oben durch die Glaubenskongregation der rechtet Weg vorgegeben wird oder in der evangelischen lebt und arbeitet, in der doch die Gemeinde die Aufgabe hat, die Lehre zu beurteilen. Welche Bibelübersetzung hat eine zweijährige Praxiserprobung hinter sich, in der zahlreiche Gemeindegruppen die Texte gelesen und diskutiert haben? Welches Übersetzerinnenteam hat sich jemals einer solchen Prozedur ausgesetzt?

Blamabel ist, wie Versäumnisse der Kirche nun dem Übersetzerinnenteam angelastet werden. Welches Gemeindeglied weiß darum, dass Gott in der Bibel einen Namen hat, der aber schon zur Zeit Jesu in der Gebetsanrede und im Reden über Gott durch andere Begriffe ersetzt wurde? Und wer kennt diese Ersetzungen in den alten Sprachen und in der deutschen Übersetzung? Warum sind das nur so wenige? Wem ist dieses Versäumnis anzulasten?

Stattdessen wird dem Übersetzerinnenteam vorgeworfen, es würde nun die unmündige Gemeinde verunsichern, wenn sie mit unbekannten Gottesbezeichnungen verwirrt wird.

Nur nicht an den alten Fehlern rütteln! Nur nicht auffallen! Nur nicht das eigene Versagen zugeben. Da soll lieber alles so bleiben, wie es ist! Denn hier geht es um die Macht. Um die Macht, die eigenen Fehler der Vergangenheit zu bestreiten. Um die Macht, diese Fehler auch in Zukunft begehen zu dürfen. Um die Macht, jene lächerlich zu machen und in der Kirche zu diskreditieren, die den Finger in die Wunde legen. Um die Macht, jenen die Tür vor der Nase zuzuschlagen, die die Tür des Dialogs über die Übersetzung und über Fehler darin ausdrücklich geöffnet haben. Die Bibel in gerechter Sprache hat eben nicht den Anspruch, perfekt zu sein und keine Fehler gemacht zu haben. Das Übersetzerinnenteam lädt ausdrücklich zur Diskussion ein und zeigt die Bereitschaft, sich durch Sachargumente überzeugen zu lassen.

Gerade dadurch, wie radikal das Gespräch beendet und das Projekt der Bibel in gerechter Sprache für gescheitert erklärt wird, zeigt sich die Ausübung und der Missbraucht von Macht. Und gerade damit wird deutlich, wie wichtig ein Projekt ist, dass sich der Gerechtigkeit verschrieben hat.

Wie oft konnte man lesen, dass man die Lutherbibel davor bewahren müsse, dass sie von der Bibel in gerechter Sprache verdrängt. Sonst kennt man diese Stilfigur vor allen aus der (schlechten) Politik: Man distanziert sich auf das Heftigste von einer Position, die der politische Gegner niemals vertreten hat. Mehr als einmal hat das Herausgeberteam betont, dass die Lutherbibel nicht ersetzt werden solle. Warum dann die stereotype Verlautbarung in kirchenleitenden Gremien, dass allein die Lutherbibel im liturgischen Gebrauch maßgeblich bleibe?

Antwort: Es geht um die Macht. Diese Gremien (Rat der EKD und die Bischöfe der VELKD) und viele andere hätten ja durchaus festellen können, dass die Lutherbibel ihren bleiben Wert behalten wird, und dass man dennoch das Bemühen um eine Bibel zu würdigen weiß, die sich dem ursprünglichen Sinn der Worte der biblischen Schriften und ihre Übersetzung in heutige Sprache verpflichtet weiß und darüber hinaus auch die Erkenntnisse des jüdisch-christlichen Gesprächs und des Ringens um Geschlechtergerechtigkeit umsetzen möchte. Warum haben sie sich nicht auf solche Art und Weise geäußert? Diese leitenden Gremien sind doch sonst so geschult, öffentliche Erklärungen ausgewogen und differenziert zu formulieren, ohne Betroffenen zu sehr auf die Füße zu treten. Warum formulieren sie ihre Stellungnahmen zu dieser Übersetzung mit dem Holzhammer? Es bleibt nur eine wirkliche Erklärung: Es geht um die Macht.

Hat man noch 1999 im neuen Gottesdienstbuch im Blick auf die Liturgie und den Gottesdienst festgehalten, die Sprache dürfe niemanden ausgrenzen, so wird dies nun als moderne Vorstellung diffamiert, die das Verständnis der biblischen Texte erschwere.

Es ist beschämend zu sehen, wie die kirchliche Kritik und protestantische Publizistik mit gestandenen und weltweit anerkannten Theologinnen und Theologen umspringt, als wären es dumme Schuljungen und durchgeknallte Feministinnen, die sich einen ideologischen Abiturstreich geleistet haben. Es ist beschämend, wie viele blinde Verdächtigungen und Vermutungen und Gerüchte gegen die Bibel in gerechter Sprache verbreitet werden, die mit dieser Übersetzung nicht das geringste zu tun haben. Soll das ein Vorzeichen für die protestantische Diskussionskultur sein, wenn demnächst bei knapper werdenden finanziellen Mitteln über Kürzungen in den Kirchen diskutiert werden muss? Wenn schon in theologischen Fragen eine derartige Unsachlichkeit Platz ergreift, wie muss es dann aussehen, wenn es um kirchenpolitische Sachfragen geht?

Selber gehöre ich zum theologischen rheinischen Nachwuchs, der aus finanziellen Gründen mit großer Wahrscheinlichkeit keine Pfarrstelle mehr in seiner Landeskirche bekommen wird. Es ist bitter zu sehen, mit welcher theologischen Unkenntnis TheologInnen im Amt und in höchsten Ämtern sich zu öffentlichen Verrissen hinreißen lassen. Dass dies vielen Protestanten nicht auffällt, macht deutlich, wieviel Nachholbedarf in puncto Theologie in der Kirche besteht, in der doch die Gemeinde das Recht und die Pflicht hat, die Lehre ihrer Pfarrerinnen und Pfarrer zu beurteilen. Meine eigene Landeskirche ist glücklicherweise mit sehr gemäßigter und besonnener Kritik aufgefallen. Das ist der Punkt, an dem man seine eigene Landeskirche bei allen gegenwärtigen Problemen schätzen lernt.

Wenn jedenfalls die Auseinandersetzung mit der Bibel in gerechter Sprache dazu beiträgt, den theologischen Nachholbedarf deutlich zu machen und in der gemeindlichen Diskussion aufzuarbeiten, dann hat sich diese Übersetzung  gelohnt.

Allerdings würde dies die Bereitschaft voraussetzen, auf Macht zu verzichten und die ausgestreckte Hand zur Diskussion doch noch zu ergreifen. Mut macht die politische Erfahrung der letzten Jahrzehnte, dass auch die reine Macht die Diskussion nicht verhindern kann. Mut macht die Herrschaftskritik der Bibel, die die Geringen gegenüber den Mächtigen aufwertet. Es geht eben doch um Gerechtigkeit vor Gott. Ich freue mich darauf.

Bernd Kehren